„Hallo, Baby“! Mit diesen freundlichen Worten wird selten ein kleines Kind angesprochen, sondern meistens eine erwachsene Frau. Als vertrauliche Anrede, als eine Art Liebeserklärung. Aber warum ausgerechnet „Baby“, warum für eine erwachsene Frau eine Anrede wie für ein kleines Kind? Das ist doch seltsam, oder?
Eine zweites Phänomen: Heute ist es in sogenannten „westlich geprägten Gesellschaften“ üblich, dass sich junge Frauen ihre Genital-Behaarung* abrasieren. Ob freiwillig oder einem gewissen Erwartungsdruck folgend, sei dahingestellt.
*Ich verwende bewusst den Begriff „Scham“ für die äußeren Genitalien der Frau nicht (warum sollte es für eine Frau eine „Scham“ sein, eine Vulva zu haben) und auch nicht den Begriff „Schamhaare“ (warum sollte es für eine Frau „etwas Beschämendes“ sein, wenn Haarwuchs in der Umgebung der Vulva anzeigt, dass sie erwachsen ist oder dabei ist, es zu werden?).
Sicher: Das sind harmlose Modeerscheinungen. Aber in der Kombination muten sie doch etwas seltsam an: Eine erwachsene Frau wird als „Baby“ angeredet und gleichzeitig erwartet man von ihr, dass sie eine körperliche „Zutat“ entfernt, die von der Biologie des Menschen als Zeichen des Erwachsen-Werdens und Erwachsen-Seins vorgesehen ist. Sie tut es ja nicht zur Verschönerung. Sie würde sich ja auch nicht „zur Verschönerung“ ihre Kopfhaare abrasieren und mit Glatze herumlaufen. Nun, über Schönheit und Geschmack kann man sich streiten, aber es ist schon seltsam, wenn Frauen sich optisch in einen Zustand zurückversetzen, als wären sie noch kleine Kinder (nein, sie tun es auch nicht dazu, um etwas zu beseitigen, was beim „Verkehr“ stören könnte). Aber wozu dann?
Dazu kommt noch ein Drittes: Von der gleichen Frau wird auch erwartet, dass sie die „Pille“ nimmt und sie sich damit unfruchtbar macht. Und jetzt wirkt diese „Kombination“ schon wirklich sehr massiv: „Man(n)“ nennt eine Frau „Baby“, und „man“ möchte sie unbehaart wie ein Kind und unfruchtbar wie ein kleines Mädchen. Überraschend. Und warum das alles?
Übrigens: In die andere Richtung geschieht es ähnlich, wenn es auch meist nicht so auffällt: Auch das Mann-Sein wird „verkindlicht“: „Frau“ sucht sich eher einen Mann, der sich ungebunden fühlt, für niemanden verantwortlich, frei und unbekümmert. „Frau“ findet dann so einen erwachsenen Mann „einfach süß“ (wie ein kleines Kind), und auch der rasiert sich möglichst überall. Er möchte halt lieber als „großer Junge“ wahrgenommen werden und nicht als „Erwachsener“.
Vielleicht schauen sich auch beide gern „Manga“-Comics an und „Manga“-Filme (eine Kunstform aus Japan, die unterdessen weltweit verbreitet ist), wo die handelnden Figuren übertrieben „niedlich“ dargestellt werden: Kindergesichter mit großen Augen und mit Proportionen im übersteigerten „Kindchenschema“**, die aber auf erwachsenen Körpern dargestellt werden mit betont „erwachsenen“ Formen und Zurschaustellung einer „erwachsenen“ Erotik.
** Dieses „Kindchenschema“ als Wuchsform eines jungen, schutzbedürftigen Wesens ist in unserer Wahrnehmung fest verankert. Und das gibt es auch auch bei vielen Säugetieren; deshalb finden wir z. B. junge Hundewelpen und kleine Kätzchen „niedlich“ und „süß“.
Wir erkennen in all diesen Phänomenen immer wiederkehrende Erscheinungsformen einer „Verkindlichung“ des Erwachsenenseins. Was hat das zu bedeuten?
Ich versuche eine Erklärung: Die Kindheit ist die Lern- und Probierphase im Leben eines Menschen (gewiss lernen wir auch später noch, aber anders, bewusster, gezielter). Kinder lernen vor allem durch Ausprobieren. Kinder wollen und sollen eigene Erfahrungen machen mit den Dingen ihrer Umwelt, mit den Vorgängen, die da ablaufen, mit den Beziehungen zu anderen Menschen, mit der Wirkung der eigenen Person auf ihre Gegenüber, mit den Folgen ihres Handelns in den Situationen ihres Erfahrungsbereichs, mit Bedeutungen und Wertungen, mit Zustimmung und Abwehr; mit der Erweiterung und Begrenzung ihrer „Spielräume“ usw, usw. Und: Sie wollen auch ihre Beziehungen und ihre Sexualität auf kindliche Weise ausprobieren: Spielerisch, unverbindlich, wechselnd je nach Situation, probierend, unbefangen und ohne Verantwortung. Und auch das ist richtig und wichtig für sie.
Und nun erleben wir die seltsame Entwicklung, dass zunehmend auch Erwachsene ihre Beziehungen und ihre Sexualität auf solche „kindliche“ Weise ausleben wollen: Unverbindlich, wechselnd nach Lust und Laune, ohne dauerhafte Bindung, spielerisch probierend, den Rausch des Augenblicks genießend, aber darüber hinaus ohne Bedeutung und ohne Verantwortung. Wobei ja überhaupt nichts dagegen spricht, wenn Erwachsene in einer festen Paarbeziehung ihre gemeinsame Sexualität leicht, unbefangen und spielerisch gestalten und genießen, aber eben auf „erwachsene“ Weise, (was das bedeutet, werden wir gleich sehen).
Eine wirklich „erwachsene“ Haltung würde die eigenen Beziehungen und die eigene Sexualität bewusst so gestalten, dass die Verantwortung für mögliche Folgen zur Voraussetzung für die Einwilligung würde, und das bedeutet konkret: Ich will (als Frau) mit keinem Mann (oder als Mann mit keiner Frau) sexuell zusammen sein, wenn ich mir nicht vorher bewusst gemacht habe, dass trotz aller Vorsichtsmaßnahmen doch eine Schwangerschaft möglich ist, und dass ich deshalb meine Partnerwahl bewusst so verantworte, dass ich dann, wenn es doch unerwartet zu einer Schwangerschaft käme, meine Verantwortung als Mutter oder Vater des werdenden Kindes annehmen könnte und annehmen würde. Und dass ich (andernfalls) mich auf keine sexuelle Beziehung oder Situation einlassen würde, wo ich diese Verantwortung nicht wahrnehmen könnte oder wollte. Das wäre eine erwachsene Einstellung zu Partnerschaft und Sexualität.
Freilich, es geht ja bei einer Paar-Beziehung nicht nur um gewollte oder ungewollte Schwangerschaft. Aber meinen wir denn, eine Beziehung „nur unter Erwachsenen“ könnten wir „verantwortungslos“ gestalten? Jede intime Beziehung, ausnahmslos jede, und sei es nur für eine Nacht (und selbst, wenn die beiden meinen, das wäre jetzt einfach nur Sex ohne Bedeutung und morgen ist alles vorbei), jede intime Beziehung berührt uns im Innern unseres Menschseins. Die ist (auch bei erfolgreich verhüteter Schwangerschaft) morgen nicht vorbei. Die macht etwas mit ihr und die macht etwas mit ihm und lässt keinen von beiden unverändert (das ist ja das Gute und Schöne an einer intimen Beziehung, dass die körperliche Berührung die Menschen auch als Ganzes berührt und aufeinanderhin orientiert und im Miteinander füreinander verändert!). Eine intime Beziehung stellt (immer!) die Frage nach dem Ich und nach dem Du und nach den Zueinander von Ich und Du und wartet auf Antwort, auf Ver-Antwortung. Eine ausbleibende emotionale und personale Antwort des Partners, der Partnerin, der/die nicht zum Du wird und auch nicht zum Du werden will (trotz einer intimen Begegnung), hinterlässt im Menschen eine existenzielle Leere und diese Leere breitet sich, je häufiger das geschieht, auch im Ganzen einer Gesellschaft aus. Und dann wundert man sich und fragt sich, woher denn diese Kälte und Leere im gesellschaftlichen Miteinander kommen. Die unverantwortete Sexualität ist eine der Ursachen. Sicher: Man kann auch im „Konsum“ seiner Beziehungen so abstumpfen, das man das mehr oder weniger ungerührt und unberührt absolviert. Aber das würde doch nur anzeigen, dass da Menschen durch unbeachtete und achtlose Zwischenmenschlichkeit so weit „abgebrüht“ sind, dass ihre Empfindungsfähigkeit für die „Du-Persönlichkeit“ des jeweils andern schon schwer beschädigt ist, vielleicht sogar schon gänzlich und unwiederbringlich abgestorben, so dass sie dann auch durch eine längere und intensivere Beziehung nicht mehr wiederbelebt werden könnte.
Wenn erwachsene Menschen ihr Erwachsen-Sein verneinen, indem sie ihre Beziehungen und ihre Sexualität „verkindlichen“, dann entsteht in den Beziehungen der Menschen ein „Erwachsenen-Defizit“, und dann bekommt auch das Beziehungsgefüge in der Gesellschaft insgesamt eine weit über die intimen Bereiche hinausreichende gefährliche Schieflage: Nur nichts ernst nehmen (es reicht doch, wenn ich für alles und jedes einen witzigen Spruch parat habe, dann lachen alle und die Sache ist erledigt), nur keine Verpflichtungen eingehen (ich lass mich doch nicht festlegen, wer weiß denn schon, was morgen ist), nur keine dauerhaften Bindungen zulassen (es könnte ja sein, dass ich schon morgen einer noch attraktiveren Alternative begegne), nur keine Verantwortung übernehmen (Verantwortung ist nicht lustig, Verantwortung ist herausfordernd und manchmal auch anstrengend, nein, also wirklich, das ist nichts für mich).
In den letzten Abschnitten habe ich mehrmals die Begriffe „bewusst“ und „Verantwortung“ verwendet. Nicht zufällig: Solche Bewusstheit und Verantwortungsbereitschaft unterscheidet eine erwachsene Beziehung und Sexualität von einer kindlichen (oder einer trotz des „erwachsenen“ Alters kindlich zurückgebliebenen). Spielerisch und lustgesteuert zu handeln, ohne bewusst an die Folgen des Handelns zu denken, das ist eine für kleine Kinder selbstverständliche Lebensweise, für Erwachsene aber ein höchst unpassender, ja beschämend verantwortungsloser Lebensstil. Wenn man (als Mann oder als Frau) eine sexuelle Beziehung eingeht, ohne vorher gemeinsam (als Mann und als Frau) die bewusste Entscheidung getroffen zu haben, dass sie beide im Falle einer Schwangerschaft das Kind auch annehmen wollen und für dieses Kind Verantwortung übernehmen werden, dann nehmen sie von vorn herein in Kauf, dass sie gegebenenfalls ihr eigenes noch ungeborenes Kind töten lassen werden („töten“ heißt im deutschen Sprachgebrauch eine Handlung, durch die etwas, das vorher gelebt hat, nun nicht mehr lebt). Übrigens, dass wir da nichts falsch verstehen: Genitalbehaarung oder nicht, das ist nicht das Entscheidende, das kann wirklich (selbstverständlich!) jeder so halten wie er/sie mag. Entscheidend ist eine „erwachsene“ Einstellung zu Partnerschaft und Sexualität und eine „verantwortungsbereite“ Einstellung zu ungeborenen Kindern.
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Falls nun von mir (weil das ja eine biblisch begründete Internet-Seite sein will) nun auch noch eine biblische Einordnung erwartet wird, will ich die (sehr verkürzt) hier nachliefern: Da heißt es z. B. (Mt 18, 2+3): Jesus rief ein Kind zu sich, und stellte es mitten unter sie und sprach: „Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“
„Na also, was willst du denn: Sogar Jesus sagt, dass wir wie Kinder werden sollen, auch als Erwachsene, und du willst uns dafür tadeln?“ Aber lesen wir doch noch den Satz davor. Da steht nämlich, worum es eigentlich in diesem Gespräch ging: „Zu der selben Stunde traten die Jünger zu Jesus und fragten: Wer ist doch der Größte im Himmelreich?“ Und darauf rief Jesus das Kind zu sich. (Übrigens der hebräische Ausdruck für „im Himmelreich“ ist bei Matthäus eine häufige Redewendung mit der Bedeutung „bei Gott“. Also die Jünger fragen: „Wer von uns ist der Größte bei Gott?“) Da kann man nur sagen: Wenn es um unser Verhältnis zu Gott geht, ist jeder Rangstreit einfach nur kindisch. Wenn wir bei Gott unsere üblichen Erwachsenen-Spielchen spielen wollen (Wer ist der Größte? Natürlich ich, wer denn sonst!“), dann sind wir nicht kindlich, sondern einfach bloß albern. Jesus sagt uns hier: Wer Gott gegenüber im kindlichen Vertrauen lebt, und nicht versucht, sich selbst über seine „Mit-Kinder“ zu stellen (ich bin der Größte), der fängt an, im Verhältnis zu Gott und zu seinen Mitmenschen wirklich erwachsen zu werden.
Das könnte (unter anderem) dann so aussehen: Nicht ich als Mann bin bei Gott der Größere, (obwohl das die Kirchen jahrhundertelang so gesehen haben), und nicht ich als Frau, sondern wir als große Kinder Gottes (erwachsene Männer und Frauen) sollen gemeinsam dafür sorgen, dass die kleinen Kinder Gottes behütet und geborgen aufwachsen und sie ihren väterlichen Gott kennenlernen können, bei dem sie die Größten sind. Und da sind wir doch wieder bei der Verantwortung.
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Bodo Fiebig, Hallo, Baby Version 2021-2
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