Bereich: C Kontroverse Diskussion

Thema: Hitlers Kampf

Beitrag 5: Rückgewinnung d. Menschlichkeit (Bodo Fiebig10. August 2018)

1 Das Versagen

Das Erschütternde am sogenannten „3. Reich“ ist nicht, dass ein vom Leben zuerst tief enttäuschter und dann maßlos emporgehobener Mensch solche wahnsinnigen Ideen entwickelt. So etwas kann es immer wieder geben. Das Erschütternde ist, dass Millionen von „normalen“ Bürgern, Männer und Frauen, ihm mit solch blinder Begeisterung folgten. Die Resonanz der Hitler’schen Ideologie im Denken, Empfinden und Handeln weiter Teile der deutschen Bevölkerung, das ist die eigentliche Tragödie dieser 12 Jahre von 1933 bis 1945. Es hat ja im Ausland immer wieder fassungsloses Erstaunen hervorgerufen, wie ein Mann, der es als Schüler nicht einmal zu einem ordentlichen Volksschulabschluss gebracht hatte, ein Möchtegern-Künstler, dessen Talent nicht einmal dazu reichte, überhaupt zu einer Kunstausbildung zugelassen zu werden, ein ehemaliger Obdachlosenasylinsasse und späterer Soldat, der es in den vier Jahren des Ersten Weltkrieges nicht über den Rang eines Gefreiten hinaus geschafft hatte, dann zum „Führer“ des deutschen Volkes werden konnte, dem Millionen von gebildeten, fähigen und einflussreichen Leuten (Künstler, Wissenschaftler, Generäle, Juristen, Ärzte, sogar Pfarrer und Bischöfe …) mit solcher Begeisterung und Bedingungslosigkeit folgten.

Auch die christlichen Kirchen haben in der geistigen Auseinandersetzung zwischen Gewaltideologie und Wort Gottes weitgehend versagt. Ihre Aufgabe wäre nicht der physische Widerstand gewesen aber um so mehr der geistige Kampf um die geistigen Grundlagen des Lebens und Handelns. Dieser „Kampf” hätte schon lange vor 1933 begonnen werden müssen (denn die wesentlichen geistigen Verirrungen und Fehlhaltungen gab es ja schon lange vorher) und er wurde auch dann nicht mit der nötigen Entschiedenheit geführt.

Anfangs hatten Hitler und seine führenden Leute noch die Erwartung, dass sie die Christen und die christlichen Kirchen ganz auf ihre Seite ziehen könnten, und sie waren dafür bereit, ihre widergöttliche Ideologie mit einem ganzen Kranz religiöser und pseudoreligiöser Worte und Handlungen zu schmücken. Sie hofften, dass die Christen bereit sein würden, um der Teilhabe an der Macht willen, die zentralen Inhalte ihres Glaubens aufzugeben, und anfangs hatten sie, das haben die christlichen Kirchen eingestanden und beklagt, große Erfolge damit. Die Angehörigen der großen christlichen Kirchen bildeten damals noch die übergroße Mehrheit des deutschen Volkes, so konnte man sie nicht einfach „auslöschen” (wie das Judentum), aber man versuchte, sie gesellschaftlich zu korrumpieren und spirituell zu vereinnahmen. Am Ende des sogenannten Dritten Reiches aber wurde immer deutlicher, dass die Christenheit als Ganzes, und auch die Christenheit in Deutschland, ihnen nicht in letzter Konsequenz folgen würden (die Widerstandsbewegungen gegen das Nazi-Regime handelten fast alle aus einer christlich-ethischen Motivation heraus). Und wir können an verschiedenen Aussagen von „Nazi-Größen“ mitverfolgen, wie auch der Hass auf die Christen und die Kirchen immer aggressiver wurde.

2 Im Rausch der Stärke

Man muss zunächst einmal die Schuttschichten von blankem Opportunismus und hohler Phrasendrescherei im sogenannten „Dritten Reich” wegräumen, bis der eigentliche Kern des Phänomens „Nationalsozialismus“ sichtbar wird: Es war diese Ideologie der Stärke und des Kampfes, die weite Teile des deutschen Volkes zu einer Gemeinschaft von Anhängern und Mitläufern Hitlers machte: „Wir, ja wir und nur wir sind die von der Vorsehung auserwählte und zur Weltherrschaft berufene Herrenrasse, und diese Erwählung kann nur durch Stärke und Kampf verwirklicht werden”! Diese „Droge” führte das (nach dem verlorenen 1. Weltkrieg stark angeschlagene) nationale Selbstbewusstsein vieler Deutscher in einen Rauschzustand, der eine nüchterne Realitätswahrnehmung weitgehend ausschaltete. Der Nationalismus ist (überall auf der Welt, wo es ihn gibt) der Ausdruck einer übersteigerten kollektiven Egomanie.

Nicht nur Adolf Hitler selbst und seine engsten Mitarbeiter, sondern auch große Teile des deutschen Volkes waren bereit, sich die Vorstellungen vom „Kampf ums Dasein“ als normale und notwendige Form der Auseinandersetzung zwischen Völkern und Rassen zu eigen zu machen: Der Stärkste und Rücksichtsloseste in diesem Kampf siegt und herrscht und die Unterlegenen sind dazu verdammt, ihm als Sklaven zu dienen. Wir müssen im Rückblick mit Entsetzen feststellen, in welch furchtbarem Ausmaß es Hitler und seinen Gefolgsleuten tatsächlich gelungen ist, die Mehrheit der Deutschen von dieser „Ethik der Stärke und des Kampfes” zu überzeugen und sie zu veranlassen, entsprechend zu handeln. Und wir müssen mit großer Sorge wahrnehmen, dass genau diese Einstellungen wieder Raum greifen in den Herzen und Hirnen vieler Menschen.

3 Und heute?

Aber darf man denn die heutigen Neo-Nazis und ihre Sympathisanten in die Nähe der Nationalsozialisten des „Dritten Reiches“ rücken, tut man ihnen damit nicht Unrecht? Nein, man darf nicht nur, man muss es tun. Als unsere Eltern und Großeltern 1933 Hitler an die Macht wählten, wussten sie nicht, was daraus werden würde: Eine unbarmherzige Diktatur, der zweite Weltkrieg und der Holocaust. Die deutschen Wähler hätten 1932/33 zwar manches vorhersehen können (und müssen!), aber das, was dann wirklich geschah, hätte damals kaum einer für möglich gehalten. Sie hatten sich berauschen lassen von den Ideen der Stärke, der rassisch-völkischen Überlegenheit und Über-Macht und sie hatten dafür vieles hingenommen, ja gut geheißen, was sie eigentlich hätten ablehnen und verurteilen müssen. Trotzdem: Die ganze Konsequenz dessen, was sie da bejubelten, konnten sie noch nicht wissen.

Aber die heutigen Neo-Nazis und die mehr oder weniger offenen Anhänger ihrer Ideologie, die wissen es (sie wissen es besser, als die meisten Menschen in Deutschland, die sich um geschichtliche Zusammenhänge wenig Gedanken machen) und sie handeln wissend, wenn sie dieses Gedankengut weiter verbreiten und unterstützen. Sie tun es, obwohl sie damit bewusst eine Geisteshaltung pflegen, die zum verlustreichsten Krieg und zum grausigsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte geführt hat.

Dieses Aufbrechen nationalistischer Emotionen und Gewalttaten ist deshalb heute viel erschreckender und schuldbeladener als damals. In einem freien Land leben und freiwillig ein verbrecherisches System befürworten, ist schlimmer, als in einer Diktatur (manchmal unter Zwang) falsch zu handeln. Man lebt in einem demokratischen Rechtsstaat und will alle Vorteile dieses Systems für sich nutzen. Gleichzeitig ist man der Mühe einer demokratischen Willensbildung leid und sehnt sich danach, wieder Teil einer absoluten Macht zu sein, die vorschreibt, was richtig oder falsch, gut oder böse sei. Man möchte schon heute dazugehören zu denen, die morgen (so hoffen sie) die Macht haben werden, alles zu bestimmen, auch das eigene Denken.

Bei den meisten heutigen AfD-Anhängern und -Wählern ist die Frage noch offen, ob sie wirklich berechtigten Protest und den Willen zur Veränderung innerhalb einer demokratischen Ordnung zum Ausdruck bringen wollen, oder ob sie schon im Rausch der Idee von nationaler Stärke und Überlegenheit leben und handeln. Bei einigen maßgeblichen Leuten in der AfD ist diese Entscheidung offensichtlich schon gefallen: zugunsten nationalistischer Gewalt-Ideologie.

Man muss es den Juden in Deutschland und Europa heute sagen: Macht euch keine Illusionen, als ob der Ungeist der Vergangenheit bei der überwiegenden Mehrheit der Menschen endgültig überwunden wäre und nur noch ein paar „Ewig-Gestrige” übriggeblieben wären. Nein, diejenigen, die jetzt antijüdische Parolen schreien, das sind nur die Fanatiker, die nicht davor zurückschrecken, ihren Hass zum Ausdruck zu bringen, obwohl es jetzt gar nicht opportun ist, das zu tun. Wenn aber eine Zeit käme, wo es wieder geduldet wäre, ja sogar erwünscht und von Vorteil wäre, antijüdisch zu sein, dann würden doch wieder sehr viele mitmachen. Nicht alle, gewiss nicht, aber sehr, sehr viele.

Macht euch das bewusst: Viele Deutsche haben euch das bis heute nicht verziehen, dass euch, den Juden, im Namen des deutschen Volkes so viel Unrecht und Leid angetan worden ist. Sie nehmen es euch übel, dass sie vor dem eigenen Selbstbewusstsein und vor den Augen der Welt als Angehörige der Nation dastehen, die an euch das grausigste Verbrechen der Menschheitsgeschichte verübt hat. Sie schwanken zwischen Schuldgefühlen und Verdrängung und werfen euch insgeheim vor, daran Schuld zu sein, dass sie selbst kein unverkrampftes und positives Verhältnis zu ihrem eigenen Volk-Sein finden können.

Ja, gewiss, es ist eine neue Generation herangewachsen in Deutschland, eine Generation, die nicht unter der Gewalt der Diktatur ausgewachsen ist und nicht unter dem Einfluss einer allgegenwärtigen Indoktrination steht. Aber hat diese neue Generation auch eine neue Gesinnung entwickelt? Oder haben viele (gewiss nicht alle) nur die alten antijüdischen Reflexe auf ein neues Feld verschoben?

Mit welcher Lust wird in Deutschland und Europa, gerade auch von Intellektuellen, alles herbeigezerrt und aufgebauscht, was irgendwie den Staat Israel und die Israelis in einem schlechten Licht dastehen lässt. Und man schaut ganz bewusst nicht genau hin, ob es denn wirklich wahr ist (oder bloße Propagandalüge), was da in den Medien verbreitet und den Israelis (natürlich nur den jüdischen, es gibt ja auch arabisch-moslemische Israelis) vorgeworfen wird. Man sagt nicht mehr „Die Juden sind an allem schuld”, man sagt: Israel ist die größte Gefahr für den Weltfrieden” und meint damit eigentlich das Selbe. Und die Realitäten der Gegenwart, die Israel eher wie eine Insel des Friedens aussehen lassen im Meer islamisch-extremistischer Terror-Kriege, können an dieser Einstellung gar nichts ändern. Wie sehr liebt man die Palästinenser dafür, dass ihre (wirklichen oder angeblichen) Leiden uns in Deutschland und Europa das Recht geben, nun endlich auch einmal die Juden als die Bösen und unmenschlich Handelnden anklagen zu dürfen, auch wenn viele Vorwürfe gegen Israel und die Israelis von heute genau so gelogen sind, wie damals die „Protokolle der Weisen von Zion”.

Macht euch keine Illusionen: Noch ist eine wirkliche Gesinnungsänderung, die den alten Antijudaismus wirklich überwindet, nur bei relativ wenigen in Gang gekommen.

4 Das Gegenmittel

Aber kehren wir zum Thema dieses Beitrags zurück: Rückgewinnung der Menschlichkeit. Wir werden als Deutsche und Europäer einer Wiederholung des äußersten Schreckens nur dann entgehen, wenn wir unsere staatliche Ordnung auf eine Rechtsgrundlage stellen, die nicht auf die Macht der Mächtigen baut und auch nicht nur auf die Macht der Mehrheit, sondern auf eine Ethik, die den Mächtigen und den Mehrheiten nicht verfügbar ist und das ist in unserem Kulturkreis (und nicht nur da) das biblische (also göttliche) Gebot.

Es gibt nur ein Gegenmittel gegen die krankhafte Entfremdung des Menschen von seiner gottgewollten Menschlichkeit: Die überzeugte und engagierte Rückbindung des Denkens und Tuns an die von Gott gegebenen Weisungen: Im Alten Testament zusammengefasst in den Zehn Geboten (2. Mose 20, 2-17, hier werden zuerst nur die Gebote aufgeführt, die die Beziehungen zu den Mitmenschen betreffen): Du sollst Vater und Mutter ehren, du sollst nicht töten, du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht stehlen, sollst deinen Nächsten nicht verleumden, du sollst nicht versuchen (auch nicht auf scheinbar legalen Wegen), an dich zu bringen, was zu deinem Nächsten gehört. Im Neuen Testament (Mt 22, 34-40) werden diese Gebote von Jesus selbst zusammengefasst im „Doppelgebot der Liebe” (dessen beiden Teile auch aus dem AT stammen): »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt« (5. Mose 6,5). Dies ist das höchste und größte Gebot. Das andere aber ist dem gleich: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (3. Mose 19,18).

Diese doppelte Liebe ist Herausforderung des Menschseins in jeder Zeitepoche, auch in unserer Gegenwart. Aber sie ist nicht nur Gebot, sondern auch Gabe Gottes, ist in ganz alltäglichen Situationen wahrnehmbare Zuwendung, Wegbegleitung und Hilfe durch seine Güte. Und diese Gabe der Gebote kann sich nur dann im Miteinander der Menschen hilfreich und positiv auswirken, wenn sie auf der Grundlage der ersten Gebote des Dekalogs gelebt werden, die unsere Beziehung zu Gott betreffen: Du sollst keine anderen Götter haben neben mir; du sollst den Namen JaHWeHs, deines Gottes nicht missbrauchen; gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligst. Wer bereit ist, sich dem Gegenüber Gottes zu öffnen und sein Handeln an sich geschehen zu lassen, der wird seine Liebe im eigenen Leben und im Miteinander der Gemeinschaft beglückend erfahren. Wenn man wahrnimmt, wie Gott Menschen aus allen Erdteilen und Völkern, aus allen Kulturen, Weltanschauungen und Religionen liebt und ihnen Gutes tut, dann kann man alle ungute Selbstüberhöhung überwinden. Und dann kann die Mitmenschlichkeit unter den Menschen über alle Grenzen von Rassen, Kulturen, Nationen, Klassen, Religionen und Weltanschauungen hinaus zur Nachahmung der Menschenliebe Gottes werden. Nur so weit wie das (wenigstens ansatzweise und trotz aller menschlichen Schwäche und Unvollkommenheit), bei der Mehrheit der Menschen, besonders auch bei der Mehrheit des deutschen Volkes geschieht, nur so weit hat Hitler seinen „Kampf” wirklich verloren und die Menschheit an gottgewollter Menschlichkeit gewonnen.

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Die Rückgewinnung der Menschlichkeit – Version 2018-8

© 2018 Bodo Fiebig

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