Obwohl Intelligenz in der belebten Schöpfung ein sehr weites Feld ist (siehe Beitrag 1), muss man menschliche Intelligenz doch als bedeutsamen Sonderfall ansehen. Menschliche Intelligenz ist in weitaus mehr Bereichen aktiv, als es sonst möglich ist (wenn wir hier noch von „künstlicher“ Intelligenz absehen, die ja auch Ergebnis menschlicher Intelligenz ist). Je nachdem, wie man die entsprechenden Fähigkeiten schwerpunktmäßig sehen und zuordnen will, kann man menschliche Intelligenz dann auch verschieden einteilen und beschreiben. Hier will ich eine mögliche Einteilung vorschlagen:
praktische Intelligenz
emotionale Intelligenz
soziale Intelligenz
kommunikative Intelligenz
abstrakt-logische Intelligenz
kreative Intelligenz
spirituelle Intelligenz
Diese Teilbereiche von Intelligenz sollen hier kurz angesprochen werden:
1 Praktische Intelligenz
Es gab Zeiten, wo man vor allem die Fähigkeit zu abstrakt-logischem Denken als „Intelligenz“ ansah. Das hat sich geändert. Zum Beispiel erkennt man nun an, dass auch praktische Begabungen eine Form von Intelligenz sind. Manche Menschen (Männer und Frauen, Mädchen und Jungen) haben eine sehr sichere Handhabung beim Einsatz von jeder Form von Werkzeugen und technischen Geräten, erfassen technische Zusammenhänge und Vorgänge schnell und können bei Störungen rasch den Fehler finden und Abhilfe schaffen, obwohl sie manchmal im Bereich sprachlogischen Denkens ihre Probleme haben können. Mit abstrakt-logischen Denken allein ist so eine „praktische Intelligenz“ nicht zu erreichen oder gar zu ersetzen. Dabei können sich bei einzelnen Personen die verschiedenen Teilbereiche von Intelligenz vielfältig verbinden: Ein Holzschnitzer z. B., der ein modernes Christus-Bild für eine Kirche gestaltet, verbindet praktisch–handwerkliche mit kreativer und spiritueller Intelligenz (siehe unten).
2 emotionale Intelligenz
Manche Menschen sind sehr sensibel in der Wahrnehmung von emotionalen Stimmungen und Vorgängen in ihrer Umgebung. Andere merken nichts davon. Man sagt, dass Frauen im allgemeinen (durchschnittlich gesehen) eine sensibler entwickelte emotionale Intelligenz haben als Männer.
Manche Menschen können emotionale Stimmungen und Vorgänge in ihrer Umgebung nicht nur wahrnehmen, sondern sie auch einordnen, zuordnen, vielleicht sogar ansatzweise verstehen. Andere stehen solchen Stimmungen und Vorgängen (auch wenn sie sie wahrnehmen) verständnislos und hilflos gegenüber.
Manche können andere Menschen emotional ansprechen, berühren, sie offen oder auf versteckte Weise beeinflussen. Bei manchen geschieht das auf rücksichtsvoll einfühlende Weise, bei anderen in demagogisch-überwältigender Manier.
Emotionale Intelligenz ist eine wesentliche Voraussetzung für zwischenmenschliche Beziehungen, ist aber auch ein sehr potentes (hilfreiches oder gefährliches) Instrumentarium zur Beeinflussung von Menschen und zum Erreichen von Zielen.
3 soziale Intelligenz
Mit der emotionalen Intelligenz nahe verwandt ist die soziale Intelligenz. Auch hier geht es zunächst um die Wahrnehmung, in diesem Fall um die Wahrnehmung von Beziehungen. Es gibt Menschen, die können, wenn sie einen Raum betreten in dem sich mehrere, ihnen vielleicht sogar fremde Menschen aufhalten, und sich dort, ohne selbst aktiv zu werden eine Weile aufhalten, intuitiv spüren, welches Netzwerk von Beziehungen sich da spinnt: Zwischenmenschliche Zuneigung und Abneigung, sachliche Vorbehalte oder Zustimmung, persönliche Beziehungen oder Zweckbündnisse … Soziale Intelligenz ist in jeder Form von Gemeinschaft wichtig: In der Familie, Nachbarschaft, in beruflichen Arbeitsgruppen, in Freizeitgemeinschaften …
Soziale Intelligenz ermöglicht aber auch über den persönlichen Nahbereich hinaus die Fähigkeit, soziale Dissonanzen, Spannungen, Nöte, Verwerfungen, Ungerechtigkeiten … aber auch gelingende und hilfreiche soziale Strukturen und Prozesse in größeren gesellschaftlichen Zusammenhängen wahrzunehmen und positive Entwicklungen anzustoßen: in einem Betrieb, in einer Stadt, in einem Land … Ein(e) Politiker(in) oder ein(e) Personalchef(in) einer großen Firma z. B. sollte über eine gehörige Portion sozialer Intelligenz verfügen, sonst kann er(sie) den Herausforderungen seines(ihres) Amtes nicht sinnvoll begegnen.
Auch hier ist es mit der Wahrnehmung allein noch nicht getan. Es ist im sozialen Bereich Not-wendig, auch Zusammenhänge zu erkennen, Hintergründe zu verstehen, historische Entwicklungen zu analysieren …
Erst dann wird man in der Lage sein, sinnvolle Veränderungen anzugehen und Fortschritte zu initiieren.
4 kommunikative Intelligenz
Soziale und kommunikative Intelligenz werden oft gleich gesetzt. Trotzdem ist es sinnvoll, beides zu unterscheiden. Zwar ist kommunikative Intelligenz eine wichtige Stütze der Sozialkompetenz, sie hat aber auch ihre eigene Bedeutung: Man muss das, was alle übrigen Bereiche der Intelligenz an Einsichten und Fähigkeiten zur Verfügung stellen, eben auch aufnehmen und ausdrücken können, und zwar so, dass es auch verstanden und akzeptiert werden kann. Dafür gibt es verschiedene Mittel und Möglichkeiten sprachlicher und nichtsprachlicher Kommunikation (Körpersprache, Mimik, Verhaltensweisen, Kunst, mündliche und schriftliche Sprachformen, auch Anwendung von Symbolsprachen – z.B.in der Mathematik- usw.).
Und wir stoßen hier auf einen Dreiklang, der in allen Bereichen von Intelligenz eine wichtige Rolle spielt: den Dreiklang von wahrnehmen und empfinden – verarbeiten und speichern – ausdrücken und gestalten (hier jeweils nur ein Beispiel, bezogen auf kommunikative Intelligenz, siehe dazu auch im Beitrag 1 den Abschnitt „Der Kreislauf des Lernens“):
Wahrnehmen und empfinden: Es macht einen Unterschied, ob ich das, was ein anderer von sich gibt, nur „mit meinen Ohren“ höre, oder ob es mir (zumindest ansatzweise) gelingt, es so zu hören, wie jener es wirklich gemeint hat. Und: kann ich auch nachempfinden, welche Bedeutung das Geäußerte für mein Gegenüber hat?
Verarbeiten und speichern: Bin ich bereit und in der Lage, den „kommunikativen Output“ eines Gegenübers im Kontext seiner/ihrer jeweils individuellen und besonderen Gesamtsituation (so weit die mir zugänglich ist) sinnvoll in den Gesamtzusammenhang der Kommunikation einzuordnen, das Anliegen meines Gegenübers zu verstehen und Verständnis aufzubringen für sein Anliegen und sein Anders-Sein? Und: Kann ich das Verstandene auch jeweils so speichern, dass es mir für die weitere Kommunikation jederzeit zur Verfügung steht?
Ausdrücken und gestalten: Kann ich das, was ich selbst in das „Gespräch“ einbringen möchte, so zum Ausdruck bringen, dass es so verstanden werden kann, wie ich das gemeint habe? Kann ich anschaulich erzählen und überzeugend argumentieren?
5 abstrakt-logische Intelligenz
Hier geht es um jenen Bereich, der schon immer mit dem Begriff „Intelligenz“ verbunden wurde: Zusammenhänge erkennen, Schlussfolgerungen ziehen, abstrakten Gedankengängen folgen, logische Konsequenzen ableiten, aber auch die Möglichkeit, die eigenen Ideen kritisch zu hinterfragen, über das eigene Denken nachzudenken, frühere Erkenntnisse zu verwerfen, wenn neue Gesichtspunkte auftauchen …
Auch hier ist die Wahrnehmung von abstrakt-logischen Fragestellungen ebenso wichtig, wie deren Durchdenken und Verarbeiten und schließlich die Fähigkeit, Ergebnisse zu formulieren und Konsequenzen abzuleiten.
6 kreative Intelligenz
Menschen können nicht nur auf Außenreize reagieren, sondern auch absichtsvoll und zielbewusst ihre Umwelt gestalten. Und sie können dabei nicht nur Eindrücke aus ihrer Umwelt abbilden oder nachahmen (wie in dem Lied „Kuckuck, Kuckuck ruft‘s aus dem Wald …“, das die Lautfolge des Kuckuck-Rufes aufnimmt), sondern sie können auch nie Gesehenes oder nie Gehörtes gestalten („Freude, schöner Götterfunke …“, für dieses Meisterwerk Beethovens gibt es in der Natur kein Vorbild).
Kreative Intelligenz kann also Wahrgenommenes über die Grenze des konkret Wahrnehmbaren hinaus erweitern (das wird auch im folgenden Bereich „spirituelle Intelligenz“ eine Rolle spielen).
Freilich kommt es dann bei der „Äußerung“ kreativer Inhalte (handwerklicher, bildlicher, musikalischer, sprachlicher … Art) auch auch auf das Können an. Die Meinung mancher „modernen“ Künstler, Kunst sei reine Kreativität, die kein Können brauche (und so sei ein zufälliger Farbklecks auf der Leinwand auch schon Kunst, wenn der Künstler das so sehe), ist ein Irrtum, weil sie die kreative Intelligenz von allen anderen Formen von Intelligenz isoliert und sie dann verabsolutiert. Kreative Intelligenz kann sich aber nur verwirklichen, wenn sie sich mit anderen Formen von Intelligenz verbindet. Kunst entsteht immer im Zusammenwirken von Können und Kreativität. Fehlt die Kreativität, wird sie zum bloßen Handwerk (und ich wünsche mir manchmal beim Anblick mancher „Kunst-Werke“, sie wären wenigstens gutes Handwerk). Fehlt das Können, wird Kunst zur Scharlatanerie. Kreative Intelligenz kann sich nur verwirklichen, wenn sie sich mit anderen Formen von Intelligenz verbindet (siehe das weiter oben angeführte Beispiel von Bildschnitzer, der praktische, kreative und spirituelle Intelligenz verbindet, um eine sakrales Kunstwerk zu schaffen). Der Kölner Dom z. B. ist ein großartiges Kunstwerk (das mit sehr viel handwerklichem und bautechnischem Können verwirklicht wurde), ein zufällig aufgeworfener Steinhaufen kann niemals Kunst sein. Auch Kreativität ist nur ein Teil-Bereich im großen und integrierten Ganzen menschlicher Intelligenz.
7 spirituelle Intelligenz
Die großen Heiligen der Kirchengeschichte waren in hohem Maße Träger von spiritueller Intelligenz: Ein Franz von Assisi, eine Theresa von Avila, ein Dietrich Bonhoeffer, eine Mutter Theresa von Kalkutta … Das lässt sich zurückverfolgen bis zu den biblischen Gestalten wie Abraham und Sarah, Mose und Mirjam, Johannes und Maria, Paulus und Lydia … Aber auch (z. B.) ein Siddhartha Gautama (Buddha) oder Mahatma Gandhi waren Menschen mit hoher spiritueller Intelligenz. Sie gab und gibt es in allen Kulturen und Religionen (siehe das Thema „Weltreligionen und biblischer Glaube“ im Bereich „Grundfragen des Glaubens“)
So ist es ein Unterschied, ob z. B. ein Bischof einer christlichen Kirche im Wesentlichen ein guter Verwalter seiner Diözese ist, oder ob von ihm auch Impulse für das geistliche Leben seiner Gemeinden ausgehen. Ein kirchlicher „Amtsträger“ sollte nicht nur über verwaltungstechnische Fähigkeiten verfügen (das auch) und über theologisches Fachwissen (das auch), sondern er sollte auch in einem gewissen Maße Träger einer „spirituellen Intelligenz“ sein. Er sollte also eine Ansprechbarkeit für Impulse aus der (jenseitigen und doch nahen) Realität des „Himmlischen mitten im Irdischen“ mitbringen und eine Bereitschaft, sich persönlich damit auseinanderzusetzen und solchermaßen angeeignete Impulse an seine Gemeinden weiterzugeben.
Auch im Bereich spiritueller Intelligenz geht es zunächst um Wahrnehmung: Manche Menschen gehen durch ihr Leben und werden kaum jemals von einer Erfahrung oder einem eigenen Gedanken berührt, die über die gegenwärtige Bewältigung und Gestaltung der anstehenden Notwendigkeiten und Genüsse hinausgeht. Andere sind besonders empfänglich für innere und äußere geistliche Anstöße, die sie tief berühren und nachhaltig verändern können. Wahrnehmungsfähigkeit für spirituelle Impulse und Ansprechbarkeit für religiöse oder weltanschauliche Fragestellungen sind bei vielen nicht sehr ausgeprägt, obwohl die Begabungen dafür durchaus vorhanden wären. Das ist wie beim Rechnen; wer immer nur die vorgegebenen Funktionen des Taschenrechners benutzt, wird irgendwann ohne Hilfsmittel selbst bei einfachsten Grundrechenarten scheitern, obwohl der/die Betreffende mathematisch durchaus begabt wäre. Wer meint, er/sie sei „religiös unmusikalisch“, hat vielleicht nur die eigene spirituelle Intelligenz durch Nichtgebrauch verkümmern lassen.
Spirituelle Intelligenz ist (wie jede Form von Intelligenz) nicht nur Bewegung im Innern, sondern drängt zur Äußerung. Das kann dann (vgl. Epheser 4,11) zu geistlichen Berufungen führen: Apostel und Propheten, Hirten und Lehrer … Ein Zeichen von spiritueller Intelligenz ist es, dass spirituellen „Berührungen“ nicht folgenlos verpuffen, sondern im Innern der Betroffenen weitreichende Entwicklungen und Bewegungen auslösen, die dann auch viele andere berühren und mitnehmen können (z. B. ein Frere Roger von Taizé, der im 20. Jahrhundert eine ganze Generation junger Menschen prägte).
Alle Beiträge zum Thema "Natürliche und künstliche Intelligenz"
- Natürliche Intelligenz 1: Prozesse im Bereich von Intelligenz
- Natürliche Intelligenz 2: Teilbereiche menschlicher Intelligenz
- Natürliche Intelligenz 3: Erweiterung menschlicher Möglichkeiten
- Künstliche Intelligenz 1: Grenzüberschreitung?
- Autonome Systeme
- Herr oder Sklave der Technik?
- Die Art des Denkens
- Verantwortete Intelligenz 1: Humane Technik
- Verantwortete Intelligenz 2: Ethisch verantwortete Technik
- Biblische Perspektiven 1: Das „Optimierungsziel“ des Menschseins
- Biblische Perspektiven 2: Zeit und Ziel