Das Gender-Konstrukt
Wer bin ich – und wer will ich sein? Bin ich das, was ich sein will? Und will ich das sein, das ich bin oder zu sein scheine? Solche Fragen bewegen Menschen in vielen Bereichen: In Bezug auf ihre berufliche Situation, ihre soziale Stellung, ihre persönlichen Beziehungen … (siehe den Themenbeitrag „Wer bin ich?“)
Die Gender-Ideologie bezieht diese Fragen vor allem auf die geschlechtliche Identität von Menschen. Sie verneint jede natürlich vorgegebene Geschlechter-Einteilung und besteht darauf, dass jeder Mensch seine sexuelle Identität selbst bestimmen kann und soll. Ja, sie wirft allen, die das nicht so akzeptieren und all jenen, die eine bipolare Zuordnung von „männlich“ und „weiblich“ als das „Normale“ ansehen, „Diskriminierung“ vor und möchte sie als intolerante Unterdrücker einer selbstbestimmten Lebensweise anprangern.
Woher kommen diese seltsame Einstellung und der missionarische Eifer, mit der sie vertreten wird, so dass man möglichst alle Menschen mit dieser Idee und Lebensweise beglücken möchte? Es gibt zwei Hintergründe dafür, einer stammt aus dem Bereich der Ideen und einer aus dem Bereich der Erfahrungen und beide sind eng aufeinander bezogen.
Inhaltsverzeichnis
1.1 Die Idee des „radikalen Konstruktivismus“
1.2 Die Erfahrung ungerechter Verhältnisse
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1.1 Die Idee des „radikalen Konstruktivismus“
Den Ideen-Hintergrund der Gender-Ideologie bildet eine philosophische Denkrichtung des zwanzigsten Jahrhunderts, der sogenannte „radikale Konstruktivismus“. Er geht davon aus, dass es dem Menschen unmöglich sei, die „Dinge, wie sie sind“, die „Wirklichkeit“ der Welt und die „Realität“ seiner eigenen Existenz unvoreingenommen wahrzunehmen. Vielmehr sei jede Wahrnehmung schon eine Täuschung. Das, was Menschen von den Dingen, von der Welt und von ihrer eigenen Existenz wahrzunehmen meinen, sei tatsächlich nur ihr eigenes Konstrukt. Das Auge des Betrachters gibt vor, was es sieht. Es gibt gar keine „Realität“, die unabhängig von einem Betrachter existieren würde, meint der Konstruktivismus, sondern der Mensch konstruiert sich seine „Realitäten“ selbst. Also gibt es so viele „Realitäten“ wie es Menschen gibt.
Die konstruktivistische Sichtweise bedeutet allerdings, und das betonen ihre Vertreter selbst, dass es auch keine objektiven Tatsachen, keine allgemeingültigen Wahrheiten und keine allgemein verpflichtende Ethik geben kann. Sie übersehen dabei (absichtzlich oder unabsichtlich), dass es ohne objektive Tatsachen, ohne allgemeingültige Wahrheiten und ohne eine allgemein verpflichtende Ethik auch kein Recht gäbe, das Menschen vor Unrecht in Schutz nehmen könnte (siehe den Themenbeitrag „Recht und Unrecht“) und dass damit jedem gesellschaftlichen Miteinander die Grundlagen entzogen würden.
1.2 Die Erfahrung ungerechter Verhältnisse
Für sich allein hätte eine so seltsam klingende Denkweise wie der radikale Konstruktivismus wohl kaum eine Chance gehabt, in der Breite der Gesellschaft wahrgenommen zu werden. Aber auf dem Erfahrungshintergrund der Jahrhunderte wurde sie für manche einleuchtend, ja geradezu faszinierend: Hat es nicht das tatsächlich gegeben (und gibt es das nicht immer noch), dass Menschen ihre Sichtweisen anderen aufzwingen, weil das für sie selbst vorteilhaft ist? Gab und gibt es nicht männerdominierte Gesellschaften, die ihre Frauen an den Herd verbannten, ihnen Mitsprache und Mitverantwortung verweigerten und sie von Bildung und Macht fernhielten? Hatten nicht diese „Männergesellschaften“ soziale und politische „Realitäten“ geschaffen, die ihre Überlegenheit gegenüber den Frauen für alle Zeiten festzuschreiben versuchten? Anhand solcher Fragen wurde die Idee von der selbstkonstruierten Wirklichkeit für bestimmte Gruppen fassbar und politisch nutzbar. Sie wurde zum Wegbereiter der Gender-Beweguung.
Die Vertreter der Gender-Ideologie machten sich die Ideen des Konstruktivismus zunutze, indem sie diese mit ihren eigenen Vorstellungen von einer „selbstbestimmten Sexualität“ verbanden: Jeder kann und soll sein Geschlecht und seine sexuelle Identität selbst „konstruieren“, unabhängig von allen biologischen Vorgaben. Heute versuchen sie ihre Vorstellungen in der modernen Gesellschaft so zu verankern, dass sie für alle verpflichtend werden. Jeder Mensch, vom Kindergartenkind bis zum Greis, soll darauf verpflichtet werden, seine geschlechtliche Identität unabhängig von objektiven Tatsachen (z. B. einem biologischen Geschlecht) selbst zu definieren und entsprechend zu leben. Und jede Haltung, die sich diesem Meinungsdiktat verweigert, soll als „Diskriminierung“ kriminalisiert werden.
2 Realität und Verständnis
Allerdings stellen wir aus der Distanz gesehen fest, dass das Zwillingspaar Konstruktivismus und Gender-Ideologie an einer fatalen ideologieverursachten Fehlsichtigkeit leidet, die ihre Sicht auf die Welt und die menschliche Existenz verzerrt. Ohne die ideologische Brille gesehen, wird es klar erkennbar: Die Wirklichkeit der Dinge ist nicht davon abhängig, dass wir sie uns „konstruieren“, sie existiert auch ohne uns und es gab sie schon, bevor es die ersten Lebewesen gab, die denken und sich etwas „konstruieren“ konnten. Trotzdem hat ja der Konstruktivismus insoweit recht, dass unsere Sicht auf die Dinge nicht die „Dinge an sich“ wahrnimmt (was sollte denn das auch sein, ein „Ding an sich“?), sondern immer nur die Erscheinungsweisen und Bedeutungen, die sie im Auge des Betrachters annehmen. Ob ich einen bestimmten Hund als gefährliche Bestie oder als treuen Freund wahrnehme, liegt nicht nur am Hund, sondern auch an mir und meinen Vorerfahrungen mit Hunden. Aber, dass ich das Ebola-Virus als gefährlichen Krankheitserreger ansehe, liegt nicht an mir, sondern am Ebola-Virus und ich tue gut daran, dies als objektive Tatsache anzuerkennen und mich entsprechend vorsichtig zu verhalten. Die Subjektivität unserer Wahrnehmungen schließt ja nicht aus, dass es objektive Tatsachen gibt! (Siehe auch das Thema „Wahrheit und Wirklichkeit“)
2.1 Wahrnehmung und Deutung
Nein, gewiss kann sich nicht jeder Mensch seine eigene Wirklichkeit schaffen, aber jeder Mensch muss sich eine eigene Vorstellung machen von den Wirklichkeiten, in denen er lebt. Er braucht eine persönliche Verstehensweise und Deutung seiner Umweltwahrnehmungen, sozusagen eine „Arbeitshypothese“ für die Erklärung der Dinge und Vorgänge um ihn her als Grundlage für sein Leben und Handeln in dieser Welt.
Wir müssen also unterscheiden zwischen den Realitäten und den „Bildern“, die wir uns von diesen Realitäten machen. Wobei unsere bildhaften Vorstellungen von den Dingen und Vorgängen unserer Umwelt ja keine unverbundenen Einzelbilder sind, sondern eher Mosaiksteinchen für ein Gesamtbild unserer Vorstellungswelt, das ich hier als „Weltverständnis“ bezeichne. Jeder Mensch braucht und hat so ein „Verständnis“ von der Welt in der er lebt (von den Dingen und Vorgängen, denen er begegnet, von seinen Mitmenschen und deren Beziehungen zu ihm und von sich selbst), er könnte ja nicht leben und sinnvoll handeln ohne es. Dieses „Weltverständnis“ (als Übertragung und Aneignung seiner Umwelt- und Selbsterfahrungen in die eigene Vorstellungswelt) ist für jeden Menschen die größte geistige Lebensleistung, die er im Laufe seiner Lebenszeit vollbringt, auch wenn das bei dem Einem vielleicht eine sehr enge und schlichte Vorstellungswelt sein mag, bei einem Anderen vielleicht eine innere Schau von großartiger Weite, Vielfalt und Kreativität.
Dieses Weltverständnis“ ist allerdings keine statische Größe, sondern bei jedem Menschen ein sehr formbares Gebilde, das in ständigen Veränderungsprozessen allmählich immer weiter auf- und ausgebaut, geformt und gefüllt wird. (Siehe den Themenbeitrag „Wer bin ich?“, Abschnitt 1, „Selbstbild und Weltbild“)
Wenn man nun die subjektive Vorstellungswelt mehrerer Menschen vergleichend betrachten könnte, würde man feststellen, dass sie zumindest in Teilbereichen sehr unterschiedlich sind. Die gleichen Dinge, Vorgänge, Ereignisse können von verschiedenen Menschen sehr verschieden betrachtet, verstanden und bewertet werden. Trotzdem sind Menschen keine isolierten Einzelwesen, die der Vorstellungswelt ihrer Mitmenschen völlig ahnungslos und verständnislos gegenüberstehen. Viele Erfahrungen sind ja für die meisten Menschen sehr ähnlich, z. B. die Erfahrung von Tag und Nacht, Hitze und Kälte, Sommer und Winter, Saat und Ernte, Essen und Trinken, Fülle und Mangel, Jugend und Alter, Mann und Frau, Geburt und Tod … Diese gemeinsame Erfahrungsgrundlage ermöglicht auch ein in Ansätzen gemeinsames Welt- und Selbstverständnis.
Darüber hinaus haben Menschen aber noch ein besonderes Instrument für den Austausch ihrer Erfahrungen und Vorstellungen entwickelt: Die Sprache. Mit ihrer Hilfe können Menschen ihre Erfahrungen und ihr Verständnis dieser Erfahrungen untereinander mitteilen und vergleichen. Wenn nun viele Menschen durch sprachliche Kommunikation ihr „Weltverständnis“ (bzw. Teile davon) einander mitteilen und untereinander austauschen, dann entsteht unter ihnen nach und nach ein kollektives Welt- und Menschenbild als gemeinsamer und Gemeinsamkeit stiftender Kulturbesitz (wobei ja immer noch große Anteile individueller Anschauungen beim Einzelnen verbleiben). Freilich: Auch das kollektive „Weltverständnis“ einer bestimmten Kultur besteht nicht einfach nur aus objektiven Tatsachen, beruht aber doch auf der Wahrnehmung von Tatsachen. Und diese Wahrnehmungen können durch fortwährende Kommunikation (auch Kommunikation wissenschaftlicher Forschungsergebnisse) zunehmend objektiviert werden, so dass sich unser Weltverständnis allmählich der realen Welt annähert. So hat die Menschheit jahrtausendelang gelebt und so sind die Kulturen der Welt entstanden (siehe das Thema „Wahrheit und Wirklichkeit„).
2.2 Die Gender-Täuschung
Die Gender-Ideologie nimmt nun die Selbsttäuschung des radikalen Konstruktivismus als bare Münze und überträgt sie auf den Bereich der sexuellen Identität von Menschen: Was kümmert mich ein angeblich von der Natur vorgegebenes Geschlecht? Ich konstruiere meine Welt und meine Rolle in dieser Welt selbst! Es gibt keine geschlechtliche Zuordnung, die nicht auch ganz anders sein könnte. Und das ist die einzig richtige und moderne Sichtweise! Wer das nicht so sieht, ist ebenso dumm wie gefährlich! Und wenn ihr nicht wollt, dass man euch für dumm und gefährlich hält, dann müsst ihr es gut finden, wenn euren Kindern schon im Kindergarten und in der Grundschule die ganze Liste möglicher sexueller Lebensformen (männlich, weiblich, hetero-, homo-, bi- und trans- …) vorgelegt wird und sie diese Alternativen spielerisch durchprobieren sollen, um sich später mal so oder mal so zu entscheiden.
Wenn es dabei nur um die individuelle Entscheidung von einzelnen Erwachsenen ginge, könnte man das sehr gelassen zur Kenntnis nehmen: Es kann doch jeder für sich und seine Lebensführung entscheiden wie er mag! Aber darum geht es hier ja nicht; man will eine ganze Gesellschaft dazu zwingen, die eigene Ideologie zur allgemeinen Norm zu erheben, und fängt, weil es da am einfachsten scheint, bei den Kindern an.
Das aber darf man so nicht hinnehmen. Ich habe in meinem beruflichen Umfeld menschliche Katastrophen mitansehen müssen, die durch selbstgewählte sexuelle „Freiheiten“ und geschlechtliche „Selbstverwirklichung“ für die betroffenen Familien und besonders für die betroffenen Kinder verursacht wurden. Darüber kann und will ich hier nicht weiter reden oder schreiben.
Es kann und muss hier aber darüber geredet und geschrieben werden, welche gesellschaftlichen Auswirkungen die Gender-Ideologie in unserer Gegenwart hat. Ihre Vertreter haben es in den vergangenen Jahrzehnten geschafft, ihre Ansichten bis in die Mitte der Gesellschaft voranzutreiben. (Die relativ wenigen Menschen, die tatsächlich mit uneindeutigen sexuellen Anlagen geboren werden und leben, sind den Ideologen völlig egal, sie werden ja nur als „Hebel“ oder „Brechstange“ gebraucht, um die Gesellschaft als Ganzes unter ihre Ideologie zu zwingen.) Ihre Hauptwaffe im Kampf um öffentliche Anerkennung ist der Begriff der „Diskriminierung“. Wer nicht ihre Ansichten teilt oder übernimmt, macht sich der Diskriminierung schuldig, und Diskriminierung ist ein Verbrechen! Und dann weist man auf die Homosexuellen hin, die in den Konzentrationslagern der Nazis gelitten haben und ermordet wurden.
Ganz gewiss: Das, was im Hitler-Deutschland homosexuellen Menschen angetan wurde, war ein unmenschliches Verbrechen, ganz genau so, wie es unmenschliche Verbrechen waren, was man damals Juden, „Zigeunern“, politisch Andersdenkenden usw. antat. Aber das frühere Unrecht bedeutet doch nicht, das heute jede noch so unsinnige Ideologie im Bereich sexueller Orientierung unter dem Schutzmantel eines Diskriminierungs-Verbotes steht, das nicht den geringsten Einwand dagegen erlaubt! Und dass es z. B. in der Vergangenheit (und in bestimmten Teilbereichen und Weltgegenden noch heute) Unrecht gegenüber Frauen gab und gibt, bedeutet doch nicht, dass jede Ideologie, die vorgibt, für die Rechte der Frauen zu streiten, unbesehen zum geltenden Recht gemacht werden muss, für jeden verpflichtend und auf ewig unantastbar! Das ist der Missbrauch eines Schutz-Rechtes als Mittel zur Verabsolutierung der eigenen Ansichten durch Kriminalisierung jeder anderslautenden Meinung.
Es ist richtig, sich auf allen Feldern gesellschaftlichen Lebens ernsthaft und mit Nachdruck darum zu bemühen, gleiche Möglichkeiten und Chancen für alle Menschen, unabhängig von ihrem Geschlecht zu schaffen, aber es ist falsch, dieses im Namen und mit den Mitteln einer Ideologie zu tun, die bestreitet, dass es so etwas wie ein biologisches Geschlecht überhaupt gibt! Und es ist erst recht falsch, zuzulassen, dass die Ideologen dazu Kinder als Vortrupp für die Eroberung gesellschaftlicher Positionen einspannen und dazu ihre kindlichen Vorstellungswelt mit allen Formen und Fehlformen erwachsener Sexualität belasten!
Gegenwärtig versuchen die Gender-Strategen ohne jede Rücksicht auf die Meinungsfreiheit anderer ihre eigene Ideologie als die allein gültige und in einer modernen Gesellschaft allein akzeptable Sichtweise durchzudrücken. Die öffentlichen Bildungseinrichtungen von der Kinderkrippe bis zur Universität sollen dabei als Hebel dienen, mit dem man die gesellschaftlichen Verhältnisse umstürzen kann. Aber: Wenn man das Mann-sein und Frau-sein für sich schon als „Diskriminierung“ derer ausgibt, deren Geschlecht nicht eindeutig bestimmt ist, dann will man nicht den intersexuellen Menschen helfen, sondern man will so etwas wie „Normalität“ grundsätzlich abschaffen. Das ist etwa so, wie wenn man sagen würde „Menschen, die wegen einer Querschnittslähmung im Rollstuhl sitzen, dürfen nicht diskriminiert werden (das ist richtig) und deshalb müssen ab jetzt alle Menschen sich nur noch im Rollstuhl fortbewegen (das ist falsch) und weil viele das nicht freiwillig machen, müssen sie per Gesetz dazu erzwungen werden“ (das ist Diktatur der Ideologie). Ganz gewiss, Menschen im Rollstuhl sind – ebenso wie intersexuell Veranlagte – keine minderwertigen „Defizit-Menschen“. Vor solchen Diskriminierungen muss man sie wirklich schützen. Sie sind gleichwertige und gleichberechtigte Menschen ohne irgenwelche Abstriche an ihrem Menschsein und sie müssen auch so behandelt werden. Wenn man aber daraus schließt, dass jedes „Normal-sein“ schon eine Diskrmininierung ist, dann will man niemanden schützen, sondern alle attackieren. Dann will man verunsichern und die Gesellschaft destabilisieren und sich so ein freies Feld schaffen, wo nur noch die eigene Ideologie das „Normale“ und Erlaubte ist. Dagegen sich zur Wehr zu setzen, ist gewiss keine unzulässige „Diskriminierung“, sondern selbstverständliches Recht in einer demokratischen Gesellschaft. Das Gender-Konstrukt ist keine brauchbare Vorlage für einen menschenwürdigen Umgang mit menschlicher Sexualität.
3 Urbild und Abbild
Damit ist aber die Frage nach dem Verhältnis von objektiven Realitäten und bildhaften Vorstellungen gerade mit Blick auf uns Menschen noch nicht geklärt. Der Mensch ist ja das einzige Lebewesen, das die Möglichkeit hat, seine Existenz selbst zu deuten. Wer bin ich? Staubkorn im Universum oder Mittelpunkt der Welt? Ein intelligentes Säugetier oder Krone der Schöpfung? Ebenbild Gottes oder Bestie in Menschengestalt? Oder doch nur Zufallsprodukt der Evolution?
3.1 Das biblische Menschen-Bild
Die Bibel, einer ältesten und in seiner Wirkungsgeschichte bedeutendsten Texte der Menschheit, sagt: Materiell gesehen ist der Mensch gar nichts Besonderes. „Staub vom Erdboden” ist er, heißt es da (1. Mose 2, 7) Und das stimmt ja auch: Die Atome, aus denen ein menschlicher Körper besteht, sind die gleichen, wie bei der Erde auf dem Feld oder beim Staub auf der Straße. Auch biologisch gesehen ist der Mensch nichts Besonderes. Biologisch funktioniert er genau so wie jedes andere Lebewesen auch. Und genetisch ist er den Säugetieren ganz eng verwandt. Das Besondere des Mensch-Seins liegt nicht in seiner Materie und nicht in seiner Biologie. Worin aber dann? Was macht denn dann das Mensch-Sein des Menschen aus?
Die Bibel, sagt: Das Besondere am Menschen liegt in seiner Berufung, liegt in dem, was er sein kann und werden soll (siehe das Thema „sein und sollen“). Jedes Tier erfüllt den Sinn seines Daseins allein schon durch sein Da-Sein als Mit-Geschöpf im Beziehungsgefüge des Lebens. Es kann seinen Lebenssinn nicht verfehlen. Der Mensch aber hat die Erfüllung seines Lebenssinns als Aufgabe bekommen, die er erfüllen oder auch versäumen kann. Er ist das einzige Lebewesen, das den Sinn seines Daseins nicht in sich selbst hat, sondern ihn suchen und finden und als Berufung annehmen muss. Aber was ist das für eine Berufung? Das steht schon auf der ersten Seite der Bibel: 1.Mose 1, 26-27 (wörtliche Übersetzung): Und (es) sprach Gott: Machen wollen wir Menschen in unserem Bild, gemäß unserer Gleichheit. (…) Und Gott schuf den Menschen in seinem Bild, im Bilde Gottes schuf er ihn; männlich und weiblich erschuf er sie.
Das ist zunächst überraschend: Die Schöpfung „Mensch“ soll „Bild“ sein, Ikone – Ikone Gottes, das heißt: sichtbare Darstellung des Schöpfers in der Schöpfung, anschaubare Vergegenwärtigung Gottes mitten in einer scheinbar gottlosen Welt. Und das gilt grundsätzlich für jeden Menschen. Dabei ist aber der Mensch keine optische Abbildung Gottes, als wäre Gott ein Wesen mit menschenähnlicher Gestalt, mit Armen und Beinen, mit Augen, Mund und Nase… (dann wäre ja Gott ein Abbild des Menschen, und so haben sich Menschen zu allen Zeiten ihre Götter vorzustellen versucht). Nein, der Mensch ist keine optische Abbildung Gottes sondern eine wesentliche. Durch das Menschsein soll das Wesen Gottes in der Schöpfung anwesend sein.
Aber, wer ist Gott, was ist denn sein eigentliches Wesen? Und wozu hat er uns geschaffen und was erwartet er von uns? Die Antworten auf solche Fragen sind von uns aus nicht zugänglich. Wir können mit den Mitteln menschlicher Erkenntnisfähigkeit nur so viel von Gott erfassen und mit den Mitteln menschlichen Sprache nur so viel von Gott aussagen, als er selbst sich uns offenbart.
Und Gott hat sich offenbart: In der Schöpfung, in der Geschichte Israels, im Leben, Reden und Handeln Jesu, auch in der Geschichte der Christenheit der vergangenen 2000 Jahre und in der Weltgeschichte und Heilsgeschichte bis heute. Und in dieser Selbstoffenbarung Gottes über Jahrtausende hinweg können wir wahrnehmen, dass die Existenz Gottes wesentlich in einem „In-Beziehung-Sein“ besteht, einem „In-Beziehung-Sein“, das wir mit den Mitteln der menschlichen Sprache (freilich völlig unzureichend, aber wir haben keine Alternative) mit dem Begriff „Liebe“ umschreiben.
In der Bibel klingt das so: 1. Joh 4, 7-8: Ihr Lieben, lasst uns einander liebhaben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe. Das also (das, was hier mit dem Begriff „Liebe” umschrieben wird), das ist es, was das Gott-Sein Gottes ausmacht, sie ist sein eigentliches „Wesen”, seine „Substanz”, seine „Identität”.
„Gott – ist – Liebe“. Damit ist alles Wesentliche über den Gott der Bibel ausgesagt: Sein Wesen ist ein „Für-den-andern-da-sein“ in voraussetzungsloser Annahme, uneingeschränkter Zuwendung, unerschütterlicher Treue und opferbereiter Hingabe. Und diese Liebe, die das Gott-Sein Gottes ausmacht, die soll nun als sein „Ebenbild” auch das Mensch-Sein des Menschen bestimmen. Das, was das Menschsein des Menschen ausmacht, ist die Fähigkeit zu lieben. Zu lieben aus bewusster Hingabe an ein Du. Zu lieben, auch wenn es für das eigene Ich Nachteile einbringt.
Die Liebe, die sich bewusst an ein Gegenüber hingibt, die nicht sich selbst erhöhen, sondern dem andern zur Erfüllung seines Menschseins und zur Freude am Dasein helfen will, die sich aus freiem Willen für eine Gemeinschaft engagiert und die sich selbst unter Zurückstellung der eigenen Wünsche und Vorteile für das Gefährdete und Verlorene einsetzen kann, das ist das Göttliche, das sich im Menschsein widerspiegeln soll als sein Ebenbild und das durch den Menschen in der Schöpfung gegenwärtig und wirksam sein soll. Diese Liebe soll zur Überwindung des universalen Ego-Prinzips der Evolution werden im Miteinander der Menschen. Sie ist das Gegenmodell zum „Kampf ums Dasein” und zum Prinzip vom „Fressen und Gefressen-werden”, die sonst alles Leben beherrschen.
3.2 Gemeinschaft der Liebe
Der Mensch ist frei, sein Weltbild und Selbstverständnis selbst zu entwerfen (und wenn er sich dabei nicht an den Realitäten seiner realen Umwelt orientiert, wird er wohl Schiffbruch erleiden, siehe das Thema „Wahrheit und Wirklichkeit“). Ja, aber er hat eine Berufung, die durch keinen Selbstentwurf erreicht werden kann! Ein wesentlicher Aspekt dieser Berufung liegt in seiner Zweigeschlechtlichkeit männlich-und-weiblich, denn die entspricht in ihrer Liebesfähigkeit und in ihrer Schöpfungspotenz dem Urbild des Menschseins, nämlich Gott selbst. Aber nicht jede Zweigeschlechtlichkeit ist in sich schon Abbild Gottes (etwa die Zweigeschlechtlichkeit der Blüten am Apfelbaum). Nur eine Zueinandergehörigkeit von Menschen, welche die Liebe Gottes zum „Vor-Bild“ hat, kann zum „Ab-Bild“ des Schöpfers werden. Das gilt (trotz aller menschlichen Fehler und Schwächen) grundsätzlich für jedes menschliche Miteinander, aber an der Liebe zwischen Mann und Frau soll das am deutlichsten erkennbar werden.
Das heißt, das Menschsein hat schon seine Bedeutung, noch ehe Menschen anfangen können, ihre eigene Existenz zu deuten. Und die alltägliche Konkretion dieser Bedeutung ist wesentlich mitbestimmt durch das Spannungsfeld der „Zweiheit“ männlich-und-weiblich. Da wo eine Zweiheit von Mann und Frau zur Einheit einer Liebesgemeinschaft wird, die selbstverständlich die Sexualität mit einschließt, die aber auch offen ist, sich von der Liebe Gottes „inspirieren“ zu lassen, da ist sie Ebenbild Gottes, trotz aller Unvollkommenheit menschlicher Existenz. Oder allgemeiner: Da wo eine Gemeinschaft von Menschen (groß oder klein oder wie auch immer gestaltet) so lebt, dass die gottgewollte Liebe in ihr (trotz aller menschlichen Unzulänglichkeit und Fehlerhaftigkeit) zum wesentlichen Merkmal ihres Miteinanders wird, da wird sie zur anschaubaren Vergegenwärtigung des Göttlichen in dieser scheinbar gottlosen Welt.
Der Mensch muss sich und seine „Welt“ nicht selbst „konstruieren“; er muss seine geschlechtliche Identität nicht selbst erfinden. Wir brauchen keine Philosophie, die unseren Egoismus aufbläht: „ICH, ICH bin der Schöpfer meiner eigenen Welt!“ Wir brauchen keine Gender-Ideologie, die unseren Egoismus anheizt: „ICH, ICH will und kann mein eigenes Geschlecht und meine sexuelle Identität selbst bestimmen!“ Wir brauchen die Liebe Gottes als Vorbild für unser Menschsein, damit es (in aller Vorläufigkeit und Unvollkommenheit) zum Ebenbild seiner Liebe wird und das Menschsein nicht an seinen eigenen Egoismen zugrunde geht. Nur so könnte unsere Erde zu einem Ort des Friedens werden und menschliche Gemeinschaft zum Anschauungsobjekt für ein gottgewolltes und menschenwürdiges Miteinander und Füreinander.
Das Gender-Konstrukt (Version 2016-5)
herausgegeben im Selbstverlag, alle Rechte sind beim Verfasser. Vervielfältigung, auch auszugsweise, Übersetzung, Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen nur mit schriftlicher Genehmigung des Verfassers
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