Mit welcher geradezu heiligen Inbrunst verkündigen die neuen Ungläubigen ihr Glaubensbekenntnis: Richard Dawkins: „… ich stelle die These auf, dass der Glaube eines der größten Übel dieser Welt ist, vergleichbar mit dem Pockenvirus, aber schwieriger auszurotten.“
Er und seine Mitstreiter aus der Bewegung des „Neuen Atheismus“ halten Religion grundsätzlich für einen „Gotteswahn“ (siehe den Titel von Dawkins‘ bekanntestem Buch). Wenn man die Religionen abschaffen könnte, so das Credo dieser Atheismus-Gläubigen, so wäre endlich Friede auf Erden. Ein bewusster und entschiedener Atheismus sei der einzige Ausweg aus den Nöten der Menschheit.
Diese Sichtweise ist nicht sehr neu: Schon Voltaire z. B. (gest. 1778) versuchte die Religion, speziell die christliche Kirche, für alles Unheil dieser Welt verantwortlich zu machen: „… die Geschichte der Kirche (sei) eine ununterbrochene Folge von Konflikten, Verleumdungen, Torturen, Betrügereien, Morden und Rauben“. Nun, Voltaire mag man dieses Urteil am Ende des 18. Jahrhunderts noch durchgehen lassen, aber den „Neuen Atheisten“ am Beginn des 21. Jahrhunderts? Haben die nichts mitbekommen von den großen Unrechtssystemen des 20. Jahrhunderts, die alle auf atheistischen Ideologien basierten? Vom Nationalismus in Deutschland unter Hitler und seiner Ausrottungspolitik gegenüber den sogenannten „minderwertigen“ Völkern mit Millionen von Opfern, einschließlich der Vernichtung der Juden im Holocaust? (Der Nationalismus des „Dritten Reiches“ war ja doch ein atheistisches Denksystem, auch wenn er sich mit religiösen Begriffen wie „Vorsehung“ schmückte.) Vom Kommunismus in der Sowjetunion unter Stalin und seiner Ausrottungspolitik gegenüber der sogenannten „Ausbeuterklasse“, die auch Millionen Menschen das Leben kostete? Vom Kommunismus in China unter Mao, dessen „Kulturrevolution“ ebenfalls Millionen Unschuldigen den Tod brachte, oder von der kommunistischen Revolution in Kambodscha, wo unter Pol Pot in wenigen Jahren ein Viertel der Bevölkerung des Landes grausam ermordet wurde?
Die furchtbarsten, unmenschlichsten und auch zahlenmäßig größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte wurden im 20. Jahrhundert von ausdrücklich atheistischen Systemen begangen. Wie man nach dieser Bilanz noch meinen kann, der Atheismus, die bewusste und entschiedene Gottlosigkeit, brächte die Lösung aller Menschheitsprobleme, bleibt ein Rätsel.
Trotzdem hat sich dieser Gedanke in vielen Köpfen festgesetzt: Religion sei eine vorwissenschaftliche und irrationale Denkweise, die Intoleranz und Unfrieden hervorbringe. Nur eine Emanzipation von den Fixierungen auf „göttliche“ Gebote und Verbote und von den Zwängen religiöser Dogmen könne uns eine neue Freiheit im Umgang mit den Mitmenschen geben, die Gerechtigkeit und Frieden erst möglich mache.
So sympathisch das klingen mag: Warum will die historische Realität des vergangenen 20. Jahrhunderts (ausgerechnet des Jahrhunderts, das mehr als alle Jahrhunderte zuvor von eben solcher Emanzipation geprägt war!) so gar nicht zu dieser menschenfreundlichen Vision passen? Welche Rolle spielt Religion in der Entwicklung der Menschheit und der Menschlichkeit, eine heilende und aufbauende oder eine unheilvolle und zerstörerische? Ist eine religionsfreie Weltsicht mit der Evolutionstheorie im Mittelpunkt wirklich die menschenwürdigere Alternative?
Atheistische Überzeugungen antworten heute nicht nur auf historische und gesellschaftliche Herausforderungen, so wie z. B. im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert der Marxismus, sondern sie berufen sich zumeist auf naturwissenschaftlich begründete Denkmodelle. Gegenwärtig ist ein „Unglaube“ auf dem Vormarsch, der sich betont biologisch-wissenschaftlich gibt. Eine weltweite Bewegung, die sich „Neuer Atheismus“ nennt und die einen aggressiv-antireligiösen Standpunkt vertritt, baut auf der Grundlage der Evolutionstheorie auf und entwickelt sie zu einer umfassenden religionsfreien Weltanschauung. Sie nimmt für sich in Anspruch, für vernünftig und wissenschaftlich denkende Menschen die einzig mögliche Erklärung für die Entstehung und Entwicklung des Lebens, ja der ganzen Natur einschließlich des Menschseins anzubieten.
Um es gleich vorweg zu sagen: Es geht mir hier nicht darum, die von der wissenschaftlichen Biologie entwickelte Theorie der Evolution grundsätzlich zu leugnen oder gar zu bekämpfen. Das wäre Unsinn. Es gibt ja ganz offensichtlich evolutionäre Vorgänge in der Natur. Mir ist es aber wichtig, da, wo die Evolutionslehre zu einer allgemeinen Theorie des Werdens und Seins aufgebläht wird, auf die unwissenschaftlichen Grenzüberschreitungen hinzuweisen.
Es geht mir auch nicht primär darum, Argumente für oder gegen eine atheistische Grundeinstellung zu sammeln. Das ist nicht mein Anliegen. Vielmehr geht es hier um die Frage, welche Folgen es hätte, wenn wir eine atheistische Sichtweise (die im zwanzigsten Jahrhundert so viel Unheil angerichtet hat) ungeprüft übernehmen würden. Denkmodelle, die ein bestimmtes Verständnis unserer Welt und unserer eigenen Existenz beinhalten, sind ja nicht unverbindliche Ideen im luftleeren Raum, sondern sie sind Hintergrund und (oft verborgene) Antriebskraft für Verhaltensweisen und Handlungsmuster im öffentlichen und privaten Bereich.
„Wie ist das Leben und wie sind die Regeln des Zusammenlebens entstanden?“ Die gesellschaftlich anerkannten Antworten auf solche Fragen prägen das kollektive Selbst- und Weltverständnis und so auch die sozialen Umgangsformen und Handlungsmuster mit. Eine „Ethik des Atheismus“ als allgemein gültige Lebens- und Handlungsgrundlage hätte weitreichende Folgen für das Leben und Zusammenleben der Menschen. Es ist daher dringend notwendig, dass wir uns dessen bewusst werden, damit wir nicht unbedacht und blauäugig einer möglicherweise verhängnisvollen Entwicklung nachlaufen.
Hier soll zunächst soll einmal die naturwissenschaftliche Grundlage des Lebens angefragt werden, ob sie den wirklich ein atheistisches Welterklärungs-Modell tragen will und kann (siehe den folgenden Beitrag „Evolution des Lebens?„.
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Bodo Fiebig „Die Vision des Atheismus“ Version 2018 – 3
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