„Der Kampf ist der Vater aller Dinge“. Dieser Satz wurde nicht nur ein Haupt-Motiv in den Reden und Handlungsweisen Hitlers, er kann auch als Erklärungsmodell seiner eigenen Biografie Anwendung finden: Die Erfahrungen Adolf Hitlers im ersten Weltkrieg wurden (nach den Erfahrungen seiner Kindheit und Jugendzeit, einschließlich seines Scheiterns in Wien) der zweite, entscheidende und tragende Pfeiler seiner Lebensgeschichte. Hitler kam (wie alle anderen Soldaten auch) nicht als der zurück, als der er in den Krieg gezogen war. Kein Mensch kann vier Jahre eines grauenvollen Völker-Mordens durchleben, bei dem eine ganze Generation junger Menschen in sinnlosen Stellungskriegen „verheizt“ wurde, ohne davon im Innersten berührt und verändert zu werden. Bei ihm aber hatte sich diese Erfahrung offensichtlich nicht zerstörend, sondern aufbauend ausgewirkt.
1 Im Krieg
Was bewirkte diese Veränderung? Man weiß einiges über Hitlers Kriegszeit aber kaum etwas darüber, was sie in ihm auslöste. Man kann aber doch indirekt deren Auswirkungen erkennen. Man stelle sich (als bildhaften Vergleich) eine Billardkugel vor auf einem Tisch, von dem die eine Hälfte verdeckt und nicht einsehbar ist. Trotzdem könnte man dann, wenn man beobachtet, in welchem Winkel und welcher Geschwindigkeit eine Kugel in diesen verdeckten Bereich hineinrollt und in welcher Weise sie beim Verlassen dieses Bereiches wieder herauskommt, ziemlich genau berechnen, welchen Anstoß, welchen Energie-Impuls diese Kugel in diesem verdeckten Bereich erhalten hat.
Ähnlich kann man aus den biografischen Gegebenheiten Hitlers vor und nach dem Krieg mit einiger Genauigkeit auf das schließen, was sich in dieser Phase vollzogen hat: Hitler hatte im Inferno des „Stellungskrieges“ Kampf, Grausamkeit und die Tötung des „Feindes“ als Befreiung erlebt. Zum ersten Mal in seinem Leben wurden er selbst und sein Tun anerkannt und gewürdigt. Er bekam das „Eiserne Kreuz Erster Klasse“, eine Auszeichnung, die bei Mannschaftsdienstgraden sehr selten war. Unmittelbarer Anlass war, dass er als „Meldegänger“ in einer sehr schwierigen und gefährlichen Situation nach dem Zusammenbruch der Telefonleitungen eine wichtige Meldung trotz feindlichen Beschusses erfolgreich zu den Frontstellungen brachte. Hitler erlebte diese Auszeichnung als Anerkennung nicht nur dieser einzelnen Tat, sondern als persönliche Aufwertung: In einem jahrelang andauernden Krieg, in dem oft beim Kampf um einem einzigen „strategisch wichtigen“ Hügel Hunderte, manchmal Tausende von jungen Menschen auf furchtbare Weise ihr Leben lassen mussten und bei dem in einer entsetzlichen Verrohung des Empfindens das Töten als tägliches „Handwerk“ erledigt wurde, waren er selbst als besonders wichtig und sein Handeln als herausragende Leistung gewürdigt worden.
Das wurde für ihn zur befreienden Erfahrung: Im Krieg, in der Härte des Kampfes, im Töten (d. h. in der Überwindung, des von ihm als „jüdisch“ empfundenen Tötungsverbotes, ja in der Überwindung aller ethischen Grundsätze, die er irgendwie hemmend im „Kampf ums Dasein“ empfand) fühlte er, wie er den „Juden in sich“ (siehe dazu den Beitrag 1 “Die Abstammung“) überwinden konnte. Der „Jude in ihm“ (so empfand er das nun) war also das, was ihn hinderte, mit Kampf und Härte seine Ziele zu verfolgen und die entsprechende Anerkennung dafür zu bekommen und „Erfolg“ zu haben. Jahre später, 1928, in einer Rede in Kulmbach betonte er: Die Idee des Kampfes ist so alt wie das Leben selbst, denn das Leben wird nur dadurch erhalten, dass anderes Leben im Kampf zugrunde geht (…) In diesem Kampf gewinnt der Stärkere, Fähigere, während der Unfähige, der Schwache verliert. Der Kampf ist der Vater aller Dinge. (…) Nicht durch die Prinzipien der Humanität lebt der Mensch oder ist er fähig, sich neben der Tierwelt zu behaupten, sondern einzig und allein durch die Mittel brutalsten Kampfes. (zitiert nach Alan Bullock „Hitler“)
Und so, wie er selbst sich von der (wie er es sah) destruktiven Kraft des Jüdischen in ihm durch Kampf und Krieg und Tod befreit hatte, so musste (nach seiner Vorstellung) nun der ganze „Volkskörper“ des deutschen Volkes, ja die ganze Menschheit durch Bekämpfung, Unterdrückung und Ausrottung von allem Jüdischen „befreit” werden. Diese Erfahrung der „Befreiung” von allen Hemmungen vor Gewaltanwendung, Brutalität und Mord verband sich nach dem Krieg mit der Entdeckung seines rednerischen Talents und der Erfahrung einer geradezu hypnotischen Macht über seine Zuhörer.
2 Die Erfahrung der Nachkriegszeit
Jetzt, wo Hitler den „Juden in sich“ überwunden glaubte, konnte er auch seine persönlichen Hemmungen überwinden. Jetzt wurde seine Hauptbegabung, das Reden, sein agitatorisches Talent, angenommen und es wurde für ihn zum virtuos gehandhabten Instrument für den Machterwerb und zur Gewinnung von Anhängern und Bewunderern. Die „Kampfzeit“, wie er seinen politischen Aufstieg nannte, wurde für ihn zur Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln, den Mitteln der Agitation und der Propaganda. Der „Feind“ blieb der gleiche: Der Jude in ihm (also alles, was er an sich und seiner Vergangenheit als weichlich und ethisch verpflichtend empfand und dem er sein früheres Scheitern zuschrieb) und der Jude in der Welt (also alles, was er im Kampf der Rassen und Nationen als hinderlich ansah). „Die Blutvermischung und das dadurch bedingte Senken des Rasseniveaus ist die alleinige Ursache des Absterbens alter Kulturen; denn die Menschheit geht nicht an verlorenen Kriegen zugrunde, sondern am Verlust jener Widerstandskraft, die nur dem reinen Blute zu eigen ist“. (A. Hitler „Mein Kampf“)
Die beiden großen Lehrmeister seines Lebens waren das Scheitern im Frieden, als er passiv und lustlos darauf wartete, als „Künstler“ anerkannt zu werden und sein „Erfolg“ im Krieg, als er für seinen Einsatz in einem grausamen Kampf Anerkennung fand. Von da ab empfand er sich – ob Krieg oder Frieden – immer im Kampf. „Ich will Menschen um mich haben”, rief Hitler, „die gleich mir in der Gewalt den Motor der Geschichte sehen und daraus die Konsequenzen ziehen” (zitiert nach J. C. Fest. „Das Gesicht des Dritten Reiches”)
Hitlers Ideologie war eine Primitivform des Sozialdarwinismus, die den „Kampf ums Dasein“, den er als durchgehendes Prinzip der Natur zu erkennen meinte, auf das Verhältnis der Rassen und Völker übertrug und auf gewaltsame Überwältigung, Versklavung und Ausrottung reduzierte. Die „Selektion“ auf der Rampe von Auschwitz, wo aus der endlosen Schlange der neu angekommenen Opfer und Elendsgestalten diejenigen herausgeholt wurden, die noch ein paar Wochen leben und Sklavenarbeit verrichten durften, bis sie entkräftet und fast zu Tode geschunden bei einer „Nachselektion“ in die Gaskammern geschickt wurden, diese „Selektion“ sollte auf der Ebene der Völker und Rassen das leisten, was in der Vorstellung der nationalsozialistischen Ideologen die natürliche Selektion auf der Ebene der Pflanzen und Tiere leistete: Die Schwachen, Untauglichen und Schädlichen auszurotten zugunsten der Starken, Tüchtigen und Nützlichen. Jede friedliche Form von Konkurrenz und Wettbewerb, erst recht jede Form von Rücksichtnahme und Mitgefühl waren für Hitler Zeichen von Verweichlichung und Degeneration.
Hitler handelte in vielen seiner Entscheidungen als politischer Opportunist. Er ließ sich oft von zufälligen und ungeplanten Entwicklungen leiten, hatte aber eine besondere Begabung, in solchen Entwicklungen seinen Vorteil, seine Chance für weiteren Machtgewinn zu erkennen und zu nutzen. Hitler hatte keinen detaillierten Plan für die Eroberung der Macht, aber er hatte eine Idee, die Idee vom „Kampf als Vater aller Dinge“, der den Stärkeren und Rücksichtsloseren das Recht gibt, die Schwächeren zu überwältigen, sie auszubeuten, ihnen den „Lebensraum“ zu nehmen. Diese Idee verband sich bei ihm mit der Vorstellung vom „reinen Blut“, das seine Träger zur Weltherrschaft berechtigt, wenn es ihnen gelingt, die Verderbnis durch das „minderwertige Blut“ minderwertiger Völker und besonders des Judentums aufzuhalten. Diese Ideen und Vorstellungen gab es schon lange. Jetzt aber hatten sie einem Träger gefunden, der bereit war, sie mit allen Mitteln durchzusetzen und ein Volk, das bereit war, in seiner verzweifelten Lage alles zu akzeptieren, was Besserung versprach.
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Die Erfahrung des Krieges (Version 2018-8)
© 2018 Bodo Fiebig
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