Wenn wir auf die gegenwärtige Weltlage sehen und noch mehr, wenn wir auf die gegenwärtige Aggressivität von weltbedeutsamen Stimmungen und Äußerungen achten, dann scheinen uns Fortschritte hin zu mehr weltweitem Frieden außerordentlich unwahrscheinlich und man könnte resignieren. Wenn wir aber auf die Verheißungen Gottes in der Bibel schauen, dann können wir wieder Hoffnung schöpfen: Gott selbst will eine spirituelle Friedensinitiative starten, die allen Unfrieden für immer von dieser Erde verbannt. Er selbst hat diese Friedensinitiative angekündigt und er selbst wird sie zum Erfolg führen. Und: Er will Menschen gewinnen, die bereit sind, daran mitwirken.
Es wird geschehen zur Spätzeit der Tage: Fest gegründet wird sein der Berg des Hauses JaHWeHs, als höchster der Berge (nicht in Metern gemessen, sondern der Bedeutung nach, den er im Heilsplan Gottes hat), der alle Höhen überragt, und zu ihm werden strömen alle Nationen. Und es werden sich aufmachen viele Völker und werden sagen: Kommt und lasst uns hinaufsteigen zum Berg JaHWeHs, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns unterweise über seine Wege und wir gehen auf seinen Pfaden. Denn Recht-Weisung wird ausgehen von Zion und das Wort JaHWeHs von Jerusalem. Und er wird Recht sprechen zwischen den Nationen und gerecht entscheiden für die Völker. Da werden sie umschmieden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Speerspitzen zu Winzermessern. Da wird nicht mehr Volk gegen Volk das Schwert erheben und sie werden nicht mehr lernen, wie man Krieg führt (Jes 2, 2-4; eigene Übersetzung).
Vier Bewegungen werden hier angedeutet, die in ihrer Summe bewirken, dass im globalen Miteinander der Menschheitsfamilie der Frieden wachsen kann:
a) Rechtweisung (hebr. „Thora“) wird ausgehen von Zion und das Wort JaHWeHs von Jerusalem. Die „Rechtweisung“ Gottes, die er von Jerusalem ausgehen lässt, enthält Unterweisung als weiterführende Lehre, enthält konkrete Anweisung zu rechtem Handeln, und Richtungsweisung für weiterführende Entscheidungen, enthält konkrete Wegweisung für hilfreiche und zukunftsfähige Lösungsansätze und Zurechtweisung bei Irrtum und schuldhafter Verfehlung. Und diese „Rechtweisung“ soll, ausgehend von Jerusalem, alle Völker der Erde erreichen.
b) Daraufhin wird eine Gegenbewegung zu diesem „Ausgehen“ von Jerusalem einsetzen: Menschen aus allen Nationen werden nach Jerusalem kommen, um von dort Weisung zu empfangen für ihre persönlichen Lebenswege und für das Miteinander der Gruppen und Völker.
c) Darüber hinaus wird Gott selbst durch Menschen, die er dazu beruft, von Jerusalem her Recht sprechen zwischen den Nationen und gerecht entscheiden für die Völker. Das scheint aus heutiger Sicht unmöglich, aber nicht aus der Sicht der Möglichkeiten Gottes.
d) Und dann werden die Völker (Volksgruppen, Stämme, sozialen Gruppierungen, Kulturen, Religionen …) aus eigenem Antrieb alle Kampfhandlungen einstellen und alle „Kampfmittel“ umwidmen und für friedliche Zwecke zum Wohle der Menschen einsetzen.
Gott selbst wird „von Zion seine Weisung ausgehen lassen und sein Wort von Jerusalem … und zurechtweisen die Völker“. So hat er es verheißen und so wird er es durchführen. Und dann werden alle Schwerter zu Pflugscharen werden und alle Spieße zu Sicheln. Im Friedensreich seines Gesalbten (Messias) wird „nicht mehr Volk gegen Volk das Schwert erheben und sie werden nicht mehr lernen, wie man Krieg führt“. Dies ist unabweisbare Zukunft für alle Menschen, ja für die ganze Schöpfung. „Zur Spätzeit der Tage“, oder in der „letzten Zeit“ (Lutherübersetzung) wird es so geschehen. Für unsere Gegenwart und nahe Zukunft wird es entscheidend sein, ob und wie viele Menschen aus den verschiedensten Regionen, Völkern, Rassen, Kulturen … sich bereitfinden, sich (schon jetzt!) in diese Friedensbewegung Gottes mit einzureihen.
1 Das Senfkorn des Friedensreiches
Gott will auch in der „vorletzten Zeit“, also in unseren Tagen, Frieden schaffen, “vorletzten“ Frieden zwar nur und vorläufigen, der immer unvollkommen und angefochten ist, der aber schon das „Senfkorn“ sein soll, aus dem der Friedensbaum der Ewigkeit wächst. Matthäus 13,31+32: Ein anderes Gleichnis legte er ihnen vor und sprach: Das Himmelreich gleicht einem Senfkorn, das ein Mensch nahm und auf seinen Acker säte; das ist das kleinste unter allen Samenkörnern; wenn es aber gewachsen ist, so ist es größer als alle Kräuter und wird ein Baum, so dass die Vögel unter dem Himmel kommen und wohnen in seinen Zweigen.
Das Samenkorn des „Himmelreiches“, des messianischen Friedensreiches, muss in den Acker dieser Welt gesät werden, und es muss – in der Nachfolge Jesu – von Menschen dieser Welt gesät werden. Ohne diese Aussaat in Unvollkommenheit und Vorläufigkeit will Gott sein Reich der Vollkommenheit und Vollendung nicht aufrichten.
Um seiner ganzen Schöpfung willen, die auf Erlösung wartet, sucht Gott nach Menschen, die als „Friedensstifter“ an seinem Werk mitarbeiten. Jesus preist solche Friedensstifter selig und nennt sie „Kinder Gottes“. Und: … das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden (Römer 8,19), nicht erst in der „letzten Zeit“, sondern in unserer Zeit, denn das Reich Gottes ist „nahe herbeigekommen“, da wo Menschen „den Namen Gottes heiligen“ und „seinen Willen tun“.
Gott selbst ist es, der redet, und nur durch sein Wort kann die Völkerwelt zurechtgebracht werden. Und doch beauftragt Gott Menschen wie du und ich, dass sie sein Wort ausrichten und durch ihr Leben glaubhaft bestätigen.
Gott will in dieser gegenwärtigen Welt und Zeit seine Botschaft durch Menschen ausrichten. 2. Kor 5, 18-21: Aber das alles von Gott, der uns mit sich selber versöhnt hat durch Christus und uns das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt. Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.
Ganz gewiss: Das Friedensreich des Messias, des Gesalbten Gottes, wird in seiner Vollendung erst erscheinen bei der Erscheinung seines Königs und Hohenpriesters Jesus Christus, des Auferstandenen. Und alle Versuche der Menschen, mit eigenen Mitteln eine vollkommene menschliche Gemeinschaft zu errichten, sind auf furchtbare Weise gescheitert. Trotzdem: Der Auferstandene schläft nicht seinem Wiederkommen entgegen, sondern er ist jetzt schon am Werk. Nicht nur als individueller Seelenretter der Einzelnen (dies auch), sondern auch als König seines noch wie ein Schatz im Acker verborgenen, noch samenkornartig kleinen, noch wie zwischen Felsen und Dornen gesäten und doch schon gegenwärtigen und gemeinschafts-gestaltenden und gesellschaftsverändernden Reiches.
Der gegenwärtige und kommende Christus will schon heute in dieser zerrissenen Menschheit eine Mitte schaffen, in der alle Gegensätze versöhnt sind, in der alle Spaltungen überwunden werden, von der aus alles Auseinanderstrebende wieder verbunden wird, von der aus Vergebung, Versöhnung, Einheit, Ganzheit und Friede in diese Welt gehen und dort Veränderung und Erneuerung bewirken. Wenn das auch in dieser Weltzeit immer nur vorläufig, ansatzweise und beispielhaft und immer unvollkommen geschehen kann, so ist es aber doch wahrnehmbare Wirklichkeit, real und voller Dynamik, bis Gott selbst durch seinen Gesalbten, den Messias, die Menschheit endgültig und ganz und vollkommen erneuern wird.
Und das, dieser Einheits- und Friedensdienst an der Welt, ist die Berufung der Gemeinde, ja der ganzen Christenheit. Dazu hat Jesus die Kirche ins Leben gerufen, dazu hat er sie auf den Grund der Apostel und Propheten gestellt, dazu hat er sich selbst ihr als Haupt gegeben.
Von dieser Mitte aus soll Versöhnung in die ganze Menschheit und Welt gehen. Die Menschheit kann nicht existieren ohne diesen Einheits- und Friedensdienst des Gottesvolkes (also der christlichen Kirche und des Judentums) in ihrer Mitte (siehe das Thema „Juden und Christen“). Die Welt geht sonst an ihrer Friedlosigkeit, Zerstrittenheit, Feindseligkeit, Kampflust und Gewalttätigkeit zu Grunde. Und die Waffen liegen bereit, alles Leben auf dieser Erde endgültig auszulöschen.
Machen wir uns das bewusst: Die Existenz der Menschheit (sowohl ihr Leben in dieser gegenwärtigen Welt, als auch ihr Heil in der zukünftigen) hängt (nicht nur, aber auch) davon ab, ob die weltweite Jesusjüngerschaft den ihr aufgetragenen Christusdienst der Versöhnung in der Welt vollmächtig wahrnehmen kann, als „Salz der Erde“ und „Licht der Welt“ und „Stadt auf dem Berge“. Im Volk des schon beginnenden Gottesreiches sollen alle Gegensätze angenommen und versöhnt werden, soll jede Schuld Vergebung finden, soll aller Egoismus von der Liebe überwältigt werden, soll jede Feindschaft zum Ende kommen.
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Ich höre jetzt die heimlichen Seufzer: „Ach ja, schön wär’s, aber die Christenheit war ja selbst von Anfang an und ist bis heute ein Bild des Unfriedens und der Uneinheit, (und das Verhältnis zwischen Juden und Christen wird seit zweitausend Jahren von Ablehnung, Hass und Gewalt mitbestimmt). Was wurde und wird in der Christenheit nicht gestritten und gekämpft, manchmal mit Worten und manchmal mit Waffen. Wie ist die Christenheit selbst in sich zerrissen und gespalten und verfeindet. Und ausgerechnet die soll einen Einheits- und Friedensdienst in und an der leidenden und suchenden Menschheit vollbringen? Von ihr sollen Versöhnung und Frieden ausgehen, in ihr soll die verlorene Einheit und Ganzheit der Menschheit wieder sichtbar und erfahrbar werden? Ach ja, schön wär’s, aber die Kirche bräuchte doch selbst erst einmal so einen Einheits- und Friedensdienst für sich, um aus ihren eigenen ständigen Streitigkeiten und Kämpfen, ihren Eifersüchteleien und Verdächtigungen und ihrem gegenseitigen Misstrauen herauszufinden. Die Kirche bräuchte ja selbst erst einmal so eine innere Mitte, von der aus Kräfte der Versöhnung und der Einheit in das Ganze der Christenheit hineingehen, damit sie dann auch wieder zurückfinden kann zu ihrer eigentlichen Berufung für die Welt.“
2 Der Dienst im Inneren
Ja, genau so ist es, genau so einen Einheits- und Versöhnungsdienst aus der Mitte heraus braucht die Kirche. Sie ist ja, trotz allem göttlichen Ursprungs und Beistands, immer auch Menschenwerk. Sie braucht zuerst einmal ein inneres Organ der Einheit und Versöhnung für sich selbst, braucht sozusagen ein „Kirchlein in der Kirche“, eine versöhnende Mitte für die Kirche, damit die Kirche versöhnende Mitte für die Welt sein kann.
Und es gibt tatsächlich in verschiedenen Konfessionen Menschen und Gruppen, die diesen Einheits- und Versöhnungsdienst am und im Innern der Kirche als ihre Berufung entdecken und wahrnehmen. Sie tun den Christusdienst der Versöhnung im Innern der Kirche, damit die Kirche nach außen den Christusdienst der Versöhnung an der Welt und für die Welt tun kann.
Solche Christus-Menschen wissen, dass nicht sie, sondern nur Christus selbst die Versöhnung der zerrissenen Christenheit und Welt bewirken und zu Stande bringen kann, aber sie geben sich hin als die unbeirrbar Hoffenden, dass es geschehe und, wo sie sich gerufen wissen, als die Friedensstifter zwischen den Fronten, die von allen Seiten unter Beschuss stehen, und die dennoch nach alle Seiten Signale der Liebe senden.
Sie sind nicht darauf aus, sich selbst und ihre Gemeinschaften als die eigentliche „echte und wahre Kirche“ an die Stelle der versagenden „alten Kirchen“ zu setzen, sie wollen vielmehr dazu helfen, dass die Kirche, also die Christenheit als Ganzes, echt und wahr und von innen her erneuert, ihrer eigentlichen Bestimmung gerecht werden kann.
Sie wissen, dass nur die Kirche als Ganzes und das ganze Gottesvolk aus Juden und Christen in versöhnter Vielfalt den Messias/Christus-Dienst der Versöhnung an der Welt vollmächtig tun können, und weil die Kirche und das Volk Gottes als Ganzes dazu jetzt noch nicht bereit und fähig sind, versuchen diese „Friedensstifter“ unter ihnen in ihrem eigenen Gemeinschaftsleben und im Zusammenleben mit ihrer Umwelt etwas von der Einheit und Ganzheit der einen Kirche und des ungeteilten Gottesvolkes schon zu verwirklichen und stellvertretend vorzuleben.
Sie tun dies, indem sie versuchen, die verschiedenen und oft widersprüchlichen Strömungen und Strukturen, Liturgien und Lebensformen, Erkenntnisse und Bekenntnisse aus den vorhandenen Konfessionen jüdischer und christlicher Tradition in sich aufnehmen und in sich ausformen lassen. Sie müssen allerdings dann auch – stellvertretend und trotzdem mit allen Konsequenzen – die Widersprüche und Spannungen von zwei Jahrtausenden schuldbeladener Geschichte in sich aushalten und austragen und aussöhnen im Bewusstsein, dass dies immer nur in winzigen Ausschnitten, punktuell und graduell gelingen kann.
Dies alles nicht aus einer Haltung selbstgenügsamer Frömmigkeit, die nur das eigene Heil sucht, sondern als Dienst am Miteinander und Füreinander der ganzen Menschheitsfamilie im Rahmen einer umfassenden „Gesellschafts- und Friedensdiakonie“.
3 Gesellschafts- und Friedensdiakonie
Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? So fragt der Beter von Psalm 121, und er antwortet selbst: Meine Hilfe kommt vom HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat. Dieser Herr, der Himmel und Erde gemacht hat, und von dem alle Hilfe kommt, ist es aber auch, der die Seinen anweist, sich selbst der Leidenden anzunehmen (Jes 58, 6-8): Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte…
Jesus bestätigt im Neuen Testament genau diesen Anspruch: Mt 25, 31-36: … Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen, und ihr seid zu mir gekommen. Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben (…). Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.
Seit Jahrhunderten haben sich Gläubige in den christlichen Kirchen und in Einrichtungen des Judentums um Menschen gekümmert, die in Not waren oder „unter die Räuber gefallen“: um Arme, Kranke, Behinderte, Alte, um Witwen und Waisen, um die Opfer von Gewalt und Krieg. Das war und ist Diakonie am Leben der Menschen (siehe den Beitrag „Gesellschafts- und Friedensdiakonie“ auf der Startseite von „lebenundfrieden“). Das bekannteste Vorbild für diese Diakonie ist der „barmherzige Samariter“ aus dem Gleichnis Jesu (Lk 10, 30-36). Diese Samariter-Dienste haben sich als menschlich und gesellschaftlich so notwendig und hilfreich erwiesen, dass sie heute in den meisten (auch nichtchristlichen) Ländern von staatlichen Einrichtungen übernommen werden: Krankenhäuser, Altenheime, Waisenhäuser, Behinderteneinrichtungen … Die Kirchen sind, zumindest in den hoch entwickelten Ländern, nur noch am Rande damit befasst durch diakonische Einrichtungen, die nach den Vorgaben der staatlichen Sozialsysteme arbeiten.
Statt dessen ist aber heute eine neue, ganz große Herausforderung hinzugekommen, für die es noch keine staatlichen Einrichtungen gibt: Nicht mehr nur das Leben, sondern vor allem das Zusammenleben der Menschen ist gefährdet und gestört. Und das gilt weltweit, in Europa genau so wie in Afrika oder Asien, wie in Amerika oder Australien und es reicht bis in das letzte Südsee-Inselparadies im Pazifischen Ozean: Die traditionellen Bindungen haben sich aufgelöst und neue tragfähige Strukturen sind noch nicht gefunden. Der Zusammenhalt der Ehen und Familien, der Generationen und Geschlechter ist weithin zerbrochen. Den Schutzraum der Großfamilie, der Nachbarschaften, der Dorfgemeinschaft, auch der Arbeitsgemeinschaft einer Firma, in der man viele Jahre, ja möglichst ein ganzes Berufsleben tätig ist, gibt es kaum noch. Die Vereinzelung des Menschen inmitten von immer größeren und immer unüberschaubarer werdenden sozialen Einheiten macht ihn hilflos und anfällig gegenüber dem Zugriff globaler Mächte und Beeinflussungsstrategien und gegenüber den Machtansprüchen autoritärer Diktatoren.
Das gilt um so mehr, wenn es um die Frage nach Krieg oder Frieden geht. Immer in den Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte war die Antwort (und die Verantwortung) auf diese Frage eine Entscheidung der Machthaber, nie eine Entscheidung der betroffenen Völker und Volksgruppen. Und weil man als Machthaber nicht allein Krieg führen kann, müssen die ihre Völker so lange mit Propaganda-Lügen auf den Krieg als einzig mögliche „Befreiung“ aus allen Nöten einstimmen, bis sie den Willen des Volkes „gleichgeschaltet“ haben mit ihren eigenen Machtgelüsten.
Gegenwärtig wird die Frage nach „Krieg und Frieden“ allzu sehr auf auf die Frage „Frieden schaffen durch Waffen“ (die den Angegriffenen, im gegenwärtigen Fall die Ukraine, in die Lage versetzen sollen, den Angriff abzuwehren) oder „Frieden schaffen ohne Waffen“ (um zu verhindern, dass der Krieg immer weiter eskaliert)?
Ja, wenn ein Land angegriffen wird, weil ein Diktator seinen Machtbereich erweitern will, kann und soll und muss ihm die „Weltgemeinschaft“ helfen, diesen Angriff abzuwehren (und dass der Krieg nun schon so lange dauert, liegt ja wesentlich daran, dass die „Weltgemeinschaft“ sich nicht einig ist, sondern dass einzelne Staaten und ihre Machthaber versuchen, für sich selbst aus dem Konflikt eigene wirtschaftliche und politische Vorteile herauszuschlagen, und deshalb den Angriff eben nicht verurteilen).
Aber die gegenwärtige Situation ist ja schon die Folge fehlgeschlagener Krisenbewältigung im Vorfeld des Krieges. Der Konflikt begann ja nicht am 24. 2. 2022. Und er hat ein ganz weites Spektrum von vorausgehenden Ursachen und Ereignissen. Der alles entscheidende politische Grund dafür, dass dieser Krieg nicht verhindert werden konnte, war schon vor Jahrzehnten gelegt worden, als nach dem Ende des zweiten Weltkrieges der „Weltsicherheitsrat“ der „Vereinten Nationen“ gebildet wurde, und zwar als alles entscheidende Institution für die Bewältigung von internationalen Krisen. Damals sicherten sich die „Siegermächte“ des 2. Weltkrieges, dazu China, eine doppelte „Sonderstellung“ in diesen „Rat“: Sie (und nur sie) sind 1.) „Ständige Mitglieder“ des Rates und sie (und nur sie) haben 2.) ein umfassendes „Veto-Recht“. Das bedeutet, dass dann, wenn die Kriegsgefahr von einem dieser „Ständigen Mitglieder“ ausgeht, die Weltgemeinschaft der Vereinten Nationen zwangsläufig ratlos, hilflos und machtlos ist. Und das bedeutet: Solange dieser „Geburts-Schaden“ des „Weltsicherheitsrates“ nicht behoben ist, bleibt das internationale Recht dem politischen Vormachts-Streben und den Macht-Gelüsten ausgerechnet derer ausgeliefert, die eigentlich zuständig sein sollten, den Frieden zu bewahren! Und mit der Bedrohung Taiwans durch China erscheint schon der nächste (und wahrscheinlich noch folgenreichere, möglicherweise Menschheits-gefährdende) Krieg am Horizont.
Die Alternative „Frieden schaffen durch Waffen“ oder „Frieden schaffen ohne Waffen“ ist doppelt kurzsichtig: 1.) weil sie (wie jetzt im Ukraine-Krieg) meistens erst greift, wenn der Krieg schon im Gang ist, und weil sie 2.) das weite Feld der Ursachen des Unfriedens (siehe die Beiträge 1-5) und das ebenso weite Feld der Möglichkeiten zur einer vorausschauenden und voraushandelnden Friedens-Förderung (siehe die Beiträge 6-8) nicht im Blick hat.
Was heute nötig ist, ist nicht mehr nur eine Diakonie am Leben der Menschen, sondern auch eine Diakonie am Zusammenleben der Menschen, in den Ehen und Familien, in Nachbarschaften und Kollegien, in überörtlichen Gemeinschaften und Netzwerken … Der barmherzige Samariter von heute muss nicht nur die Wunden des unter die Räuber Gefallenen verbinden, er muss ihm vor allem wieder den Zugang zu einem sozialen Gefüge verschaffen, in dem er Nähe, Gemeinschaft und Geborgenheit erfahren kann. Das können staatliche Einrichtungen nicht schaffen.
Und: Die Menschheit braucht jetzt eine globale Friedensdiakonie für die Arbeit und Zusammenarbeit der Völker, Staaten und Kulturen, der Weltanschaungen und Religionen, eine Friedensdiakonie, die ehrlich und vertrauenswürdiug, nicht den jeweils eigenen Vorteil sucht.
Was heute nötig ist, ist eine Gesellschafts- und Friedensdiakonie, durch die Menschen neu lernen können, wie man in Gemeinschaft lebt und wie verschiedene Gemeinschaften mit verschiedenen Traditionen, Mentalitäten, Lebensweisen und Ausdrucksformen in Einheit und versöhnter Verschiedenheit leben können. Selig sind die Friedensstifter, denn sie werden Kinder Gottes heißen (Mt 5, 9). Die christlichen Kirchen haben das ja selbst erst mühsam lernen müssen. Auch sie waren vielfach gespalten und zerrissen, standen sich manchmal sogar in feindlichen Lagern gegenüber, und sie sind erst in unserer Zeit dabei, allmählich wieder zu ihrer ursprünglichen Einheit zurückzufinden. Dadurch aber haben sie einen Erfahrungsvorsprung bezüglich der Nöte unserer Gegenwart, den sie heute in die regionalen und globalen Prozesse einbringen können.
Eine solche individuelle, regionale und globale Gesellschafts- und Friedensdiakonie als Gegenwartspraxis des zukünftigen Friedensreiches kann und soll heute überall geschehen, wo Menschen sich von Jesus zu einer Lebensgemeinschaft der Einheit in versöhnter Verschiedenheit durch die Bindungskraft der Liebe führen lassen. Und das nicht als weltferne Utopie und wirklichkeitsscheuen Wunschtraum, sondern als handfest-konkreter Lebensvollzug, in dem aber schon ein Vorgeschmack der Vollendung wahrzunehmen ist.