Bereich: A Grundlagen der Gesellschaft

Thema: Weltgeschichte und Heilsgeschichte

Beitrag 3: Der Holocaust (Bodo Fiebig21. Juli 2018)

Die beiden Jahreszahlen 1942 und 1492 (siehe Beitrag 2 „In den Tiefen der Geschichte“) sind nicht nur äußerlich so ähnlich. Sie markieren einen bedeutungsvollen Teil deutscher und europäischer Schuldgeschichte. Hier liegen unerlöste und unbekannte Zerstörungspotenziale, die bis in unsere Gegenwart und bis in unser persönliches Leben hineinreichen. Unbekannt sind sie in zweierlei Bedeutung dieses Wortes: Erstens wissen die wenigsten etwas davon, sie sind also in dieser Weise unbekannt und: Die Kirchen und Völker haben sie noch immer nicht deutlich genug als Schuldenlast ihrer Geschichte erkannt und bekannt und um Vergebung gebeten. Sie sind also auch noch un-bekannt im Sinne von „eine Schuld bekennen“.

Das uns als Deutschen zeitlich und existenziell näher liegende Datum ist der 20. Januar 1942. Damals kamen in einer Villa am Wannsee in Berlin 15 hochrangige Vertreter des Nazi-Regimes zusammen. Sie wollten über die „Endlösung der Judenfrage“ beraten (eigentlich war diese war ja schon im vollen Gange, es ging nur noch um eine letzte Anstrengung, um den Plan zu vervollkommnen und zu verwirklichen). Wenn man das Protokoll dieser Konferenz liest, ist man erstaunt, mit welcher Geschäftsmäßigkeit und Routine da über den Tod von Millionen Menschen entschieden wurde. Von Hass und Emotionen ist da keine Spur. Da wird ganz nüchtern aufgezählt, aus welchen eroberten Ländern man die Menschen in die Vernichtungslager schaffen will. Das reichte von Norwegen im Norden bis zur Türkei im Süden, von Spanien im Westen bis nach Russland in Osten. 11 Millionen jüdische Menschen lebten in diesen Ländern und in all diesen Ländern sollte nicht ein einziger jüdischer Mensch am Leben bleiben; so wurde das damals beschlossen. Und man überlegte, wie man das am besten und am schnellsten und vor allem auch am billigsten bewerkstelligen könnte. Sehr sachlich und nüchtern ist dieses Protokoll, in bestem Amtsdeutsch. Für die Männer dort bei dieser Konferenz am Wannsee war es nur ein technisches Problem und ein Verwaltungsproblem, wie man 11 Millionen Menschen in den Tod schicken konnte. Sie selbst wollten sich dabei die Hände nicht schmutzig machen.

Und dann machte man sich daran, die Beschlüsse in die Tat umzusetzen. Überall in Europa wurden jüdische Menschen aus den Häusern gejagt, zu Sammelplätzen getrieben, in Viehwagons gepfercht, zu den Vernichtungslagern gebracht, vergast, verbrannt. In Polen und Russland (es war ja schon während des Krieges) machte man sich oft noch weniger Mühe: Ein Dorf oder eine kleine Stadt wurde umstellt, die jüdischen Bewohner (die oft schon Monate oder Jahre immer stärkerer Entrechtung, Ausplünderung und Misshandlung hinter sich hatten) wurden aus den Häusern getrieben; Männer, Frauen, Kinder, alle in einem langen Elendszug ein paar Kilometer vom Ort entfernt auf freies Feld geführt. Dort bekamen sie Schaufeln in die Hand und mussten unter Bewachung durch Maschinengewehre lange, tiefe Gräben ausheben. Dann mussten sie sich an den Rand des Grabens stellen und sie wurden erschossen, sodass sie in den Graben fielen. Einige, ganz wenige unter Hunderttausenden entkamen diesen Massakern, weil sie nicht tödlich getroffen, sondern nur verletzt waren und sie unter den Leichenbergen ausharrten, bis es Nacht wurde und sie aus der Grube klettern konnten. Sie berichteten später, was sie erlebt hatten. Oder: In Kowno, einer Stadt in Litauen, beispielsweise, ließ man die zusammengetriebenen Juden der Stadt von freigelassenen Zuchthäuslern mit Eisenrohren erschlagen. Die SS stand lachend außen herum, schaute zu, machte Fotos (die Bilder sind erhalten geblieben), und passte auf, dass niemand entkommen konnte, so sparte man wertvolle Munition. 5 bis 6 Millionen Menschen, etwa die Hälfte der geplanten 11 Millionen kamen so um. Dann war der Krieg zu Ende, bevor die Mörder ihr Werk zu Ende bringen konnten.

Viele sagen, das ist nun mehr als 70 Jahre her, das ist eine lange Zeit; man sollte endlich aufhören, davon zu reden. Ja, das ist wahr, 70 Jahre sind eine lange Zeit. Und doch: Ist das Vergangene wirklich ganz vergangen? Man hätte es meinen können, wenn nicht plötzlich in unserer Gegenwart wieder Fremdenhass und Gewalttätigkeit gegen Ausländer aufgetaucht wären. Wir erinnern uns an die Bilder von Demonstrationen gegen Ausländer, von randalierenden und Brandbomben werfenden „besorgten Bürgern“ vor Asylantenwohnheimen – und an die gutbürgerlichen Zuschauer, die Beifall klatschten.

Man hätte meinen können, die unselige Vergangenheit wäre endgültig überwunden, wenn nicht bei verschiedenen Wahlen rechtsradikale und fremdenfeindliche Parteien plötzlich wieder zweistellige Ergebnisse erzielt hätten.

Auch der Antisemitismus ist wieder da: Die alten Parolen von den Juden, die an allem Schuld sind, werden wieder geschrieben, gebrüllt und geglaubt. Anderswo versteckt man seinen Antijudaismus hinter einer „freundschaftlichen“ Kritik an der Politik Israels (… das wird man unter Freunden doch noch sagen dürfen!) interessiert sich aber gar nicht für die tatsächlichen Vorgänge, sondern plappert nur antiisraelische Phrasen nach.

Als 1933 viele Deutsche Adolf Hitler begeistert folgten, konnten sie noch nicht wissen, was in letzter Konsequenz daraus werden würde: Der Zweite Weltkrieg, der Holocaust und die Zerstörung Deutschlands und Europas. Die heutigen Neo-Nazis dagegen bejahen und verherrlichen diese politische Richtung im vollen Wissen um das, was damals daraus wurde! (Auch wenn sie es krampfhaft zu leugnen versuchen, sie wissen es ja doch.) Dieses Aufbrechen nationalistischer Emotionen und Gewalttaten ist deshalb heute viel erschreckender und schuldbeladener als 1933, als Hitler an die Macht kam (Siehe den Themenbeitrag „Hitlers Kampf“).

So weit einige Anmerkungen zur deutschen Schuldgeschichte, die noch lange nicht überwunden ist. Jetzt soll noch ein Beispiel für die Schuldgeschichte Europas angedeutet werden, die noch heute weltweite Folgen hervorbringt.

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Bodo Fiebig Der Holocaust Version 2018 – 7

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