Bereich: C Kontroverse Diskussion

Thema: Hitlers Kampf

Beitrag 3: Die Mission (Bodo Fiebig10. August 2018)

Hitler hatte jetzt seine „Mission“ erkannt: So wie er das „Jüdische in sich“ (wie er es sah) überwunden und durch Kampf und Gewalt ausgetrieben hatte, so musste jetzt, wo er die Macht dazu hatte, alles „Jüdische in Deutschland und in der Welt” durch Gewalt und Mord überwunden und ausgetrieben werden. Man muss sich einmal vorstellen, was es für diesen vom Leben bisher so furchtbar enttäuschten Mann bedeutet haben musste, dass er nun, da er unaufhörlich Kampf und Gewalt predigte, zum Kanzler und unumstrittenen „Führer” des Deutschen Reiches aufgestiegen war!

1 Der Feind

1933, kurz nach der „Machtergreifung“ hat Hitler in einem Gespräch in vertrautem Kreise erklärt, was das „Jüdische“ ist, das er so abgrundtief hasste und das überwunden und ausgetrieben werden musste: Wir erklären den Krieg gegen die Perversion unserer gesundesten Instinkte. Ah, dieser Wüstengott, dieser verrückte, stupide, rachsüchtige, asiatische Despot, mit seiner Macht, Gesetze zu machen! Diese Peitsche eines Sklavenhalters! Dieses teuflische: Du sollst, du sollst! Und dieses dumme: Du sollst nicht! Es muss heraus aus unserem Blut, dieser Fluch vom Berge Sinai! Dieses Gift, mit dem sowohl Juden wie Christen die freien, wunderbaren Instinkte der Menschen verdorben und beschmutzt und sie auf das Niveau hündischer Furcht herabgedrückt haben (…) Was wir bekämpfen, das ist das sogenannte Gesetz (…), die weichlichte Mitleidsmoral, der man göttliche Weihe verliehen hat, um den Schutz des Schwachen gegen den Starken sicherzustellen, wobei man die unverrückbaren Gesetze des Krieges verachtete (…) Gegen die sogenannten Zehn Gebote eröffnen wir die Feindseligkeiten (…) Die Tafeln vom Berge Sinai haben ihre Gültigkeit verloren (…) Das Gewissen ist eine jüdische Erfindung; es ist, wie die Beschneidung, eine Verstümmelung des Menschen. (Aus Hermann Rauschning, „Gespräche mit Hitler“, Wien 1973, zitiert nach J. C. Fest „Das Gesicht des Dritten Reiches”. Wenn auch die „Gespräche mit Hitler“ Rauschnings wohl größtenteils keine wörtlichen Protokolle sind, so fügen sich die hier verwendeten Zitate doch so nahtlos in den Gesamtzusammenhang der Hitlerschen Ideologie und Rhetorik, dass man sie zumindest als inhaltlich authentisch ansehen muss.

Man muss diese Worte dessen, der eben im Deutschen Reich die Macht erobert hatte, um sie als „Führer“ des deutschen Volkes mit äußerster Konsequenz anzuwenden, etwas genauer anschauen. Hitler formuliert sie als „Kriegserklärung“ gegen die Gebote der Menschlichkeit in der Bibel. Die hätten, so Hitler, unsere „gesundesten Instinkte“ pervertiert. Diese „gesundesten Instinkte“, das sind für ihn das Recht des Stärkeren über die Schwächeren zu herrschen, sind Gewalt, Kampf und Mord. Diese „wunderbaren Instinkte der Menschen“ wären durch das „Gift“ der Gebote verdorben worden. Dieses „Gift“ ist für ihn eine „weichliche Mitleidsmoral“, weil die „den Schutz des Schwachen gegen die Starken sicherstellen“ will, und das bedeutete für Hitler „die unverrückbaren Gesetze des Krieges“ infrage zu stellen, die für ihn universelle Bedeutung hatten, die in Friedenszeiten zwar auf andere Weise angewendet werden müssten, aber prinzipiell auch da die gleiche Gültigkeit hätten. Das Gewissen, das Menschen von unmenschlichen Handlungs­weisen abhalten könnte, ist für Hitler eine „Verstümmelung“ des Menschen – und eine jüdische Erfindung. Jedes Gesetz, das die Starken und Mächtigen hindern könnte, mitleidlos gegen alle Schwächeren vorzugehen, ist für ihn ein „Fluch“, der „Fluch vom Berge Sinai“.

Diesen „Fluch“ sah Hitler auch im Christentum wirksam. Joseph Goebbels notierte nach einem Gespräch mit Hitler am 29.12.1939: „Wir kommen wieder auf religiöse Fragen zu sprechen. Der Führer ist tief religiös, aber ganz antichristlich. Er sieht im Christentum ein Verfallssymptom. Mit Recht. Es ist eine Ablagerung der jüdischen Rasse. Man sieht das auch an den Ähnlichkeiten religiöser Riten…“ (zitiert nach Saul Friedländer „Das Dritte Reich und die Juden“).

2 Ein Rassenkonflikt?

Nun füge ich etwas ein, das mir viel Kritik und Widerspruch einbringen kann. Ich tue es trotzdem, weil ich meine, dass es wichtig ist, das zu verstehen: Es ging bei der Verfolgung der Juden im „Dritten Reich” nur vordergründig um einen Rassenkonflikt. Es gab damals Juden in Deutschland, die waren blond und blauäugig und entsprachen von ihren rassischen Veranlagungen her dem Idealbild des Ariers mehr als viele Größen der NSDAP einschließlich Hitlers selbst. Das bewahrte diese Juden aber nicht davor, umgebracht zu werden. Der Einzige aus Hitlers nächster Umgebung, der wirklich auch äußerlich dem Idealbild eines „nordischen Helden” entsprach, Reinhard Heydrich, hatte (und das wussten damals Hitler und die Spitzenleute der Partei) eine jüdische Großmutter.

Hitler selbst war kein Antisemit (es ging ihm nicht um die semitische Rasse), er war Antijudaist (es ging ihm um die jüdische Glaubensgemeinschaft). Ein Beleg dafür: Am 28.11.1941 wurde Haj Amin al Husseini, Großmufti (also oberste islamische Autorität) von Jerusalem und glühender Judenhasser, Araber, also Semit (die Araber sind ein semitisches Volk und das Arabische ist eine semitische Sprache, dem Hebräischen relativ nahe verwandt) von Hitler selbst in seiner Reichskanzlei freundschaftlich empfangen. Ihr Judenhass war ihre gemeinsame Basis; die semitische „Rasse” seines Gastes störte Hitler nicht. Al-Husseini hatte schon kurz nach der „Machtergreifung” 1933 den Kontakt zu Hitler gesucht. Im Frühjahr 1941 war er (nach einem gescheiterten Putschversuch im Irak) nach Deutschland geflohen und residierte ab Herbst 1941 bis zum Ende des Krieges in Berlin. Der „Führer” stelle dem „Großmufti” großzügige finanzielle Mittel und einen umfangreichen Mitarbeiterstab für seine antijüdischen Aktivitäten zur Verfügung. Ein Beispiel dafür: „1943 verhinderte al-Husseini die Freilassung von 5000 jüdischen Kindern, die auf Initiative des Roten Kreuzes gegen 20 000 gefangene Deutsche ausgetauscht werden sollten. Durch seine persönliche Intervention bei Heinrich Himmler erreichte er, dass die Kinder stattdessen in deutsche Konzentrationslager deportiert und ermordet wurden (Wikipedia)“.

Die „semitische Rasse” war offensichtlich kein ausschlaggebendes Kriterium, um als „Freund” oder „Feind” Hitlers und der Nazis zu gelten. Dabei kann ja nicht übersehen werden, dass der Rasse-Begriff im Sprachgebrauch der Nazis eine große Rolle spielte. Die „Nürnberger Gesetze” (oft auch Rassegesetze genannt), also das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre” und das „Reichsbürgergesetz” vom 16.9.1935 verwenden den Begriff „Rasse” allerdings nicht. Sie handeln aber von „Juden”.

Wer aber sollte denn nun als „Jude” gelten? Welche Rasse-Merkmale wollte man der Zuordnung zugrunde legen? Ein „jüdisches Aussehen” vielleicht? Im Gesetzestext der „Nürnberger Gesetze” wird nichts dazu ausgesagt. Später, in der „Erste(n) Verordnung zum Reichsbürgergesetz” vom 14. 11. 1935 wurde man deutlicher: Dort wurde bestimmt, dass Personen, von deren vier Großeltern drei oder vier „der Rasse nach” jüdisch waren, als Juden zu gelten hatten (daneben gab es dann noch Mischlinge verschiedenen Grades). Und wie wurde das festgestellt? Ganz einfach: Ein Großelternteil galt dann als „der Rasse nach volljüdisch”, wenn er der „jüdischen Religionsgemeinschaft“ angehörte! Das ist wirklich überraschend: Kein Rassenmerkmal, keiner der widerlichen Züge, wie der „Stürmer“ sie immer wieder zu Kennzeichen der jüdischen Rasse stilisierte, sondern die Zugehörigkeit zur jüdischen Glaubensgemeinschaft entschied darüber, wer als Jude angesehen wurde. Es hätte ja auch niemanden gegeben (trotz aller nationalsozialistischen „Rasseforschung“), der anhand von angeborenen körperlichen Merkmalen hätte feststellen können, wer Jude ist oder nicht. So war es eben doch nicht die Rasse (deren Bestimmung ja immer an körperlichen Merkmalen ausgerichtet sein muss), sondern die Zugehörigkeit zur jüdischen Glaubensgemeinschaft jeweils über zwei Generationen hinweg, die darüber entschied, ob jemand in Deutschland leben konnte oder sterben musste.

Ob Säugling oder Greis, Mann oder Frau, Millionär oder Habenichts, gebildet oder unbedarft, blond oder dunkelhaarig, …, unterschiedslos wurde jeder Mensch, dessen Großeltern der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hatten, der Weltverschwörung für schuldig befunden („Die Juden sind unser Unglück”), und somit galt jedes Jude-Sein als todeswürdiges Verbrechen.

Dass tatsächlich kaum jemals die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse darüber entschied, ob man in Hitlers Deutschem Reich leben durfte oder sterben musste, kann man auch an der Liste derer ablesen, die von den Nazis in die Konzentrationslager verschleppt und dort zum großen Teil umgebracht wurden (bzw. die dort an den unmenschlichen Zuständen, an Unterernährung, Entkräftung, Krankheiten, Misshandlungen … starben). Es gab ja nicht nur Juden in den KZ’s; in den Lagern innerhalb des Deutschen Reiches (in dessen Vorkriegsgrenzen) waren sie sogar meist in der Minderheit.

Die ersten, die in den 12 Jahren des „Dritten Reiches” getötet wurden, waren körperlich und geistig Behinderte (die waren allerdings nicht in den KZ’s, sondern wurden in gesonderten Einrichtungen umgebracht). Bei ihnen ging es überhaupt nicht um irgendwelche Rassenfragen. Sie waren, Arier hin oder her, für die Nazis einfach unbequeme, unnütze Esser und die unliebsame Erinnerung, dass es auch in der „edlen germanischen Herrenrasse” so etwas wie Behinderung gab.

Dann gab es da die „Zigeuner” (Angehörige der Volksgruppen der Sinti und Roma), auch die waren nicht als rassische Einheit anhand bestimmter körperlicher Merkmale definiert, sondern die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe wurde an einer bestimmten nichtsesshaften Lebensweise festgemacht, der man dann eine erhöhte Kriminalität zuschrieb.

Eine in den KZ’s oft privilegierte Kategorie von Häftlingen waren die „Kriminellen” (sie galten nicht als Gegner des Systems). Auch sie waren keine „Rassenfeinde”, sondern kleine oder größere Straftäter, die man aus dem Weg schaffen wollte, weil eine Resozialisierung zu mühsam erschien. Ähnliches galt für die „Asozialen”, einer Gruppe, der man alle zurechnen konnte, die irgendwie negativ auffällig geworden waren und die man loswerden wollte (wobei es nicht selten vorkam, dass ein „Parteigenosse”, der Streit hatte mit einem Nachbarn, Kollegen usw. diesen als „asozial” anschwärzte und schon war das „Problem” gelöst).

Eine große Gruppe unter den Gefangenen in den meisten KZ’s waren die „Politischen”. Schon eine offen oder privat geäußerte abweichende Meinung, eine unliebsame Parteizugehörigkeit, ein unerwünschter, aber nachdrücklich geäußerter kirchlicher Standpunkt, der Versuch einen ausländischen Radiosender zu hören, oder ein politischer Witz konnte einen „arischen” Deutschen in die Todesmühle eines Konzentrationslagers bringen. Manche Häftlinge in den oben genannten Kategorien waren auch nur Opfer falscher Denunziation.

Schließlich gab es da noch die „Bibelforscher” (Zeugen Jehovas), Angehörige einer nicht anerkannten christlichen Religionsgemeinschaft. Auch bei ihnen fragte niemand danach, ob sie der Rasse nach „arisch” waren oder nicht. Ihr „Verbrechen” bestand darin, dass sie sich den Ansprüchen des Regimes (vor allem, wenn es um den „Dienst an der Waffe” ging) konsequent verweigerten.

Zusammenfassend gesagt: Sowohl in den „normalen” KZ’s als auch in den großen Vernichtungslagern im Osten hätte man unter den (über die Jahre verteilt) Millionen von Häftlingen kaum einen Menschen finden können, der allein wegen einer bestimmten rassisch geprägten äußeren Erscheinungsform interniert war. Alle können drei Gruppen zugeordnet werde: Den Unbequemen, die man loshaben wollte, den Feinden der Nazi-Ideologie, die man vernichten wollte und den Angehörigen religiöser Minderheiten, die sich nicht für die Ideologie und Zielsetzung der Nazi-Bewegung vereinnahmen ließen und deshalb sterben sollten.

3 Die Macht-Frage

Nein, es ging im Grunde nicht um eine Rassenfrage. Es ging um etwas ganz anderes. Es ging im Letzten und in Wahrheit um die Macht, um die totale Macht, nicht nur über die Organe und Entscheidungsabläufe eines Staates, sondern auch über die Hirne und Herzen, das Denken und Fühlen seiner Bürger. Es gibt eine ganze Reihe von Aussagen Hitlers und seiner wichtigsten Gefolgsleute, die genau das bestätigen. Hermann Göring: „Wenn der katholische Christ überzeugt ist, dass der Papst in allen religiösen und sittlichen Fragen unfehlbar sei, so erklären wir Nationalsozialisten mit der gleichen innersten Überzeugung, dass auch für uns der Führer in allen politischen und sonstigen Dingen, die das nationale und soziale Interesse des Volkes angehen, glattweg unfehlbar ist“. Robert Ley: „Wir wollen herrschen, (…) weil wir fest daran glauben, dass in allen Dingen nur einer führen und auch nur einer die Verantwortung tragen kann. Diesem Einen gehört auch die Macht“. Noch einmal Göring: „Ich habe kein Gewissen! Mein Gewissen heißt Adolf Hitler” (alle drei Zitate nach J. C. Fest).

Es ging im „Dritten Reich” Hitlers nicht zuerst um einen Rassenkonflikt, sondern um die Auseinandersetzung zwischen verschiedenen ethischen Grundpositionen. Es ging um die totale Macht, das heißt, es ging um die bedingungslose Verfügbarkeit der Menschen für den Willen der„Führer”, ja noch mehr, es ging um die Frage, wer bestimmen kann, was „gut” und was „böse” ist, richtig oder falsch, Recht oder Unrecht: der Gott, der die Welt geschaffen und die Gebote gegeben hat oder der Mensch, der sich seine Welt nach eigenen Gesetzen schaffen will? Es ging um die Frage, ob es überhaupt einen Gott gibt, der ethisch verpflichtende Gebote aufstellen kann oder ob man ihn durch eine selbsterdachte „Vorsehung” ersetzen kann. Denn: „Wenn es Gott nicht gibt, ist alles erlaubt”. (Dostojewski „Die Brüder Karamasow”).

Es ging hier um eine Ent-Bindung, es ging um die Ent-Bindung menschlichen (vor allem politischen) Handelns von jeglicher Art von Ethik, es ging um die Geburt einer absoluten Herrschaft entsprechend dem tausendstimmigen Schrei: ‚Führer befiehl, wir folgen!‚ Und die meisten merkten erst ganz am Schluss, dass es die absolute Herrschaft des absolut Bösen war. Hitler und seine „Genossen“ wollten nicht nur Deutschland verändern, sie wollten eine neue Weltethik installieren („Am Deutschen Wesen soll die Welt genesen“), eine Ethik absoluter Macht und absoluten Gehorsams, verwirklicht durch die durch absolute Gewalt der Stärkeren über die Schwächeren.

Und die Nazis wussten, dass das keine leichte Geburt sein würde. Man musste dazu jede Auffassung von Gut und Böse, jede Ethik, jede Handlungsmaxime, die irgendwo anders begründet wären, als im Willen der Machthaber selbst, für immer austilgen. Man musste fast zweitausend Jahre jüdisch-christlicher Kultur in Europa auslöschen. Und das konnte man am besten und wirkungsvollsten, indem man das ganze Volk, offen oder verdeckt, mitschuldig machte am grausigsten Verbrechen, das jemals auf dieser Erde begangen wurde. Indem man den millionenfachen Mord zur guten Tat erklärte, und die Menschen anwies, diese Tat nun auch auszuführen, wollte man ein ganzes Volk zu Mitwissern und Mittätern der eigenen Bosheit machen, ja zu willigen Dienern und Vollstreckern des absolut Bösen. „…außer gemeinsamen Idealen, wie Hitler meinte, verbinde die Menschen nichts so fest wie gemeinsame Verbrechen“ (zitiert nach J. C. Fest). Und in einem Volk, in dem auch solche Vorhaben und Vorgehensweisen noch als notwendig, gerechtfertigt und angemessen hingenommen und ausgeführt würden, gäbe es keine Möglichkeit mehr, ja nicht einmal mehr den leisesten Gedanken daran, sich dem Machtanspruch der Herrschenden jemals zu verweigern. Wie sollten denn Menschen, die Millionen Unschuldiger auf furchtbarste Weise ermordet hatten, je auf die Idee kommen, nein zu sagen – nein zu sagen zu irgendeinem Befehl, weil er zu unmenschlich wäre?”

Als extremes Beispiel für die bewusste Vereinnahmung der Menschen im „Dritten Reich” für ein unverhohlenes Programm des Bösen möchte ich einen Ausschnitt aus einer Rede von Heinrich Himmler zitieren, einem der Hauptakteure des Holocaust im Nazi-Deutschland. Er sagte am 4. Oktober 1943 vor SS-Führern in Posen: Ich will hier vor Ihnen in aller Offenheit ein ganz schweres Kapitel erwähnen (…) Ich meine jetzt die Judenevakuierung, die Ausrottung des jüdischen Volkes. Es gehört zu den Dingen, die man leicht ausspricht: „Das jüdische Volk wird ausgerottet“, sagt ein jeder Parteigenosse, „ganz klar, steht in unserem Programm, Ausschaltung der Juden, Ausrottung, machen wir.“ Und dann kommen sie alle an, die braven 80 Millionen Deutschen, und jeder hat seinen anständigen Juden. Es ist ja klar, die anderen sind Schweine, aber dieser eine ist ein prima Jude. Von allen, die so reden, hat keiner zugesehen, keiner hat es durchgestanden. Von euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn hundert Leichen beisammen liegen, wenn fünfhundert da liegen oder wenn tausend da liegen. Dies durchgehalten zu haben und dabei – abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwäche – anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht. Das ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibende Ruhmesblatt unserer Geschichte.

Hören wir genau hin, was dieser millionenfache Mörder hier ausspricht: Von den „braven 80 Millionen Deutschen“ seiner Zeit kennen die meisten nur einen oder wenige Juden persönlich. Und dieser eine Jude, den sie tatsächlich kennen, der ist „ein prima Jude“. Die vielen anderen Juden, die sie nicht kennen, das sind „Schweine“, die ausgerottet werden müssen, klar, das steht ja auch im Parteiprogramm. Nun kennt aber jeder der 80 Millionen Deutschen einen anderen Juden persönlich und jeder Jude in Deutschland wird von einem anderen Deutschen persönlich gekannt. Und das bedeutet im Endeffekt, dass (nach der Aussage Himmlers!) fast alle Juden in Deutschland „prima“ sind, und dass man das auch merkt, wenn man sie persönlich kennenlernt! Welch ein Zeugnis stellt hier der oberste SS-Führer ungewollt dem deutschen Judentum aus!

Tatsächlich aber hatte diese Erkenntnis kaum konkrete Auswirkungen. Die Juden in Deutschland und Europa wurden (soweit man ihrer habhaft werden konnte) alle ausgerottet und viele Deutsche haben mitgemacht (und viele sind im Ernstfall auch nicht davor zurückgeschreckt, Juden, die sie persönlich kannten, umzubringen). Die allgemeine Stimmung und die allgegenwärtige Propaganda konnten die tatsächlichen Erfahrungen vieler Menschen in Deutschland so umdeuten, dass diese schließlich überzeugt waren, alle Juden müssten als „Schädlinge“ und „Schweine“ angesehen und umgebracht werden, unabhängig davon, wie „anständig“ der einzelne konkrete Jude auch erscheinen möge.

Nein, es ging Hitler und den Nazis nicht zuerst um die Ausrottung der jüdischen Rasse. Das war nur die Außenseite des Geschehens, ein Erklärungsmuster, das sich die Täter selbst gaben, vielleicht, weil viele selbst nicht verstanden, was sie taten. Es ging, wie schon ganz am Anfang der Menschheitsgeschichte, um die Frage nach Gut und Böse. Das Verbot vom „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse” zu essen, bedeutet ja nicht, dass man nicht wissen soll, was gut und was böse ist. Man soll es wissen, ja, man muss es wissen, warum hätte Gott sonst die Gebote gegeben? Nein, das Verbot vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen bedeutet, dass man nicht danach verlangen soll, selbst, das heißt losgelöst von den Geboten Gottes erkennen und bestimmen zu wollen was gut und was böse sei. Wenn man zum Beispiel sagt, wie es die Nazis in Deutschland taten: ‚Gut ist, was dem Volke nützt‘ (was in Wirklichkeit nur eine Verschleierung war für „gut ist, was unserer Macht nützt”; in seinem Testament ließ Hitler später ganz deutlich erkennen, wie gleichgültig ihm das Leben und Überleben des deutschen Volkes in Wirklichkeit war), dann hat man vom „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“ (1.Mose 3) geraubt und gegessen. Und was dann kommt, sind die Folgen davon: Wenn man nicht mehr dem Gesetz Gottes folgen will, das uns sagt, was gut ist, dann wird das Böse zum Gesetz.

Und irgendwann wacht man dann auf wie aus einem schlimmen Traum und steht fassungslos vor einer Totalhingabe des Menschseins an das Böse, wo brave Verwaltungsbeamte mit aller ihrer Fachkenntnis und Umsicht wissend ein unvorstellbares Vernichtungswerk organisierten, wo unbescholtene Familienväter tagsüber Tausende von Menschen, Männer und Frauen, Kinder und Greise, mit unglaublicher Brutalität aus ihren Häusern jagten, erschlugen und erschossen, wer zu entkommen suchte, die Lebenden zu Sammelplätzen trieben, sie dort zwangen, große Gruben auszuheben, dann sich zu entkleiden und vor die Gruben zu stellen, um sie dann zu erschießen, Stunde um Stunde, Schicht um Schicht bis die Gruben voll waren, und wo diese Massenmörder dann am Abend nach getaner ‚Arbeit‘ zu ihren Familien zurückkehrten, um da – ohne Gewissensnot und Scham – ihre eigenen Frauen und Kinder zu umarmen.

Auschwitz, Belzec, Treblinka, Babi Jar …, das sind Namen für die Kapitulation des Menschseins vor dem absolut Bösen, ja mehr noch: für die Inthronisation des Bösen als anbetungswürdige Gottheit. Und es ging dabei im letzten Grunde nicht, ich wiederhole es: nicht um die Ausrottung einer als minderwertig angesehenen Rasse. Die Rassenhetze und Rassengesetze waren zu einem beträchtlichen Teil Mittel zum Zweck, das Eigentliche zu verschleiern. Es ging um die totale Macht über Körper, Geist und Seele der Menschen und um die Beseitigung von allem, was dieser All-Macht im Wege stehen könnte.

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Die Mission (Version 2018-8)

© 201 Bodo Fiebig

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