Bereich: A Grundlagen der Gesellschaft

Thema: Friede auf Erden?

Beitrag 5: Ideen, Ideale und Idole (Bodo Fiebig22. April 2022)

1 Der Kampf der Systeme

Noch vor einigen Jahren schien es so, als hätte sich das System der freiheitlich-rechts-staatlichen Demokratien weltweit als das menschlichste und zugleich wirtschaftlich und politisch erfolgreichste durchgesetzt. Das war (wie sich unterdessen herausgestellt hat) schon damals eine Illusion, aber jetzt haben es eine Hand voll autokratischer Herrscher in den mächtigsten Ländern der Welt (z. B. in Russland, China, auch in den USA unter Trump – und diese Entwicklung ist ja möglicherweise nur vorläufig unterbrochen -, und in einigen mittleren Mächten, wie z. B. in der Türkei oder dem Iran, in Saudi Arabien oder Syrien und in vielen anderen Ländern) der überraschten Welt vor Augen geführt: Der Egoismus autoritärer Systeme mit harten Autokraten an der Spitze weckt in vielen Menschen eine erstaunliche Faszination. Und: Er kann die Demokratie (zumindest vorübergehend) an die Wand spielen, ja an den Rand des Abgrunds drängen.

Autokratische Systeme können, wenn es um politische oder wirtschaftliche Erfolge geht, schneller und effizienter agieren und reagieren, als parlamentarische Demokratien, denn wenn ein ganzes Herrschaftssystem nur darauf gerichtet ist, den Willen der Machteliten zu vollziehen, braucht es keine Rücksichten zu nehmen auf die Wünsche und Bedürfnisse der Einzelnen. Wobei es nur einen sehr geringen Unterschied ausmacht, dass einige dieser Mächte offiziell ein kommunistisches Hintergrundbild pflegen, die anderen ein nationalistisches oder liberalistisches, wieder andere ein islamistisches, hinduistisches usw. Es geht bei all dem um die Macht der Autokraten innerhalb eines Systems, in welchem (vorgetäuschte) ideologische oder religiöse Motivationen vor allem die nötige Schubkraft geben sollen für die „Mobilmachung“ der eigenen Bevölkerung zugunsten der Herrschenden.

Nein, es ist kein „Kampf der Kulturen“ entbrannt. Aber es brennt mit hohem emotionalen Erregungspotential und gewalttätig aufgeheizten Temperaturen in harten Auseinander­setzungen ein Kampf der autoritären Mächte dieser Erde gegen die Existenz freiheitlicher Demokratien. Und der wird im digitalen Zeitalter meist mit modernen Mitteln geführt (digital verbreitete Desinformation, Hetze und Lüge, wirtschaftliche Überwältigung, politische Destabilisierung …) dann aber auch mit ganz altmodisch-tödlichen Waffen ausgetragen (Folter und Mord, Gewalt und Krieg).

Die Kulturen selbst sind in Wirklichkeit kein guter Brennstoff für Kampf und Krieg, ihnen hängt man zu Unrecht das Etikett vom „Kampf der Kulturen“ an. Aber es gibt politische Systeme, die ohne Kampf und Krieg nicht auskommen, die ohne Gewalt und Unterdrückung nicht wachsen können und keine Erfolge erringen können. Und das sind autokratische Machtsysteme mit Neigung zur Diktatur. Solche Machtsysteme wollen ihr „wahres Gesicht“ (die Selbstüberhöhung und Machtgier der Machthaber) nicht zeigen, sie brauchen Verschleierungs- und Motivations-Systeme, hinter denen sie sich verbergen können. Es geht bei allen autoritären Systemen darum, ihre „Untertanen“ für den Willen der Machthaber verfügbar zu machen. Und das geht am besten mit emotional aufgeladenen Wir-Geschichten (Narrativen), die eine große Vergangenheit mit einer noch größeren Zukunft verbinden, für die sich auch der äußerste Einsatz lohnt.

Es gilt (für die Mächtigen), das Wir-Gefühl der „Untertanen“ so anzuheizen und in nachvollziehbare und mitvollziehbare Demonstrationen und Aktionen gemeinsamer Stärke umzusetzen, dass es für den autoritären Machtgewinn kleiner Machtzirkel nutzbar wird: „Wir – und nur wir sind die „Guten“, die von der Vorsehung, von der Geschichte oder von den Gesetzes des Marktes oder den Geboten der Götter Auserwählten, die sich gegen die heimtückischen Machenschaften der Anderen, der Fremden, der Bösen wehren müssen. Deshalb müssen wir Stärke zeigen und die „Bösen“ (und das sind in ihren Augen alle, die sich ihrer All-Macht entgegenstellen) gnadenlos bekämpfen.“

Die wichtigsten dieser Motivations-Systeme in unserer Gegenwart will ich hier ansprechen, wobei gleich angemerkt werden muss, dass autoritäre Machthaber fast immer Motivationen aus mehreren Systemen verwenden, um möglichst viele zu erreichen (wie z. B. bei den „National-Sozialisten“ in Deutschland 1933-45, die schon in ihrem Namen die nationalen und die sozialistischen Motivations-Energien zusammenzuführen versuchten).

2 Die Wiedergeburt der Ideologien

Die großen Ideologien des 20. Jahrhunderts (des weitaus blutigsten Jahrhunderts der ganzen Menschheitsgeschichte) waren am Ende dieses Jahrhunderts alle gescheitert: Der Nationalismus nach dem Ende der nationalistischen Diktatur in Deutschland und der Kommunismus nach dem Ende der kommunistischen Diktatur in der Sowjet-Union. Die herrschende Partei in China nannte (und nennt) sich zwar noch „kommunistisch“, pflegt jedoch gegenwärtig eher einen gelenkten Staatskapitalismus. Die Aufteilung der politischen Richtungen in „rechts“ und „links“ schien Ende des 20. Jahrhunderts schon aus der Mode gekommen, ehe sie zu Beginn des 21. Jahrhunderts neuen Auftrieb bekam. (Freilich müssen wir dabei beachten, dass diese politischen Richtungsangaben seitdem mit veränderten Inhalten gefüllt sind, die mit dem, was diese Begriffe bei ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert oder Anfang des 20. Jahrhunderts meinten, nur bedingt vergleichbar sind.) Trotzdem verwende ich sie hier, weil sie eine allgemein verständliche Zuordnung ermöglichen.

Heute dienen diese Begriffe und die dahinter stehenden Welt-Bilder vor allem zur Motivation der Beherrschten, nicht als Ziel der Herrschenden. Ich nenne diese Systeme deshalb z. B. nicht „national motiviert“, sondern „nationalistisch motivierend“. Und jede autoritäre Macht der Gegenwart unterhält ein riesiges Propaganda-System, das diese Motive immer wieder neu befeuert (und das jede andere Meinung auszuschalten versucht). Ohne das könnten solche Mächte nicht existieren.

2.1 Völkisch-rassisch-nationalistisch motivierende Systeme

Fast alle autoritären Machthaber unserer Gegenwart spielen (hauptsächlich oder nebenbei) auf der nationalistischen Klaviatur. Das „Wir“ wird als nationale, historisch gewachsene, rassisch-völkische Einheit definiert, als eine Nation, die einst in ferner Vergangenheit groß und mächtig war, die dann aber von „den anderen“ unterdrückt, unterjocht und ihres nationalen Glanzes und Stolzes beraubt wurde, wobei die „Fremden“ von „Verrätern“ aus den eigenen Reihen unterstützt wurden. Nun aber sei die Zeit gekommen, sich der Fremden zu erwehren, die Verräter und Volksschädlinge zu vernichten und die einstige Größe wieder zu erkämpfen.

Solche nationalistischen Übersteigerungen werden nicht deshalb verwendet, weil die Machthaber selbst davon überzeugt wären, sondern deshalb, weil sie wissen, dass sehr viele Menschen für national-egoistische Motive besonders leicht ansprechbar sind. Viele der sogenannten „einfachen Leute“ setzen in schwierigen Zeiten auf nationale Stärke, um nicht von anderen abhängig zu sein und man fürchtet den eigenen Niedergang angesichts undurchschaubarer Verhältnisse und unübersehbarer Entwicklungen.

Aber: Hinter der angeblichen Stärke des nationalen Kollektivs gegenüber den „Anderen“ steht ja in Wirklichkeit die totale Schwäche der einzelnen Menschen gegenüber den Unterwerfungsforderungen der eigenen Machthaber. Hinter der Sehnsucht nach Überlegenheit gegenüber den „Feinden“ kann sich die ganze Härte und Grausamkeit autoritärer Staatsgewalt gegenüber den Abweichlern und Oppositionellen im eigenen Land und Volk verbergen, und so gut verbergen, dass sie im „normalen“ Leben kaum mehr wahrnehmbar ist.

Das richtungsweisende und normgebende Zentrum jedes autoritär-nationalistischen Systems bildet die Person des „Führers“, als eines nationalen „Heilsbringers“, auf den alle Erwartungen für eine große und erhabene nationale Zukunft konzentriert werden. Und es ist für die begeisterten Anhänger des „Führers“ völlig unbedeutend und keines Gedankens wert, dass in der tatsächlichen Geschichte der Völker die großen „Führer“ meist auf furchtbare Weise gescheitert sind und sie ihre Völker mit ins Verderben rissen (Das gilt für Stalin genau so wie für Mao oder Hitler …).

2.2 Sozialistisch-kommunistisch-klassenkämpferisch motivierende Systeme

So wie die Sehnsüchte der Völker nach nationaler Stärke missbraucht werden können, um autoritäre Systeme zu entwickeln und zu stabilisieren, so kann auch die (berechtigte!)  Sehnsucht nach sozialer Gerechtigkeit zu eben demselben Zweck missbraucht werden. Aus der „Diktatur des Proletariats“ wurde in der Realität der sozialistisch-kommunistisch-klassenkämpferisch motivierenden Systeme die „Diktatur über das Proletariat“ durch die Machtzirkel an der Spitze der kommunistischen Parteien. So wie im Nationalismus die Nation oder „das Vaterland“ alles ist und der einzelne Mensch nicht zählt, so ist in den kommunistischen Diktatur die kommunistische Partei (bzw. deren Machtapparat) alles und der einzelne Mensch zählt nichts.

Solche sozialistischen Übersteigerungen werden nicht deshalb verwendet, weil die Machthaber selbst davon überzeugt wären, sondern deshalb, weil sie wissen, dass sehr viele Menschen für klassen-egoistische Motive besonders leicht ansprechbar sind. Man setzt auf die Stärke der „Arbeiterklasse“, die (so sagt man) selbstverständlich und unumkehrbar die Zukunft der Menschheit bestimmen wird.

Aber: Hinter der angeblichen Stärke der kommunistischen Kollektivs gegenüber den „Anderen“ steht in Wirklichkeit die totale Schwäche der einzelnen Menschen gegenüber den Unterwerfungsforderungen der Machthaber in den kommunistischen Parteien. Hinter der Sehnsucht nach Überlegenheit gegenüber „den Klassenfeinden“ kann sich die ganze Härte und Grausamkeit autoritärer Staatsgewalt gegenüber den Abweichlern und Oppositionellen im eigenen Land und Volk verbergen, und so gut verbergen, dass sie im „normalen“ Leben kaum mehr wahrnehmbar ist.

Das richtungsweisende und normgebende Zentrum jedes autoritär-sozialistischen Systems bildet die Machtspitze der Partei, die sich in der Person eines sozialen „Heilsbringers“ darstellt, auf den alle Erwartungen für eine große und erhabene kommunistische Zukunft konzentriert werden. Und es ist für die überzeugten Anhänger der „Partei“ völlig unbedeutend und keines Gedankens wert, dass in der tatsächlichen Geschichte der Völker alle großen kommunistischen Systeme auf furchtbare Weise gescheitert sind und sie ihre Völker mit ins Verderben rissen.

2.3 Liberalistisch-kapitalistisch-materialistisch motivierende Systeme

In liberalistisch-kapitalistisch-materialistisch motivierenden Systemen spielt (im Gegensatz zu den oben genannten Systemen) das Kollektiv als Systemträger kaum eine Rolle. Herausragend und systemtragend ist hier das Narrativ vom „self-made-man“, der aus eigener Kraft vom Tellerwäscher zum Millionär aufsteigt oder vom cleveren Studenten, der in seiner Studentenbude an geheimen Programmen bastelt, und der die Regeln und Chancen des „Freien Marktes“ so optimal und genial (freilich auch so gerissen und rücksichtslos) ausnutzt, dass er zum CEO (zum obersten Chef) eines „Weltunternehmens“ aufsteigt. Wobei dieser „Self-made-Mythos“ wie alle Mythen, nicht die tatsächlichen Verhältnisse beschreibt (in der Realität kann eben nicht jeder Tellerwäscher Millionär werden), sondern der Mythos nur ein Indentifikations-Muster anbietet, das den „kleinen Leuten“ einreden soll: „Jeder kann es schaffen – du auch“ und das die Vielen auf die Ideologie der Machthaber fixieren soll.

Solche liberalistischen Übersteigerungen werden nicht deshalb verwendet, weil die Machthaber selbst davon überzeugt wären, sondern deshalb, weil sie wissen, dass sehr viele Menschen für kapitalistisch-egoistische Motive besonders leicht ansprechbar sind. Man setzt auf die Kräfte des „Marktes“, die (so sagt man) jedem Einzelnen und der ganzen Welt ein „Paradies auf Erden“ bescheren werden. Aber: Hinter der angeblichen Stärke de „freien Marktes“ steht in Wirklichkeit die totale Schwäche der einzelnen Menschen gegenüber den Unterwerfungsforderungen der politischen und wirtschaftlichen Machthaber, der „Global Player“ und Weltkonzerne. Hinter der Sehnsucht nach „Wohlstand für alle“ kann sich die ganze Härte und Grausamkeit eines liberalistischen Systems verbergen, das millionenfach „Verlierer“ produziert, die mit ihrer Arbeitsleistung zu Hungerlöhnen den maßlosen Reichtum der Reichen finanzieren.

Leider ist in den vergangenen Jahrzehnten in den Köpfen vieler Menschen eine falsche Verknüpfung entstanden. Nämlich die Verknüpfung von „Demokratie“ und „Kapitalismus“. Die Glaubwürdigkeit der modernen „westlichen Demokratie“ hat vor allem darunter gelitten, dass sie es zugelassen hat, in vielen Bereichen wirtschaftlichen und politischen Handelns mit einem kapitalistisch-liberalistischen System gleichgesetzt zu werden. Eine „Zulassung“, die dazu führen kann, dass die Demokratie als Alternative zu totalitären Systemen kaum mehr ernst genommen wird und deshalb ihre eigentliche Stärke (Freiheit, Gleichberechtigung und Teilhabe für alle) ihre Wirkung verliert. In Wirklichkeit aber ist die freiheitliche Demokratie dem neokapitalistischen Finanz- und Wirtschaftsliberalismus unserer Gegenwart genau so fremd wie dem Nationalismus oder dem Kommunismus.

2.4 Kulturell-religiös motivierende Systeme

Wer meint, die neue Stärke religiös motivierender Machtgebilde sei auf ein Wiedererstarken des Religiösen im Denken und Glauben der Menschen zurückzuführen, der irrt sich (bzw. wird von Fehlinformationen und Fehlinterpretationen in Verwirrung und Verirrung getrieben). Nicht das religiöse Denken und Glauben der Menschen hat eine neue Dimension erreicht, sondern der Missbrauch des Religiösen für den Ausbau und die Stabilisierung der Machtsysteme der Mächtigen.

Solche religiösen Übersteigerungen werden nicht deshalb verwendet, weil die Machthaber selbst davon überzeugt wären, sondern deshalb, weil sie wissen, dass sehr viele Menschen für religiös-weltanschaulich-egoistische Motive besonders leicht ansprechbar sind. Man setzt auf die Stärke der „Glaubensgemeinschaft“, die (so sagt man) von den Göttern selbst auserwählt ist und die Zukunft der Menschheit bestimmen wird. Aber: Hinter der angeblichen Stärke der Glaubens-Gemeinschaft gegenüber den „Ungläubigen“ steht in Wirklichkeit die totale Schwäche der einzelnen gläubigen Menschen gegenüber den Unterwerfungsforderungen der eigenen religiös legitimierten Machthaber.

Hinter der Sehnsucht nach Überlegenheit gegenüber den „Ungläubigen“ kann sich die ganze Härte und Grausamkeit autoritärer Staatsgewalt gegenüber den Abweichlern und Oppositionellen im eigenen Land und Volk verbergen, und so gut verbergen, dass sie im „normalen“ Leben kaum mehr wahrnehmbar ist.

Dabei werden Kultur und Religion oftmals praktisch gleich gesetzt und zu einem kulturell-religiösen Motivationsbündel verschnürt (z. B. Islam und Scharia, oder Hinduismus und indischer Nationalismus usw.) : Wir, wir und nur wir sind die einzige wahre Religion mit einer einzigartigen kulturellen Einbettung, die dazu ausersehen ist, unserem Land, ja der ganzen Welt und Menschheit endgültigen Frieden zu bringen. Freilich müssen dazu die „Ungläubigen“ bekämpft und überwunden werden und unser religiös begründetes Rechtssystem, das die einzig richtige Lebensweise beschreibt und erzwingt, muss für alle Menschen alternativlos gültig werden (und wer das nicht will, muss durch „Umerziehung“ überzeugt oder durch „endgültige Maßnahmen“ „ausgeschaltet“ werden).

Im „Kampf der Systeme“ geht es gegenwärtig nicht um die (möglicherweise für lange Zeit entscheidende) Auseinandersetzung zwischen Kapitalismus, Sozialismus oder Liberalismus, auch nicht um die Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Kulturen und Religionen. Im „Kampf der Systeme“ geht es jetzt um die Frage, ob die weltpolitischen und weltwirtschaftlichen „Spielregeln“ und Herrschaftsformen, die jetzt (und besonders in der Zukunft der gegenwärtig entstehenden globalen Menschheits-Gemeinschaft) gelten sollen, und die dafür notwendigen rechtlichen Grundsätze von autokratischen Eliten und deren Machtinteressen bestimmt werden, bzw. von Welt-Wirtschafts-Mächten und deren Gewinninteressen oder ob sie in freiheitlichen Demokratien entwickelt werden mit einer offenen, aber doch ethisch begründeten Gesellschaftsform. Dabei müssen wir uns bewusst machen, dass die zum Machtgewinn nach außen dargestellten Begründungen in Form von Ideologien und Religionen, dann auch zum Machterhalt noch lange erhalten bleiben und oft rigoros durchgesetzt werden können (auch wenn in der Realität kaum jemand noch wirklich daran glaubt).

Die großen „Weltmächte“ (USA, Russland, China, evtl. auch Indien – dazu einige kleinere Möchtegern-Welt-Machthaber) kämpfen gegenwärtig um die „Welt-Vormacht“ bzw. „Regional-Vormacht“, weil sie (wahrscheinlich zurecht) meinen, dass in den kommenden Jahren entschieden wird, welche Mächte, Herrschaftsformen, Denkweisen und Lebensstile sich (wahrscheinlich für lange Zeit) in der entstehenden globalen Welt-Gemeinschaft durchsetzen werden. Und sie wollen dieses offene „Zeitfenster“ nutzen, um jetzt die Entwicklung zu ihrem Gunsten entscheidend zu beeinflussen. Wobei Russland und China (vielleicht auch bald Indien?) schon in einer gefestigten Diktatur gelandet sind und die USA noch in einem inneren Ringen zwischen demokratischen und totalitären Kräften steht. Gegenwärtig erleben wir es in der Ukraine, wie brutal diese Macht-Kämpfe in letzter Konsequenz ausgefochten werden. Die Diktaturen der Welt sind bereit, für die angestrebte Welt-Vormachtstellung millionenfach Gewalt, Leid und Tod über die Menschen zu bringen und sie scheuen sich auch nicht, Hunderttausende ihrer eigenen „Lands-Leute“ und Anhänger in Krieg und Tod zu schicken, wenn es für ihre Ziele nützlich scheint.

Entscheidend ist jetzt, ob es gelingt, die Machtinteressen autoritärer Machthaber unser Zeit hinter der Fassade ideologischer und/oder religiöser Begründungen zu erkennen und bloßzustellen. Dann kann es auch gelingen, den ursprünglichen und auch weiterhin berechtigten Interessen kultureller Eigenständigkeit, sozialen Ausgleichs, freier Entfaltung und religiöser Vergewisserung  wieder Geltung zu verschaffen (und das geht am ehesten in freiheitlichen Demokratien).

Ideen und Ideale von Menschen können eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Machtkonzentrationen und Konflikten spielen (ebenso, wie sie auch Völker-verbindende und Friedens-fördernde Wirkungen entfalten können). Solche Ideen und Ideale haben immer auch einen kulturellen und kulturgeschichtlichen Hintergrund, sie können aber auch Kultur-zerstörende und Menschheit-gefährdende Auswirkungen haben, wenn die motivierenden Leit-Ideen wahnhafte Züge annehmen. Und das ist bei autoritären Diktaturen fast immer der Fall.

3 Der große Wahn

Wenn wir die großen Menschheits-Katastrophen der vergangenen Jahrhunderte betrachten (soweit sie von Menschen selbst-gemacht waren und nicht etwa durch Seuchen, Erdbeben usw. verursacht wurden) dann finden wir immer wieder die gleichen Bedingungen und Handlungs-Muster bei ihrer Entstehung:

– Eine alles begründende Geschichts-Deutung

– ein alles rechtfertigendes Ziel

– eine alles beherrschende „Führer-Person“

Dazu einige Anmerkungen:

3.1 Die alles begründende Geschichts-Deutung.

Wir kennen das aus der Propaganda der Zeit des „Nationalsozialismus“ von 1933-1945 in Deutschland. Man nannte die neue Macht, die 1933 in Erscheinung trat, das „Dritte Reich“. Aber welche „Geschichts-Deutung“ stand dahinter? Sehen wir genauer hin:

Das „erste Reich“ (so sagte man) war das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ im Mittelalter. Als Nachfolge-Macht des europäischen Großreiches von Karl dem Großen war dieses „Heilige Reich“ eher als Gedankenkonstruktion und weniger als reale Machtkonzentration entstanden. Die reale Macht lag in den Jahrhunderten in denen dieses „Reich“  existierte mehr bei den jeweils herrschenden Dynastien (z. B. die Karolinger, Ottonen, Staufer, Habsburger …). Trotzdem konnte man die Idee des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“ nun nachträglich als Ideal einer jahrhundertelang bestimmenden und einigenden Macht in Europa darstellen. Allerdings, als ein Ideal, das später (so sagte man) durch die Machenschaften böswilliger „Feinde“ in die macht geschichtliche Bedeutungslosigkeit der zersplitterten und konkurrierenden  Fürstentümer zerfiel.

Als „zweites Reich“ bezeichnete man das Kaiserreich der preußischen Könige ab 1871 bis zum Ende des ersten Welt-Krieges und zum Zusammenbruch der Monarchie 1918. Ein Reich, das noch im Krieg durch den hinterhältigen „Dolchstoß“ von „Vaterlandsverrätern“ gescheitert sei.

Aus dieser Ideen-Geschichte von aufeinanderfolgenden „Deutschen Reichen“,  konstruierte man nun die Idee vom „Dritten Reich“, durch das die Herrlichkeit, Macht und Größe des ersten wiederhergestellt und noch übertroffen werden sollte. Diesmal aber sollten die „Feinde“ des „Reiches“ (die man nun immer deutlicher und immer hasserfüllter mit den Juden gleichsetzte, auch wenn das mit der historischen Realität nichts zu tun hatte) nicht die Möglichkeit haben, das große Vorhaben zu hintertreiben, sondern man würde diese „Feinde“ rechtzeitig vernichten. Und so würde man ein „Tausendjähriges Reich“ aufbauen, in dem die „arisch-germanische Rasse“ die Welt beherrscht und das die Menschheit zu höchster Leistungsfähigkeit, edelster Gesinnung und größtem Glück führen wird. (Wir kennen die furchtbare Realität und die schrecklichen Folgen des nur 12 Jahre dauernden „Tausendjährigen Reiches“)!

Die Erzählungs-Konstruktion (das Narrativ) einstige Größe > Verlust der Größe durch die hinterhältige Macht der Bösen > und gegenwärtige Herausforderung, ja „heilige Berufung“, diese Größe wiederherzustellen und noch zu übertreffen als Menschheits-rettende Aufgabe“, die ist das Grundmuster für die Propaganda aller Diktaturen im 20. und 21. Jahrhundert. Und diese Erzählungs-Konstruktion konnte (z. B. zur Zeit des „Nationalsozialismus“ in Deutschland) bei Millionen Menschen einen Motivations-Schub hervorrufen, ja bei vielen ein tiefernstes und opferbereites Sendungsbewusstsein, für das jeder Einsatz lohnend und jedes Mittel (auch der Völker-Mord) gerechtfertigt schien.

In der Geschichte der großen Diktaturen des 20. und 21. Jahrhunderts finden wir immer wieder das gleiche Narrativ, die gleiche Geschichts-Deutung (die durch die wirklichen historischen Realitäten nicht gedeckt sein muss; es geht ja nicht um historische Wahrheit, sondern um eine selbst-überhöhende, selbst-motivierende, alles-mitreißende Erzählung): „Wir sind es, die dazu berufen sind, die große Vergangenheit in einer noch größeren Zukunft zur endgültigen Vollendung zu führen!“

3.1 Das alles rechtfertigende Ziel

In dieser Geschichts-Deutung ist auch schon das große, jede Vorgehensweise rechtfertigende Ziel enthalten: Wiederherstellung und Vollendung der großen Vergangenheit in einer noch größeren Zukunft zum Heil der ganzen Menschheit! Dazu müssen aber die „Feinde“ des Guten, die den Erfolg und das Glück dieses von der „Vorsehung“ zugesprochenen „Reiches“ verhindern wollen, müssen die „Volksschädlinge“ und „Menschheitsparasiten“ ausgeschaltet und vernichtet werden. Wir müssen den „Endsieg“ erringen, koste es was es wolle! Es geht um alles, ums Ganze! Das begründet jeden Einsatz und rechtfertigt jedes Mittel!

Und dabei ist es völlig unerheblich, ob es sich bei dem „alles rechtfertigenden Ziel“ um die „ideale Volksgemeinschaft“ der „edelsten und wertvollsten Rasse“ handelt oder um die „Klassenlose Gesellschaft“ nach dem endgültigen Sieg des Kommunismus, oder um die große Freiheit aller freien Menschen in einem freien Markt, oder um die eine alle umfassende Glaubensgemeinschaft nachdem alle „Ungläubigen“ (wenn es sein muss, mit Gewalt) zum „wahren Glauben“  bekehrt oder in die Hölle hinabgefahren wären.

Es geht immer um alles, um den „Endsieg“ einer Menschheits-beglückenden Vision, ums Ganze! Das begründet jeden Einsatz und rechtfertigt jedes  Mittel.

Einige Beispiele für solche Machtansprüche in der Gegenwart, die nun durch Vergangenheits-Deutung und Zukunfts-Phantasien verwirklicht werden sollen, können hier angesprochen werden:

Die Idee von der „Neuen Seidenstraße“ Chinas folgt genau diesem Narrativ. Die „Neue Seidenstraße“ gilt als Sinnbild für die erwartete glorreiche Zukunft, die an die chinesischen Großreiche der Vergangenheit wieder anknüpft, nun aber alle Völker der Erde verbindet und unter dem „Schutzschirm“ der Kommunistischen Partei und unter der Zentralmacht Chinas endlich die ganze Welt zusammenführt und vereint.

Das neue Großrussland, das an die große Geschichte des „Kiewer Rus“ anknüpft, das die Völker des heutigen Russland, des heutigen Weißrussland und der heutigen Ukraine vereinte, soll als Weltgroßmacht die Geschicke der Welt entscheidend mitbestimmen. Und auch hier steht eine „Drittes-Reich-Erzählung“ im Hintergrund, nun aber abgewandelt als „Drittes Rom“ (als religiöse Motivations-Komponente): Das „Erste Rom“ war das Römische Reich zur Zeit der ersten Christenheit. Danach kam Konstantinopel als „Zweites Rom“ mit der byzantinischen (griechisch orthodoxen) Christenheit als Leit-Idee und schließlich Moskau als „Drittes Rom“ mit der russisch orthodoxen Kirche als spirituelle Grundlegung. Da hineinverwoben spielt auch noch das Motivationsbündel der Wiederherstellung der einstigen Weltmacht der Sowjetunion eine beträchtliche Rolle.

Ähnliches gilt z. B. auch für das Vormacht-Streben des heutigen Iran, das an die großen Persischen Reiche der Frühgeschichte  anknüpfen und Persiens Vormachtstellung im vorderen und mittleren Orient wieder herstellen will. Oder auch für die heutige Türkei, die auf die große Geschichte des Osmanischen Reiches zurückgreift.

Für die Motivation der Menschen in den gegenwärtig islamisch geprägten Ländern für die Ziele der Machthaber geht es darum, die „großartige Geschichte vom Anfang des Islam“ (durch die Person und Wirkungsgeschichte des Propheten Mohammed) aufzugreifen und in eine noch großartigere Zukunft weiterzuführen: Wenn nur erst alle „Ungläubigen“ zum Islam bekehrt (oder besiegt) und in die „Umma“ (Gemeinschaft) des Islam eingegliedert wären, dann könnte die ganze Welt vom „Haus des Krieges“ zum „Haus des Friedens“ werden und dann wäre alles und für immer gut (gut vor allem für die Machthaber, deren Macht dann weltumspannend, pseudo- religiös abgesichert und total wäre). Das heißt ja nicht, dass es in den verschiedenen Glaubensgemeinschaften keinen echten und nicht-manipulierten Glauben gäbe, aber die Gefahr des Missbrauchs als Machtinstrument ist gegenwärtig riesengroß.

Alle diese Elemente können im 21. Jahrhundert zu Motivationsbündeln verschnürt werden, die ganze Völker, ja die ganze Menschheit in vernichtende (bzw. selbst-vernichtende) Völker-Kriege und Welt-Kriege treiben können; jetzt im Zeitalter der „Massenvernichtungswaffen“ sogar in die Selbstvernichtung der Menschheit und allen Lebens.

3.3 Die alles beherrschende „Führer-Person“

Solche selbst-überhöhenden „Erzählungen“ kursieren in ganz vielen Völkern, aber es braucht noch, damit sie ihre schrecklichen, zerstörenden (und selbstzerstörenden) Wirkungen entfalten können, einen übermächtigen „Erzähler“, der in wahnhafter Selbst-Überzeugung und rücksichtsloser Brutalität an ihre Verwirklichung geht.

Wir haben die schrecklichsten Beispiele des 20. Jahrhunderts vor Augen: Stalin, Hitler, Mao (es gab und gibt noch viele andere in kleinerem Maßstab). An ihrem Beispiel sollen wesentliche Züge der „despotischen Führer und Kriegsherren“ erkennbar werden. Aber die gab es schon vor Jahrtausenden und durch die ganze Menschheitsgeschichte hindurch und auch an ihren Leben und Handeln (von Nebukadnezar bis Napoleon …) werden die gleichen Merkmale erkennbar. Und es gibt sie auch heute: Vladimir Putin in Russland, Xi Jin Ping in China, Erdogan in der Türkei oder die Iranischen Ajatolas  …, vielleicht auch (evtl. in einer zweiten Amtszeit) Donald Trump in den USA.

Ihre Biografien sind in den Beiträgen „Das Erbe der Frühzeit“, „Das Erbe der Generationen“ und „Kultur und Motivation“ schon vorgezeichnet (obwohl dort die Bedingungen sehr allgemein dargestellt werden).

Hitler, Stalin und Mao, die oben genannten großen Millionen-Verbrecher des 20. Jahrhunderts, hatten alle drei eine schwere und belastete Kindheit und Jugend (siehe „das Erbe der Generationen“), und alle drei lebten in Kulturen, die in ihren jeweiligen aktuellen Ausprägungen, dem Leben und Wohlergehen der einzelnen Menschen nur geringen Wert zumaßen (siehe „Das Erbe der Generationen“). Alle drei haben (noch in Friedenszeiten!) viele Millionen Menschen durch Verfolgung und Ermordung als „Feinde“ umbringen lassen, haben durch „aktives Verhungern-Lassen“ ganze Volksgruppen in den Tod getrieben (bei Hitler vor allem während des Krieges, z. B. in Leningrad) und durch interne „Säuberungen“ sehr viele der eigenen Anhänger getötet (die Opfer ihrer Kriege müssen dann noch dazugezählt werden). Ihre Handlungsweisen waren geprägt von wahnhafter Selbstüberhöhung der eigenen Person und Fähigkeiten, von wahnhaften Vorstellungen und Ideen, die sich immer weiter von den Realitäten entfernten und zugleich von wahnhaft übersteigerter Furcht um die eigene Machtposition und das eigene Leben.

Aber: Das eigentliche Problem liegt nicht darin, dass es einzelne Personen mit solchen wahnhaft übersteigerten Geschichts-Deutungen und Selbstüberzeugungen gibt, und dass die sich solche wahnhaft übersteigerten Ziele setzen. Menschen, die sich in wahnhafte Vorstellungen hineinsteigern, gibt es immer. Die Frage ist nur, wie man mit ihren Wahn-Ideen umgeht: Ob sie in psychiatrischen Einrichtungen Hilfen zur Besserung und Gesundung bekommen, oder ob sie in den Zentren der Macht sitzen und wirken. Das eigentliche und wirkliche Problem liegt darin, dass so viele Millionen Menschen, die von sich aus nicht(!) an Wahnvorstellungen litten, ihnen so bedingungslos und bis in letzte Konsequenz gefolgt sind.

Die Bedingungen dafür, dass Menschen dazu bereit sein können, sind erkennbar:

  • Das Bewusstsein der Teilhabe an einer großen Menschheits-beglückenden „Bewegung“, in der wir eine bedeutende Rolle spielen. In der ich eine bedeutende Rolle spiele.
  • Die tatsächliche Teilhabe an der Macht der „Bewegung“ durch Titel, Ämter, Gewinne, Ansehen … für sonst oft sehr mittelmäßig begabte Personen, die solche Positionen ohne die „Bewegung“ nie hätten erringen können.
  • Die begründete Angst vor den schlimmen Konsequenzen (für sie selbst und ihre Angehörigen), wenn sie sich nach außen erkennbar gegen die „Bewegung“ stellen würden.

Verlockung durch Teilhabe für „Mitläufer“ und „Mitmacher“ und Angst vor der mörderischen Brutalität gegen „Abweichler“ und „Verräter“, das sind die Pfeiler der Macht in den Machtsystemen der Diktatoren.

Gegenwärtig sieht es so aus, also ob die „Alte Weltordnung“ sich wieder durchsetzen könnte, wo die Macht der Mächtigen durch offene Gewalt mit Schwertern (oder heute mit comutergesteuerten Bomben) erobert und verteidigt wurde. Oder eine „Neue Weltordnung“ (die eigentlich doch nur die alte ist, nur mit anderen Machthabern und anderen Machtmitteln), in der die Macht der Mächtigen mit versteckter Gewalt durchgesetzt wird, durch geistige Überwältigung, entwürdigende „Umerziehung“, wirtschaftliche Ausbeutung und dem Einsatz modernster Überwachungs-, Informations- und Desinformations-Technologie (oder wahrscheinlicher: durch eine Kombination von offener und versteckter Gewalt).

Aber noch ist der „Kampf um die Zukunft“ nicht entschieden. Noch ist das „Zeitfenster“ offen für beides: Leben und Frieden oder Kampf und Tod, Freiheit und Gerechtigkeit oder Gewaltherrschaft und Unterdrückung, aber es könnte sein, dass es sich bald schließt.

Die „Alte Weltordnung“ (die sich manchmal auch die „neue“ nennt) will

– Macht

– Ruhm,

– Reichtum

– Gewinn

aber jeder nur für sich und gegen „die anderen“.

Und sie (diese „Alte Weltordnung“) will die Menschheit einteilen

in Sieger und Besiegte,

mit uns, den Siegern, als Herren

und euch, den Besiegten, als Sklaven.

(So war sie immer, die menschengemachte „Weltordnung“,

seit Jahrtausenden.)

Aber:

Die Jugend der Welt im 21. Jahrhundert

will leben und zusammen-leben

mit allen, in allen Völkern, Kulturen und Religionen

– in Frieden,

– in Freiheit und Selbstbestimmung,

– in Gerechtigkeit,

für alle,

in einer Gemeinschaft globaler Mitmenschlichkeit,

– in Liebe

zu allen.

Wird die Jungend der Welt und ihre Friedenssehnsucht eine Chance zur Verwirklichung bekommen, im 21. Jahrhundert und in einer immer mehr globalisierten Welt?

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