Bereich: B Herausforderungen der Gegenwart

Thema: Europa und die Flüchtlingskrise

Beitrag 4: Die ethische Krise der Menschheit (Bodo Fiebig25. Oktober 2017)

Die sogenannte „Flüchtlingskrise“ ist keine isolierte Einzelerscheinung, sondern sie ist Teil eines umfassenden und globalen Problems unserer Gegenwart: Sie ist Teil einer allgemeinen ethischen Krise der Menschheit. Die ist so umfassend, dass sie im Zusammenhang des Themas „Europa und die Flüchtlingskrise“ nur am Rande gestreift werden kann. Hier werden nur zwei Aspekte dieser ethischen Krise der Menschheit genannt:

– Die Stärke des Rechts oder das Recht des Stärkeren

– Die Flüchtlingskrise – Teil einer ethischen Krise der Menschheit

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1 Die Stärke des Rechts oder das Recht des Stärkeren

Das Vertrauen in die allgemeine Akzeptanz und bleibende Gültigkeit der Rechtsordnung ist die Grundlage des Zusammenlebens jeder Gesellschaft. Ja, es stimmt schon: Es hat zu jeder Zeit und in jeder Gesellschaft Einzelne gegeben, die durch Raub und Betrug und Gewalt für sich ungerechte Vorteile zu erreichen versuchten. Seit es Gesetze gibt, gibt es auch Gesetzesbrecher. Das ist schlimm, stellt aber die Rechtsordnungen und die Grundhaltungen der Gemeinschaft nicht in Frage, solange noch der Rechtsbruch als solcher erkannt, benannt und verfolgt wird und wenn die Täter nach Möglichkeit an weiteren Gesetzesbrüchen gehindert werden. Wenn aber die „Gesetzlosigkeit überhand nimmt“, das heißt, wenn sie zur allgemein üblichen Praxis wird, zum sozialen „Geschäftsmodell”, mit dem es sich gut leben lässt und nur noch einige wenige „Dumme” sich ehrlich an die eigentlich allgemeingültigen Ordnungen halten, dann ist das Rechtssystem selbst in Gefahr und mit ihm der innere Zusammenhalt der Gemeinschaft.

Das wirkt sich in allen Bereichen gesellschaftlichen Lebens aus, am zerstörerischsten und folgenschwersten aber dort, wo die Mächtigen der mächtigsten Staaten der Erde selbst das Recht missachten. Der Verlust des Vertrauens, dass friedliche Politik zum Wohle aller Völker auch für das eigene Land Früchte trägt, ist unaufhaltsam, wenn gleichzeitig machthungrige Despoten gewaltsam ihre Ziele verfolgen und damit „Erfolg“ haben, weil sie mächtig und skrupellos genug sind um alle Gegenmaßnahmen zu unterlaufen. Wer unter den politisch Tätigen wagt es denn noch auszusprechen, dass China sich das tibetische Hochland widerrechtlich angeeignet hat (im 18. Jahrh. und dann nochmals 1951) oder dass die Krim völkerrechtlich nicht zu Russland gehört?

Gewalt zahlt sich aus in den internationalen Beziehungen, wenn die gewalttätigen Mächte sie geschickt immer knapp unter der Grenze halten, bei deren Überschreitung die „Staatengemeinschaft” zu ernsthaften Gegenmaßnahmen greifen könnte. Vor allem, wenn man solche Gewalt mit Propaganda-Aktionen begleitet, die der Weltöffentlichkeit einreden, dass die Opfer doch die eigentlich Schuldigen seien.

Unter den heutigen „Großmächten” (oder die sich dafür halten – jedenfalls alle Atommächte) gibt es zunehmend solche, die ihre sehr eigennützigen Ziele ungehindert verfolgen, auch wenn sie damit alle Regeln des Völkerrechts brechen, denn sie wären ja nur um den Preis der Selbstvernichtung der Menschheit gewaltsam aufzuhalten und das kann niemand wollen. Solche „Großmächte” wissen das und nutzen es skrupellos aus.

Das Beispiel der „Großen“ ist aber ungeheuer wirkmächtig und übt einen fast unwiderstehlichen Sog aus auf alle „Kleinen“, die auch gerne „groß“ wären. Das fast krankhafte Streben kleinerer und mittlerer Mächte, auch Atomwaffen zu besitzen, hat genau diesen Hintergrund: „Wenn wir erst einmal Atommacht sind, dann können wir unsere Ziele auch mit Gewalt verfolgen, denn dann sind wir unangreifbar und unaufhaltsam, die „Großen“ haben es uns ja vorgemacht.“ Die Stärke des Rechts droht unter dem Gewicht des Rechts des Stärkeren erdrückt und erstickt zu werden. Die Millionen von Flüchtlingen, die zwischen den Kontinenten der Erde herumirren auf der Suche nach einem Ort, wo sie bleiben können, sind nur ein „Abfallprodukt“ des großen Spiels um die große Macht.

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2 Die Flüchtlingskrise – Teil einer ethischen Krise der Menschheit

Die gegenwärtige „Flüchtlingskrise“ darf nicht als isoliertes Problem betrachtet werden. Sie ist Teil einer viel größeren ethischen Krise der Menschheit. Und diese Menschheitskrise ist vor allem geprägt durch einen Verlust des Vertrauens. Es gibt eine zunehmende, in manchen Weltgegenden erdrutschartige Erosion des Vertrauens, dass man mit ehrlichen, gerechten, weltoffenen und menschenfreundlichen Mitteln langfristig für sich und für alle anderen mehr erreichen kann als mit Mitteln der Lüge, der Ungerechtigkeit, der Selbstüberhöhung und der Gewalt. Wenn der Verlust dieses Vertrauen einen bestimmten Grenzwert überschritten hat, zerbröselt der Kitt, der die Menschheit im Großen und im Kleinen zusammenhält, in der Weltpolitik, Weltwirtschaft, im Miteinander der Weltkulturen und Religionen ebenso, wie im Miteinander der Familien, Nachbarschaften, Kollegien, Interessengruppen, Parteien usw.

Das Problem der „Flüchtlingskrise“ ist allein mit politischen, wirtschaftlichen, sozialen und auch juristischen Maßnahmen nicht lösbar. Der einzig mögliche Weg hin zu einer dauerhaften Stabilisierung der globalen Lage wäre die Entwicklung einer Weltethik, die von möglichst allen Völkern, Kulturen, Religionen und Weltanschauungen gemeinsam erarbeitet, bejaht und getragen wäre (siehe den Themenbeitrag „Recht und Unrecht“, Abschnitt 4 „Menschenrecht“, und den Themenbeitrag „Globalisierung“, Abschnitt 4 „Ethische Grundlagen einer globalen Gesellschaft“, die dort ausgeführten Grundsätze können hier nicht wiederholt werden). Eine solche „Weltethik“ dürfte nicht auf einen sorgsam abgegrenzten „Privatbereich des Glaubens“ beschränkt bleiben, sondern müsste vor allem die ganz konkreten politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Realitäten ansprechen und regulieren. Solange man im globalen Zusammenspiel der Kräfte meint, als vermeintlich oder tatsächlich Stärkerer in der jeweiligen Situation politisch alles durchsetzen zu müssen, was irgendwie dem eigenen Machtgewinn dient, und als wirtschaftlich Stärkerer meint, in der jeweiligen Situation aus den wirtschaftlich Schwächeren (den Völkern der sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländer) herauspressen zu müssen, was nur eben möglich ist, solange kann und wird es eine Beruhigung der Flüchtlingsströme nicht geben.

Die gegenwärtige globale Flüchtlingskrise ist vor allem ein sichtbar brennendes Zeichen einer von den politischen und gesellschaftlichen Eliten übersehenen und verdrängten globalen ethischen Krise. Deren Folgen werden aber, (wenn man sie nicht überwinden kann und so die menschenverachtenden Handlungsweisen der Rücksichtslosesten unversehens zum Vorbild und „Normalfall“ in den globalen Beziehungen werden), alle treffen, die Reichen ebenso wie die Armen, die Mächtigen ebenso wie die Machtlosen. Es ist nicht mehr viel Zeit.

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© 2015 Bodo Fiebig Die ethische Krise der Menschheit, Version 2017-10

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