Bereich: B Herausforderungen der Gegenwart

Thema: Natürliche und künstliche Intelligenz

Beitrag 4: Künstliche Intelligenz 1: Grenzüberschreitung? (Bodo Fiebig11. November 2021)

Grenzüberschreitungen im Verhältnis natürlicher und künstlicher Intelligenz  kündigen sich in unserer Gegenwart an, Grenzüberschreitungen, die sich (wenn sich die Entwicklungen in eine falsche Richtung bewegen) zur tödlichen Bedrohung für die ganze Menschheit entwickeln könnten.

Dazu ein Beispiel für eine „Grenzüberschreitung“ auf ganz anderem Gebiet, das mit „künstlicher Intelligenz“ gar nichts zu tun hat, das aber den möglichen Effekt sichtbar macht: Wenn in einem nationalen oder internationalen Konflikt bewusst gezüchtete tödliche Bakterien („biologische Waffen“, die es ja längst schon gibt) eingesetzt würden, deren Ausbreitung dann aber niemand mehr steuern könnte (weil sich Bakterien eben nicht an Grenzen und Vereinbarungen halten), so dass von den Folgen „Freund und Feind“ und die Menschheit als Ganzes betroffen wären (oder wenn in einem medizinischen Forschungslabor ungewollt eine neue Viren-Variante entweichen würde, die sich unkontrolliert ausbreiten und dann eine weltweite Epidemie auslösen würde) dann könnten bei solchen „Grenzüberschreitungen“ Menschen die Kontrolle über (von ihnen selbst in Gang gesetzte) Entwicklungen verlieren, Entwicklungen, durch die die Existenz der Menschheit (und des Lebens insgesamt) gefährdet wäre.

Auch künstliche Intelligenz könnte solche Grenzüberschreitungen möglich machen, die Menschen nicht mehr kontrollieren und steuern könnten. Dabei müssen wir uns bewusst machen: Künstliche Intelligenz muss nicht immer eine Horror-Vorstellung sein wie in manchen „Zukunftsromanen“. Sie kann eine hilfreiche „Erweiterung menschlicher Möglichkeiten“ sein. Sie kann aber auch zu einer gefährlichen „Überschreitung menschlicher Möglichkeiten“ werden.

Das sei an je einem Beispiel angedeutet: Eine hilfreiche „Erweiterung menschlicher Möglichkeiten“ wäre es, wenn z. B. bei einer internationalen Konferenz in Nairobi jeder der Teilnehmer (aus 120 verschiedenen Ländern mit mehr als 200 verschiedenen Sprachen und Dialekten) den jeweiligen Redner mit dessen Stimme und Sprechweise, aber in der Simultan-Übersetzung in die eigene Sprache hören könnte. Und wenn dann, nach dem Vortrag, beim Mittagessen die Teilnehmer sich zwanglos in vielen verschiedenen Sprachen am Tisch unterhalten könnten, weil das Smartphone jedes Einzelnen die Gesprächs-Beiträge aller Anderen simultan übersetzen würde. Ansätze zu solchen Übersetzungsprogrammen gibt es ja schon. Aber es wäre noch ein gewaltiger Einsatz an künstlicher Intelligenz nötig, um sie so zu zu optimieren, dass sie auch die Gesprächssituation, den sprachlich-kulturellen Hintergrund der Sprechenden oder spezielle Sprachformen (z. B. ein Witz, eine anzügliche Bemerkung, eine satirische Übertreibung) einbeziehen und entsprechend übersetzen könnte. Aber: Die Anwendung wäre eingegrenzt und zugeschnitten auf ein bestimmtes Ziel, eben einer möglichst guten und sinngetreuen Übersetzung und Kommunikation.

Eine Überschreitung menschlicher Möglichkeiten wäre z. B. ein Übersetzungsprogramm, dessen Algorithmen nicht auf eine möglichst sinngetreue Übersetzung der Rede hin optimiert wäre, sondern daraufhin, einen „Allgemeinen Konsens“ zu ermitteln und zu verstärken. Das Programm würde aus früheren Aussagen der Versammelten (die im System gespeichert sind) und den aktuellen Redebeiträgen eine jeweils aktuelle „durchschnittliche Gemeinschaftsmeinung“ errechnen. Das Argument, eine neutrales Computersystem könnte vorurteilsfrei und besser als jede öffentliche Abstimmung eine exakte (d. h. eine besonders „demokratische“) „Durchschnittsmeinung“ berechnen, leuchtete den Teilnehmern ein. So würden unnötige Auseinandersetzungen, ja Streitigkeiten vermieden. Die Übersetzung der Redebeiträge wäre dann daraufhin optimiert, genau diesen „Allgemeinen Konsens“ zu bestätigen und zu verstärken, auch wenn ein einzelner Redner eigentlich seine Aussagen etwas anders betonen wollte. (Eine solche Vorgehensweise wäre übrigens gar nichts Neues; in der „Französischen Revolution“ 1789 – 1799 hieß diese allem übergeordnete und alle verpflichtende Gemeinschaftsmeinung „Volonté Générale“. Vertretern abweichender Meinungen drohte die Guillotine.) Auch heute noch basieren alle Ideologien (z. B. Kommunismus, Nationalismus, Kapitalismus …) auf einer (für die jeweils freiwillig oder gezwungen „Dazugehörenden“) verpflichtenden „Gemeinschaftsmeinung“.

Bei nächsten Konferenzen würden dann die Ergebnisse dieser selektiven Verstärkung wieder zur Datengrundlage für die Neuberechnung der „Gemeinschaftsmeinung“, durch die auch die nächsten Gespräche wieder beeinflusst und gelenkt würden usw. usw. Die Folge: Der „Allgemeine Konsens“ würde sich verselbständigen und keiner der Konferenzteilnehmer könnte sie kontrollieren oder korrigieren. Und niemand könnte wissen, wohin diese Selbst-Verstärkung der vom System errechneten „Gemeinschaftsmeinung“ dann führen würde und welche Folgen das in der internationalen Politik haben könnte. Letztlich würden dann alle Entscheidungen vom System getroffen, die Konferenzteilnehmer wären nur noch „schmückendes Beiwerk“. So würde aus einem hilfreichen System zur Erweiterung menschlicher Möglichkeiten ein autonomes System, das unabhängig von Menschen lernt, denkt und entscheidet.

Trotzdem: Künstliche Intelligenz ist kein „Teufelszeug“, aber sie ist eine gewaltige Herausforderung an die Verantwortung und an die ethischen Grundsätze derer, die sie betreiben.

Technische Systeme mit künstlicher Intelligenz sind von Menschen gemacht, und diese versuchen ihren „Maschinen“ beizubringen, wie man erfolgreich „denkt“ (so wie Menschen das seit Jahrtausenden tun, siehe oben Beitrag 1). Dabei entstehen Maschinen-Systeme, die (vergleichbar mit Menschen in ihrer Entwicklungsgeschichte) als selbstlernende, selbstoptimierende und selbstentscheidende Systeme nicht mehr auf eine direkte Steuerung von außen angewiesen sind. Es entstehen autonome technische Systeme, die grundsätzlich die Grenzen menschlicher Möglichkeiten überschreiten können. Die Frage nach einem verantwortbaren Umgang mit solchen Systemen wird uns noch weiter beschäftigen (siehe die Beiträge 7 und 8 „Verantwortete Intelligenz“).

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