„Leben ist ein Zufallsprodukt der Evolution. In der ‚Ursuppe‘ der Meere, in Verbindung mit bestimmten Bestandteilen der Uratmosphäre und ausgelöst von energetischen Einwirkungen durch Blitze oder Vulkanismus hatten sich im Laufe von Jahrmillionen unzählige mehr oder weniger komplexe Moleküle gebildet, die als Bausteine des Lebens geeignet waren. Irgendwann kam es dann so weit, dass eine größere Anzahl verschiedener solcher Moleküle sich zufällig zusammenfanden und eine erste Zusammenballung lebensfähiger Substanz bildete. Das meiste zerfiel sofort wieder, aber an einigen Stellen entstanden in solchen Zusammenballungen Strukturen, die über eine gewisse Zeit stabil blieben. Nach und nach entwickelten sich daraus erste einfache Zellen als Grundbausteine des Lebens. Dabei entstanden zufällig auch Zellen, die die Fähigkeit hatten, sich selbst zu reproduzieren. Der Siegeszug des Lebens über die Erde begann. Die anpassungsfähigsten Lebensformen setzten sich durch, weniger geeignete und weniger durchsetzungsfähige gingen im Kampf ums Dasein unter. Mutationen und Selektion brachten so in langen Zeiträumen die ganze Vielfalt des Lebens hervor, die wir heute kennen“.
So oder ähnlich kann man die wesentlichen Elemente der heute gängigen Evolutionstheorie zusammenfassen. Entscheidender Bestandteil dieser Theorie ist die Überzeugung, dass das Leben aus den natürlichen Ressourcen der Erde „von selbst“ (also ohne Eingriff einer schöpferischen Intelligenz) entstanden sei und sich aus einfachsten Anfängen „von selbst“ bis zum heutigen Variantenreichtum der Lebensformen weiterentwickelt habe. Lassen wir die Frage nach der Plausibilität dieser Vorstellungen vorläufig offen und schauen zunächst auf die „Grundmuster des Werdens“, die wir bei der Entstehung des Universums und des Lebens erkennen können (und die hier nur zusammenfassend angedeutet werden).
.
1 Entstehung des (materiellen) Universums
Die meisten Wissenschaftler gehen davon aus, dass alle heute erkennbaren Erscheinungsweisen und Entwicklungen der Natur durch ein Anfangsereignis, das wir etwas naiv den „Urknall“ nennen, in Gang gesetzt wurden (siehe auch den Beitrag „Der Anstoß des Seins“ zum Thema „Die Frage nach dem Sinn“).
Freie Energien, deren Herkunft uns verborgen bleibt, breiteten sich in einem Urereignis und von einem Ursprungspunkt mit Lichtgeschwindigkeit in Wellen und Wirbeln nach allen Seiten aus, wo sie sich zum Teil in korpuskularer Form (als „Teilchen“) strukturierten und manifestierten. Es entstanden zunächst Quarks (und Anti-Quarks), aus denen sich die Elementarteilchen bildeten, von denen die stabilsten wie Protonen, Neutronen und Elektronen zu den Grund-Bausteinen der Materie wurden (siehe auch das Thema „Die Frage nach dem Sinn“, Beitrag 1 „Der Anstoß des Seins“).
Die Wechselwirkungen der energetischen Ladung einzelner Teilchen bewirkten, dass sich jeweils eine bestimmte Anzahl von Elementarteilchen zusammenfanden und ein stabiles System bildeten. Es entstanden nach und nach die Atome der über hundert chemischen Grundelemente (manche sind instabil und zerfallen wieder), bestehend jeweils aus einem „Kern“ aus Protonen und Neutronen und „Schalen“ aus Elektronen. Aus wenigen Elementarbausteinen entstand die Vielfalt der chemischen Elemente, aus denen sich alles Materielle des ganzen Universums zusammensetzt.
Die Atome sind nun ihrerseits so gestaltet, dass sie jeweils eine bestimmte Anzahl von offenen „Verbindungsstellen“ haben, über die sie mit gleichen und anderen Atomen Verbindungen eingehen können. Es entstehen Moleküle; einfache, wie das Wasser (H2O), oder auch sehr komplexe Moleküle aus Hunderten von Atomen mit kompliziertem Aufbau in gesetzmäßigen Strukturen. Wir sehen: Die Grundbausteine der materiellen Schöpfung (Atomteilchen und Atome) sind von Anfang an so gestaltet, dass sie geeignet sind, Beziehungen einzugehen und sich zu größeren Einheiten zu verbinden. Aus der begrenzten Zahl von chemischen Elementen entsteht so die millionenfache Vielfalt chemischer Verbindungen.
Wir erkennen in allem materiellen Werden ein Grundmuster fortschreitender Entfaltung: Aus wenigen einfachen Bausteinen entsteht in mehreren Stufen durch Verbindung und Kombination eine immer weiter wachsende Fülle von immer komplexeren und differenzierteren Materialien. Dies alles geschah und geschieht im Rahmen einer Gesamtheit (Universum) in der alle Konstanten und Kräfte in einer unglaublichen Feinabstimmung so gestaltet und aufeinander bezogen sein müssen, dass so etwas wie „Materie“ und erst recht so etwas wie „Himmelskörper“ (z. B. unser Sonnensystem mit unserer Erde als möglicher Ort des Lebens) überhaupt entstehen und über lange Zeit stabil bleiben konnten.
.
2 Entstehung des Lebens
Damit Leben entstehen kann, müssen verschiedene (zum Teil sehr komplexe) Moleküle so zueinander in Beziehung treten, dass sie einen über die Grenze des einzelnen Moleküls hinausreichenden Zusammenhang bilden. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Aneinanderreihung (viele H2O-Moleküle ergeben einen Tropfen Wasser), sondern um Beziehungen mit Wechselwirkung zwischen verschiedenartigen Molekülen durch gegenseitige Beeinflussung: Was ein bestimmtes Molekül betrifft, hat auch Auswirkungen auf ein ganz anderes Molekül in seiner Nähe und umgekehrt. Solche Wechselwirkungen mit entsprechenden Rückkopplungen müssen noch nichts mit „Leben“ zu tun haben, sie sind aber eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Leben entstehen kann. Was noch zum Leben fehlt, ist etwas Unerwartetes, ja eigentlich Unmögliches: Wirkliches Leben kann erst dann entstehen, wenn das wechselweise Zusammenwirken komplexer Molekularstrukturen einen übergeordneten und zweckmäßig organisierten Funktionszusammenhang realisiert, der in den Strukturen der einzelnen Moleküle nicht schon vorgezeichnet ist.
So etwas geschieht in jeder lebenden Zelle. Sie muss, um zu leben, einen Gesamtorganismus bilden, in welchem die einzelnen Teilbereiche so zusammenwirken, dass das Ganze lebt, obwohl keines seiner Einzelteile aus sich allein lebensfähig wäre.
Die Zelle (als Grundmodell allen Lebens) hat zwei unbedingt notwendige Lebensgrundlagen: Eine materiell energetische (es müssen die notwendigen Materialien, Energien, Umweltbedingungen usw. vorhanden sein) und eine prozesshaft funktionale. Nur wenn die für die Zelle notwendigen Energien und Materialien als sich gegenseitig ergänzende Teile eines Funktionszusammenhangs zusammenwirken und so an einem molekülübergreifenden und arbeitsteiligen Prozess teilnehmen, können sie einen lebenden Organismus bilden. Woher aber soll dann die dazu notwendige „Prozessordnung“ kommen, durch die diese Vorgänge gesteuert und koordiniert werden? Können sinnlose Zufälle einen sinnvollen Gesamtzusammenhang kreieren, indem sie zufällig entstandene Teile so miteinander in Beziehung setzen, dass daraus ein organisches Ganzes entsteht, das für die Einzelteile erst dann sinnvoll (also vorteilhaft) ist, wenn das Gesamtsystem schon funktioniert?
Wir sehen: Die materiellen Grundlagen des Lebens bestehen aus den gleichen Grundbausteinen wie alle Materie, auch wenn sie sich in sehr vielfältigen und komplexen Strukturen konkretisieren; ein lebendiger Organismus kann aber erst dann entstehen, wenn diese Materialien ein wechselseitiges, vielfältig verknüpftes Beziehungsgeschehen in Gang halten, durch das ein komplexes und sinnvoll geordnetes Beziehungssystem (eine Zelle als Grundeinheit des Lebens) verwirklicht wird.
3 Leben – ein Ausnahmezustand der Materie
Leben ist nicht mehr als Materie, aber es ist Materie in einem übergeordneten Funktionszusammenhang. In einer lebenden Zelle müssen Gruppen von Molekülen als verschiedene Teile dieser Zelle verschiedene Funktionen wahrnehmen, z. B. (in einer Pflanzenzelle) die Zellflüssigkeit (Zytoplasma) als internes Transport- und Kommunikationsmedium, die Zellhaut (Membran) als Zellgrenze und gleichzeitig Übergabestation für Stoffwechsel von außen nach innen (Nahrung) und von innen nach außen (Abfälle), als „Solarstation“ (Chloroplast) für die Fotosynthese usw. Es ist wie in der Werkstatt eines Handwerksbetriebes: Mehrere Bereiche sind damit beschäftigt, ganz verschiedene Arbeiten auszuführen, die aber dann doch alle so planvoll ineinandergreifen, dass am Ende ein gemeinsames „Werkstück“ (in diesem Fall die Lebensfähigkeit der Zelle) entsteht. Eine lebende Zelle existiert nie als fertiges „Ding“, das eben „da“ ist, sondern immer nur als Materie in prozesshafter Veränderung, die einen ständigen materiellen und energetischen Austausch mit ihrer Umwelt vollzieht. Sobald dieser Austausch auch nur kurze Zeit zum Stillstand kommt, ist die Zelle tot, ein Haufen toter Materie.
Die verschiedenen Funktionen im Funktionszusammenhang einer Zelle sind nur dann geeignet, die Zelle am Leben zu erhalten, wenn sie im Gesamtorganismus der Zelle eine sinnvolle „Arbeitsteilung“ und „Zusammenarbeit“ verwirklichen, durch die sie sich wechselseitig sinnvoll ergänzen. Können solche zweckmäßig abgestimmten komplexen Zusammenhänge wirklich durch zufällige und sinnlose Ereignisse (Mutationen) entstehen? Ist die These „viele sinnlose Zufälle in großen Zeiträumen ergeben sinnvolle Entwicklungen“ wirklich überzeugend? Können sich zufällige Ansammlungen von sinnlosen Einzelentwicklungen zufällig zu einem höchst komplexen Sinnganzen verbinden? Wir können Mutationen immer nur an schon lebenden Organismen beobachten (und wir sehen, dass die meisten sich negativ und zertsörend auswirken). Dass eine Ansammlung toten Materials mutieren könnte und zwar so, dass dabei etwas Lebensfähiges entsteht, das ist noch niemals beobachtet worden.
Eine Zelle als System von verschiedenen Molekülgruppen ist ja nur dann lebensfähig, wenn sich ihre einzelnen Bereiche im Zusammenwirken als übergeordnete Einheit verhalten, wenn also ihre Funktionszusammenhänge ein sinnvolles Ganzes ergeben (und sei es nur mit dem „Sinn“, sich selbst am Leben zu erhalten; später werden wir noch sehen, dass schon die Entstehung der ersten lebenden Zelle einen viel umfassenderen Sinn verwirklicht). Ob man nun die Entstehung des Lebens als sinnvoll ansehen will oder nicht: Sie hat stattgefunden und ihr Ergebnis hat sich (zumindest da, wo man das Leben bei sich selbst als lebenswert und bei anderen als liebenswert empfindet) subjektiv als sehr sinnvoll erwiesen.
Jedes Zusammenwirken von Einzelteilen, das einen gemeinsamen Zweck erfüllt, ist sinnvoll („sinnvoll“ hier nicht als moralische Kategorie gemeint, also wünschenswert und gut oder gar ethisch hochstehend, sondern nur als funktionale Kategorie im Sinne von „einen übergeordneten Organisationszusammenhang erfolgreich verwirklichend“). Aber wer (oder was) gibt den einzelnen Funktionselementen einer Zelle vor, was jeweils der „Zweck“ ihres Daseins in der Zelle ist, welche jeweils besondere Aufgabe sie wahrnehmen sollen und wie sie im Molekularverband zusammenarbeiten müssen? Woher „weiß“ ein Eiweißmolekül, das z. B. einen winzigen Teil einer Zellhülle bildet, oder ein Nukleinsäurebaustein als Teil der DNA im Zellkern, welche Funktion es im Ganzen der Zelle wahrnehmen muss, damit diese als Gesamtorganismus leben kann? Was macht aus den verschiedenen Teilen der Zelle ein funktionierendes, lebendiges Ganzes? Und was steuert die Funktions- und Kommunikationsvorgänge im Innern der Zelle so, dass sie als ein gemeinsamer Organismus funktioniert? Erst der übergeordnete, sinnvoll sich ergänzende und zusammenwirkende Funktionszusammenhang zwischen allen Teilbereichen einer Zelle, macht es ja möglich, dass die Zelle lebt. Aber wer (oder was) hat die einzelnen Elemente des Lebens (die ja aus toter Materie bestehen), so sinnvoll zusammengeordnet, dass sie nun im Zusammenwirken einem übergeordneten Interesse dienen, nämlich dem Leben der Zelle als Ganzes? Bei einem höher organisierten Lebewesen aus mehreren Zellen muss der intermolekulare Funktionszusammenhang des Lebens sogar noch verschiedene in sich abgeschlossene und aus verschiedenen Zelltypen zusammengesetzte Funktionseinheiten (Organe) umfassen und deren verschiedene Funktionen koordinieren. Wer (oder was) hat diese Funktionszusammenhänge geplant und alle Funktionen so sinnvoll und zielgerichtet gesteuert und aufeinander abgestimmt, dass dadurch ein lebender Gesamt-Organismus entstehen konnte? Der sinnlose Zufall??
Wobei die Entfaltung des Lebens wohl viel komplexer und differenzierter vor sich ging, als es sich Darwin mit seiner „Abstammung der Arten“ vorstellen konnte, und wobei offensichtlich auch noch ganz andere Vorgänge beteiligt waren als nur Mutation und Selektion. Die Theorie der Evolution durch „Symbiogenese“ z. B. geht davon aus, dass die Vielfalt und Komplexität des Lebens nicht in erster Linie zufälligen Mutationen zu verdanken ist, sondern symbiotischen Gemeinschaften verschiedener einfacher Zelltypen, die sich schließlich zu neuen, komplexeren Zelltypen verbanden. Das würde bedeuten, dass nicht nur der Zufall bzw. der „Kampf ums Dasein“ die einzigen und entscheidenden Antriebe bei der Entwicklung des Lebens waren, sondern auch, und noch wichtiger, Gemeinschaft und Vereinigung.
4 Die doppelte Grundlage des Lebens
Träger des Lebens sind Materie und Energie, ohne sie ist Leben nicht möglich. Aber Leben ist Materie und Energie in einer ganz besonderen Erscheinungsweise. Es ist nicht eine in beidem schon enthaltene Option, die sich bei entsprechend günstigen Bedingungen von selbst entwickeln könnte, sondern eine völlig neue Daseinsform. Damit Leben entstehen kann, muss zu Materie und Energie noch etwas Drittes hinzukommen, das weder in der Materie noch in der Energie schon enthalten ist: eine Information, eine Art „Organisationsplan“ über die Struktur und Funktionsweise dieser Materie. Und diese Information muss sich vervielfältigen können und vererbbar sein. Ein lebender Organismus hat also nichts, das quantitativ „mehr” wäre als bloße Materie; aber es ist Materie, die anhand einer schon vorhandenen Information so strukturiert und organisiert ist, dass ihre Einzelelemente sich zu einem im ganzen Kosmos völlig neuen qualitativ höheren Dasein verbinden: dem Leben.
Dabei müssen wir darauf achten, dass die Materie und eine in ihr enthaltene Information in einem besonderem Verhältnis zueinander stehen. Den Unterschied zwischen einer „Trägermaterie“ und einer von ihr getragenen Information können wir uns am Beispiel einer Seite eines gedruckten Buches vorstellen: Sie besteht materiell gesehen aus Papier und Druckfarbe. Aber: Weder die chemische Analyse des Papiers noch die der Druckfarbe würde uns irgendwelche Erkenntnisse über den geistigen Inhalt des Textes erbringen (Ist es ein Krimi oder ein Liebesromen? Das ist an der chemischen Analyse von Papier und Druckfarbe nicht zu erkennen). Nur wer den Text-code „entschlüsseln“, also lesen kann, ist in der Lage, den geistigen Inhalt dieser Textseite zu entnehmen. Die eigentliche Information ist nicht materiell. Sie ist eine völlig neue und andere Wirklichkeit, die in der materiellen Zusammensetzung des Papiers und der Druckfarbe selbst noch nicht enthalten war und die die Materialien „Papier“ und „Druckfarbe“ niemals aus sich selbst heraus hervorbringen könnten. Die Information wird (in diesem Beispiel) gebildet durch eine sinntragende Organisation (in Buchstaben, Wörtern und Sätzen) der Druckfarbe auf dem Papier. Gleichwohl sind Farbe und Papier (oder auch Stimmbänder und Luftschwingung, Rillen auf einer Schallplatte oder die Speicherelemente eines USB-Sticks usw.), als „Trägermaterie“ für die Weitergabe des geistigen Inhalts unentbehrlich.
Auf vergleichbare Weise sind Materie und Energie die alleinigen „Träger“ des Lebens. Leben ist eine komplexe Organisationsform von Materie. Im Gegensatz zur Organisation der Druckfarbe auf der Textseite (in Buchstaben, Wörtern, Sätzen) ist die Organisation des Lebens allerdings keine statische, deren Anordnung unveränderlich bliebe, sondern eine prozesshaft sich ständig verändernde und erneuernde Organisation, die sich in einem ständigen Austausch mit der Umwelt vollzieht.
Diese ständige Veränderung und Erneuerung der Organisation von Materie in einem lebenden Organismus geschieht nicht zufällig, sondern vollzieht sich gemäß der genetischen Informationen dieses Organismus und bedarf einer ständigen Zufuhr und eines ständigen Umsatzes von Materie und Energie.
Am Beispiel unserer bedruckten Buchseite können wir zwei verschiedene Arten von Information unterscheiden: einmal unmittelbare Informationen, wie solche über die Farbe des Papiers, die Form der Buchstaben, die chemische Zusammensetzung der Druckfarbe usw., zum Zweiten vermittelte Informationen (gemeint ist der Bedeutungsgehalt der Wörter und Sätze), für die das Papier und die Druckfarbe nur Vermittler sind. Einem Archäologen z. B., der ein Dokument in einer ihm unbekannten Sprache findet, wären zunächst nur die „unmittelbaren Informationen“ zugänglich. Er könnte Aussagen über das Alter des Pergaments, die verwendete Tinte, die Form der Zeichen und Verzierungen machen usw., bis es ihm gelingt, die Sprache zu entziffern und den Bedeutungsinhalt der Schriftzeichen zu „lesen“.
Die „unmittelbaren Informationen“ liegen in der materiellen Beschaffenheit der Dinge selbst. Die „vermittelten Informationen“ dagegen benutzen die Dinge nur als Träger-Material für Inhalte, die gar nichts mit ihm zu tun zu haben brauchen. Eine Buchseite kann über ganz andere Inhalte informieren als über Papier und Druckfarbe. Nehmen wir z. B. eine gedruckte Gebrauchsanweisung für ein elektrisches Gerät. Die Information, wie dieses Gerät zu bedienen sei, werden wir auch bei genauester Analyse weder in der Chemie des Papiers noch der Druckfarbe finden. Eine „vermittelte Information“ liegt nicht in der Beschaffenheit ihres Trägermaterials begründet, deshalb kann sie niemals „von selbst“ entstehen, sie muss von „von außen“ codiert und der Träger-Materie „aufgetragen“ werden.
Die Information des Lebens in den Genen eines Lebewesens enthält „unmittelbare“ und „vermittelte“ Information. Die Bausteine der DNA-Stränge „beschreiben“ zunächst einmal sich selbst (und das ist für die Weitergabe der genetischen Information unbedingt notwendig) sowie den Bau einzelner Bestandteile (Organe) des Lebewesens. Sie enthalten aber auch Informationen über die Funktionsweise und das Zusammenwirken der Bestandteile der einzelnen Zellen ebenso wie des Gesamtorganismus und das Zusammenspiel der verschiedenen Organe im Organismus. Die Information der „Schrift“, die die Erbanlagen eines Lebewesens beschreibt, ist also viel umfangreicher als die Beschreibung ihrer eigenen materiellen Bestandteile. Der „Bedeutungsgehalt“ der einzelnen Elemente der DNA und die Bedeutung ihres Zusammenspiels für den Bau und die Funktionsweise des Gesamtorganismus ist eine Information, die nicht nur die „Buchstaben des Lebens“ selbst beschreibt, sondern auch einen übergeordneten „Sinn“ für das Zusammenwirken der Einzelteile im Ganzen des Organismus enthält. Sie ist (nach der oben genannten Definition) eine „vermittelte Information“ und die kann nicht „von selbst“ entstehen, auch sie braucht einen „Schreiber“, der nicht mit dem „Schreibmaterial“ identisch sein kann.
Stellen wir uns doch einmal vor, die einzelnen Buchstaben, Wörter und Sätze des oben genannten Buches würden nun beginnen, selbstständig so miteinander in Kontakt zu treten, dass sie im gegenseitigen Austausch und Abgleich sich intern nach ihrem Inhalt und nach ihrer Bedeutung im Ganzen des Textes abstimmen, korrigieren und ergänzen würden, sodass sie innere Unstimmigkeiten im Inhalt und Aufbau der einzelnen Sätze und des Gesamttextes selbst harmonisieren und ausgleichen könnten. Würden wir dann zustimmen, wenn uns jemand einreden wollte, das alles hätte die Materie dieses Buches, hätten seine chemischen Bestandteile in Papier und Druckfarbe aus sich selbst hervorgebracht? Und stellen wir uns, noch einen Schritt weitergehend, vor, dieser Text, den Sie gerade lesen, wäre im Internet gespeichert und so vernetzt, dass seine Buchstaben, Wörter und Sätze nicht nur selbstständig intern kommunizieren könnten (siehe oben), sondern auch noch selbstständig Inhalte von außen aus dem Internet aufnehmen, sie auf ihre Brauchbarkeit und inhaltliche Stimmigkeit überprüfen und Teile von ihnen sinnvoll in den vorhandenen Textbestand aufnehmen könnten, wobei dann nicht mehr passende Textteile herausgenommen und gelöscht würden (eine solche Textgestalt, wenn es sie jemals gäbe, käme dann der Funktionsweise eines lebenden Organismus schon sehr nahe). Würden wir dann die Vorstellung akzeptieren, diese inhaltlichen Veränderungen, die immer wieder, in jeder Phase der Entwicklung, ein sinnvolles, d. h. (wenn wir das Bild wieder auf einen lebenden Organismus zurückübertragen) lebensfähiges Ganzes ergeben müssen, könnten zufällig geschehen? Hier wird deutlich: Solch ein geistig-inhaltlicher „Stoffwechsel“, der nicht nur die materiellen Bestandteile betrifft, sondern auch den Bedeutungsgehalt der Informationen über die Organisationsform der Materie im Zusammenspiel des Gesamtorganismus, der einen übergeordneten und sinnvollen Organisations- und Funktionszusammenhang beschreiben muss, könnte niemals durch sinnlose Zufälle geschehen (Die Selektion als zweites Grundprinzip der Evolution könnte ja immer nur zwischen lebensfähigen, also schon gelungenen Entwicklungen auswählen.).
Leben ist offensichtlich mehr als Materie, die sich zufällig in bestimmten Strukturen angeordnet hat. Leben ist Materie in einer völlig neuen Daseinsform:
Leben ist eine komplexe, sich prozesshaft ständig verändernde und erneuernde Organisationsform materieller Substanz, strukturiert und organisiert anhand einer sich selbst reproduzierenden Information, die für den lebenden Gesamtorganismus (sei es eine einzelne Zelle oder ein höher organisiertes Lebewesen) und alle seine Bestandteile einen sinnvoll arbeitsteiligen Funktionszusammenhang beschreibt und alle entsprechenden Prozesse steuert, wobei die inneren Lebensvorgänge im Organismus sich in einem ständigen (materiellen, energetischen und informativen) Austausch mit der Umwelt vollziehen.
So überzeugend die Evolutionstheorie auf den ersten Blick aussehen mag, so kann man doch mit Recht irritiert sein, wenn man nun einem nebulösen, ungreifbaren „Selbst“ der Natur (alles ist „von selbst“ entstanden) die gleiche schöpferische Potenz zutrauen soll wie ehedem einer göttlichen schöpferischen Intelligenz. Und es mag sich dabei der Gedanke aufdrängen, ob da nicht eine neue Glaubenslehre begründet werden soll, eine „Theologie des Materialismus“ mit einer seltsamen „Trinität“, die da als höchste schöpferische Macht verehrt wird: mit dem unfassbaren und unnennbaren „Selbst“ der Materie, aus dem alles hervorgeht, mit der Schöpfungskraft des „Zufalls“, welche die Fülle aller Erscheinungen hervorbringt, und mit dem „Kampf ums Dasein“ als höchstem Richter, der entscheidet, wer leben darf oder wer aus dem Wettlauf des Lebens ausscheiden muss. Wir werden auf diese „Theologie des Materialismus“ und deren Auswirkungen noch ausführlicher zurückkommen.
.
Evolution des Lebens? Version 2018-8
© 2018 Bodo Fiebig
Herausgegeben im Selbstverlag, alle Rechte sind beim Verfasser.
Vervielfältigung, auch auszugsweise, Übersetzung, Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen und jede Form von kommerzieller Verwertung nur mit schriftlicher Genehmigung des Verfassers