Bereich: A Grundlagen der Gesellschaft

Thema: Globalisierung

Beitrag 1: Segen oder Fluch? (Bodo Fiebig8. Februar 2018)

In einem sind sich alle Experten einig: Die Entwicklung hin zur Globalisierung ist unaufhaltsam und unumkehrbar (es sei denn um den Preis der Vernichtung der Menschheit durch einen selbstgemachten „Weltuntergang“). Uneinig ist man sich aber in der Frage, was denn „Globalisierung“ eigentlich sei und ob dieser Begriff eine wünschenswerte oder eine bedrohliche Entwicklung beschreibt. Schauen wir genauer hin:

Globalisierung“ ist keine Erfindung des 21. Jahrhunderts, deren Folgen unversehens über uns hereinbrechen. Die Entwicklung, die wir heute „Globalisierung“ nennen, ist schon sehr lange im Gang. Schon seit Jahrtausenden gibt es einen zunehmenden Austausch von Menschen, Ideen und Waren zwischen den verschiedenen Völkern, Regionen und Kulturen der Erde. Insofern ist „Globalisierung“ nichts Neues. Trotzdem hat sie an einer ganz bestimmten Stelle der Menschheitsgeschichte eine dramatische Wendung vollzogen. Sie hat einen entscheidenden Anstoß und einen über Jahrhunderte weiterwirkenden Antrieb aus einem Vorgang bezogen, den wir „Kolonialisierung“ nennen (siehe weiter unten). Dieser Vorgang hat, wie nie davor und danach, das Leben und das Zusammenleben der Menschen auf der Erde verändert, und er hat die Sicht der Menschen auf ihre Welt verändert. Ohne den Impuls der Kolonialzeit wäre heute der Begriff der „Globalisierung“ mit anderen Inhalten gefüllt, von anderen Kräften bewegt und mit anderen Hoffnungen verbunden. Wir haben, oft ohne uns dessen bewusst zu sein, beim Thema „Globalisierung“ einen Vorgang mit gewaltsamer politischer Unterwerfung, wirtschaftlicher Ausbeutung und kultureller Entfremdung vor Augen. Was uns heute Angst macht vor dem, was im Zuge der Globalisierung auf uns zukommen könnte, stammt aus der Schuldgeschichte und den Traumata der Vergangenheit (siehe auch das Thema „Weltgeschichte und Heilsgeschichte“). Die Frage ist allerdings, ob Globalisierung immer und zwangsläufig und auch in Zukunft unter dem Vorzeichen von Unterwerfung, Ausbeutung und Entfremdung geschehen muss. Zunächst aber müssen diese drei Aspekte kurz angesprochen werden.

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1 Politische Kolonialisierung

Den Begriff der Kolonialisierung bezieht man im allgemeinen auf die Epoche seit dem Beginn der (auf Europa bezogenen) „Neuzeit“, etwa seit der Mitte des 15. Jahrhunderts bis ins 20. Jahrhundert hinein. Die Sache allerdings ist älter. Schon das Römische Weltreich hatte seine „Kolonien“ in den Ländern rund ums Mittelmeer. Und noch früher hatten die Ägypter, die Babylonier, die Perser, Alexander der Große, die Chinesen der Chin- und Han-Dynastien …, später  die arabische Expansion ab dem 7. Jahrhundert oder die indischen Mogulen (um nur einige Beispiele zu nennen), Ländereien und Völker „erobert“, die weit über ihr angestammtes Siedlungsgebiet hinausgingen und dadurch Völker mit anderen Gesellschaftssystemen, Sprachen und Kulturen unter ihre Herrschaft gezwungen. Das Muster war immer das gleiche: Wirtschaftlich und politisch starke Mächte eroberten gewaltsam benachbarte Gebiete, die sie militärisch unterwarfen, materiell ausbeuteten und kulturell vereinnahmten. Am jeweiligen Ende der „Kolonialzeit“ hinterließen die Kolonialmächte materiell verarmte, kulturell entwurzelte und politisch traumatisierte Völker, die auch noch lange Zeit, nachdem sie dem Namen nach unabhängig und „frei“ geworden waren, unter ihrem historischen Trauma litten und manchmal noch immer leiden.

Die Kolonialisierung der Welt durch die Länder Europas war also nicht der Anfang, aber doch der Höhepunkt einer die ganze Menschheitsgeschichte durchziehenden Entwicklung. Der Höhepunkt (jedenfalls bis heute; was noch kommt, wissen wir ja nicht) dieser Entwicklung war die von Europa ausgehende Kolonisation deshalb, weil da nicht nur benachbarte Länder und Völker unterworfen wurden, sondern weil nun Gebiete und Menschen in den fernsten Kontinenten der Erde zum Besitz europäischer Mächte erklärt wurden, den man nach Belieben beherrschen und nutzen konnte. Entscheidendes Mittel für diese europäische Expansion war eine Weiterentwicklung des Schiffbaus und der Navigationstechnik, vor allem aber die Überlegenheit der europäischen Waffentechnik, der Gewehre und Kanonen. Es ging wie ein Rausch durch Europa: Wer entdeckt, erobert, erforscht, erschließt und vereinnahmt zuerst die größten, reichsten und (durch Ausbeutung) ergiebigsten Länder der Erde?

2 wirtschaftliche Kolonialisierung

Die Wirtschaft war schon immer Vorreiter der Globalisierung. Der Handel suchte sich schon immer Wege über die Grenzen der einzelnen Herrschaftsbereiche hinweg. Eines der bekanntesten und eindrucksvollsten Beispiele dafür war die berühmte „Seidenstraße“, die schon längst vor dem Zeitalter der (von Europa ausgehenden) Kolonisierung, durch die unwirtlichsten Gegenden der Erde hindurch und über Tausende Kilometer hinweg die Länder am Mittelmeer mit den Reichen des Fernen Ostens verband. Dies geschah jahrhundertelang nicht (oder nur vorübergehend) unter dem Vorzeichen einer gewaltsamen Kolonialisierung.

Ab dem 15. Jahrhundert aber geschah ein entscheidender Umbruch, als man (aus der Sicht der europäischen Mächte) entfernteste Erdteile nicht mehr als mögliche Handelspartner sah, sondern sie als „Kolonien“ zu erobern begann. Nicht mehr der Handel zwischen selbständigen Wirtschaftsregionen stand nun im Fokus, sondern deren gewaltsame Unterwerfung und Ausbeutung. Es war die Kolonisierung der Länder Afrikas, Asiens, Nord- und Südamerikas, Australiens und der pazifischen Inseln durch die europäischen Mächte im 15. bis 20. Jahrhundert, die einen starken Impuls zur Globalisierung brachte und dieser Impuls war überall spürbar: Selbst in entferntesten Erdteilen wurden nun europäische Sprachen als „Amtssprachen“ eingeführt (so wurde z. B. die Sprache eines relativ kleinen europäischen Insel-Staates, das Englische, zur „Weltsprache”, obwohl damals die englischsprachigen Menschen nur einen winzigen Bruchteil der Weltbevölkerung ausmachten), wurden europäische Gesetze zum geltenden internationalen Recht und europäische Wirtschaftsinteressen zum Maßstab der Welt-Politik. Ausbeutung, Verarmung und Versklavung großer Teile der Weltbevölkerung waren die Folgen (dass es auch positive Entwicklungen in manchen kolonisierten Gebieten gab, ändert an dieser Grundtatsache wenig). Die wirtschaftliche und politische Globalisierung der Kolonialzeit folgte national-egoistischen Antrieben, vertrat nationale Interessen und wurde von nationalen militärischen Kräften vorangetrieben und abgesichert.

Auch in den Ländern der europäischen Kolonialmächte selbst waren die Auswirkungen deutlich: Die Wirtschaft blühte auf, der Reichtum nahm zu. Selbst im kleinsten Landstädtchen konnte man nun „Kolonialwaren“ aus fernen Erdteilen kaufen, Waren, die man vorher nie gekannt hatte. Aber: Nicht friedlicher Handel, sondern gewaltsame Eroberung und Ausbeutung gaben entscheidende Anstöße zu der Entwicklung, die wir heute „Globalisierung“ nennen. Durch sie entstanden erstmals Weltmärkte, entstanden eine Weltwirtschaft und weltweit aktive Finanzsysteme.

Das Bemerkenswerte dabei ist: Auch heute, wo die ehemaligen Kolonien längst politisch selbständig geworden sind und die europäischen Mächte längst ihre Vormachtstellungen verloren haben, folgt die Art der wirtschaftlichen Globalisierung immer noch dem alten kolonialen Muster. Nur sind es jetzt nicht mehr nationale Mächte, sondern die Macht internationaler Konzerne und Finanzinstitute, die das Geschehen bestimmen. Immer noch gibt es die „Billiglohnländer“, wo Millionen Menschen zu Hungerlöhnen und unter katastrophalen sozialen Bedingungen die Massenwaren für den Weltmarkt produzieren. Immer noch gibt es die armen „Rohstoffländer“, deren Reichtümer von Unternehmern aus fernen Kontinenten ausgebeutet und gewinnbringend weiterverarbeitet werden. Für die Betroffenen macht es kaum einen Unterschied, dass die „Kolonialherren“ jetzt nicht mehr europäische Könige, Generäle und Kolonialgouverneure sind, sondern internationale Konzernchefs, Manager und Investoren (die zum Teil selbst aus ehemals kolonialisierten Ländern kommen).

Heute gehen die Handlungsmöglichkeiten der wirtschaftlich Tätigen längst über alle Ländergrenzen hinweg. Man kauft und verkauft Rohstoffe, landwirtschaftliche Erzeugnisse, industriell gefertigte Teile und Fertigprodukte rund um den Globus, als sei das schon immer so gewesen. Die Erde wird zum „Weltmarkt“ und sehr vieles, was wir jeden Tag konsumieren und nutzen, wäre ohne diesen Weltmarkt gar nicht verfügbar. Freilich: Wir hören zwar die Formeln vom „freien Markt“ und „freien Welthandel“, aber unterschwellig bleibt das Unbehagen, dass die wirtschaftlichen Mächte, vor allem in Form von kaum durchschaubaren Welt-Konzernen, eine neue Form von geistiger und materieller Kolonisierung der Völker der Erde betreiben und (noch verstärkt und perfektioniert) vorhaben könnten.

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3 Kulturelle Kolonialisierung

Die entscheidenden Mittel zur „erfolgreichen“ Kolonisierung der Welt waren nicht nur politische Eroberung und wirtschaftliche Ausbeutung, sondern auch und ebenso bedeutsam, eine geistige und kulturelle Überwältigung und Fremdbestimmung (und zum Teil auch Auslöschung). Die Kulturen Nord-, Mittel- und Südamerikas, Polynesiens und Australiens und großer Teile Afrikas wurden im Zuge der Kolonialisierung bis auf geringe Restbestände vernichtet. Ein ungeheurer Verlust für den Kulturbestand der Menschheit! Sprachen, die niemand mehr spricht, Lieder, die niemand mehr singt, Geschichten, die niemand mehr erzählt. Verlorenes Wissen, verlorene Geschichte, verlorene Fähigkeiten. Gelöschte Erinnerungen, gelöschte Erfahrungen, gelöschte Träume und Hoffnungen. Übriggeblieben: Ruinen ohne Leben, Kunstwerke ohne Bedeutung, Schönheit ohne Liebe, bestaunt, fotografiert, genutzt und oft auch zertreten von den Touristen-Nachkommen der Eroberer.

Ein Teil dieser Vernichtung von kulturellem Reichtum ging auf das Konto einer „christlichen“ Mission, welche die kulturellen Traditionen Europas für einen zentralen Inhalt des christlichen Glaubens hielt. Die Vermischung, ja manchmal fast Gleichsetzung von europäischer Kultur und christlichem Glauben (der ja geografisch gar nicht aus Europa stammt, sondern aus dem Nahen Osten), ist eine der folgenschwersten „Sünden“ in der Geschichte der Christenheit. Heute weiß die christliche Mission, dass ihr Anliegen und ihre Botschaft keinen „Kulturtransfer“ beinhaltet und braucht, sondern dass sie in jedem kulturellem Milieu fruchtbaren Boden finden kann, ohne es zu zerstören.

Die Entwicklung der Globalisierung zu Beginn der „Neuzeit“ in Form von gewaltsamer Eroberung, wirtschaftlicher Ausbeutung und kultureller Unterwerfung war nicht zwangsläufig. Es war die Entscheidung europäischer Mächte, diesen Weg zu wählen und den Weg friedlichen Handels und kulturellen Austausches zu verlassen. Auch heute ist der Weg in die Zukunft der Globalisierung noch nicht festgelegt und es wird es von den Entscheidungen gegenwärtiger Mächte abhängen, wie er sich gestalten wird.

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4 Zusammenarbeit oder Unterwerfung

Globalisierung ist von sich aus weder gut noch böse, ist nicht von vorn herein Segen oder Fluch. Entscheidend ist, was Menschen daraus machen: Zusammenarbeit oder Unterwerfung, gegenseitige Bereicherung oder einseitige Ausbeutung, kulturelle Offenheit oder Überwältigung und Vereinnahmung.

Damit wir die Situation nicht falsch verstehen: Nicht Weltwirtschaft und Welthandel sind das Problem. Im Gegenteil: Ohne sie wäre die Weltbevölkerung mit mehr als sieben Milliarden Menschen gar nicht mehr zu versorgen. Vieles läuft da auch durchaus verantwortlich und fair ab. Es gibt aber Fehlentwicklungen und Auswüchse mit furchtbaren Folgen. Nur ein Beispiel: In Zeiten wo die Zinsen für Geldanlagen weltweit niedrig sind, scheinen Spekulationen der einzige Weg zu sein, in kürzester Zeit und ohne eigene Arbeit viel Geld zu verdienen. Die Aktienkurse schießen weltweit in den Himmel. Ein gegenwärtiger Trend ist die Spekulation mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen (Weizen, Mais, Reis, Soja …) die gleichzeitig Grundlage der Ernährung der Weltbevölkerung sind. Die Preisschwankungen und künstlichen Mangelsituationen, die durch solche Spekulationen verursacht werden, können Millionen von Menschen ins Elend treiben, schlimmstenfalls dem Hungertod preisgeben. Die Spekulanten stört das wenig. Dabei muss uns bewusst sein: Das sind alles keine zwangsläufigen Entwicklungen, ebenso wenig, wie die Kolonisierung in allen Jahrhunderten selbstverständlich und notwendig war, sondern sie sind Folgen von Entscheidungen verantwortlicher Menschen, die auch die Möglichkeit hätten, sich anders, also für ein friedliches Miteinander zu entscheiden. Und niemand zwingt irgendjemanden, auch in Zukunft dem Weg wirtschaftlicher Unterwerfung und Ausbeutung weiter zu folgen.

Trotzdem gibt es die auch auch heute noch, und heute mehr denn je. Noch nie in der Geschichte der Menschheit gab es so viele Menschen in Sklaverei-ähnlichen, ausbeuterisch-abhängigen Lebens- und Arbeitsverhältnissen wie heute. Globalisierung ist heute eng verknüpft mit dem Begriff „Liberalisierung“ und mit der Vorstellung, dass ein möglichst von allen einschränkenden Reglungen gelöster „Freier Markt“ am besten in der Lage sei, Wachstum und Wohlstand zu produzieren. Eine globalisierte Welt aber, die man ungebremst dem „freien Spiel der Kräfte“ überlässt, bekommt unweigerlich ein immer stärkeres Gefälle und eine immer raschere Fahrt nach unten, denn der Antrieb für diese Bewegung ist der individuelle und kollektive Egoismus: Immer mehr Erfolg und Gewinn, Reichtum und Macht für die Gewinner des globalen Wettlaufs! Das ist eine ungeheure Motivation, das hält den globalen Motor am Laufen! Ja, aber das ist eben nur möglich, wenn man die Armut und Ohnmacht der „Verlierer“ schon von vorn herein in Kauf nimmt. Riesige Reichtümer in der Hand einiger weniger sind eben nur möglich auf Kosten der Lebensqualität von Millionen anderen, die diesseits und jenseits der Armutsgrenze leben.

Die gegenwärtige Art von Globalisierung, die sich vor allem als weltweiten Wettbewerb der Produktionsstandorte und Absatzmärkte darstellt, macht zurecht vielen Angst. In den „alten“ Industrieländern wird das vor allem als Bedrohung der erreichten Lebensstandards empfunden: Zu hohe Lohn- und Lohnnebenkosten, zu teure Sozialstandards, zu kostspielige Umweltauflagen… Wie soll man da mithalten mit Billig-Ländern, wo Menschen für Cent-Beträge schuften, wo Sozialsysteme wie Kranken-, Invaliden- und Rentenversicherung bestenfalls in bescheidenen Anfängen vorhanden sind, wo die Umwelt bedenkenlos ausgebeutet, ruiniert und vergiftet wird? Da hilft scheinbar nur eines: Sozialabbau auf breiter Front. Angleichung der Löhne nach unten, Ausweitung der Arbeitnehmergruppen in „prekären“ Arbeitsverhältnissen, aufweichen von Umweltschutz-Standards auf Kosten der nachfolgenden Generationen… Es entsteht ein weltweiter Druck, sich den billigsten Standorten anzupassen, weil sonst sonst die Produktion und die Arbeitsplätze dorthin abwandern: Globalisierung nach unten. Gleichzeitig ist man bereit, den profitabelsten Weltkonzernen mit jährlichen Milliarden-Gewinnen Standort-Bedingungen anzubieten, die sie praktisch von fast allen Steuern befreien, nur um sie im Lande halten zu können.

Globalisierung nach unten“, das ist auch für die Menschen in den Billig-Ländern kein Traum (auch wenn viele Arbeitsplätze dorthin abwandern), sondern ein Trauma: Indem die etablierten Industrieländer ihre eigenen Arbeitsbedingungen nach unten anpassen, nehmen sie den „Entwicklungsländern“ die Chance einer Entwicklung „nach oben“, die ihnen Anteil geben würde an einer menschenwürdigen und lebenswerten Welt.

So haben viele (in den Industrieländern ebenso wie in den Entwicklungsländern) das Empfinden: Nur die wenigen weltweit Handelnden (und vor allem die Rücksichtslosesten unter ihnen) profitieren von der Globalisierung der Märkte, alle anderen sind unwissende und hilflose Figuren im Welt-Manager-Schach, die am Ende die Zeche bezahlen. Sie spüren die weltweiten Folgen, sehen aber keinerlei Möglichkeiten die Vorgänge zu durchschauen oder gar (etwa durch Wahlen) auf sie Einfluss zu nehmen. Sie sehen Großmächte, die ihre Einflusssphären und Interessengebiete mit Waffengewalt an sich binden, Stellvertreterkriege, die Hunderttausenden das Leben kosten und Millionen in die Flucht treiben, Welt-Unternehmen, die so reich und mächtig sind, dass sie einschränkende Gesetze einzelner Staaten unterlaufen und außer Kraft setzen können …

Das ist schlimm, denn eine politisch befriedete Erde mit einer gut organisierten und verantwortlich geführten Weltwirtschaft, in der die Freiheit des Wirtschaftens und Handelns garantiert ist, die aber gleichzeitig die Auswüchse hemmungsloser Gier und verantwortungsloser Ausbeutung rigoros zurückschneidet, wäre möglich, wenn nur eine entscheidende Mehrheit der Welt-Mächte es wollte. Eine Weltgemeinschaft, in der nicht einzelne Länder von größenwahnsinnigen Diktatoren beherrscht, von brutalen Milizen und Warlords tyrannisiert und von gewinnsüchtigen „Investoren“ ausgepresst werden, wäre eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die großen Geißeln der Menschheit (Mangel an Nahrung, sauberem Trinkwasser, Bildung, medizinischer Versorgung, ausreichend bezahlter Arbeit, sozialer Sicherung bei Krankheit, Behinderung und Alter …) allmählich ihren Schrecken verlieren. Die wirtschaftliche Globalisierung kann erst dann eine menschenwürdige Entwicklung nehmen, wenn sie sich von ihren kolonialen Wurzeln und ihren ausbeuterischen Grundeinstellungen löst.

Die Anpassung der Arbeitsbedingungen „nach unten“ ist ja nicht so alternativlos, wie uns manche „Experten“ einreden wollen. Möglich wäre auch eine „Globalisierung nach oben“. Möglich wäre es durchaus (und es wird ja in manchen Bereichen schon so gehandhabt), dass sich Handel und Verbraucher der Abnehmerländer zusammenschließen, um Mindeststandards für Löhne, soziale Sicherung und Umweltschutz für die Produktion von Waren auch in den Hersteller-Ländern festzulegen. Freilich darf das nicht geschehen, um die eigene Produktion abzuschotten gegen billige Konkurrenz, sondern um eine globale Wirtschaftsethik zu fördern, die allen Menschen zugute kommt. Der „Motor der Globalisierung“ muss nicht ausschließlich mit dem Treibstoff des Egoismus betrieben werden. Er würde auch vom Antrieb eines gerechten Ausgleichs der Interessen aller Beteiligten gut (gut für alle Beteigten) laufen.

Noch sind die Wege offen, noch ist nicht entschieden, wohin uns der Weg der Globalisierung führt. Noch haben wir es in der Hand, die entscheidenden Weichenstellungen einzuleiten. Über die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in denen das möglich werden könnte, wird noch zu reden sein (siehe den folgenden Beitrag „Globale Gesellschaft und staatliche Verfassung“). Wie lange die Zeit-Fenster für positive Entscheidungen noch offen sind, kann niemand mit Sicherheit sagen; es könnte sein, dass sie sich (zumindest für einige Bereiche) bald schließen.

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Bodo Fiebig Globalisierung – Segen oder Fluch?Version 2018-1

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