Bereich: B Herausforderungen der Gegenwart

Thema: Natürliche und künstliche Intelligenz

Beitrag 9: Verantwortete Intelligenz 2: Ethisch verantwortete Technik (Bodo Fiebig21. Februar 2023)

Kann es in der gegenwärtigen Verfassung der Menschheit (mit den sehr verschiedenen, ja oft gegensätzlichen kulturellen, politischen, weltanschaulichen und religiösen Grundlagen ihrer grundsätzlichen Entscheidungen und ihres aktuellen Handelns) wirklich so etwas wie eine gemeinsame „Menschheits-Ethik geben? Ich möchte das zumindest nicht vorschnell ausschließen.

1 Gemeinsame ethische Grundüberzeugungen

Um ein friedliches und gerechtes Miteinander von Menschen und Gruppen zu erreichen, genügt es nicht (so notwendig das ist), Gesetze aufzustellen und ihre Anwendung durchzusetzen oder dies wenigstens zu versuchen. Wenn Gesetze nur als von außen aufgezwungene Verhaltensregeln und Verbote aufgefasst werden, so reizen sie manche Menschen geradezu, diese zu umgehen, vor allem dann, wenn man auf diese Weise für sich selbst Vorteile herausschlagen kann. Dann kann es zu einem fast schon sportlichen „Wettkampf“ kommen zwischen Ordnungskräften (der Polizei) und den Bür­gern, die kaum noch ein Unrechtsbewusstsein haben, wenn sie Gesetze übertreten, ja, die insgeheim ein wenig stolz darauf sind, es wieder mal so geschickt angestellt zu haben, dass man nicht „erwischt“ worden ist.

Gesetze allein verhindern nicht, dass Gesetzlosigkeiten geschehen und Menschenrechte allein verhindern (leider) nicht, dass Menschen Unrecht zugefügt wird. Zu einem von außen vorgegebenen Katalog von Menschenrechten muss noch eine eigene innere Einstellung kommen, eine ethische Grundüberzeugung, welche die meisten Menschen für sich selbst als verpflichtend erachten und die sie selbst, trotz aller eigenen menschlichen Begrenzungen und Schwächen, zu verwirklichen trachten. Um in einer globalen Gesellschaft im Frieden zu leben, braucht die Menschheit nicht nur von allen anerkannte Menschenrechte, sondern auch eine allen gemeinsame und selbstüberzeugte „Ethik der Mitmenschlichkeit“.

Als Voraussetzung für die Verantwortbarkeit der Entwicklung mächtiger Systeme mit künstlicher Intelligenz wäre es also unbedingt notwendig, eine Menschheits-Ethik zu entwickeln, die für Menschen in allen Wirtschaftszonen und Technikbereichen, in allen Kontinenten und Völkern, in allen Sprachen und Kulturen, auch in allen Weltanschauungen und Religionen überzeugend und annehmbar wäre.

Woher sollte aber die zerstrittene und waffenstarrende Menschheits-Gemeinschaft des 21. Jahrhunderts die Kraft nehmen, so eine gemeinsame Menschheits-Ethik zu entwickeln und anzunehmen und sie (inmitten einer im überwältigenden Tempo entstehenden und sich verändernden völlig neuen Technologie-Dimension) auch anzuwenden?

Für solche ethischen Grundentscheidungen haben die Menschen (und erst recht ihre künstlichen Maschinen und Programme) in sich selbst keine tragenden Grundlagen. In ihnen ist das mögliche Gute immer gleichzeitig mit dem möglichen Bösen gegenwärtig und wirksam.

Aber, kann es das wirklich geben: Gemeinsame ethische Grundüberzeugungen, welche Angehörigen aller Religionen ebenso wie die Vertreter religionsloser Weltanschauungen aus allen Völkern und Kulturen bejahen und und in ihrem Miteinander aktiv anwenden könnten? Dabei stellt sich an dieser Stelle für mich die Frage: Kann eine biblisch begründete Ethik zur Verantwortungs-Grundlage für weltweite technische Entwicklungen werden, die weit über die christlich-jüdisch geprägten Kulturkreise hinausgehen? Oder, anders ausgedrückt: Kann man aus der biblischen Ethik auch eine Menschheits-Ethik ableiten, die für alle Menschen grundsätzlich akzeptierbar und anwendbar wäre (vgl. z. B. das „Projekt Weltethos“ des Theologen Hans Küng)? Und könnte solch eine Ethik auch zur Grundlage für die Anwendung künstlicher Intelligenz in „verantworteten Systemen“ werden? Ich meine: ja. Im Folgenden soll das in einigen ganz einfachen Grund-Sätzen dargestellt werden.

Das Größte ist die Liebe“, diesen Satz aus dem sogenannten „Hohelied der Liebe“ der Bibel (1. Kor 13) können wohl (fast) alle Menschen unterschreiben. Die Liebe ist etwas, das alle Menschen bewegt und verbindet. Das gilt für die Liebe zwischen den Geschlechtern ebenso, wie für jede Aufgeschlossenheit und positive Zuwendung zwischen Einzelnen und Gemeinschaften, zwischen Völkern, Rassen, Kulturen, Religionen … Liebe ist die Fähigkeit und Bereitschaft, von sich und den eigenen Erfahrungen, Einsichten, Wünschen, Bedürfnissen … zeitweise wegzuschauen und sich erwartungsvoll und vertrauensvoll auf ein Gegenüber einzulassen, das anders ist als man selbst. Dass Liebe und Zuneigung richtiger sind als Egoismus und Ablehnung, dieser Grundsatz gilt in allen Weltanschauungen, Religionen und Kulturen.

Zum Grundpfeiler einer globalen „Ethik der Mitmenschlichkeit“ könnte diese Einsicht aber nur dann werden, wenn es eine grundsätzliche Übereinstimmung gäbe in der Frage, was denn mit „Liebe“ gemeint sein sollte. Der Begriff „Liebe“ ist ja einer der meistgebrauchten und meist missbrauchten Begriffe in allen Sprachen der Menschheit (siehe dazu auch das Thema „AHaBaH – das Höchste ist lieben“). Um als Grundlage für eine elementare Menschheits-Ethik zu dienen, müsste dieser Begriff drei entscheidende Elemente umfassen: Offenheit, Güte und Treue.

1a) Offenheit:

Voraussetzung für „Liebe“ im weitesten Sinne ist Aufgeschlossenheit für Andere und für deren Anders-Sein. Ohne solche grundsätzliche Aufgeschlossenheit für das von mir (von uns) Verschiedene ist menschliches Miteinander nicht möglich, denn alle Menschen sind verschieden (das ist ja das Grandiose der Schöpfung, dass jedes Menschsein eine eigene, ganz persönliche und einmalige Identität verwirklicht).

Offenheit ist das Gegenteil von individueller und kollektiver Selbstverliebtheit, Selbstbezogenheit und Selbstüberhöhung, das Gegenteil von unveränderlichen Vor-Eingenommenheiten, Vor-Festlegungen, Vor-Urteilen, das Gegenteil von Abneigung, Ablehnung und Abwertung gegenüber „den anderen“. Die Einsicht und Überzeugung, dass Offenheit und Zuwendung grundsätzlich besser ist als Verschlossenheit und Ablehnung gegenüber allem Andersartigen und Fremden, ist in jeder Weltanschauung und Religion möglich (freilich nicht überall selbstverständlich, einfach und unwidersprochen, aber doch möglich).

Diese grundsätzliche Übereinstimmung bedeutet aber nicht, dass solche Offenheit in realen Situationen auch immer praktiziert wird. Die Einsicht, dass alle Menschen verschieden sind und ihre je eigene Persönlichkeit, Lebensgeschichte und Identität haben und zugleich die feste Überzeugung, dass alle Menschen bei aller Verschiedenheit doch gleichwertig sind und gleichwertige Lebens-Erwartungen haben und gleichermaßen ein Recht auf Lebensqualität und Lebenserfüllung, diese Einsicht und Überzeugung sind leider nicht bei allen Menschen in allen Weltanschauungen, Religionen und Kulturen gleichermaßen entwickelt.

Dass jede Form von Herabwürdigung, Feindschaft und Hass gegen Andere und Andersartige falsch ist (und das meint auch die jeweils eigenen, tief verwurzelten Haltungen), das müssen die meisten Menschen erst noch mühsam lernen. Diese ethische Grundüberzeugung ist aber die Voraussetzung für positive Beziehungen zwischen Einzelnen und Gemeinschaften und muss, um der Lebensfähigkeit der globalen Gesellschaft willen, weiterentwickelt werden.

Eine globale Ethik der Mitmenschlichkeit braucht die Bereitschaft und Offenheit, persönliche, ethnische, kulturelle und religiös-weltanschauliche Verschiedenheit zuzulassen, ihr Raum zu geben und sie als bereichernde Ergänzung zum Eigenen anzuerkennen..

1 b) Güte:

Offenheit (siehe oben) öffnet einen Raum, in dem so etwas wie „Liebe“ möglich werden kann. Offene Räume können aber ganz verschieden gefüllt werden; mit Gutem oder mit Bösem. Und hier haben wir das gleiche Problem wie bei dem Begriff “Liebe“: Verschiedenen Menschen können ganz verschiedene Einstellungen, Entscheidungen und Handlungsweisen „gut“ oder „böse“ nennen.

Gemeinsame ethische Grundpolitionen sind nur dann möglich, wenn viele, ja möglichst alle Menschen die gleichen (oder zumindest vergleichbare) Einstellungen, Handlungsweisen und Entscheidungen als „gut“ oder „böse“ bezeichnen und sie versuchen, das Gute zu tun und das Böse zu meiden (siehe auch das Thema „gut und böse“). Die heute gängige und lautstark geäußerte Überzeugung, dass es so etwas wie „gut“ oder „böse“ gar nicht geben könne, weil ja alles relativ sei, und jeder Mensch sein eigenes und egoistisches Wertesystem habe, würde die Weltgemeinschaft im 21. Jahrhundert dem „Kampf ums Dasein“ und dem „Recht des Stärkeren“ ausliefern!

Es braucht also Grundaussagen über „gut“ und „böse“, die von möglichst vielen Menschen aus ganz unterschiedlichen Lebensumständen, Kulturen, Religionen und Weltanschauungen angenommen und bejaht werden können. Im Folgen versuche ich, eine solche Grundaussage zu formulieren:

Mit „gut“ können wir alle Einstellungen, Vorhaben, Äußerungen, Handlungsweisen und Ziele von Menschen bezeichnen, auch menschengemachte Strukturen und Verhältnisse, die bewusst und aus vorwiegend uneigennützigen Motiven andere Menschen erfreuen, sie schützen und befreien, sie unterstützen und fördern, ihnen wohltun und helfen wollen.

Mit „böse“ können wir alle Einstellungen, Vorhaben, Äußerungen, Handlungsweisen und Ziele von Menschen bezeichnen, auch menschengemachte Strukturen und Verhältnisse, die bewusst und aus vorwiegend egoistischen Motiven anderen Menschen schaden und wehtun, sie ihrer Freiheit und ihres Eigentums berauben, sie erniedrigen und entwürdigen, sie körperlich oder seelisch verletzen, ja zerstören wollen.

(Dass es zwischen diesen beiden Extremen ein weites Feld von Einstellungen, Vorhaben und Taten gibt, die „neutral“, d. h. weder gut noch böse sind, bleibt davon unberührt.)

Wer wollte leugnen, dass es das so bezeichnete „Böse” gibt und dass es ungeheure Auswirkungen hat im Miteinander von Menschen, vom Zusammenleben einer Familie bis zum Zusammenleben von Völkern, dass es Ursache ist von Hass und Gewalt, Streit und Krieg, von millionenfachem Hunger, Leid und Not?

Und wer, außer einem böswilligen Zyniker, wollte leugnen, dass es auch das im oben genannten Sinn gemeinte „Gute” gibt und dass ohne dieses ein friedliches Zusammenleben von Menschen gar nicht möglich wäre? Ohne Unterscheidung von gut und böse im Bezug auf menschliches Verhalten, auf Worte und Taten ebenso, wie auf Absichten und Einstellungen, ist eine lebenswerte Gemeinschaft unter Menschen nicht möglich. Dabei müssen wir beachten, dass sich die Wertungen „gut“ oder „böse“ immer nur auf Äußerungen, Verhaltensweisen und Handlungen von Menschen beziehen dürfen, ebenso  auf deren Ideen, Vorhaben und Ziele, aber niemals auf Menschen selbst. Wer sagt: „Du bist böse“ (oder „gut“) redet unzulässig. Aber es ist richtig und notwendig das Verhalten von Menschen zu werten: „Das ist gut“ oder „das ist böse“ (gut oder böse im oben beschriebenen Sinn).

Dass das Gute (in der oben angedeuteten Form) richtiger ist als das Böse, das ist Konsens in allen Weltanschauungen, Religionen und Kulturen. Freilich gehört dann auch dazu, dass der Wille, das Gute zu tun und zu fördern nicht nur auf die eigenen Angehörigen, Freunde, Gleichgesinnte, auf die Mitglieder der eigenen Volks- oder Glaubens-Gemeinschaften usw. beschränkt bleibt, sondern dass er die Beziehungen zu allen Menschen bestimmen soll. Oder biblisch gesprochen: Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung“ (Röm 13, 10) oder (3. Mose 19,18/ Mt 22,39): „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ („lieben“ ist in der Bibel nicht in erster Linie als Gefühlswallung zu verstehen, sondern als ein Verhalten und Tun, das einen anderen freuen, ihm wohltun, ihm helfen und ihn fördern kann).

Der Egoismus (als Triebfeder des „Bösen“) steckt tief in unseren Trieben und Gewohnheiten. Böses geschieht oft „von allein“, es entspricht ja weitgehend dem Prinzip vom „Kampf ums Dasein“ und dem Gesetz vom „Fressen und Gefressen-Werden“, die in der Natur (nicht durchgängig aber doch) herrschen.

Gutes aber geschieht nicht von allein, man muss es bewusst wollen und tun und fördern. Ob man dann immer alles erreicht, was man Gutes beabsichtigt, ist eine andere Frage, aber entscheidend ist der ehrliche Wille. Ein Satz von Erich Kästner fasst das kurz zusammen: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“

1 c) Treue (oder Verlässlichkeit)

Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit ist in allen Beziehungen unbedingt notwendig. Wenn ich auf der Straße gehe und mich nicht darauf verlassen kann, dass der Autofahrer, der auf mich zukommt, die Verkehrsregeln kennt und sich entsprechend verhält, oder dass ein Lkw-Fahrer, der auf eine Menschenmenge zufährt, wirklich hier nur Waren abliefern will und nicht die Absicht hat, in die Menge zu fahren und möglichst viele Menschen zu töten, dann kann ich nicht mehr ohne Furcht auf die Straße gehen.

Ähnliches gilt z. B. im Geschäftsleben. Wenn ich nicht sicher sein kann, ob meine Kunden ihre Rechnungen auch bezahlen, wie soll ich dann mein Geschäft betreiben? Oder wie sollen Staaten und Firmen international handeln, wenn geltende Verträge nicht eingehalten werden?

Oder: Wenn ich davon ausgehen müsste, dass jede Information, die ich (woher auch immer) bekomme, auch eine Lüge sein kann, dann wären meine Handlungsspielräume von größter Unsicherheit erfüllt.

Ohne eine grundlegende Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit sind Beziehungen zwischen Menschen nicht möglich. Noch viel existenzieller und unbedingt notwendig sind solche Treue und Verlässlichkeit in direkten persönlichen Beziehungen, in einer Ehe, Familie oder Partnerschaft.

Dass Treue (Wahrhaftigkeit, Vertrauenswürdigkeit und Verlässlichkeit) richtiger ist als Lüge, Untreue und Unzuverlässigkeit, das gilt in allen Weltanschauungen, Religionen und Kulturen. Es muss nur noch die Einsicht und Entschiedenheit gefestigt werden, das solche Treue gegenüber allen Menschen (nicht nur gegenüber den Angehörigen der eigenen Familie, der eigenen Gruppe oder sozialen Klasse, des eigenen Volkes, der eigenen Kultur-, Weltanschauungs- oder Religionsgemeinschaft …) richtig und notwendig ist.

So haben wir in dem Begriff der Liebe mit den Aspekten der Offenheit, der Güte und der Treue das Fundament und die tragende Säule einer möglichen globalen Ethik, die von allen Menschen aus allen Weltanschauungen, Religionen und Kulturen bejaht, anerkannt und umgesetzt werden kann.

Freilich ist damit die Frage nach gemeinsamen ethischen Grundüberzeugungen für eine globale Gesellschaft nur angerissen und sie bedarf einer weiten und detaillierten Entfaltung. Hier geht es nur darum, aufzuzeigen, dass eine solche gemeinsame kultur-, religions- und weltanschauungsübergreifendee Menschheitsethik tatsächlich möglich wäre.

2 Ethische Vorgaben für künstliche Intelligenz

Solche gemeinsamen Wertegrundlagen, die auch von nicht-christlichen, ja sogar von nicht-religiösen Menschen und Gemeinschaften als verpflichtende Ethik anerkannt werden könnten, die könnte man dann auch als Wertefundament für die Programmierung „verantworteter Systeme“ in der modernen Daten-Verarbeitungs-Technologie anwenden.

Ja, Menschen können und dürfen Systeme mit „künstlicher Intelligenz“ entwickeln und nutzen, wenn diese mit unbedingt notwendigen Kontroll- und Steuerungselementen versehen sind.

Dazu müssen bei Systemen mit „künstlicher Intelligenz“ grundsätzlich und ohne Ausnahme alle Datenvorgaben für bestimmte Vorhaben, alle Algorithmen für ihre Verarbeitung, alle Zielvorgaben für ihre Optimierung und alle immanenten ethischen Grundsätze für ihre Entscheidungsabläufe offengelegt und für alle interessierten Fachleute freigegeben sein. Unbekannte Datengrundlagen, geheime Quellcodes und unbekannte Algorithmen sind im Zeitalter künstlicher Intelligenz grundsätzlich Menschheits-gefährdend. (Die Tatsache, dass so etwas heute fast unmöglich scheint, zeigt uns, dass es in der Euphorie des Anfangs des Computer-Zeitalters versäumt wurde, solche notwendigen Vorgaben festzuschreiben, aber damals war die Brisanz der Entwicklung auch noch nicht absehbar.

Das Argument, dass ja die Betriebsgeheimnisse der IT-Firmen gewahrt werden müssten, ist nicht überzeugend. Ein Arzneimittel-Hersteller z. B. muss auf dem Beipackzettel seines Medikaments auch alle Bestandteile angeben, um möglichen Gefahren durch „Nebenwirkungen“ vorzubeugen. Als diese Vorschrift eingeführt werden sollte, wehrten sich die Arzneimttel-Hersteller heftig und mit dem genau gleichen Argument: „Wenn wir unsere Betriebsgeheimisse, vor allem die genaue Zusammensetzung unserer Arzneimittel, nicht mehr geheim halten dürfen, verlieren wir unsere Geschäftsgrundlage“. Jetzt, Jahre später, kann man sehen, dass dieses Argument nicht greift: Die entsprechenden Rezepturen sind patentrechtlich geschützt und die Arzneimittelhersteller verdienen trotz der Offenlegung ihrer „Rezepte“ gutes Geld. Künstliche Intelligenz ist aber potenziell um ein Vielfaches gefährlicher als jede möglicherweise gefährliche Arznei.)

Zum Selbstschutz der Menschheit ist es notwendig, dass die fortschreitende Selbst-Entwicklung autonomer Systeme grundsätzlich und im System selbst zeitlich begrenzt und von Menschen inhaltlich kontrollierbar sein und bleiben muss (siehe dazu den letzten Beitrag „Zeit und Ziel“). Das bedeutet, dass die Ziele der selbstlernenden, selbstoptimierenden und selbstentscheidenden Prozesse vor dem Start dieser Prozesse festgelegt und veröffentlicht und nachprüfbar an ethische Vorgaben (siehe oben den Abschnitt „Menschheits-Ethik“) gebunden sein müssen, dass bei dem Erreichen der Ziele das System selbst alle diese Prozesse beenden muss, und dass (im Umkehrschluss) keine Prozesse in Gang gesetzt werden dürfen, die nicht (ausschließlich!) auf klar definierte und offengelegte Ziele ausgerichtet und an verantwortbare Zeitlimits gebunden sind.

Dazu ist es auch notwendig, dass die Verantwortung für die Folgen der Entwicklung autonomer Systeme auch im juristischen Sinn immer bei den Menschen bleibt, welche sie in Auftrag gegeben, sie entwickelt und in Gang gesetzt haben und nicht an die Systeme selbst oder an anonyme Institutionen oder Prinzipien abgegeben werden darf.

Künstliche Intelligenz als Erweiterung und Unterstützung menschlicher Möglichkeiten bietet große Chancen z. B. auf dem Gebiet völkerverbindender Kommunikation, bei ressourcenschonender Produktion und klimaneutralem Verkehr, bei der Entwicklung medizinischer Diagnostik und Therapie usw., usw., aber nur dann, wenn sie von Menschen jederzeit ethisch verantwortet und technisch gesteuert werden kann.

Ich wiederhole es hier: Die Grundsätze, das Leben und den Frieden zu schützen und zu fördern im Gesamtsystem des Lebens auf dieser Erde, sind unter allen Religionen der Menschheit und auch für Atheisten naheliegend und zustimmungsfähig. Sie könnten also auch von der Menschheitsgesellschaft im Bezug auf technische Systeme festgelegt und durchgesetzt werden.

Daraus ergeben sich Grundsätze für die Programmierung autonomer (selbst-lernender, selbst-optimierender, selbst-entscheidender) Systeme, damit sie zu „verantworteten Systemen“ werden können:

a) Die grundlegenden Algorithmen autonomer Systeme müssen so angelegt sein, dass die daraus entstehenden Prozesse und deren Ergebnisse darauf ausgerichtet sind und dazu beitragen, das Leben zu fördern. Das bedeutet im Umkehrschluss: Von datenverarbeitenden Systemen durchgeführte und gesteuerte Lernprozesse, Optimierungsvorgänge und Entscheidungsabläufe, die dazu führen könnten, dass das Leben von Menschen (aber auch das Leben in den lebenswichtigen Naturkreisläufen der Erde) gefährdet oder in Frage gestellt wird, müssen im System selbst durch entsprechende Programmierung einer übergeordneten Kontrollfunktion (siehe den übernächsten Absatz), der alle internen Prozesse unterworfen sind, unmöglich gemacht werden.

Die verwendete Datenbasis und die grundlegenden Algorithmen autonomer Systeme müssen so angelegt sein, dass die daraus entstehenden Prozesse und deren Ergebnisse darauf ausgerichtet sind und dazu beitragen, den Frieden unter den Menschen (und das Zusammenleben der Menschen in der Gemeinschaft aller Lebensformen auf der Erde) zu fördern. Das bedeutet im Umkehrschluss: Lernprozesse, Optimierungsvorgänge und Entscheidungen, die dazu führten könnten, dass bestimmte Menschen entwürdigt, entrechtet, unterdrückt, ausgegrenzt, benachteiligt, verletzt, getötet … werden und dass das Zusammen-Leben auf dieser Erde insgesamt beeinträchtigt und bedroht wird, müssen im System selbst (durch entsprechende Programmierung einer übergeordneten Kontrollfunktion, der alle internen Prozesse unterworfen sind) unmöglich gemacht werden.

Gemeint ist hier mit dem Begriff „Kontrollfunktion“ eine Programmierung auf zwei „Ebenen“: Eine erste Ebene, auf der wie gewohnt die Abläufe und Vorgehensweisen der Lern-, Optimierungs- und Entscheidungs-Vorgänge programmiert werden und eine zweite übergeordnete Ebene, in der ethische Grundentscheidungen festgelegt sind, die alle Vorgänge auf der unteren Ebene steuern und begrenzen (ähnlich wie bei Anwendungsprogrammen, die nur unter einem bestimmten übergeordneten technischen „Betriebssystem“ laufen).

Technische Systeme mit „künstlicher Intelligenz“ brauchen zwingend ein „ethisches Betriebssystem“. Das „ethische Betriebssystem“ für den Betrieb von Systemen mit „künstlicher Intelligenz“ muss so angelegt sein, dass Programme, die mit diesem Betriebssystem laufen, darauf ausgerichtet sind, dem „Leben“ und dem „Zusammenleben“ (zwischen den Menschen und in der Lebensgemeinschaft der Biosphäre der Erde) zu dienen und Anwendungen unmöglich zu machen, die dem Leben und Zusammenleben auf der Erde schaden könnten. Die Programmierung dieser Ethik-Ebene sollte auch nicht einzelnen Unternehmen usw. überlassen sein, sondern von einer demokratisch legitimierten und überprüfbaren, aber an keine Vorgaben irgendwelcher „Mächtigen“ gebundenen Institution geleistet werden. Wobei dann die einzelnen Unternehmen, Institutionen usw. verpflichtet wären, ihre eigenen Programme nur unter dieser Ethik-Ebene anwendbar zu machen.

Allerdings: Ethische Grundsätze (oben angesprochen mit den Begriffen Offenheit, Güte und Treue) sind nicht einfach so „da“. Sie entstehen auch nicht evolutionär in der Menschheitsgeschichte (Evolution ist begründet im „Kampf ums Dasein“; deshalb kann sie niemals (niemals!) eine „Ethik der Mitmenschlichkeit“ begründen). Die Menschheit kann sich nicht, wie einstmals der „Lügenbaron“ Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf selbstzerstörerischer Triebe herausziehen. Sie braucht einen „Zuspruch“ von außen, um zu erkennen, dass ein umfassendes Miteinander und Füreinander des Menschseins grundsätzlich möglich ist.

Dieser „Zuspruch von außen“ kommt für mich aus der biblischen Offenbarung von einem Schöpfer-Gott, der sein „Ich-bin“ (und das ist seine Liebe) den Menschen zum Lebens-Element und Lebens-Raum anbietet (wobei nicht übergangen werden darf, dass ja auch andere Religionen zur Mitmenschlichkeit in der Menschheitsgeschichte beigetragen haben). Ich zitiere hier einen zentralen Zuspruch der Bibel: Da antwortet Jesu auf die Frage, worauf es denn wirklich ankommt (Mt 22, 37-39): „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt“ (5.Mose 6,5). Dies ist das höchste und erste Gebot. Das andere aber ist dem gleich: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (3.Mose 19,18). Das benennt eine wesentliche biblische Grundlage des Menschseins und die begründet eine lebenswerte und menschenwürdige Perspektive auch für eine Zukunft mit künstlicher Intelligenz. Davon soll im abschließenden Teil die Rede sein: „Biblische Perspektiven“.

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