Wir leben heute nicht mehr in getrennten Ländern und Kontinenten, sondern in der einen Welt, in der alles miteinander in Verbindung steht. Wir nennen unsere Erde oft das „globale Dorf“, weil die ehemals so weit entfernten Kontinente und Völker und Kulturen nun nur noch einen Mausklick (oder ein paar Flugstunden) entfernt und uns jederzeit zugänglich sind.
Aber das ist nur die Schau auf die Oberfläche. Ein vorsichtiger Blick in die Tiefe offenbart uns eine ganz andere Wirklichkeit. Da existieren „Welten“ unmittelbar neben uns, die aber von unserer eigenen Lebenswirklichkeit strenger getrennt sind, als es die entferntesten Kontinente je waren. Und einige davon werden ganz bewusst als Gegen-Welten gegen die öffentlich zugängliche Welt entwickelt und ausgebaut. Und: Sie haben nichts mit „Verschwörungstheorien“ zu tun, sondern mit ganz „normalen“ Vorgängen in unserem ganz normalen Leben. (Die Verschwörungstheorien mit ihren oft absurden Vorwürfen gegen „geheime Weltmächte“ verhindern eher, dass die tatsächlichen und eigentlich allen bekannten „Gegen-Mächte“ benannt und bekämpft werden.)
Einige davon sollen hier angesprochen werden.
Ich beginne damit, indem ich ein Beispiel anführe, dessen Höhepunkt schon in der Vergangenheit liegt, obgleich es (unter anderem Namen) immer noch existiert. Ich verwende dieses Beispiel vor allem deshalb, weil es dafür eine ausführliche und umfassende Beschreibung von einem „Insider“ gibt, der Jahre lang dort gelebt hatte: Den „Archipel GULAG“ in der „Sowjet-Union“ im zwanzigsten Jahrhundert mit Iossif Wissarionowitsch Stalin als unumschränkten Herrscher (siehe die drei Bände „Der Archipel GULAG“ von Alexander Solschenizyn). Dieser Archipel (diese Inselgruppe) lag nicht etwa im Meer, sondern er war über das Land der Sowjetunion verstreut, vorzugsweise in den nördlichsten Kältezonen Sibiriens. Ein „Inselreich“, das von dem sie umgebenden „Meer“ der „normalen“ Welt so grundsätzlich unterschieden war wie Wasser und Land. Da gab es große „Inseln“ mit vielen Tausenden „Bewohnern“ irgendwo im Nirgendwo Sibiriens, aber es gab auch kleinere „Inseln“ in den Städten: Wer durch eine der belebten Straßen Moskaus ging, konnte nicht wissen, dass das Innere eines unauffälligen Gebäudes am Straßenrand einer gänzlich anderen Welt angehörte, als die Welt, in der man selbst lebte. Eine Welt, in der Menschengruppen (die Gefangenen und ihre Bewacher und Peiniger) auf ganz andere Weise wohnten und arbeiteten als irgendwo sonst in der Stadt und im Land. Eine Gegen-Welt, in der total andere Gesetze galten als im Haus nebenan oder auf dem Gehsteig davor (nämlich die Gesetze der Rechtlosigkeit für die Gefangenen und die Gesetze der Macht über Leben und Tod für die Bewacher). Eine Gegen-Welt, in der gänzlich andere Lebensweisen und Umgangsformen galten und wo eine Sprache gesprochen wurde mit Begriffen, von denen man in der „Normal-Welt“ vieles gar nicht verstanden hätte. Die Haupt-Inseln dieser Gegen-Welt waren die großen „Straflager“, wo die „Insulaner“ (z. B. politische Gefangene, die dem Überwachungsapparat Stalins irgendwie negativ aufgefallen waren), oft nur mit Hacke und Schaufel ausgerüstet, gigantische Bauvorhaben verwirklichen mussten: Kanäle und Schleusen quer durch das Land, Tausende Kilometer Eisenbahn durch unwirtlichste Gegenden oder Abbau von Rohstoffen bei minus 40 – 50 – 60 Grad Celsius, ohne ausreichende Kleidung und Nahrung. Die Lebenserwartung auf den Inseln dieser Gegen-Welt war kurz, aber der Nachschub an frisch verhafteten Neu-Insulanern über Jahrzehnte unerschöpflich. (Man könnte auch das System der „Konzentrations-Lager“ in Deutschland unter Hitler oder das System der „Umerziehungslager“ in China unter Mao als Beispiele für so eine verborgene „Gegen-Welt“ anführen.)
Im Folgenden werden wir „Gegen-Welten“ (zum Teil ganz anderer Art) an Orten entdecken, wo wir sie in unserer Gegenwart nicht vermutet hätten (siehe dazu auch das Thema „Wirklichkeit und Wahrheit!).
1 kriminelle Gegen-Welten
Es gibt sie in jedem Land und in jeder Stadt auf allen Kontinenten dieser Erde: Unsichtbare kriminelle Parallelstrukturen neben den offiziellen gesellschaftlichen Ordnungen und Institutionen. Ja, eigentlich nicht nur neben ihnen, sondern auch in sie hinein verwoben und auf vielfältige Weise mit ihnen verknüpft.
Ein Mensch, der arglos durch die Straßen der Städte geht und ein unauffälliges Leben führt, wird normalerweise nichts davon sehen und spüren. Er weiß ja nicht, dass seine Steuern, die er jedes Jahr bezahlen muss, sehr viel niedriger sein könnten, wenn nicht Kriminalität und Korruption einerseits (und die Aufwendungen für die Bekämpfung von Kriminalität und Korruption andererseits) der Volksgemeinschaft jedes Jahr gewaltige Summen kosten, die von den Steuerzahlern aufgebracht werden müssen. Und er ahnt nicht, dass von seiner Rechnung für das heutige Mittagessen im Restaurant ein beachtlicher Anteil an die maffiösen Schutzgelderpresser geht.
In diesen kriminellen Gegenwelten gelten (genau so wie in dem oben genannten Beispiel der Straflager des GULAG) total andere Gesetze als in der „normalen Welt“. Es ist eine Gegen-Welt ohne Menschenrechte, ohne Freiheit des Lebens und des Handelns und ohne Gleichberechtigung. Eine Welt, bestimmt von Drohungen gegen alle, Belohnung der Loyalen und Gewalt gegen Abweichler. Wer Gehorsam nach oben und Brutalität nach unten verbinden kann mit Schlauheit und skrupellosem Egoismus, kann aufsteigen in der Hierarchie. Wer versagt, steigt ab. Wer widerspricht oder gar verrät, stirbt.
Auch die Gegen-Welt des Verbrechens hat ihre „Home-Lands“, ihre Heimat-Inseln, wo ihre Angehörigen zu Hause sind, abgeschirmt und unter sich, „No-go-Areas“ für alle, die nicht dazugehören, auch für die Polizei (jedenfalls da, wo die nicht, korrumpiert und bezahlt, mit dazugehört). Und diese Home-Lands des Verbrechens liegen oft mitten in unseren Großstädten. Oft nennen sie sich „Vergnügungsviertel“ (wobei das Vergnügen sehr einseitig bei den Bordellbetreibern liegt angesichts ihrer sprudelnden Gewinne, gewiss nicht bei den Sexsklavinnen, die international rekrutiert und gehandelt und genutzt werden).
Der internationale Menschenhandel, Drogenhandel, Waffenhandel (so die Hauptzweige des kriminellen „Geschäfts“, es gibt noch viele andere) sind weltweit organisiert und vernetzt. Sie bilden weltweite Gegen-Mächte zu den legalen Mächten der Völker und Staaten. Und sie haben den Vorteil, nicht an einengende Grenzen von Ländern gebunden zu sein und auch nicht an kleinliche Strukturen und Gesetze von Staaten. Ihre Handlungsräume kennen keine Grenzen und ihre Handlungsweisen achten keine Gesetze (außer den eigenen, selbstgemachten, harten Gesetzen der kriminellen Clans). Ihre Herrscher können großzügiger belohnen und brutaler bestrafen als es je ein Staat könnte.
Überall dort, wo in kurzer Zeit sehr große Vermögen angehäuft werden, muss man damit rechnen, dass die Werte aus kriminellen Aktivitäten stammen. Und es gehört zur hohen Kunst krimineller Organisationen, diese Gelder unbemerkt in die realen Strukturen des globalen Wirtschafts- und Finanzwesens einzuschleusen („Geldwäsche“), damit man sie dann ganz öffentlich handhaben, einsetzen und genießen kann. Und: Kriminell erworbene Vermögenswerte können von ihren Inhabern zur Tarnung und zur Ausweitung ihrer Macht auch in alle Organe von Staaten und überstaatlichen Organisationen eingeschleust werden (durch Korruption), bis sich die Grenzen zwischen staatlichem und kriminellen Handeln immer mehr verwischen. Höchstform dieser Vermischung ist der kriminelle Staat, in dem die Verbrecher-Bosse zugleich die Repräsentanten des Staates sind. Wer wollte behaupten, dass es das in der Wirklichkeit unserer Welt (zumindest in manchen Welt-Gegenden) nicht gibt?
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2 Geheime Gegenwelten
„Wissen ist Macht“, diese Erkenntnis ist uralt. Noch mehr Macht aber verspricht ein Wissen, das man selbst hat, andere aber nicht. Solches Exklusiv-Wissen ist für Machthaber wertvoller als Gold und Diamanten, denn es ermöglicht ihnen, ihre Politik entsprechend auszurichten, während andere noch überholten (d. h. falschen) Vorstellungen folgen – und damit Schiffbruch erleiden.
Dabei ist ja das Erforschen und Beschreiben von Verhältnissen und Vorgängen, das Aufdecken und Abklären von Fakten und Meinungen, das Untersuchen und Vorausberechnen von Entwicklungen und Trends keineswegs etwas Verwerfliches. Nein, es ist ein selbstverständliches und notwendiges Vorgehen in einer freien Gesellschaft. Entscheidend ist es jedoch, wie das Wissen gewonnen wird und wie man damit umgeht. Drei Varianten werden hier unterschieden:
1 Das Wissen wird gewonnen mit rechtsstaatlichen Methoden. Und es wird, wenn es geprüft und gesichert ist, veröffentlicht. Es dient der Information aller, die sich dafür interessieren. So handeln (hoffentlich!) Nachrichtenagenturen, Zeitungsreporter, Fernsehkorrespondenten, Dokumentarfilmer …, aber auch Forschungseinrichtungen der Universitäten usw.
2 Das Wissen wird gewonnen mit (meistens) rechtsstaatlichen Methoden, aber es wird ganz bewusst nicht veröffentlicht. Vielmehr wird es benutzt, um eigene Ziele zu erreichen und das Exklusiv-Wissen dabei zum eigenen Vorteil einzusetzen. So handeln Geheimdienste auch demokratischer Staaten, aber auch Research-Abteilungen nichtstaatlicher Organisationen wie Unternehmen und deren Interessenverbände, globale Wirtschafts- und Finanzmächte, abhängige Institute usw. Das muss man unterscheiden. Seriöse Nachrichtendienste erforschen ja auch die Geheimnisse der Welt, aber sie tun es um sie zu veröffentlichen. Geheimdienste dagegen sind dazu da, Geheimnisse zu erforschen, um sie dann auch geheim zu halten. Staaten (oder auch Interessengruppen), versuchen an geheime Informationen zu kommen, von denen die „anderen“ nichts wissen, um sie zu ihrem eigenen Vorteil einzusetzen. Befreundete Staaten tauschen manchmal Teile ihres geheimen Wissens zum beiderseitigen Vorteil aus.
3 Das Wissen wird gewonnen mit zum Teil nicht-rechsstaatlichen Methoden (in totalitären Staaten haben die Geheimdienste oft unbegrenzte Handlungsvollmachten und sind an die eigenen Gesetze ihrer Staaten nicht gebunden) und es wird nicht veröffentlicht. Es wird nicht nur zum eigenen Vorteil eingesetzt, sondern auch zum bewusst angestrebten Schaden anderer. So handeln und arbeiten Geheimdienste und Geheimpolizei in autoritären Staaten, so handeln kriminelle Vereinigungen, autokratische Geheimbünde oder Netzwerke wie z. B. das „Darknet“ im Internet usw.
Es ist diese dritte Art von Umgang mit Wissen, die eine geheime und gefährliche GegenWelt innerhalb unserer „normalen“ Umwelt entstehen lassen kann (wobei dann manchmal alle drei Formen unter einem Dach vereint sind: Organisationen, die offiziell nach Prinzip 1 oder 2 arbeiten, dann aber doch geheime Abteilungen unterhalten, die mit unerlaubten und manchmal auch brutalen und mörderischen Methoden ihre Ziele verfolgen). Die Gestapo (im „Dritten Reich“) und die „Stasi“ (in der DDR) waren solche machtvollen „geheimen Gegen-Welten“ (die sind Geschichte, aber wer kennt die heutigen Systeme in den heutigen Diktaturen?).
Das Besondere an den „geheimen Gegen-Welten“ liegt darin, dass dort Informationen, Nachrichten und geheimes Wissen nicht nur gesammelt, sondern auch produziert werden. Eine wesentliche Aufgabe von Geheimdiensten und Geheimpolizei in autoritären Staaten, von kriminellen Vereinigungen, von geheimen Bünden oder Netzwerken usw. besteht darin, „Nachrichten“ zu erfinden und gezielt zu verteilen, Fake-News, die dazu dienen sollen, andere mit echt aussehenden Falsch-Informationen auf falsche Fährten zu locken, ganze Völker mit aufwühlenden Verschwörungstheorien zu verunsichern, Demokratien durch die Verleumdung ihrer verantwortlichen Institutionen und Personen destabilisieren usw. Eine der folgenreichsten „Fake-News“ der Weltgeschichte waren „Die Protokolle der Weisen von Zion“, eine Fälschung des Geheimdienstes des russischen Zaren Anfang des 20. Jahrhunderts. Sie gaben später dem Antisemitismus der Nazis einen willkommenen Treibstoff und wirken auch heute noch in vielen Ländern als Rechtfertigung von Antisemitismus und Judenhass.
Während wir ahnungslos an der Oberfläche des gesellschaftlichen Umfelds leben, existieren unter unseren Füßen ungesehen und unbemerkt Systeme von Geheim-Aktivitäten, die unsere „normalen“ Lebens-Räume und Lebens-Weisen beeinflussen, verändern, manchmal auch zerstören wollen.
Es ist wie bei einer Wiese im Frühling: Da wächst und blüht es und wir haben keine Ahnung davon, dass unter der Oberfläche schon ein ganzes System von Gängen und Hohlräumen existiert (wie von Maulwürfen gegraben), in denen Dinge im Gange sind, von denen wir normalerweise nichts sehen oder hören. Nur manchmal schütten die „Kräfte von unten“ (meistens ungewollt) einen sichtbaren „Erdhügel“ auf, der uns auf ihre Existenz hinweist. (Nebenbei: Nichts gegen echte Maulwürfe, sie haben in den Kreisläufen der Natur ihre sinnvolle Funktion, im Gegensatz zu den „Maulwürfen“ der geheimen Gegen-Welten unter den Oberflächen der Gesellschaften.)
Heute kommen solche „Maulwürfe“ häufiger an die Oberfläche als früher, weil sie auf der „Spielwiese“ der öffentlichen Meinungen ihren Einfluss geltend machen wollen: Think-Tanks (soweit sie eher an Desinformation als an Wahrheitssuche interessiert sind), Troll-Fabriken, Fake-News-Verteiler, Influenzer (nicht die harmlosen, die mit ihrer Selbstvermarktung und ein bisschen bezahlter Werbung etwas mitverdienen wollen am großen Internet-Marktgeschehen oder sie sogar aus menschenfreundlichen Motiven handeln, das gibt es ja auch). Nein, hier sind die ganz und gar nicht harmlosen Verbreiter von Lügen und Verleumdungen, von Wahrheitsverfälschungen und Verschwörungstheorien, von Misstrauen und Hass am Werk, hinter denen oft sehr mächtige Organisationen und Machthaber stehen, die ihre Macht noch vergrößern wollen. Und die können unsere „Frühlingswiese“ nach und nach in eine vertrocknete Wüste verwandeln.
Wir haben im Allgemeinen keine Vorstellung davon, in welchem Ausmaß unsere Wirklichkeit durchsetzt und durchseucht ist, wie weit sie mitbeeinflusst und mitgestaltet wird von Aktivitäten aus den geheimen Gegen-Welten. Die Höchstform solcher geheimen Gegen-Welten ist der Staat, der im Wesentlichen wie eine riesige Geheimdienstzentrale funktioniert mit Akteuren an der Spitze, die aus der Geheimdienst-Arbeit hervorgegangen sind und deren Politik nur nach außen hin als öffentlich wahrnehmbares Handeln erscheint, sich in Wirklichkeit aber wesentlich auf die geheime Untergrundarbeit stützt (und solche, im wesentlichen Geheimdienst-gesteuerten Staaten, gibt es auch heute unter den kleinen, mittleren und großen Mächte der Erde und manche von ihnen gehören sogar dem exklusiven Kreis der „Ständigen Mitglieder“ des „Weltsicherheitsrates“ der Vereinten Nationen an).
Die „Gegen-Welt“ der Geheimdienste und Geheim-Mächte (z. B. mancher alter oder neuer Geheimbünde) ist auch die „Gebär-Mutter“ der Verschwörungstheorien. Man weiß: Manche politischen Vorgänge der Vergangenheit wurden aus dieser geheimen Hintergrund- und Untergrund-Szene gesteuert. Und das verleitet nun viele dazu, alle komplexen und deshalb für Laien oft undurchschaubaren nationalen und globalen Vorgänge auf geheime Verschwörungen geheimer Mächte zurückzuführen. So werden die öffentlich zugänglichen Informationen als Lüge und Volksverdummung bezeichnet, werden die verantwortlichen Politiker als Marionetten von geheimen Mächten angesehen, werden wissenschaftliche Erkenntnisse als bewusste Verschleierung der wahren Verhältnisse verdächtigt.
Das meiste davon ist blanker Unsinn. Vieles aber auch bewusst gestreute Agitation, welche die (noch) demokratischen Gemeinschaften verunsichern und destabilisieren soll, manches wirklich von der Untergrundarbeit der Geheimdienste und Geheimmächte gesteuert. Aber das ist von „normalen“ Bürgern nicht zu erkennen und nicht zu unterscheiden; und genau das macht ihre Gefährlichkeit aus.
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3 Die Gegen-Welt der Sklaverei:
Im 19. Jahrhundert wurde (ausgehend von England) die offene Sklaverei abgeschafft und verboten (zumindest offiziell und in den von europäischen Mächten dominierten Weltgegenden). Freilich: Genau dieselben europäischen Mächte hatten die Sklaverei und den Sklavenhandel in den Jahrhunderten davor zu einem weltumspannenden, menschenverachtenden und zum Teil auch mörderischen System auf- und ausgebaut. Heute sind wir normalerweise der Meinung, die Sklaverei sei ein Phänomen früherer Jahrhunderte, die heute nur noch von historischem Interesse sei. Welch ein Irrtum! Versuchen wir einen vorsichtigen Blick in die Gegen-Welt der gegenwärtigen Sklaverei.
Zunächst ist eine Begriffsklärung nötig: Mit Sklaverei ist hier ein System gemeint, in dem Menschen und ihre Arbeitsleistung ausgebeutet werden, und zwar so, dass sie sich dieser Ausbeutung nicht entziehen können. Mit „Sklavenhandel“ ist hier ein System gemeint, in dem Menschen selbst zur „Ware“ werden, die gekauft und verkauft wird, ohne dass die Betroffenen sich dagegen wehren können. Es gibt Sklaverei mit und ohne Sklavenhandel. Je eine aktuelle Ausformung dieser beiden Formen will ich hier nennen: Wirtschaftliche Ausbeutung und sexuelle Ausbeutung.
3.1 wirtschaftliche Ausbeutung: Ob wir das für möglich halten oder nicht: Es gab auf dieser Erde noch nie so viele versklavende Abhängigkeitsverhältnisse wie in unserer Gegenwart. Das liegt natürlich auch daran, dass es noch nie so viele Menschen gab. Aber das ist nicht entscheidend. Milliarden von Menschen müssen heute ihre Arbeitsleistung unter menschenunwürdigen Bedingungen erbringen und gegen eine Entlohnung, die (hoffentlich) gerade noch so zum Überleben reicht, aber bei weitem nicht dem tatsächlichen Wert der Arbeit entspricht. Und sie müssen das tun, weil sie keine Alternative haben.
Wenn es in einer Region (auf welchem Kontinent auch immer) eine so hohe Arbeitslosigkeit gibt, dass Menschen gezwungen sind, jedes Arbeitsangebot anzunehmen, um überhaupt leben zu können, dann gibt es immer auch „Arbeitgeber“, ja ganze Industriezweige und Handelsketten, die ganz bewusst diese Abhängigkeit ausnutzen, ja wo möglich sie selbst zu schaffen und zu erhalten versuchen, weil das ihre Gewinne beträchtlich steigern kann. Ob das die Näherin in der riesigen Produktionshalle in Bangla Desh ist, die für einen Hungerlohn das T-Shirt näht, das dann in Europa für 4,99 Euro verschleudert wird, oder der Bergwerksarbeiter in einer Mine in Südamerika, der täglich seine Gesundheit und sein Leben aufs Spiel setzt, um wenigstens seine Familie ernähren zu können, oder die Arbeiterin auf einer Plantage in Afrika, die ihre Familie erst wiedersieht, wenn die Erntezeit vorbei ist, oder der Wanderarbeiter in Asien, der von einer befristeten Arbeitsstelle zur anderen „wandern“ muss, um von seiner Arbeit leben zu können, immer geht es um die Optimierung von Produktionsprozessen und Gewinnmargen auf Kosten der Menschen, die an diese Produktionsstätten gebunden sind. Gebunden nicht (oder zumindest nicht immer) durch fremde Gewalt, sondern durch eigene Not. Aber diese eigene Not ist nicht (jedenfalls oft nicht) von sich aus da, sondern Folge von wirtschaftlichem und politischem Handeln (oft auch von Kriminalität und Korruption), die genau diese Not erzeugen und beibehalten wollen. (Und es muss hinzugefügt werden: Es gibt in allen Ländern und auf allen Kontinenten auch verantwortliche Unternehmer und Politiker, die alles ihnen Mögliche versuchen, um die Situation der Menschen zu verbessern und Korruption zu verringern.)
Die Systeme der modernen Sklaverei sind weltumspannend. Und so wie in den Jahrhunderten der offenen Sklaverei (als man das ganz ungeniert auch so nannte) viele indirekt davon profitierten, ohne sich dessen bewusst zu sein, so gibt es auch heute sehr viele (gerade auch in den wohlhabenden Ländern), die indirekt von der versteckten Sklaverei profitieren, obwohl sie meinen: „Nein, so etwas wie Sklaverei, das gibt es doch in unserer modernen Zeit nicht mehr!“
3.2 Sexuelle Ausbeutung (Prostitution und Pornografie):
Prostitution wird gern als das „älteste Gewerbe der Menschheit“ bezeichnet. Man will mit dieser verharmlosenden Beschreibung das Bild von einer Menschheitsgeschichte malen, in der bezahlte Sexualität selbstverständlich schon immer dazugehört hat. So wie der Bäcker sein Bäckerhandwerk betreibt, und der Schreiner sein Schreinerhandwerk, so betreibt eben auch die „Sexwerkerin“ ihr „Gewerbe“. Na und?
Wer so denkt und redet, ist entweder sehr naiv oder will die wahren Verhältnisse bewusst verschleiern. In Wirklichkeit ist das Geschäft mit Prostitution und Pornografie eine sehr brutale Form der modernen Sklaverei. Da werden junge Frauen, die der wirtschaftlichen Ausbeutung (siehe oben) oder der Perspektivlosigkeit ihrer Zukunft in ihren wirtschaftlich schwächeren Heimat-Ländern entkommen wollen, mit Versprechungen vom Leben im reichen „Westen“ und von guter Arbeit mit guter Bezahlung angeworben. Im Zielland angekommen, wird ihnen alles genommen (Pässe, Geld …) und sie landen in Bordellen, wo sie mit (wörtlich genommen) „nackter Gewalt“ in die Prostitution gezwungen werden. Die Reise in den „goldenen Westen“ wird ihnen als „Schulden“ angerechnet, die sie „abarbeiten“ müssen, was aber nie gelingt, denn die Gewinne streichen die Bordellbesitzer ein.
Mitten in unseren Städten (in den gedruckten Reiseführern als „Rotlichtviertel“ oder „Vergnügungsmeile“ lobend erwähnt und von den menschlichen Reiseleitern vor Ort mit einem charmanten Augenzwinkern angepriesen) existieren Welten, in denen die sonst in allen anderen Stadtvierteln geltenden Menschenrechte mehr oder weniger total außer Kraft gesetzt sind. Freiheit und Menschenwürde sind hier kein Thema. Die sonst gültigen Gesetze sind hier nur theoretisch vorhanden, praktisch gilt das Gesetz des „Millieus“ und das sieht für die Frauen in der Prostitution keine Menschenrechte vor. Und selbstverständlich weiß das der Staat und seine Polizei, aber sie tun nichts dagegen, weil sie froh sind, das „älteste Gewerbe der Welt“ in bestimmten Vierteln konzentriert, von außen wenigstens einigermaßen im Blick haben zu können. (Ja, es gibt auch mehr oder weniger „freiwillige“ Prostitution, aber die ist eher eine Randerscheinung und hier, in diesem Zusammenhang nicht gemeint).
Die Gegen-Welten der Kriminalität und der Prostitution sind unzertrennliche Zwillinge. Und manche kriminellen Aktivitäten (z. B. im Drogenhandel und Menschenhandel) profitieren von der uneingestandenen aber effektiven Zurückhaltung der „Ordnungskräfte“ gegenüber dem „ältesten Gewerbe der Welt“.
Pornografie, also die Darstellung von Sexualität in verschiedensten Medien als Anregung oder Ersatz für eigene Lüste der Betrachter, ist (vor allem im Internet) in einer Überfülle präsent wie nie. Gewiss, Nacktheit muss weder anstößig noch sündhaft sein. In der Bibel wird sie (in der geschützten Zweierbeziehung von Mann und Frau) als natürlich und selbstverständlich bezeichnet. 1. Mose 2,25: Und sie waren beide nackt, der Mensch und seine Frau und sie schämten sich nicht. Und auch die Darstellung von Sexualität innerhalb eines Romans oder Films, wo sie nicht isolierte Zur-Schau-Stellung ist, sondern integrierter Teil einer weit über das Sexuelle hinausgehenden Erzählung, muss sie nicht grundsätzlich abgelehnt werden (das kommt auf die Art der Erzählung an).
In pornografischen Darstellungen aber werden sexuelle Handlungen als „normal“ präsentiert, die in Wirklichkeit aus der Abhängigkeit und Ausbeutung durch geschäftsmäßige (Zwangs-)Prostitution stammen und auch oft dort produziert werden. Hier wird ein Zerrbild von menschlicher Sexualität vorgeführt, das ganz bewusst entwürdigend (für die Frauen) und suchterzeugend (für die Männer) wirkt und wirken soll. Porno-Sucht ist eine der verbreitetsten Süchte unserer Gegenwart mit (auf Dauer) ebenso persönlichkeitszerstörenden Folgen wie z. B. Drogen-Sucht. Die versteckte Absicht eines jederzeit erreichbaren Überangebots von Pornografie ist trotz des Nimbus der Heimlichkeit erkennbar: Wenn Pornografie nicht nur im Prostitutions-Millieu, sondern mitten in der „normalen“ Gesellschaft zur jederzeit käuflichen Konsum-Ware wird, kann man mit ihr noch viel mehr einträgliche Geschäfte machen als bisher. Und das lohnt sich auch dann noch (und erst recht), wenn man manche Porno-Angebote im Internet kostenlos macht (Drogen-Dealer geben ja auch oft die ersten Dosen kostenlos ab, um die Empfänger zu Abhängigen zu machen).
Mit Hilfe der Pornografie versucht die Gegen-Welt der Prostitution und der Kriminalität sich mitten in der „normalen Welt“ als selbstverständliche Begleiterscheinung modernen Lebens Zugang und Anerkennung zu verschaffen. So, wie auch alle anderen „Gegen-Welten“ danach streben, in die öffentlichen Verhältnisse der Städte und Länder, Völker und Kulturen einzudringen, immer weitere Bereich zu durchdringen und sie so zu beeinflussen, dass sie schließlich ganz selbstverständlich dazugehören und mehr und mehr das Leben und Zusammenleben der Menschen bestimmen.
Entscheidend ist dabei ein Unterschied: Es gibt Staaten, in denen die „geheimen Gegen-Welten“ Teil des „staatstragenden Systems“ sind und es gibt Staaten, wo diese „Gegen-Welten“ als im Widerspruch gegen das das eigene System stehend bekämpft werden. Das ist (trotz einiger „Grau-Zonen“ der Vermischung, die es überall geben kann) der entscheidende Maßstab zu ihrer Beurteilung. Die großen und kleineren Diktaturen dieser Erde setzen alles daran, die (im Wesentlichen doch) noch funktionierenden demokratischen Staaten zu destabilisieren, ihre Bürger mit Verschwörungstheorien zu verunsichern, die leitenden Personen und Institutionen zu verleumden, um (wie es z. B. gegenwärtig in China geschieht) ihr totalitäres System als das bessere und effektivere darzustellen. Doch: Es lohnt sich, ein (noch) freies und demokratisches Modell menschlichen Zusammenlebens gegen Angriffe von außen und innen zu verteidigen.
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Bodo Fiebig „Gegen-Welten“ Version 2020-4
© 2020, herausgegeben im Selbstverlag, alle Rechte sind beim Verfasser.
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