Bereich: A Grundlagen der Gesellschaft

Thema: Weltgeschichte und Heilsgeschichte

Beitrag 4: Die Kolonialisierung der Erde (Bodo Fiebig21. Juli 2018)

Im Beitrag 3 „Der Holocaust“ wurde ein Kapitel der deutschen Schuldgeschichte genannt. Jetzt muss ich noch ein Beispiel für eine Schuldverstrickung Europas anführen, die aus der Vergangenheit bis in unsere Gegenwart wirksam ist: Vor mehr als einem halben Jahrtausend, genau am 3. August 1492 fuhr Christoph Kolumbus mit seinen drei Schiffen nach Westen, um den Seeweg nach Indien zu finden. Am 12. Oktober 1492 landeten die drei Schiffe an einer Insel. Kolumbus nannte sie San Salvador. Sie fanden Eingeborene, die ihnen ehrfürchtig und ohne Argwohn entgegenkamen. Kolumbus, der bis zu seinem Lebensende der Meinung war, er hätte Indien erreicht, nannte sie Indianer.

Mit Kolumbus und nach ihm kamen goldgierige, gewalttätige, skrupellose Eroberer. Und es begann die Eroberung und Unterwerfung der Welt durch die Länder Europas.

Es ging wie ein Rausch durch Europa. Es begann ein Wettrennen zwischen den europäischen Mächten: Wer entdeckt und erobert am schnellsten die größten und reichsten Länder? Rücksichtslos wurde die überlegene Waffentechnik Europas eingesetzt: Nirgendwo auf der Welt sonst gab es Kanonen und Gewehre. Die überfallenen und eroberten Völker Afrikas, Amerikas und Asiens hatte keine Chance sich auf Dauer zu wehren.

Die Eroberung und Christianisierung der „Neuen Welt“ geschah fast überall unter dem Vorzeichen des Völkermords. Von den 200000 bis 300000 Einwohnern von Haiti, die im Jahre 1492, als Kolumbus sie entdeckte, dort lebten, waren 30 Jahre später nur noch ein paar Tausend am Leben. Viele waren, sofern sie nicht eines gewaltsamen Todes starben, an Krankheiten gestorben, die von den Europäischen Eroberern eingeschleppt worden waren.

Die Antriebsfeder für die Eroberung der Welt war die Gier nach Gold und Sklaven, nach Land und Macht. Und das Schlimmste dabei ist: All das geschah auch im Zeichen des Christentums. Es waren christliche Herrscher und christliche Völker, die ihre Kanonen und Gewehre ausschickten, die Welt zu erobern. Und die Missionierung der Heidenvölker war eben doch oft nur Aushängeschild und Vorwand für gewaltsame Eroberung.

Dabei hätte von Gott her das Jahr 1492 eine ganz andere Bedeutung haben sollen: Gott hatte dem Kontinent, der sich bis dahin dem Evangelium am weitesten geöffnet hatte (Europa), eine Tür aufgetan, damit von da aus das Licht des Evangeliums nun auch in alle Welt getragen werden konnte. Aber was die Geschichte der Missionierung der Völker der Erde durch das heilbringende Wort Gottes und die Überzeugungskraft der Liebe werden sollte, wurde in Wahrheit die unheilbringende Geschichte der Eroberung und Ausbeutung der Welt durch die Macht der Kanonen. Das Unfassbare dabei ist: Gott ließ selbst darin noch die Ausbreitung des Evangeliums geschehen, indem er die Hingabe und Opferbereitschaft der Wenigen, die sich wirklich für das Evangelium und für die Menschen in den neu entdeckten Ländern einsetzten, höher bewertete, als die Untaten der Vielen.

Nun kann man sagen: Was soll das? Will man uns jetzt auch noch für Ereignisse verantwortlich machen, die vor vor mehr als einem halben Jahrtausend, geschehen sind? Nein, es geht hier gar nicht darum, heute jemanden verantwortlich zu machen für Ereignisse, die längst vergangen sind. Es geht darum, dass auch diese Dinge noch unter die lösende, befreiende Macht der Vergebung kommen, denn sie sind in ihren Auswirkungen noch unter uns gegenwärtig.

Erinnern wir uns, was schon weiter oben gesagt wurde (Beitrag 2 „Die Tiefen der Geschichte“): Keine Schuld vergeht spurlos und folgenlos in der Geschichte, wenn sie nicht durch Bekenntnis, Umkehr und Vergebung gelöst und abgearbeitet wird. Nur so können die sozialen Giftstoffe, die solche Schuld im „Volkskörper“ hinterlässt, abgebaut und ausgeschwemmt werden. Dies ist offensichtlich in unserem Volk und in den Völkern Europas nicht in ausreichendem Maße geschehen. Das bedeutet aber, dass die Zerstörungspotentiale und die geistvergiftenden Wirkungen jener Ereignisse noch unter uns sind und jederzeit wieder aktiv werden können.

Weiter oben wurden die Erdteile aufgezählt, die damals gewaltsam zu europäischen Kolonien wurden: Afrika, Südamerika und Südasien. Es sind genau dieselben Erdteile, die heute zu den Armenhäusern der Erde zählen. Wir nennen sie die „Dritte Welt“. Ihre Armut ist nicht Zufall oder Folge eigener Faulheit. Sie ist zu einem großen Teil Folge der jahrhundertelangen Ausbeutung in der Kolonialzeit. Noch heute, nachdem sie ja offiziell freie selbständige Staaten geworden sind, sind diese Länder doch wirtschaftlich, finanziell und politisch von den reichen Industrienationen abhängig. Die Vergangenheit ist noch nicht vergangen; sie ist noch immer gegenwärtig und sie bedeutet für mehr als die Hälfte der Menschheit immer noch Armut, Hunger und Not (siehe den Themenbeitrag „Globalisierung“, Beitrag 1 Segen oder Fluch“).

Auch diese Schuld der Völker Europas ist noch weitgehend un-bekannt geblieben. Aber sie ist nicht unwirksam geblieben. Ich halte es nicht für einen Zufall, dass die Länder Europas in diesen ganzen 5 Jahrhunderten in eine ununterbrochene Folge von Kriegen verstrickt waren. Ich meine: Dies ist nicht zuletzt auch eine Folge der Vergiftung des europäischen Geistes durch die unvergebene Schuld in der Zeit der Unterwerfung und Ausbeutung der Welt. Man kann eben nicht gleichzeitig nach außen Gewalt üben und nach innen in Frieden leben. Erst seit nach dem 2. Weltkrieg, als Europa seine Kolonien frei geben musste und die Zeit der gewaltsamen Vorherrschaft Europas über die Welt zu Ende ging, hat (West)-Europa zum ersten Male schon 7 Jahrzehnte lang Frieden.

Dieser Frieden eröffnete weltumfassende Chancen (ebenso wie ja auch die Kolonialisierung weltumfassend war). Nach jahrzehntelanger Erstarrung der Weltgeschichte im Ost-West-Gegensatz sind innerhalb von wenigen Jahren Veränderungen geschehen, die man in Jahrzehnten nicht für möglich hielt. Schauplatz dieser wahrhaft weltverändernden Umwälzungen sind besonders Deutschland und Europa nach dem Ende des „Kalten Krieges“. Die Teilung Deutschlands und Europas wurde beendet. Mehr Freiheit ist möglich geworden; aber es sind auch neue Unsicherheiten und Gefahren entstanden. (Beispiele sind die instabile Lage in manchen Balkanländern oder in den Kaukasus-Staaten und die Situation in der Ostukraine, aber auch die Unsicherheiten durch den bevorstehenden „Brexit“ und die transatlantischen Verwerfungen). Gott hat durch die Wiedervereinigung Deutschlands und die Überwindung der Teilung Europas große Möglichkeiten aufgetan. Unsere gegenwärtige Zeit ist ein besonderes Gnadengeschenk Gottes für Deutschland und Europa. Aber sie ist unverkennbar auch die Zeit einer besonderen Versuchung.

Überall ist die Entwicklung offen, zum Guten wie zum Bösen hin. Unsere Gegenwart ist nicht nur heilsgeschichtlich, sondern auch historisch eine besondere Zeit.

Es scheint mir, als ob unsere unmittelbare Gegenwart besonders für unser deutsches Volk eine Zeit der Entscheidung wäre, in der sich Weichenstellungen ergeben, die noch auf Jahrzehnte den Weg unseres Volkes bestimmen werden. So wie das Jahr 1989 eine politische Wende brachte, die in unserem Land und weltweit vieles veränderte, so kann es auch im geistlichen Bereich Zeiten geben, wo sich innerhalb weniger Monate Entscheidungen zusammendrängen, deren Auswirkungen noch weit in die Zukunft reichen.

Welche Herausforderung enthält diese Entwicklung für die Völker und Kirchen Europas, insbesondere aber für Christen in Deutschland? Ich will sie in zwei Sätzen zusammenfassen:

Als Christen in Deutschland sind wir besonders herausgefordert, die Sammlung Israels in seinem von Gott verheißenen Lande zu unterstützen.

Als europäische Christen haben wir heute unsere besondere Verantwortung gegenüber den Menschen (und besonders gegenüber den Christen) in den ehemals kolonialisierten Ländern der Welt wahrzunehmen (siehe auch das Thema „Europa und die Flüchtlingskrise“).

Ob wir diese Herausforderung annehmen oder ablehnen, wird mit darüber entscheiden, ob die Weltgeschichte der kommenden Jahre und Jahrzehnte auch für uns eher eine Heilsgeschichte oder eine Unheilsgeschichte wird.

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Bodo Fiebig Kolonialisierung der Erde Version 2018 – 7

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