Bereich: A Grundlagen der Gesellschaft

Thema: Friede auf Erden?

Beitrag 4: Die Neigung (Bodo Fiebig3. Mai 2023)

Menschliches Erleben, Empfinden, Denken, Reden und Tun hat eine „Neigung“. Wie das gemeint ist? Vielleicht so: Stellen wir uns einen kleinen Ball vor auf einer ebenen Fläche. Wenn diese Fläche wirklich eben ist, wird der Ball dort liegen bleiben, wo ich ihn hinlege. Wenn diese Ebene aber „geneigt“ ist, so dass sie an manchen Stellen etwas höher und an anderen Stellen etwas tiefer liegt, dann wird der Ball, dieser Neigung folgend, immer von den höheren Stellen zu den tiefer gelegenen rollen.

Menschliches Erleben, Empfinden, Denken, Reden und Tun hat ganz selbstverständlich und „von Natur aus“ eine „Neigung“. Und die Richtung dieser Neigung kann man mit einem einzigen Wort beschreiben und dieses Wort hat nur drei Buchstaben (allerdings drei ganz große Buchstaben): I C H (lateinisch Ego).

Menschliches Erleben, Empfinden, Denken, Reden und Tun wurde im Verlauf einer jahrtausendelangen Erfahrungs-Geschichte im „Kampf ums Dasein“ auf Ego-ismus  hin trainiert und das war in frühen Zeiten für die einzelnen Menschen, ebenso wie für ihre Familien und Sippen, für ihre Lebens- und Jagdgemeinschaften überlebens-wichtig. Ihre „Neigung“ hieß: „Wir gemeinsam für uns, gegen die Anderen. Nur so konnten sie ihr Leben, ihr Zusammen-Leben und Über-Leben sichern. Menschliches Erleben, Empfinden, Denken, Reden und Tun (und das Leben insgesamt) hat „ von Natur aus“ eine egoistische Neigung mit einem Trend nach unten.

Stellen wir uns nun vor, auf der geneigten Fläche wären nun mehrere Bälle. Was würde geschehen? Na klar, die Bälle würden abwärts rollen und sich dort sammeln, wo die geneigte Fläche ihre tiefste Stelle hat.

Wenn nun jemand die Absicht hätte (z. B. als Grundlage für eine Macht-Position), möglichst viele „Bälle“ (gemeint sind hier die Menschen einer bestimmten „Wir-Gemeinschaft“, z. B. Familie, Sippe Volk …) um sich zu versammeln, wo würde er (oder sie) sich hinstellen? Ganz oben? Irgendwo in der Mitte? Ganz unten? Selbstverständlich ganz unten. Ganz unten, an die tiefsten Stelle der Neigung zum Egoismus. Dort würden dann alle Bälle entsprechend der allgemeinen „Neigung“ auf ihn (sie) zurollen. Vielleicht würde er (oder sie) sogar versuchen, die Neigung noch etwas zu verstärken (und damit auch die Kraft, welche die Bälle auf ihn/sie zutreibt), damit er/sie auch wirklich möglichst alle „Bälle“ um sich versammeln könnte.

So haben es alle „Menschenfänger“ gemacht, durch die Jahrhunderte, Jahrtausende: Nebukadnezar im alten Babylon, die Pharaonen im alten Ägypten, die Cäsaren im alten Rom …, und die Herrscher und Diktatoren aller Zeiten. Ich will das hier nur an einigen Beispielen des 20. und 21. Jahrhunderts verdeutlichen:

Da gab es z. B. bei vielen Menschen in Deutschland, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (nach dem verlorenen 1. Weltkrieg), eine starke Neigung, die eigene unbefriedigende Situation und ihr eigenes angeknackstes „Ego“ aufzuwerten, etwa so: „Eigentlich sind ja wir (natürlich wir, wer denn sonst?) die Besten, die Stärksten, die Fähigsten … Aber da gab es „Verräter“, die uns, noch im Krieg, verraten haben. Deshalb, nur deshalb haben wir den Krieg verloren und deshalb geht es uns jetzt so schlecht.“ (das war, historisch gesehen, Unsinn, eine Lügen-Erzählung, die später sogenannte „Dolchstoß-Legende“). Aber so entstand in Deutschland eine starke Neigung und eine „Bewegung“ nach unten. Und an die tiefste Stelle dieser „Geneigtheit“ zum Egoismus in einer bestimmten historischen Situation stellten sich Leute auf, die diese Neigung für sich und ihre Ziele ausnutzen wollten. Adolf Hitler war einer von ihnen.

Ihre Mittel zur Verstärkung der schon vorhandenen „Neigung“ waren einfach aber wirksam: Wir, wir und nur wir sind die edle „Herren-Rasse“, welche durch die „Vorsehung“ der Geschichte dazu berufen ist, die Menschheit in eine erhabene, heroische, strahlende Zukunft zu führen. Dazu müssen wir das ehemals großartige deutsche „Erste Reich“ (das mittelalterliche „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“) wieder herstellen und das gescheiterte „Zweite Reich“ (das Reich der preußischen Könige und Kaiser nach den Sieg über Frankreich 1871) wieder errichten, nun aber in einem unbesiegbaren „Dritten Reich“, das die Menschheits-Geschichte (unter der Führung der germanisch-arischen Rasse) in eine glorreiche Zukunft führt. Und dafür müssen wir alle Hindernisse beseitigen und alle „Feinde“ ausschalten (wenn es sein muss auch auslöschen).

So etwas nennt man heute ein „Geschichts-deutendes Narrativ“. Solche Narrative müssen mit der tatsächlichen Verhältnissen in der realen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Völker überhaupt nichts zu tun haben. Sie suchen sich lediglich einige passende Elemente aus der tatsächlichen Geschichte heraus und deuten sie im Sinne ihrer eigenen Vorhaben um. Solche Narrative sollen ja auch gar nicht die historische Wirklichkeit beschreiben, sondern sollen nur eine bestimmte, schon vorhandene „Neigung“ verstärken.

Die Erzählungs-Konstruktion (das Narrativ)

1.) einstige Größe

2.) Verlust der Größe durch die hinterhältige Macht der Bösen und

3.) gegenwärtige Herausforderung, ja „heilige Berufung“, diese Größe wiederherzustellen und noch zu übertreffen als Menschheits-rettende Aufgabe“,

… diese Erzählungs-Konstruktion ist das Grundmuster für die Propaganda aller Diktaturen im 20. und 21. Jahrhundert. Und diese Erzählungs-Konstruktion konnte (z. B. zur Zeit des „Nationalsozialismus“ in Deutschland) bei Millionen Menschen einen gewaltigen Motivations-Schub hervorrufen, ja bei vielen ein tiefernstes und opferbereites Sendungsbewusstsein, für das jeder Einsatz lohnend und jedes Mittel (auch der Völker-Mord) gerechtfertigt schien. Es ging ja jetzt um alles, um den „Endsieg“ einer Menschheits-beglückenden Vision, es ging ums Ganze!

So wurde (in einer bestimmten historischen Situation) aus der immer vorhandenen „Egoismus-Neigung“ des Menschseins eine mitreißende Bewegung, die vor Krieg und millionenfachen Mord nicht zurückschreckte. Das kann uns nicht wirklich überraschen, denn eine mitreißend-egoistische Neigung kann ja immer nur nach unten führen und landete im „Nationalsozialismus“ des 20. Jahrhunderts tatsächlich in der (bis dahin) tiefsten Verirrung des Menschseins.

Ein zweites Beispiel aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts für so ein geschichtsdeutendes Narrativ ist die Bewegung des Kommunismus in der Sowjet-Union und in China (und noch in vielen anderen Ländern, gegenwärtig besonders deutlich sichtbar am Beispiel Nord-Koreas). Auch da gab und gibt es so ein überzeugendes und mitreißendes Ego-Narrativ: Wir, wir und nur wir sind die Geschichts-gestaltende „Klasse“, welche die Menschheit in eine von allem Übel befreite „Klassenlose Gesellschaft“ führen wird. Davor gab es nur eine endlose Folge von Klassen-Kämpfen, in denen immer wieder die jeweils herrschende Klasse durch revolutionäre Bewegungen abgelöst wurde. Jetzt aber geht es um eine endgültige Ablösung und um eine endgültige Erlösung von allem Übel durch die Macht des Kommunismus“.

Auch das ein Geschichts-deutendes Narrativ, das mit der tatsächlichen Geschichte der Menschheit kaum etwas zu tun hat, das aber (wie der Nationalsozialismus in Deutschland) eine Bewegung „nach unten“ auslöste, die in die millionenfachen Verbrechen und Mord-Unternehmungen der Diktaturen Stalins in der Sowjet-Union oder Maos in China führten.

Auch im gegenwärtigen 21. Jahrhundert können wir eine ganze Reihe solcher „Geschichts-deutender Narrative“ erkennen, die alle dazu dienen sollen, auf der „geneigten Ebene“ menschliches Erlebens, Empfindens, Denkens, Reden und Tuns ein immer stärkeres Gefälle in Richtung auf die Machterweiterung der Mächtigen zu erzeugen. Einige Beispiele für solche Machtansprüche in der Gegenwart, die nun durch Vergangenheits-Deutung und Zukunfts-Phantasien verwirklicht werden sollen, können hier angesprochen werden (und wir erkennen wieder die 3 Schritte der oben genannten „Erzählungs-Konstruktion“):

Das neue Großrussland, das an die große Geschichte des „Kiewer Rus“ (ab dem 8. Jahrhundert) anknüpft, das die Völker des heutigen Russland, des heutigen Weißrussland und der heutigen Ukraine vereinte, soll nun, im 21. Jahrhundert, als Welt-Großmacht die Geschicke der Welt entscheidend mitbestimmen. Und auch hier steht eine „Drittes-Reich-Erzählung“ im Hintergrund, nun aber abgewandelt als „Drittes Rom“ (als religiöse Motivations-Komponente): Das „Erste Rom“ (so sagt dieses Narrativ) war das Römische Reich zur Zeit der ersten Christenheit. Danach kam Konstantinopel als „Zweites Rom“ mit der byzantinischen (griechisch orthodoxen) Christenheit als Leit-Idee und schließlich Moskau als „Drittes Rom“ mit der russisch orthodoxen Kirche als spirituelle Grundlegung. Da hineinverwoben spielt auch noch das Motivations-Bündel der Wiederherstellung der einstigen Weltmacht der Sowjetunion eine beträchtliche Rolle und verstärkt noch die „Neigung“ zu Vormachts-Phantasien, die wir gegenwärtig im Krieg gegen die Ukraine erleben.

Auch die Idee von der „Neuen Seidenstraße“ Chinas folgt dem gleichen Narrativ: Die „Neue Seidenstraße“ gilt als Sinnbild für die erwartete glorreiche Zukunft, die an die chinesischen Großreiche der Vergangenheit (und deren Welt-Verbindung durch die  antike „Seidenstraße“) anknüpft, die nun aber alle Völker der Erde verbinden will, und unter dem „Schutzschirm“ der Kommunistischen Partei und der Zentralmacht Chinas endlich die ganze Welt zusammenführen und vereinen soll (und das geht eben nicht ohne totale Überwachung und Zwang).

Ähnliches gilt z. B. auch für das Vormacht-Streben des heutigen Iran, das an die großen Persischen Reiche der Frühgeschichte  anknüpfen und Persiens Vormachtstellung im vorderen und mittleren Orient wieder herstellen will. Oder auch für die heutige Türkei, die auf die große Geschichte des Osmanischen Reiches zurückgreift (und auf die großartigen Zeugnisse früher Kulturen auf dem Gebiet der heutigen Türkei).

Für die Motivation der Menschen in manchen der gegenwärtig islamisch geprägten Ländern für die Ziele der Machthaber geht es darum, die „großartige Geschichte vom Anfang des Islam“ (durch die Person und Wirkungsgeschichte des Propheten Mohammed) aufzugreifen und in eine noch großartigere Zukunft weiterzuführen: „Wenn nur erst alle „Ungläubigen“ zum Islam bekehrt (oder besiegt) und in die „Umma“ (Gemeinschaft) des Islam eingegliedert wären, dann könnte die ganze Welt vom „Haus des Krieges“ zum „Haus des Friedens“ werden und dann wäre alles und für immer gut (gut vor allem für die Machthaber, deren Macht dann weltumspannend, pseudo-religiös abgesichert und total wäre). Das heißt ja nicht, dass es in den verschiedenen Glaubensgemeinschaften keinen echten und nicht-manipulierten Glauben gäbe, aber die Gefahr des Missbrauchs von Glaubens-Inhalten als Machtinstrumente ist gegenwärtig riesengroß.

Die Neigung der Menschen, sich selbst und die eigene Identitäts-begründende Geschichte und Gemeinschaft zu verklären und damit aufzuwerten, und das Bestreben der Machthaber aller Zeiten, diese Neigung zum eigenen Machtgewinn zu nutzen und zu verstärken, die haben das 20. Jahrhundert zum blutigsten Zeit-Abschnitt der ganzen Menschheitsgeschichte gemacht. Und diese Neigung könnte nun, in der immer mehr globalisierten Welt-Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, die Menschheit als Ganzes in vernichtende Auseinandersetzungen treiben; jetzt im Zeitalter der „Massenvernichtungswaffen“ sogar in die Selbst-Vernichtung der Menschheit und allen Lebens.

Es sei denn, dass es gelingen könnte, nach und nach die Ab-Neigung gegen „die Anderen“ zu überwinden, indem wir es lernen, alle Menschen in allen Völkern, Kulturen und Religionen als „Mitglieder unserer eigenen Wir-Gemeinschaft“ zu verstehen. Dazu müssten wir uns als vertraute „Geschwister der einen Menschheitsfamilie“ erkennen und eine Neigung (jetzt nicht nach „unten“, sondern nach „oben“) zu globaler Mitmenschlichkeit fördern. Dazu müssten wir allerdings auch eine Ab-Neigung entwickeln gegen alle eigenen Tendenzen zur Selbstüberhöhung (die sich ja immer mit einer Abwertung der „Anderen“ verbindet). Und das wäre wohl am ehesten möglich im Glauben an den väterlicher und mütterlicher Schöpfer aller Menschen, der in unerschütterlicher Zu-Neigung alle Menschen-Kinder liebt.

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