Bereich: C Kontroverse Diskussion

Thema: Das Gender-Konstrukt

Beitrag 3: Urbild und Abbild (Bodo Fiebig24. Oktober 2018)

Wir Menschen sind, wie alle Lebewesen, darauf angewiesen, die Realitäten unserer Umwelt wahrzunehmen und damit zu leben. Soweit es sich aber um soziale, d. h. von Menschen, Gruppen und Völkern im Laufe ihrer Geschichte selbst entwickelte Realitäten handelt (Regeln, Gesetze, soziale Rangordnungen …), sind Menschen immer aufgefordert, sie weiterzuentwickeln und dabei ungerechte Strukturen aufzubrechen.

Aber (so notwendig das ist), damit haben wir wesentliche Aspekte des Menschseins noch nicht im Blick. Das Menschsein geht weit über die Möglichkeiten allen sonstigen Lebens hinaus: Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das die Möglichkeit hat, seine Umwelterfahrungen und seine eigene Existenz, sein Weltverständnis und sein Selbstverständnis (siehe Beitrag 2) in einen umfassenden Bedeutungszusammenhang zu stellen, d.h. ihnen eine Sinnperspektive zu geben (oder eine zu empfangen). Wer bin ich? Staubkorn im Universum oder Mittelpunkt der Welt? Ein intelligentes Säugetier oder Krone der Schöpfung? Ebenbild Gottes oder Bestie in Menschengestalt? Oder doch nur Zufallsprodukt der Evolution? Wie sehe ich den Sinn und das Ziel des Menschseins in der Zeit und wo stehe ich jetzt in dieser „Sinn-Geschichte“?

Welches (allgemeine) Weltbild bestimmt unser (persönliches) Welt-Verständnis? Welches (allgemeine) Menschen-Bild bestimmt unser (persönliches) Selbst-Verständnis? Solche persönlichen Welt-Verständnisse und dahein eingebettete Selbst-Verständnisse sind keine intellektuelle Spielerei, sondern Lebens- und Motivationskräfte mit ungeheurer Wirkung (aufbauender oder zerstörender). Unser Welt- und Selbstverständnis bildet (ob wir das wissen und wollen oder nicht) den Handlungsrahmen für unsere jeweilge Gegenwart. Das soll jetzt am Beispiel des biblischen Menschenbildes dargestellt werden.

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1 Das biblische Menschen-Bild

Die Bibel, einer ältesten und in ihrer Wirkungsgeschichte bedeutendsten Text-Sammlungen der Menschheit, ist in der Lage, den Menschen eine positive „Sinn-Persprektive“ für ihr Mensch-Sein nahe zu bringen. Allerdings auf unerwartete Weise. Sie sagt: Materiell gesehen ist der Mensch gar nichts Besonderes. „Staub vom Erdboden” ist er, heißt es da (1. Mose 2, 7) in überraschender Nüchternheit. Und das stimmt ja auch: Die Atome, aus denen ein menschlicher Körper besteht, sind die gleichen, wie bei der Erde auf dem Feld oder beim Staub auf der Straße. Auch biologisch gesehen ist der Mensch nichts Besonderes. Biologisch funktioniert er genau so wie jedes andere Lebewesen auch. Und genetisch ist er den Säugetieren, einem Hund oder einer Maus, ganz eng verwandt. Das Besondere des Mensch-Seins liegt nicht in seiner Materie und nicht in seiner Biologie. Worin aber dann? Was macht denn dann das Mensch-Sein des Menschen aus?

Die Bibel, sagt: Das Besondere am Menschen liegt nicht in seiner Materie und nicht in seiner Biologie, sondern in seiner Berufung, liegt in dem, was er sein kann und werden soll (siehe das Thema „sein und sollen“). Jedes Tier erfüllt den Sinn seines Daseins allein schon durch sein Da-Sein als Mit-Geschöpf im Beziehungsgefüge des Lebens. Es kann seinen Lebenssinn nicht verfehlen. Der Mensch aber hat die Erfüllung seines Lebenssinns als Aufgabe bekommen, die er erfüllen oder auch versäumen kann. Er ist das einzige Lebewesen, das den Sinn seines Daseins nicht in sich selbst hat, sondern ihn suchen und finden und als Berufung annehmen muss. Aber was ist das für eine Berufung? Da müssen wir nicht lange suchen. Das steht schon auf der ersten Seite der Bibel: 1.Mose 1, 26-27 (wörtliche Übersetzung): Und (es) sprach Gott: Machen wollen wir Menschen in unserem Bild, gemäß unserer Gleichheit. (…) Und Gott schuf den Menschen in seinem Bild, im Bilde Gottes schuf er ihn; männlich und weiblich erschuf er sie.

Das ist zunächst überraschend: Die Schöpfung „Mensch“ soll „Bild“ sein, Ikone – Ikone Gottes, das heißt: sichtbare Darstellung des Schöpfers in der Schöpfung, anschaubare Vergegenwärtigung Gottes mitten in einer scheinbar gottlosen Welt. Und das gilt grundsätzlich für jeden Menschen. Dabei ist aber der Mensch keine optische Abbildung Gottes, als wäre Gott ein Wesen mit menschenähnlicher Gestalt, mit Armen und Beinen, mit Augen, Mund und Nase… (dann wäre ja Gott ein Abbild des Menschen, und so haben sich Menschen zu allen Zeiten ihre Götter vorzustellen versucht, sehen wir uns doch die Götter-Bilder der Religionen an). Nein, der Mensch ist keine optische Abbildung Gottes sondern eine wesentliche. Durch das Menschsein soll das Wesen Gottes in der Schöpfung anwesend sein.

Aber, wer ist Gott, was ist denn sein eigentliches Wesen? Und wozu hat er uns geschaffen und was erwartet er von uns? Die Antworten auf solche Fragen sind von uns aus nicht zugänglich. Wir können mit den Mitteln menschlicher Erkenntnisfähigkeit nur so viel von Gott erfassen und mit den Mitteln menschlichen Sprache nur so viel von Gott aussagen, als er selbst sich uns offenbart.

Und Gott hat sich offenbart: In der Schöpfung, in der Geschichte Israels, im Leben, Reden und Handeln Jesu, auch in der Geschichte des Judentums und der Christenheit der vergangenen 2000 Jahre und in der Weltgeschichte und Heilsgeschichte bis heute. Und in dieser Selbstoffenbarung Gottes über Jahrtausende hinweg können wir wahrnehmen, dass die Existenz Gottes wesentlich in einem „In-Beziehung-Sein“ besteht, einem „In-Beziehung-Sein“, das wir mit den Mitteln der menschlichen Sprache (freilich völlig unzureichend, aber wir haben keine Alternative) mit dem Begriff „Liebe“ umschreiben.

In der Bibel klingt das so: 1. Joh 4, 7-8: Ihr Lieben, lasst uns einander liebhaben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist Liebe. Das also (das, was hier mit dem Begriff „Liebe” umschrieben wird), das ist es, was das Gott-Sein Gottes ausmacht, sie ist sein eigentliches „Wesen”, seine „Substanz”, seine „Person“, seine „Identität” (siehe dazu auch die Themen „Die Frage nach dem „Sinn“ im Bereich „Grundfragen des Lebens“).

„Gott – ist – Liebe“. Damit ist alles Wesentliche über den Gott der Bibel ausgesagt: Sein Wesen ist ein „Für-den-andern-da-sein“ in voraussetzungsloser Annahme, uneingeschränkter Zuwendung, unerschütterlicher Treue und opferbereiter Hingabe. Und diese Liebe, die das Gott-Sein Gottes ausmacht, die soll nun als sein „Ebenbild” auch das Mensch-Sein des Menschen bestimmen. Das, was das Menschsein des Menschen ausmacht, ist die Fähigkeit zu lieben. Zu lieben aus bewusster Hingabe an ein Du. Zu lieben, auch wenn es für das eigene Ich Nachteile einbringt.

Die Liebe, die sich bewusst an ein Gegenüber hingibt, die nicht sich selbst erhöhen, sondern dem andern zur Erfüllung seines Menschseins und zur Freude am Dasein helfen will, die sich aus freiem Willen für eine Gemeinschaft engagiert und die sich selbst unter Zurückstellung der eigenen Wünsche und Vorteile für das Gefährdete und Verlorene einsetzen kann, das ist das Göttliche, das sich im Menschsein widerspiegeln soll als sein Ebenbild und das durch den Menschen in der Schöpfung gegenwärtig und wirksam sein soll. Und diese Liebe soll auch zur Überwindung des universalen Ego-Prinzips der Evolution werden im Miteinander der Menschen: Sie ist das Gegenmodell zum „Kampf ums Dasein” und zum Prinzip vom „Fressen und Gefressen-werden”, die sonst alles Leben beherrschen.

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2 Gemeinschaft der Liebe

Der Mensch ist frei, sein Weltbild und Selbstverständnis selbst zu entwerfen (siehe Beitrag 2) und wenn er sich dabei nicht an den Realitäten seiner realen Umwelt orientiert, wird er wohl Schiffbruch erleiden. Ja, aber er hat eine Berufung, die durch keinen Selbstentwurf erreicht werden kann! Ein wesentlicher Aspekt dieser Berufung liegt in seiner Zweigeschlechtlichkeit männlich-und-weiblich, denn die entspricht in ihrer Liebes­fähigkeit und in ihrer Schöpfungspotenz dem Urbild des Menschseins, nämlich Gott selbst. Aber nicht jede Zweigeschlechtlichkeit ist in sich schon Abbild Gottes (etwa die Zweigeschlechtlichkeit der Blüten am Apfelbaum oder von Mäusen oder Elefanten). Nur eine Zueinandergehörigkeit von Menschen, welche die Liebe Gottes zum „Vor-Bild“ hat, kann zum „Ab-Bild“ des Schöpfers werden. Das gilt (trotz aller menschlichen Fehler und Schwächen) grundsätzlich für jedes menschliche Miteinander, aber an der Liebe zwischen Mann und Frau soll das am deutlichsten erkennbar werden. Wenn sie in einer dauerhaften Gemeinschaft miteinander leben, kann ihr Miteinander in Liebe und Treue einen Schutzraum und einen Lebensraum bieten, in dem Kinder zu fröhlichen und verantwortungsvollen Menschen heranwachsen können und so wird ihre Gemeinschaft (trotz aller menschlichen Unzulänglichkeiten) wahrhaftig, echt und gültig „Ebenbild Gottes“.

Aber nicht nur das: Jede menschliche Gemeinschaft und die Gemeinschaft des Menschseins als Ganzes soll nach dem Willen des Schöpfers ein „Ebenbild“ seiner Liebe werden. Wenn man die Menschen anschaut, wie sie miteinander leben, wie sie miteinander umgehen und wie sie einander Gutes tun, dann soll man wenigstens eine ungefähre Ahnung bekommen: So ist Gott. (Und wenn wir sehen, wie Menschen machmal mit ihresgleichen umgehen und was sie einander antun auf den Schlachfeldern und in den Folterkellern dieser Erde und oft auch hinter den glatten Fassaden unsere Häuser mit Gewalt an Frauen und Kindern, dann erkennen wir mit Schrecken, wie weit wir entfernt sind von der eigentlichen Berufung unseres Menschseins.)

Das heißt, das Menschsein hat schon seine Bedeutung, noch ehe Menschen anfangen können, eine Deutung ihrer eigene Existenz zu entwickeln. Und die alltägliche Konkretion dieser Bedeutung ist wesentlich mitbestimmt durch das Spannungsfeld der „Zweiheit“ männlich-und-weiblich. Da wo eine Zweiheit von Mann und Frau zur Einheit einer Liebesgemeinschaft wird, die selbstverständlich die Sexualität mit einschließt, die aber auch offen ist, sich von der Liebe Gottes „inspirieren“ zu lassen zu einer alle Lebensbereiche umfassenden Liebesfähigkeit, da ist diese Liebesgemeinschaft „Ebenbild Gottes“, trotz aller Unvollkommenheit menschlicher Existenz. Oder allgemeiner: Da wo eine Gemeinschaft von Menschen (klein oder groß und unabhängig von Geschlecht, Sozialstatus, ethnischer Herkunft, kultureller Zugehörigkeit usw.) so lebt, dass die gottgewollte Liebe in ihr (trotz aller menschlichen Unzulänglichkeit und Fehlerhaftigkeit) zum wesentlichen Merkmal ihres Miteinanders wird, da wird ihr gemeinsames Leben zur anschaubaren Vergegenwärtigung des Göttlichen in dieser scheinbar gottlosen Welt.

Der Mensch muss sich und seine „Welt“ nicht selbst „konstruieren“; er muss seine geschlechtliche Identität nicht selbst erfinden. Wir brauchen keine Philosophie, die unseren Egoismus aufbläht: „ICH, ICH bin der Schöpfer meiner eigenen Welt!“ Wir brauchen keine Gender-Ideologie, die unseren Egoismus anheizt: „ICH, ICH will und kann mein eigenes Geschlecht und meine sexuelle Identität selbst bestimmen!“ Wir brauchen die Liebe Gottes als Vorbild für unser Menschsein, damit es (in aller Vorläufigkeit und Unvollkommenheit) zum Ebenbild seiner Liebe wird und das Menschsein nicht an seinen eigenen Egoismen zugrunde geht. Nur so könnte unsere Erde (wenigstens an einigen Stellen) zu einem Ort des Friedens werden und menschliche Gemeinschaft zum Anschauungsobjekt für ein gottgewolltes und menschenwürdiges Miteinander und Füreinander.

Aber genau das ist heute angefochten und in Frage gestellt wie nie. Das Verhältnis der Geschlechter ist zur Problem-Frage geworden.

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3 Mann und Frau

Wenn es um das Verhältnis der Geschlechter zueinander geht, muss man unterscheiden zwischen geschlechtlicher Zuordnung und sexueller Orientierung. Das sind zwei ganz verschiedene Fragestellungen.

a) Geschlechtliche Zuordung

Es gibt in der Biologie (z. B. bei höher entwickelten Arten der Tier- und Pflanzenwelt, nicht z. B. bei Bakterien und Viren) nur zwei Geschlechter: Männlich und weiblich. Das ist ein durchgehendes Schöpfungsprinzip und das gilt selbstverständlich auch für die Menschen.

Allerdings kann es bei höher entwickelten Lebewesen vorkommen, dass die Zuordnung eines Individuums zu einem der beiden Geschlechter zeitweise unbestimmt ist oder auch dauerhaft unbestimmt bleibt. Und das kann es auch bei Menschen geben. Dass es bei Tieren und auch bei Menschen vorkommen kann, dass bei der Geburt eines „Kindes“ die Geschlechtsorgane nicht eindeutig ausgebildet sind, ist eine Realität, auch wenn solche Fälle verhältnismäßig selten vorkommen. Solche zeitweise oder dauerhafte Unbestimmtheit ist kein „drittes Geschlecht“, sondern ein „nicht-eindeutig-festgelegt-Sein“, das genetisch bedingt sein kann und das von der Allgemeinheit als gleichwertige und gleichberechtigte Lebensform anerkannt werden muss.

Wenn das bei Menschen der Fall ist, muss man mit Behutsamkeit und Zurückhaltung abwarten, bis der junge Mensch selbst in der Lage ist, eine persönlich begründete Entscheidung zu treffen, ob der sich dem männlichen oder dem weiblichen Geschlecht zuordnen will oder ob er/sie die geschlechtliche Unentschiedenheit beibehalten will. Dabei kann die betroffene Person fachliche (medizinische, psychologische …) Hilfe in Anspruch nehmen. Aus der Art dieser Entscheidung darf der betreffenden Person in der Öffentlichkeit kein Nachteil entstehen. 

Unerträglich und jeder Menschenwürde zuwiderlaufend ist es aber, wenn Gender-Ideologen die ungeklärte und oft belastete Situation dieser Menschen ausnutzen, um (mit der angeblichen Fürsorge für sie) nur ihre eigene Ideologie durchzudrücken, welche sagt, dass es eben überhaupt keine eindeutige und bleibende Geschlechterzuordnung geben kann und die Bipolarität von Mann und Frau schon selbst eine Diskriminierung darstellt.

Dabei muss man einen Unterschied wahrnehmen: Die gegenseitige geschlechtliche Zuordnung von männlich und weiblich ist von der Natur vorgegeben. Die Institution der Ehe nicht. Sie ist eine kulturbedingte gesellschaftliche Vereinbarung. In den meisten Kulturen gilt heute: Eine auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft einer Frau mit einem Mann kann auf Wunsch beider öffentlich als „Ehe“ anerkannt werden und die steht dann unter dem Schutz der Allgemeinheit und hat (vor allem wenn sie als Familie zum Lebens- und Entwicklungsraum für Kinder wird) ein Recht auf besonderen Förderung durch die Allgemeinheit. Diese kulturbedingte Vereinbarung bezieht sich im Hintergrund (bewusst oder unbewusst) auf die Schöpfungsrealität der Zweigeschlechtlichkeit und auf die Berufung und Segnung der Mann-Frau-Beziehung als „Ebenbild Gottes“ (siehe oben).

b) Sexuelle Orientierung

Die „sexuelle Orientierung“ eines Menschen ist im Gegensatz zur „geschlechtlichen Zuordnung“ keine von der Natur (genetisch) vorgegebene Gegebenheit, sondern eine entwicklungsbedingte und von Erfahrungen beeinflusste Zu-Neigung oder Ab-Neigung bezogen auf Erotik und Sexualität (Freundschaften oder Interessengemeinschaften usw. sind normalerweise von der sexuellen Orientierung unabhängig, auch wenn sie emotional starke Bindungen enthalten können). Der Begriff „sexuelle Orientierung“ benennt die bevorzugte Ausrichtung eines Menschen hinsichtlich der sexuellen Partnerwahl. Die ist in der Kindheit noch spielerisch offen und veränderlich. Erst in der Pubertät festigt sich bei den meisten Jugendlichen die sexuelle Orientierung in Richtung auf das jeweils andere Geschlecht. Durch verschiedene innere und äußere Einflüsse kann es aber sein, dass diese Orientierung zeitweise oder dauerhaft nicht gelingt. Ob sie gelingt, haben die betroffenen Personen oft gar nicht selbst zu verantworten, weil entscheidende Prägungen meist in der frühen Kindheit geschehen oder durch Umstände und Vorgänge beeinflusst werden, die die gar nicht in ihrer Entscheidung liegen, sondern von außen (z. B. durch Gewalt-Erfahrungen) auf sie zukommen.

Auch später, also nach Ende der Pubertät, sind Veränderungen in der sexuellen Orientierung noch möglich. Das oft gebrauchte Argument, homosexuelle Orientierung sei eine unveränderliche „Schöpfungsvariante“, hat sich als falsch erwiesen (siehe z. B. in der Zeitschrift „Spektrum der Wissenschaft“ vom 30.8.21, dort wird eine Veröffentlichung in der Fachzeitschrift „Scientific Reports“ zitiert mit dem Titel: „Heterosexualität: Das Selbstbild kann sich ändern“.) Offensichtlich gibt es zwischen eindeutiger Heterosexualität oder Homosexualität viele Varianten, in denen Anteile beider Orientierungen vorhanden, aber verschieden stark ausgeprägt sind. Und diese Anteile sind offenbar auch im Erwachsenen-Alter noch veränderbar.

Wenn ein Staat homosexuelle Beziehungen den heterosexuellen rechtlich weitgehend gleichstellt, dann muss er auch gleichgeschlechtlichen Partnerschaften (wie die heterosexuelle Ehe) unter den Schutz der Allgemeinheit stellen, nicht aber (im Gegensatz zur Ehe von Mann und Frau) unter eine besonderen Förderung durch die Allgemeinheit. Das ist gut begründet: Jedes Menschenleben muss unter dem Schutz der Allgemeinheit (z. B. des Staates) stehen, wer sich aber für eine homosexuelle Partnerschaft entscheidet, wählt bewusst eine Lebensform, in der Kinder nicht von diesen beiden Partnern gezeugt und ausgetragen werden können. Sie brauchen daher nicht den besonderen Schutz wie eine Familie. Wenn es aber die Gesetze eines Staates erlauben, dass aus einer homosexuellen Gemeinschaft (in welcher Weise auch immer) eine Familie wird, in der Kinder zwar nicht gezeugt oder geboren werden, aber doch (z. B. durch Adoption) aufwachsen können, so steht ihr von staatlicher Seite die gleiche Förderung zu wie jeder anderen Familie auch.

Wir müssen also unterscheiden zwischen den Rechtsbestimmungen in staatlich organisierten Gesellschaften und einem biblisch begründeten individuellen und kollektiven Menschenbild. Und die Kirchen sollten sich hüten, ihr Menschenbild auf ein bestimmtes Modell sexuellen Verhaltens reduzieren zu lassen. Ihr Menschenbild ist unendlich weiter und größer.

Gegenwärtig gibt es heftige Auseinandersetzungen über der Frage, ob christliche Kirchen homosexuelle Verbindungen in gleicher Weise segnen können wie die Ehe von Mann und Frau. Darauf soll im folgenden Abschnitt näher eingegangen werden: „Der Segen“

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4 Der Segen

Das ist die Ur-Form des Segens in der Bibel: Der sogenannte „Aaronitische Segen“. Gott selbst redet hier Menschen an (Aaron und seine Söhne) und fordert sie auf, dass sie anderen Menschen den Segen Gottes zusprechen. „So sollt ihr sagen …: Der Herr* segne dich und behüte dich; der Herr lassen sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der Herr hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden. (4. Mose 6, 24-27) Also: Gott ist der Segnende, immer, ausnahmslos. Aaron soll nicht sagen „Ich segne dich“, das wäre falsch und anmaßend. Er soll sagen: „Der Herr segne dich…“ Menschen sind (wie hier Aaron und seine Söhne) aufgefordert, anderen Menschen diesen göttlichen Segen zuzusprechen. Und dann will Gott selbst diesen Segen zur Auswirkung bringen, indem er die Gesegneten behütet, ihnen gnädig ist, ihnen nahe ist und auf sie achtet mit leuchtendem Angesicht, ihnen Frieden gibt …, in vielerlei Weisen und Erfahrungen.

*Die Redeform „der Herr“ ist in deutschen Übersetzungen ein Ersatz für den im Urtext stehenden Gottesnamen „JHWH

Und wer ist an dieser Stelle der oder die Angesprochene; wer soll da gesegnet werden? Ich kann die Namen der Gesegneten nicht sagen, denn angesprochen und gesegnet wird hier ein ganzes Volk, das Volk Israel, mit allen die dazugehören, ohne Ausnahme. Und das, obwohl ja Gott, als er Aaron diesen Auftrag gibt, sehr wohl bewusst ist, dass es in diesem Volk auch Menschen gibt, die Dinge tun, die nicht seinem Willen entsprechen (er spricht das ja an vielen Stellen selbst an). Trotzdem: Die Gabe des göttlichen Segens gilt allen; ob alle diese Gabe annehmen, das ist eine andere Frage. Menschen können den Segen Gottes auch bewusst ablehnen. Und dann wird er in ihrem Leben und Erleben auch nicht zur Auswirkung kommen. Gott wird ganz gewiss seinen Segen niemandem aufzwingen. Aber er selbst lässt sich auch nicht zwingen, etwas zu segnen, das er nicht segnen will. Beide sind frei: Gott, der Segnende und wir, die Gesegneten. Segnen ist keine Zwangshandlung.
Eines aber ist klar: Die Gesegneten sind immer Menschen (Einzelne oder Gemeinschaften), nicht deren Ideen, Pläne, Vorhaben, Wünsche, Verhältnisse, Werke usw. Die Gesegneten sind immer Menschen, Menschen, die Gott (wie im aaronitischen Segen) mit „Du“ anredet.
Das haben Christen nicht immer bewusst vor Augen: Gott segnet z. B. keine Kirchen (oder sonst irgendwelche Gebäude) aber wir (also Menschen, die etwas wissen von der menschenfreundlichen Kraft des göttlichen Segens) sollen den Menschen, die in diesen Gebäuden beten (Kirche) oder wohnen (Haus) oder arbeiten (Fabrik) oder lernen (Schule) oder ihren Lebens-Abend verbringen (Altersheim) usw. den Segen Gottes zusprechen: Der Herr segne dich … Gebäude können nicht gesegnet werden, weil die den Segen ja gar nicht bewusst annehmen könnten – oder ablehnen. Und wenn z. B in 5. Mose 28 steht: Gesegnet wird sein (…) der Ertrag deines Ackers (…) Gesegnet wird sein dein Korb und dein Backtrog.“, dann ist ja nicht gemeint, dass Körbe und Tröge von Gott gesegnet werden, sondern dass die Besitzer der Körbe oder Tröge als Gesegnete erkennbar werden durch die Fülle der Gaben in ihnen.
Gott segnet auch keine Ämter, Titel und Ansprüche von Menschen, oder deren Besitz, deren gesellschaftliche Position usw. und schon gar nicht das Geld der Reichen, die Macht der Herrschenden und die Kriege der Eroberer … Aber er will (z. B.) auch die Reichen segnen, so segnen, dass ihr Reichtum zum Segen wird für die Armen. Er will die Regierenden segnen, so segnen, dass ihre Regierung zum Segen wird für die Menschen, die in ihrer Regierungszeit in ihrem Regierungsbezirk leben. Er will sogar die starken Kämpfer segnen, so segnen, dass sie zum Segen werden für die Schwachen, wenn sie für deren Recht, Freiheit und Wohlergehen kämpfen und für sie Gleichberechtigung und Anerkennung „erobern“. Dafür sollen wir für sie den Segen Gottes erbitten.
Gott segnet auch keine Ehe (und schon gar nicht die „Ehe für alle“), sondern er segnet Menschen, Menschen, die bewusst als Mann und Frau entsprechend seiner Schöpfungsordnung unter seinem Segen miteinander leben wollen, er segnet sie als Paar, und mit ihren Kindern als Familie (ach, wenn doch noch viel mehr von ihnen diesen ihnen schon zugesprochenen Segen annehmen wollten, wie gesegnet könnte ihr Leben sein. Sie sind ja nicht schon dadurch Gesegnete, dass sie als Mann und Frau zusammenleben, sondern dadurch, dass sie als Einzelne, als Paar und als Familie diesen Segen bewusst erbitten und annehmen).
Gott ist das Menschsein nicht gleichgültig. Deshalb ist ihm auch nicht jede menschliche Lebensform gleich gültig. Er hat sehr bewusst und um der Menschen willen die Liebesgemeinschaft von Frau und Mann zum „Ebenbild“ für sich selbst erwählt. Es ist ja gerade die gegenseitige Wahrnehmung und Annahme, die gegenseitige Zu-Stimmung und Zu-Neigung, das gegenseitige Miteinander und Füreinander der Verschiedenen (Mann und Frau – verschiedener geht‘s nicht), die zur sichtbaren Vergegenwärtigung seiner Liebe werden soll als sein „Ebenbild“. Homosexualität dagegen bleibt im Eigenen und wagt nicht die unbegrenzte Offenheit für das ganz andere.
Trotzdem: Gott segnet auch homosexuell empfindende Menschen oder Menschen mit unbestimmter geschlechtlicher Identität: Er segnet sie und behütet sie, er erlässt sein Angesicht leuchten über ihnen und ist ihnen gnädig, er erhebt sein Angesicht über sie und gibt ihnen Frieden. Und wir sollen ihnen diesen Segen zusprechen: „Der Herr segne dich und behüte dich; der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der Herr hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.“ Und kein Gesetz wird je verhindern können, dass durch diesen Segen (wenn sie ihn nicht ablehnen) ihre Situation, ihr Leben und ihre Liebe, sich diesem Segen entsprechend formt und erneuert. Aber: Der Homosexualität als Lebensform hat Gott (wenn wir sein Wort in der Bibel ernst nehmen) keinen Segen verheißen (was ja nicht bedeutet, dass in homosexueller Gemeinschaft lebende Menschen ewiger Verdammnis anheimfallen; Gott will jeden Menschen segnen, und wenn da alle ausgeschlossen wären, die in irgendeiner Weise gegen seinen Willen verstoßen, wer bliebe dann übrig?). Ja, Gott will Menschen segnen, aber er will keine Lebensformen segnen, von denen er weiß, dass sie den Menschen auf Dauer nicht gut tun werden. Und kein noch so hoher Kirchenfürst und keine noch so heilige Synode wird Gott jemals zwingen können, etwas zu segnen, das er nicht segnen will. Wer meint, in der Kirche einen Segens-Anspruch durchsetzen zu können, wird den Segen Gottes nicht erlangen.

Wir müssen unterscheiden: Die Ehe ist eine gesellschaftlich anerkannte und geförderte Institution der Staaten, und die Staaten haben das Recht, dafür Regeln und Gesetze zu beschließen. Sie haben auch, wenn die Mehrheit es so entscheidet, das Recht, die Institution der Ehe auch für homosexuelle Paare freizugeben (ob das eine kluge und auf Dauer „nachhaltige“ Entscheidung ist, sei dahingestellt). Aber es ist nicht sinnvoll, gesellschaftliche Institutionen mit göttlichen Verheißungen in einen Topf werfen.
Denn: Gott ist keine gesellschaftlich begründete Institution. Sein Wille kann nicht durch Mehrheitsbeschlüsse außer Kraft gesetzt werden. Seine Verheißungen stehen auch nicht unter dem Vorbehalt der Zustimmung leitender Kirchenorgane. Er will Menschen segnen, alle Menschen. Aber sein Segen ist eben mehr als eine günstigere Steuerklasse oder eine bessere Stellung im Adoptions- oder Erbschaftsrecht. Sein Segen gibt den Menschen Anteil an seiner Liebesfähigkeit. Und das gilt (wenn es angenommen wird) für alle Menschen, gleich welcher sexuellen Orientierung.
Der Liebesgemeinschaft von Mann und Frau aber gibt der Segen Gottes (wenn er angenommen wird) noch dazu Anteil an seiner Schöpfungskraft, nicht nur durch Zeugung und Geburt (das auch), sondern vor allem durch die Gestaltung eines Lebens- und Liebesraumes in der Familie, in dem sie, als Mutter und Vater, selbst zum Segen werden können für ihre Kinder (und darüber hinaus noch für viele andere).
Wir alle (alle, unabhängig von jeder sexuellen Orientierung) leben vom Segen Gottes und nur durch diesen Segen können wir auch lieben. So ist jede Liebe (nicht jede Form von Sexualität, es gibt ja auch Sexualität als Gewaltakt), aber jede gegenseitige Wahrnehmung und Annahme, jede gegenseitige Zu-Stimmung und Zu-Neigung, jedes gegenseitige Miteinander und Füreinander, das nicht nur das Eigene sucht, sondern sich auf ein Gegenüber orientiert, etwas Göttliches im Leben von Menschen. Aber die in Liebe und Treue „in guten wie in schlechten Zeiten“ bleibende und zugleich sich immer erneuernde Lebens- und Liebesgemeinschaft von Mann und Frau, die macht das Menschsein zum „Ebenbild Gottes“, deutlicher erkennbar als irgendwo sonst. 1. Mose 1, 27: „Und Gott schuf den Menschen (oder das Menschsein) zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau“. Gott macht die Liebesgemeinschaft von Mann und Frau zu einem „Bild“, an dem, mitten in dieser scheinbar gottlosen Welt, in besonderer Deutlichkeit etwas vom innersten Wesen Gottes sichtbar und anschaubar wird. (siehe das Thema „sein und sollen“ im Bereich „Grundfragen des Lebens“). Und diesem „Ebenbild Gottes“ ist von Gott ein besonderer lebenserhaltender und lebensgestaltender Segen zugesagt.

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Bodo Fiebig Urbild und Abbild Version 2021-4

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