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Themenbereich: Grundfragen des Lebens
Thema: Leben und Tod
Beitrag 4: Lebens-Zeit (Bodo Fiebig 2019-9)
„Leben ist eine komplexe Organisationsform materieller Substanz“, so lesen wir es im Beitrag 1 „Was ist Leben?“. Leben besteht aus den gleichen Grundbausteinen (Atomen), wie die Luft, die wir atmen, wie das Wasser im Meer, der Schmutz auf der Straße oder ein Krater auf dem Mond und trotzdem ist es eine ganz neue Erscheinungsform des Daseins. Eine Daseinsform, die es eigentlich gar nicht geben dürfte, denn wenn man die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas wie Leben durch Zufall entstehen könnte, mit den Methoden der mathematischen Wahrscheinlichkeitsrechnung überprüft, dann enstehen dabei Zahlenkolonnen, die jenseits aller realen Vorstellungsmöglichkeiten liegen. Selbst wenn das Universum millionenmal älter wäre als die 15 Milliarden Jahre, die man dafür annimmt, so würde auch das nicht im Entferntesten ausreichen, um die Entstehung des Lebens durch Zufall zu erklären. Nichts ist unwahrscheinlicher als das Leben, denn jeder lebende Organismus setzt sich aus Materie zusammen, die außerhalb dieses Organismus tot ist.
Das Leben ist eine paradoxe Ausnahmeerscheinung der Materie, die totes Material in einen Stoffwechselkreislauf zwingt und dazu bringt, dass es dort an hochkomplexen Vorgängen teilnimmt, deren Zusammenwirken nur in einem lebenden Organismus funktioniert und die in den Strukturen der Materie selbst nicht angelegt sind. Ein lebender Organismus (ob Einzeller, Pflanze, Tier oder Mensch) ist so etwas wie eine gegen alle Wahrscheinlichkeit dennoch (wenn auch nur vorübergehend) stabilisierte Lebensäußerung von toter Materie. D. h. Leben ist kein Zustand, sondern eine zeitlich begrenzte Verlaufsform komplexer Vorgänge und gordneter Wechselwirkungen, die dem Wesen der „toten Materie“, aus der sie besteht, eigentlich widersprechen. Und diese unwahrscheinliche, ja eigentlich unmögliche Ausnahmeerscheinung toter Materie, den wir „Leben“ nennen, muss ständig gegen das „Normale“, den Zerfall und den Tod verteidigt werden. Biologisches Leben (ob bei einer Eintagsfliege oder bei einer Schildkröte, die bis zu 300 Jahre alt werden kann) ist immer zeitlich begrenzt und trägt vom ersten Tag seiner individuellen Existenz an die Zwangsläufigkeit seines Sterbens mit sich herum.
Und dieses Sterben ist (normalerweise) nicht Folge eines Mangels an Materie, sondern eine Folge von Sörungen in der Organisation der Materie (z. B. durch Krankheit, Verletzung usw.). Ein lebender Muskel z. B. wird augenblicklich ein Stück totes Fleisch, sobald er aus dem Organisations- und Funktionszusammenhang im Stoffwechsel des Gesamtorganismus herausgenommen wird. Das bedeutet: Das Vorhandensein und die richtige Zusammenordnung der notwendigen materiellen Bestandteile (z. B. Eiweiß-Bausteine und vieles andere in einem Stück Fleisch) machen noch lange nicht das Leben aus. Nur solange die körpereigene Materie in einem Organismus anhand eines genetischen Lebensplanes funktioniert, und am Stoffwechsel und an den Funktionszusammenhängen des Gesamtorganismus teilnimmt, lebt sie, sonst ist sie tot wie jede andere Materie auch.
Leben, das ist (um einen Vergleich zu wagen) etwa so wahrscheinlich, wie es wahrscheinlich ist, dass ein Haufen von leblosen Lego-Plastik-Figuren auf einmal anfangen, sich selbst in Gruppen und Beziehungen zu organisiern, miteinander zu kommunizieren und auf einer imaginären Bühne eine dramatische Geschichte aufzuführen. So ist Leben: Totes Material in lebendiger Beziehung. Und diese Ausnahmeerscheinung von toter Materie, die wir „Leben“ nennen, muss in jeder Sekunde ihrer Existenz dem Tode abgerungen werden und sie existiert nur so lange, wie sie ohne Pause gegen den Verfall und den Tod verteidigt wird. Davon wird im Folgenden zu reden sein.
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1 Lebenszeit durch Zell-Erneuerung
Die überraschende und allem Erwartbaren widersprechende Lebensordnung toten Materials in einem lebenden Organismus ist allerdings anfällig und flüchtig. Leben braucht Stoffwechsel. Es wird ständig Energie und Substanz aufgenommen und abgegeben. Das kann anorganisches Material sein, wie z. B. Sauerstoff, Mineralien usw., oder auch organisches Material, wie z. B. Eiweiß, Fette und Kohlehydrate, die es durch den Verzehr anderer Lebewesen gewinnt. Diese „Nährstoffe“ zerlegt das Lebewesen in seinem Stoffwechsel in „brauchbare“ Bestandteile, baut diese neu zusammen und zwar so, dass das neugewonnene Material als körpereigene Substanz in die Lebensvorgänge seiner Organe einbezogen werden kann und prägt sie mit dem Stempel der eigenen Existenz, indem es den eigenen Lebensplan (seine DNA) in jede neue Zelle überträgt. Jedes Lebewesen braucht den Stoffwechsel zur Gewinnung von Energie, zum Aufbau organismuseigener Substanz, zum Wachstum und zur Erneuerung seiner Zellen. Dieser Aufbau körpereigener Substanz und die Art ihrer Integration in den Gesamtorganismus des Lebewesens geschehen anhand der Ordnungskategorien der genetischen Information, die in jeder Zelle des Körpers vorhanden ist. Wobei Energie und Substanz nicht einfach durch den Organismus hindurchfließen, sondern in vielfältiger Weise an den Lebensprozessen im Innern des Organismus beteiligt werden.
In diesem hochkomplexen Gefüge innerer Abläufe und äußerer Beziehungen können relativ schnell Störungen auftreten, können die sensiblen und hochkomplizierten Vorgänge ins Stocken geraten, können sich inmitten der Bausteine des Lebens tote Schlacken ansammeln. Die Zelle „altert“ und mit ihr würde der ganze Organismus in wenigen Tagen zu Grunde gehen, wenn nicht der Organismus täglich millionenfach verbrauchte, gealterte Zellen abstoßen und ausscheiden würde und durch „junge“ Zellen aus neu organisierter Materie ersetzen würde. So kann der Gesamtorganismus eines Lebewesens die Lebenszeit seiner einzelnen Zellen um ein Vielfaches überdauern. (Siehe auch das Thema „Zeit und Ewigkeit“).
Dieser Vorgang, der in der Biologie als „programmierter Zelltod“ bezeichnet wird, ist für die Erhaltung des Lebens unbedingt notwendig. Nur dadurch, dass der Körper ständig „alt“ gewordene Zellen abstößt und durch neu gebildete Zellen ersetzt, kann er als Ganzes die Lebenszeit der einzelnen Zellen um ein Vielfaches überdauern. Die Erneuerung der Zellen wirkt wie eine fortlaufende Verjüngung des Körpers; ohne sie könnte kein Lebewesen länger als ein paar Tage leben. Freilich, auf Dauer können dann doch nicht alle Verschleiß- und Alterungsvorgänge rückgängig gemacht werden, sodass schließlich doch auch der Körper als Ganzes altert und stirbt. Trotzdem: Durch den „programmierten Zelltod“ gewinnt der Organismus eines Lebewesens Lebens-Zeit, die ein Vielfaches der Lebensdauer seiner einzelnen Zellen ausmacht. Der Tod der einzelnen Zelle ist hier (biologisch gesehen) Voraussetzung für das Weiterleben des ganzen Organismus.
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2 Lebens-Zeit durch Vererbung
Einem solchen lebenserhaltenden Erneuerungsprozess ist aber nicht nur das einzelne Lebewesen unterworfen, sondern auch insgesamt das Leben als Daseinsform. Dazu musste aber etwas geschehen, das schlichtweg unmöglich scheint, jedenfalls noch viel unmöglicher als es die Organisation toten Materials zu lebenden Organismen ist: Es musste (nachdem sich die Bausteine des Lebens aus toter Materie gegen alle Wahrscheinlichkeitsrechnung irgendwie (?) doch zu einem lebenden Organismus zusammengeordnet haben) nun noch etwas millionenmal Unwahrscheinlicheres hinzukommen: Es musste die eben erst gefundene Lebensordnung toter Materie nun auch noch sich selbst vervielfältigen können und an eine nächste Generation weitergegeben werden können. Das ist so, als ob die Lego-Figuren aus totem Plastik-Material (siehe oben) nicht nur selbständig miteinander kommunizieren und gemeinsam und sinnvoll agieren könnten, sondern als ob sie wie durch einen Zaubertrick die ganze Spielszene ihres lebendigen Daseins so kopieren und vervielfältigen könnten, dass das „Spiel“ auch woanders und an vielen Orten und immer wieder neu aufgeführt werden könnte. (Wir sehen hier, wie maßlos man das Phänomen des „Zufalls“ überstrapazieren muss, wenn man erklären will, dass alle diese Vorgänge durch zufällige Muationen entstanden und gesteuert sein sollen!) Eigentlich hätte mit dem Tod der ersten Ur-Zelle das Experiment „Leben“ schon wieder beendet sein müssen. Nur dadurch, dass Lebewesen ihren genetischen Lebensplan und ihre biologische Substanz an eine nächste Generation weitergeben können, kann das Leben nun schon seit Jahrmillionen existieren, obwohl das individuelle Leben schon nach wenigen Tagen, Wochen, Monaten oder Jahren zu Ende geht.) Durch den Tod von Pflanzen und Tieren (auch des Menschen!) wird die lebensgeeignete Materie wieder dem Kreislauf der Natur zurückgegeben und für neues Leben zur Verfügung gestellt. Ausgerechnet das individuelle Sterben der Einzelnen ist die Voraussetzung dafür, dass das Leben insgesamt weitergehen kann.
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3 Lebens-Zeit durch systemische Kooperation
Aber nicht nur von den Vorgängen des Alterns im Inneren, auch von außen ist das Leben ständig bedroht. Der Körper eines einzelnen Lebewesens ist nicht so eigenständig, wie es auf den ersten Blick aussehen mag. Er ist integrierter Teil der Biosphäre der Erde. Und nur in ihr ist er lebensfähig; nur in ihren Kreisläufen und Wechselbeziehungen kann er seinen eigenen Organismus am Leben erhalten. So ist das Lebewesen z. B. eingebunden in Nahrungszyklen oder in den Austausch von Sauerstoff und CO2 zwischen Tieren und Pflanzen.
Das gilt auch für den Menschen (siehe dazu auch den Beitrag „Lebensgemeinschaft oder Überlebenskampf?“). Auf seiner Haut, in seinem Verdauungstrakt, ja sogar in seinem Atmungsorganen und in seinem Blut beherbergt er millionenfach fremdes Leben in über tausend verschiedenen Arten. Und vieles davon ist für ihn selbst lebensnotwendig. Ohne bestimmte Arten von Darmbakterien z. B., die wesentlich an Vorgängen der Verdauung beteiligt sind, die aber genetisch nicht zu unserem Körper gehören, könnten wir nicht leben. Höher organisierte Lebewesen können normalerweise nur als stabile Lebensgemeinschaft (Symbiose) sehr verschiedener Organismen existieren, nicht als isolierte Einzelwesen und das gilt auch für den Menschen. Das heißt aber, dass jedes Individuum, um leben zu können, sich darauf einlassen muss, um sich her (durch andere Makroorganismen) und sogar in sich (z. B. durch Mikroorganismen im Verdauungsgang usw.) ständig in intensivstem Kontakt mit anderen Lebewesen zu sein, die einen anderen genetischen Lebensplan in sich tragen und die mit ihm in Konkurrenz treten, wer der vorhandenen lebensgeeigneten Materie seinen Lebensplan aufzwingen kann: der Fuchs oder der Hase, der Mensch oder das Bakterium. Das innere Immunsystem ebenso wie äußere Abwehr- und Fluchtmöglichkeiten müssen in ständiger Bereitschaft das individuelle Leben gegen Angriffe konkurrierender Lebensformen schützen. Das Leben ist das bedrohteste und gefährdetste Phänomen im ganzen Universum und dass es schon seit Millionen von Jahren existiert, ist eines der faszinierendsten Wunder.
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Das Thema „Leben und Tod“ enthält gegenwärtig folgende Beiträge: (Der eben verwendete Beitrag ist gelb markiert)
Verteidigung des Lebens
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Weiterführende Beiträge aus anderen Themengruppen
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Bodo Fiebig „Verteidigung des Lebens“, Version 2017-11
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