Bereich: A Grundlagen der Gesellschaft

Thema: Globalisierung

Beitrag 2: Globale Gesellschaft (Bodo Fiebig8. Februar 2018)

Braucht eine globale Gesellschaft noch eine einzelstaatliche Verfasstheit? Sind nicht die Grenzen von Ländern längst zu Hindernissen geworden für den freien Verkehr von Menschen und Gütern, von Informationen und Ideen? Brauchen wir noch die überkommene Einteilung der Erde in getrennte Nationalstaaten?

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1 Nationalstaaten für eine globale Gesellschaft?

Die heute üblichen Nationalstaaten sind eine relativ junge Erscheinung der Neuzeit. Jahrtausendelang hat die Menschheit ohne sie existiert. Die Formel „Ein Volk mit gemeinsamer Geschichte, eigener und einheitlicher Sprache und Kultur in seinem eigenen Land mit eigener Regierung und eigenem Recht” hatte kaum jemals in der Realität der Länder und Völker seine Gültigkeit. Es gab kaum jemals ein abgegrenztes Land, in dem ein einheitliches Volk mit gemeinsamer Herkunft, Sprache und Kultur lebte (in Europa jedenfalls nicht mehr seit der Völkerwanderung im 3. bis 6. Jahrhundert). Fast alle Völker sind Mischvölker mit Mehrheiten und Minderheiten, und fast alle sind von irgendwo her in das Land eingewandert, in dem sie jetzt leben (oder haben es gewaltsam erobert). Fast alle heute existierenden Ländergrenzen sind durch frühere Gewaltakte (Kriege und Diktate) entstanden.

Schon früheste Menschen-Gemeinschaften, Familienclans, Gruppen und Horden von einigen Dutzend oder Hundert Mitgliedern waren keine einheitlichen „Völker”. Auch da gab es schon Binnenstrukturen mit bestimmenden Mehrheiten, geduldeten Randgruppen und unterdrückten Minderheiten, meist versklavte „Kriegsbeute”.

Die Hochkulturen und Großreiche der Frühgeschichte am Nil, am Euphrat und Tigris oder am Indus waren keine „National­staaten” im heutigen Sinn. Meist bestanden sie aus einem Völkergemisch unter der Herrschaft einer Familiendynastie, die aus der jeweils stärksten und kulturell bestimmenden Volksgruppe kam. Noch deutlicher war die differenzierte Herkunft des „Volkes” in den Reichen der klassischen Antike (z. B. im Reich Alexanders des Großen oder im Römischen Reich) oder bei den König- und Kaiserreichen des europäischen Mittelalters: Die bestanden oft aus Dutzenden von eroberten (seltener auch freiwillig angeschlossenen oder angeheirateten) Gebieten und Volksgruppen, die von der Zentralmacht einer Herrschergestalt und deren Dynastie oder der Kraft eines Herrschafts­systems zusammengehalten wurden (z. B. die Dynastie der Habsburger unter Karl V. im ausgehenden Mittelalter, die, neben der Kaiserwürde im „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“ unter anderen so verschiedene Länder und Völker wie Österreich, die Niederlande, Spanien, Teile Südamerikas und die Philippinen im Pazifik umfasste; die vollständige Liste seiner Herrschertitel und Ländereien ist seitenlang) .

Eine „ethnische Säuberung” eines Landes (wie man es im Zwanzigsten Jahrhundert hier und da anstrebte und manchmal auch mit Gewalt durchzuführen versuchte) wäre zu keiner Zeit der Geschichte tatsächlich irgendwo möglich und „erfolgversprechend” gewesen; man hätte jeweils einen großen Teil dessen, was man für das eigene Volk hielt, mit „wegsäubern” müssen. Die (theoretisch postulierte) Grundlage der Nationalstaaten (das eine und einheitliche Volk, das sich seinen eigenen Staat schafft) war und ist fast nirgendwo existent.

Es ging ja in Wirklichkeit den Herrschenden (gerade auch in den nationalistisch geführten Staaten) nie um ihr „Volk“. Die Nationalisten des sogenannten “Dritten Reiches“ in Deutschland z. B. schickten bewusst und ohne zu zögern Millionen Männer ihres eigenen Volkes in einen völkermordenden Krieg, nicht um damit ihr Volk zu stärken (sie nahmen es ja bewusst in Kauf, dass ihr Volk durch den von ihnen selbst herbeigeführten Krieg millionenfach geschwächt wurde), sondern, um ihren eigenen Machtbereich in Gebiete auszuweiten, in denen andere Völker lebten. Und als dann Millionen deutsche Männer, Frauen und Kinder umgekommen waren und die Städte in Trümmern lagen, kommentierte Hitler nur wegwerfend: „Das deutsche Volk war meiner nicht wert.“

Die Idee vom Nationalstaat wurde in der Geschichte der Menschheit immer dann lebendig, wenn innerhalb eines Herrschaftsbereichs Menschen wegen ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Volksgruppen benachteiligt, ausgegrenzt und unterdrückt wurden. Dann wurde der Wunsch übermächtig, ein eigenes Gemeinwesen einzurichten und weiterzuentwickeln, in dem die bisher Unterdrückten gleichberechtigte Teilhaber (wenn nicht gar die nunmehr vorherrschende Klasse) sein konnten. Der Nachteil dieser Idee ist, dass sie auf der Selbstbehauptung und Konkurrenz der Völker beruht. Der stärkste Nationalstaat hat die Macht, die schwächeren zu unterwerfen und tributpflichtig zu machen. Das Zeitalter der Nationalstaaten wurde zwangsläufig zum Zeitalter der Völker-Kriege.

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2 Demokratie als „schwacher Staat“?

Unsere Vorstellungen von „Herrschaft” stammen aus der Erfahrung von Jahrtausenden: Einer oder wenige „da oben” bestimmen, was zu geschehen hat und die vielen „hier unten” müssen gehorchen. Und dies, weil angeblich nur so Großartiges geleistet werden kann: Der Bau der Pyramiden von Gizeh, die Eroberung eines Weltreiches durch Alexanders den Großen, die Kolonisierung Amerikas, Afrikas und Asiens, der Absolutismus des „Sonnenkönigs” und die Schlösser von Versailles … Die Frage ist nur: Können wirklich nur große Einheiten mit zentralen Machtpositionen Großes vollbringen und ist die Demokratie wirklich (wie oft gesagt wird) eine Gemeinschaftsform der Mittelmäßigkeit und der Langeweile?

Die Zeitspanne der Demokratisierung (die ja bisher nur in relativ wenigen Ländern wirklich einigermaßen konsequent stattgefunden hat) ist im Vergleich zur Jahrtausend-Erfahrung mit absoluten Mächten geradezu winzig. Und auch da empfinden sich die Regierenden, wenn sie denn einmal gewählt sind, gern als „Herrscher auf Zeit”. Trotzdem: In den wenigen wirklich demokratischen Ländern und von ihnen ausgehend hat sich in kürzester Zeit das Gesicht der Erde stärker verändert (und zum Positiven verändert!) als je zuvor: Noch nie in der Geschichte der Menschheit hatten so viele Menschen Anteil an Wohlstand, Rechtssicherheit, Freiheit, Frieden, Gesundheits- und Altersvorsorge … wie in diesen demokratischen Ländern, und das trotz aller Mängel an demokratischer Gesinnung, die auch dort bei vielen der „Herrschenden” und „Beherrschten” immer noch vorhanden ist.

Gegenwärtig wird die angebliche „Schwäche“ der Demokratie oft an der Frage „Freiheit oder Sicherheit?“ festgemacht. Diese beiden Begriffe benennen eine der drängendsten Fragen gegenwärtiger Politik: Wieviel Freiheit muss man notfalls opfern, um ein ausreichendes Maß an Sicherheit zu gewährleisten? Wieviel Überwachung und Reglementierung sind in Zeiten terroristischer Bedrohung unumgänglich, um das Leben der Menschen zu schützen und wo schlägt die Überwachung in umfassende Bespitzelung und die Reglementierung in totalitäre Unterdrückung um? Kann man das Internet als freies, überall verfügbares und für jeden zugängliches Medium erhalten angesichts der Tatsache, dass es zunehmend für kriminelle und radikalpolitische Zwecke missbraucht wird? Was kann man tun angesichts einer Entwicklung, durch die ganze Staaten und deren Regierung und Verwaltung von weltweit agierenden maffiös-kriminellen Organisationen überwuchert und korrumpiert werden?

Eines ist für alle erkennbar und unumstritten: National begrenzte Maßnahmen sind nicht geeignet, globale Gefahren und Fehlentwicklungen abzuwehren. Die verlockende Alternative, nämlich globale Superstrukturen zur Gefahrenabwehr zu schaffen (z. B. eine Art „Weltsicherheitsagentur“ mit weltweiten Überwachungs- und Handlungs-Vollmachten), trägt die noch viel größere Gefahr in sich, dass daraus globale Gleichschaltungs- und Unterdrückungsapparate werden könnten, deren Zugriff man dann wegen ihrer weltweiten Zuständigkeit nirgends mehr entkommen könnte.

Die Frage ist ja: Sind wirklich nur zentralistische Machtkonzentrationen in der Lage die Sicherheit ihrer Bürger zu gewährleisten und großartige Gemeinschaftsleistungen zu vollbringen? Und selbst wenn es so wäre (und wir werden sehen, es ist nicht so), dann bliebe immer noch die viel wichtigere Frage: Sind die Pyramiden von Gizeh und die Schlösser von Versailles oder die Eroberung großer Reiche wirklich eine größere und wertvollere Leistung als Frieden und Wohlstand für möglichst viele, ja, möglichst alle Menschen? (Siehe auch das Thema Reich Gottes und Demokratie“). Eine mögliche Antwort ist erkennbar: Kooperation statt Hierarchie.

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3 Kooperation statt Hierarchie

Die Demokratie hat sich keineswegs als „schwacher Staat“ erwiesen, sondern als stark und erfolgreich, wenn es darum geht, Freiheit und Wohlstand für alle anzustreben. Trotzdem: Gibt es nicht Gemeinschaftsaufgaben der Gesellschaft, die so umfassend und bedeutend sind, dass sie große und stabile Rahmenbedingungen, also zentral geführte staatliche Strukturen und Institutionen brauchen, z.B. für die Schaffung und Erhaltung einer überregionalen Infrastruktur? Ich meine: Nein. Schon heute funktionieren große Infrastrukturprojekte über Ländergrenzen hinweg (z.B. das europäische Straßen- und Eisenbahnnetz) und die nationalen Zuständigkeiten erweisen sich eher als Hindernisse.

Wie aber könnten die Alternativen aussehen? Der heute meist beschrittene Weg, die Begrenztheit der Nationalstaaten zu überwinden, führt in die falsche Richtung: Man versucht der staatlich organisierten Einengung zu entkommen durch die Bildung von überstaatlichen Superorganisationen, die sich mit eindruckmachenden Kürzeln schmücken: UN, EU, NATO, WTO usw. Der einzelne Bürger aber wird dabei den Verdacht nicht los, dass die überstaatlichen Großorganisationen ihn nur noch kleiner machen und noch bedeutungsloser gegenüber der Übermacht der großen anonymen Institutionen, die immer detaillierter in sein alltägliches Leben eingreifen.

Es geht hier um eine Grundsatzentscheidung: Kooperation oder Hierarchie? Was ist hier mit Kooperation gemeint? Ich will das an einem Beispiel aus der Wirtschaft verdeutlichen: Ein Auto wird heutzutage nicht mehr von einer einzigen Firma gebaut, sondern eine Firma (z. B. VW, BMW usw.) organisiert ein Netzwerk von selbständigen Zulieferern, die „just in time” alle nötigen Teile liefern, aus denen ein Auto zusammengesetzt werden kann (auch viele der heute noch zentralisierten Fertigungsabschnitte, ließen sich so noch weiter dezentralisieren). Es wäre heute völlig unmöglich, dass ein einziges integriertes Super-Unternehmen alle Teile eines Autos selbst entwickelt und produziert. Und es stellt sich heraus: Eine solche Kooperation eigenständiger Unternehmen zur Entwicklung und Produktion eines sehr komplexen Produktes (z. B. eines Autos) ist flexibler, leistungsfähiger und innovativer als ein riesiges, nach außen abgeschlossenes und nach innen hierarchisch durchstrukturiertes Einzelunternehmen. Diese Erfahrung ließe sich auch auf die Verwaltungsstruktur regionaler Sprach- und Kulturgemeinschaften und auf deren überregionale Zusammenarbeit übertragen. So müsste es in einer globalisierten Welt ganz gewiss keine „Weltregierung“ geben und keine „Weltpolizei” (eine Schreckensvorstellung!), sondern je nach Bedarf Kooperation von selbständigen regionalen Kräften für überregionale Herausforderungen und Aufgaben, welche die regionalen Kräfte überfordern.

Zwei verschiedene Modelle stehen zur Verfügung, wie das Miteinander der Menschen im engeren und weiteren oder gar im globalen Rahmen organisiert werden kann: Kooperation oder Hierarchie. Im Vergleich trägt das Kooperations-Modell einen zweifachen Sieg davon: Es ist erstens leistungsfähiger, leistungsfähiger vor allem dann, wenn es darum geht, allen Beteiligten eine gerechte Teilhabe an den Gütern und Errungenschaften der Gemeinschaft zu sichern, aber auch bei der Komplexität und Qualität (z.B. von hochwertigen Produkten) und es ist zweitens humaner, also dem Wesen des Menschseins angemessener und gerechter, denn in den hierarchischen Systemen haben ja nur die zahlenmäßig äußerst kleinen herrschenden Schichten Zugang zu den wichtigsten Ressourcen und Entscheidungsabläufen.

Heute schauen viele mit wachsender Faszination auf China, das der staunenden Welt vormacht, wozu eine moderne Diktatur politisch und wirtschaftlich fähig ist. Eine gleichgeschaltete totalitäre Riesen-Macht kann zumindest für eine gewissen Zeit große wirtschaftliche (und dann auch politisch nutzbare) Erfolge vorweisen. Die Kehrseite der Unterdrückung, Gleichschaltung und Entmüdigung weiter Teile der Gesellschaft wird sich erst nach einer (möglicherweise längeren) Zeit äußerer Fortschritte bemerkbar machen.

Die Frage ist, ob sich die positiven Erfahrungen aus einer freien Wirtschaft auch auf politische Einheiten und Strukturen übertragen ließe. Bezogen auf die weiter oben gestellte Frage „Freiheit oder Sicherheit“ ist die Antwort eindeutig: Sicherheit in Freiheit wäre gewiss nicht durch eine zentral gesteuerte (z. B. europaweite) Super-Polizei zu schaffen, sondern nur durch Kooperation von regionalen Polizeikräften, welche die jeweilige Lage vor Ort kennen und die personell und technisch so ausgestattet sind und deren Zusammenarbeit so effektiv organisiert ist, dass diese Kooperation auch optimal gelingen kann. Allgemeiner gesprochen: Wäre es möglich, die Weltgemeinschaft als Kooperation eigenständiger regionaler Verwaltungseinheiten zu organisieren, die nicht durch nationale oder gar übernationale Machtstrukturen, sondern durch die einigende Kraft einer gemeinsamen demokratischen Gesinnung zusammengehalten wird? Das wird uns noch weiter beschäftigen (siehe Abschnitt 4 „Ethische Grundlagen einer globalen Gesellschaft“). Zunächst geht es aber um die Frage, wie man die geografischen und sozialen Grundlagen einer zunehmend global organisierten Gesellschaft regional strukturieren könnte.

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4 Struktur ohne Grenzen

Es geht um die Balance zwischen Globalität und Regionalität, zwischen Freiheit des Einzelnen und Zusammengehörigkeit aller. Unsere Zukunft braucht beides. Kommt diese Balance aus dem Gleichgewicht, droht entweder eine globale Diktatur oder weltweites Chaos. „ Aber, es muss doch irgendwelche erkennbaren Strukturen und Zuständigkeiten geben für die notwendigen Einrichtungen und Verwaltungsabläufe in der Gesellschaft“, sagt man „und es muss öffentliche Institutionen geben, um entsprechende Regelungen zu erarbeiten und umzusetzen!“ Selbstverständlich (denn Anarchie wäre nichts anderes als die Rückkehr zum Gewaltrecht des Stärkeren), nur müssen sich solche Strukturen nicht an nationalen Grenzen orientieren, über die irgendwann einmal auf den Schlachtfeldern der Vergangenheit zugunsten der Mächtigsten, Aggressivsten und Rücksichtslosesten entschieden wurde. Wenn wir einmal den Versuch machen würden, die Kriege und Gewaltakte der Jahrhunderte herausrechnen aus den Landkarten der Erde, so blieben ganz andere Strukturen übrig, als wir sie heute kennen, nämlich geografisch begründete und kulturgeschichtlich gewachsene regionale Einheiten, keine Machtgebilde, sondern Lebens-, Arbeits-, Kultur- und Begegnungsräume für ihre Bewohner und Besucher. Das bedeutet nicht, dass man nun anfangen sollte, die bestehenden Grenzen abzuschaffen, das würde nur zu unaufhörlichen Streitereien führen. Aber man könnte nach und nach Schritte gehen und Veränderungen in Gang setzen, durch welche die bestehenden nationalen Grenzen immer bedeutungsloser werden und die Regionen gestärkt und mit mehr Eigenständigkeit ausgestattet. In Europa nach dem zweiten Weltkrieg und vor allem nach dem Ende des sogenannten „kalten Krieges“ hat man ja schon damit begonnen. Heute sind die innereuropäischen Grenzen längst nicht mehr so trennend, wie vor einigen Jahrzehnten. Bei der Stärkung der Regionen allerdings ist man kaum vorangekommen. Gemeint sind dabei:

  • Kleinregionen, die einige Dörfer und kleinere Städte oder auch eine Großstadt (oder Teile davon) umfassen, in einer Landschaft, die sich als geografische Einheit wahrnehmen lässt, mit einer Bevölkerung, die eine relativ dichte und direkte interne Kommunikation „von Mensch zu Mensch“ praktiziert, deren Sprache einen unverkennbaren gemeinsamen Akzent hat und die kulturelle Lebensweisen pflegt, welche sich in engem Kontakt untereinander und in vielfältiger Zusammenarbeit entwickelt haben, auch wenn sie von ihrer Herkunft und ihren Ausdrucksformen sehr verschieden sein können. Solche Kleinregionen bilden am ehesten das ab, was man im Deutschen gemeinhin unter „Heimat“ versteht. Für die Gegend in Nordostbayern, wo ich lebe, könnte man da als solche Heimatregionen das Fichtelgebirge nennen, den Frankenwald, das Sechsämterland mit engen Verbindungen in die Gegend um Asch in Tschechien, das Vogtland, das zum Teil in Bayern und in Sachsen liegt …

  • Mittelregionen, die, aus mehreren Kleinregionen bestehend, sich durch Besonderheiten der Mentalität und der Sprache, der Lebens- und Arbeitsweisen ihrer Bewohner, der Siedlungsformen und Baustile, der Traditionen und des Brauchtums, der Kunst und der Literatur als kulturgeschichtlich gewachsene Einheit erkennen lassen (freilich auch mit einer Vielfalt an neueren kulturellen Einflüssen, die sich mit dem Bestehenden zu einer jeweils neuen und erweiterten Kulturform verbinden), in einer Landschaft, die geografisch und klimatisch eine bestimmte, aber keineswegs überall einheitliche Prägung hat.

    Ein für mich, da ich in Bayern lebe, „naheliegendes“ Beispiel für solche „Mittelregionen“ wären innerhalb des heutigen deutschen Bundeslandes Bayern die Regionen „Altbayern“ und „Franken“ und „Schwaben“, wobei das bayerische Schwaben in einen sprachlichen, kulturellen und geschichtlichen Zusammenhang gehört, der das Bundesland Bayern überschreitet (woraus erkennbar wird, dass die meisten heutigen Bundesländer auch Kunstgebilde sind, die gewachsene Strukturen und kulturelle Zusammengehörigkeiten zerschneiden). Trotzdem: Die genannten Regionen haben jeweils in sich sehr enge und weit zurückreichende historische Beziehungen und eine deutlich ausgeprägte sprachliche und kulturelle Identität.

  • Großregionen, die, aus mehreren Mittelregionen bestehend, durch eine gemeinsame Sprache und Geschichte ihrer Bevölkerung geprägt sind und sich darstellen als je besondere Einheit von zusammenhängenden Landschaften mit ihren Menschen und deren Kultur. (z. B. die europäisch-deutschsprachige Region, ebenso wie die europäisch-französisch-, polnisch-, italienisch- … sprachigen Regionen, oder wie die südamerikanisch-portugiesisch- oder spanischsprachigen und die mehrheitlich von ihren Ureinwohnern bewohnten Regionen Südamerikas usw., siehe den zweiten Abschnitt weiter unten). Diese Großregionen müssten jedoch keine Machtgebilde sein (die um so mächtiger wären, je größer und reicher sie sind und die dann benachbarte Regionen überfallen und „erobern“ könnten), sondern Lebens-, Arbeits-, Kultur- und Begegnungsräume, die von der Kooperation ihrer Klein- und Mittelregionen leben und die ihrerseits in Kooperation mit anderen Großregionen die Bevölkerung und Kultur, die Lebens- und Arbeitswelt der Kontinente bilden.

Solche Strukturierung der Länder und Kontinente in Klein-, Mittel- und Großregionen, wertet die geografischen, kulturellen und historischen Grundlagen der Gesellschaften auf und die machtpolitischen und kriegerischen Vorgänge der Vergangenheit und deren Auswirkungen ab. Diese Regionen haben selbstverständlich einen geografischen Zuschnitt und ihre Institutionen regionale Zuständigkeiten, aber sie brauchen keine „Grenzen“, die Nachbarn trennen und Verbindungen abschneiden. Die Abspaltungstendenzen z. B. der Schotten in Großbritannien, der Katalanen in Spanien … zeigt, wie stark die Identifikation der Menschen mit ihren historisch gewachsenen Lebensräumen ist und wie groß das Verlangen nach kultureller Selbstbestimmung unter dem Druck einer unsensibel vereinnahmenden Zentralregierung werden kann.

Die sprachlichen und kulturellen Minderheiten in diesen Klein-, Mittel und Großregionen können und sollen dort ihre Besonderheiten pflegen, müssen aber doch insofern offen für die jeweilige Mehrheitsgesellschaft sein, dass sie in ihr kommunikationsfähig sind und sie sich in die jeweils geltende Rechtsordnung und Gesellschaftsform integrieren können und wollen. Wo Mehrheitsgesellschaften durch gewaltsame Eroberung und Kolonisierung fremder Länder und Kontinente entstanden sind (z. B. in Amerika oder Australien), müssen die Lebens- und Besitzrechte, die Sprache und Kultur der Ureinwohner (soweit sie als solche noch historisch identifizierbar sind) besondere Berücksichtigung finden, müssen die Überlebenden Anerkennung und Unterstützung erfahren, müssen die Reste der ursprünglichen Bevölkerung als Kultur- und Lebensgemeinschaft gerechte Lebensbedingungen und entsprechende Freiräume bekommen.

Die Entwicklung der Europäischen Union zeigt wenigstens in Ansätzen, dass eine solche „Struktur ohne Grenzen“ möglich ist und dass sie für alle Beteiligten von großem Vorteil sein kann. Aus Nationalstaaten mit je eigener und eigensüchtiger Politik, die Jahrhunderte lang Völker-Kriege geführt haben, ist eine Gemeinschaft mit offenen Grenzen geworden (Schengen-Raum), mit (im Euro-Raum) gemeinsamer Währung und (in Ansätzen) gemeinsamer Politik. Und wir sehen: Das tut der je besonderen Sprache, Kultur und Identität der Völker und Volksgruppen keinen Abbruch. Die Schweiz hat im Kleinen diese Koexistenz von Sprachen und Volksgruppen schon seit Jahrhunderten erfolgreich vorgelebt, ohne dass die Identität der Regionen und kulturellen Besonderheiten dabei verloren gingen.

Im folgenden Beitrag „Personalität und Identität in der globalen Gesellschaft“ geht es um die Frage, ob die Globalisierung zwangsläufig zur Einebnung der personalen und ethnischen Eigenarten und zum Verblassen der persönlichen und gemeinschaftlichen Identitäten führen muss.

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Bodo Fiebig Globale Gesellschaft und staatliche VerfassungVersion 2018-1

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