Freiheit des Seins und Freiheit des Handelns, so wurde im vorausgehenden Beitrag die „Freiheit als Menschenrecht“ beschrieben. Wenn es um menschliche und zwischenmenschliche Rechtsordnungen geht, sind dies die tragenden Säulen der Freiheit. Von Gott her gesehen ist der Freiheitsrahmen des Menschseins aber noch weiter gesteckt. Im Folgenden soll das mit einigen Beispielen angedeutet werden: Freiheit als göttliche Lebensordnung.
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1 Der biblische Freiheitsrahmen
In der Bibel gibt es eine durchgehende Geschichte der Freiheitsgewährung und Freiheitsgewährleistung, die Gott von Anfang an für das ganze Menschengeschlecht wollte und die er dann, vorwegnehmend und vorbildhaft, in dem von ihm erwählten Volk Israel durchbuchstabierte und in praktischen Handlungsanweisungen erprobte (und das zu einer Zeit, in der Unterdrückung und Sklaverei in allen Nachbarvölkern selbstverständlich waren).
Das Fundament dazu wird schon in der Urgeschichte der Menschheit gelegt: Die Menschen (weder als Herren noch als Untergebene) sollen nicht der Sklaverei einer ununterbrochenen Arbeit unterworfen sein. Es gab in den antiken Ländern (abgesehen von Israel) keine 7-Tage-Woche und schon gar nicht ein freies Wochenende. Jeder Tag war selbstverständlich ein Arbeitstag. Ausnahmen waren nur besondere Festtage zu Ehren der Götter oder Herrscher. Eine regelmäßige Frei-Zeit, wie wir sie seit zweitausend Jahren kennen, wie sie im Judentum noch Jahrtausende länger gilt, und wie sie sich seitdem weltweit weitgehend durchgesetzt hat, hätte sich damals niemand ausdenken können. In der Bibel dagegen wird die freie Zeit Bestandteil einer von Gott gegebenen und geschützten Lebensordnung. Die Frei-Zeit als Freiraum und Freiheitsangebot wird von Gott zur „heiligen Zeit“ erklärt, dadurch, dass er selbst sie einhält und heilig hält (1. Mose 2, 2-3): Und so vollendete Gott am siebenten Tage seine Werke, die er machte, und ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte. Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte.
Der erweiterte Familienclan der Abraham-Nachkommen lebte später lange Zeit als Sklaven des Pharao in Ägypten. Die Geschichte ihrer Volk-Werdung im eigenen Land beginnt mit einer Befreiungs-Tat Gottes: Die Israeliten werden von Gott unter der Leitung durch Mose in die Freiheit geführt (2.Mose 3, 6-8): Und er (Gott) sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. Und der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen, und ihr Geschrei über ihre Bedränger habe ich gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. Und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie aus diesem Lande hinaufführe in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt …
Gott will nicht Unfreiheit, Abhängigkeit, Unterdrückung, Sklaverei, sondern persönliche, politische und religiöse Freiheit. Die Befreiung Israels war das Vor-Bild der Befreiung aller Menschen aus aller Unfreiheit. Das Handeln Gottes mit den Menschen beschreibt eine Freiheitsbewegung.
Aber damit noch nicht genug: Der Mensch soll auch nicht der Sklaverei seiner eigenen Gier unterworfen sein, die, um immer mehr zu haben, immer mehr schaffen muss. Und dieses Freiheitsrecht der „freien Zeit“, die nicht irgendeiner Art von „Produktion“ dienen muss, soll nicht nur für die Herren gelten, sondern auch für alle Angehörigen, Bediensteten und Sklaven, auch für die Fremden, ja sogar für das Vieh. In den sogenannten „Zehn Geboten“ ist das Freiheitsgebot der arbeitsfreien Zeit das umfangreichste und detaillierteste (2. Mose 20, 8-11): Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligst. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt. Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der HERR den Sabbattag und heiligte ihn.
Sogar der Acker (also das Boden-Biotop) soll seine „Frei-Zeit“ bekommen, wo er nicht „bearbeitet“ wird, um Früchte zu „produzieren“, sondern wo er „ruhen“ und sich „erholen“ kann (3. Mose 25, 1-7): Und der HERR sprach zu Mose auf dem Berge Sinai: Rede mit den Israeliten und sprich zu ihnen: Wenn ihr in das Land kommt, das ich euch geben werde, so soll das Land dem HERRN einen Sabbat feiern. Sechs Jahre sollst du dein Feld besäen und sechs Jahre deinen Weinberg beschneiden und die Früchte einsammeln, aber im siebenten Jahr soll das Land dem HERRN einen feierlichen Sabbat halten; da sollst du dein Feld nicht besäen noch deinen Weinberg beschneiden. Was von selber nach deiner Ernte wächst, sollst du nicht ernten, und die Trauben, die ohne deine Arbeit wachsen, sollst du nicht lesen; ein Sabbatjahr des Landes soll es sein. Was das Land während seines Sabbats trägt, davon sollt ihr essen, du und dein Knecht und deine Magd, dein Tagelöhner und dein Beisasse, die bei dir weilen, dein Vieh und das Wild in deinem Lande; all sein Ertrag soll zur Nahrung dienen.
Und 2. Mose 23, 10-12: Sechs Jahre sollst du dein Land besäen und seine Früchte einsammeln. Aber im siebenten Jahr sollst du es ruhen und brach liegen lassen, dass die Armen unter deinem Volk davon essen; und was übrig bleibt, mag das Wild auf dem Felde fressen. Ebenso sollst du es halten mit deinem Weinberg und deinen Ölbäumen. Sechs Tage sollst du deine Arbeit tun; aber am siebenten Tage sollst du ruhen, auf dass dein Rind und Esel sich ausruhen und deiner Sklavin Sohn und der Fremdling sich erquicken.
Noch weiter geht das „Erlassjahr“, durch das eine Wiederherstellung von Besitzverhältnissen angestrebt wird, welche die Verluste an Land und Eigentum, die im Laufe der Zeit geschehen waren, wieder ausgleicht. Familien, die durch Unglück, Not oder Ungeschick in Armut und Abhängigkeit geraten waren, sollen wieder zu ihrem Besitz kommen, damit sie wieder frei leben und arbeiten können (3.Mose 25, 8-13): Und du sollst zählen sieben Sabbatjahre, siebenmal sieben Jahre, dass die Zeit der sieben Sabbatjahre neunundvierzig Jahre mache. Da sollst du die Posaune blasen lassen durch euer ganzes Land am zehnten Tage des siebenten Monats, am Versöhnungstag. Und ihr sollt das fünfzigste Jahr heiligen und sollt eine Freilassung ausrufen im Lande für alle, die darin wohnen; es soll ein Erlassjahr für euch sein. Da soll ein jeder bei euch wieder zu seinem Besitz und zu seiner Sippe kommen. Als Erlassjahr soll das fünfzigste Jahr euch gelten. Ihr sollt nicht säen und, was von selber wächst, nicht ernten, auch, was ohne Arbeit wächst, im Weinberg nicht lesen; denn das Erlassjahr soll euch heilig sein; vom Felde weg dürft ihr essen, was es trägt. Das ist das Erlassjahr, da jedermann wieder zu seinem Besitz kommen soll.
Das neue Testament nimmt die alttestamentliche Freiheitszusagen wieder auf und bestätigt sie durch Jesus (Lk 4,18): „Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat und gesandt, zu verkündigen das Evangelium den Armen, zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und die Zerschlagenen zu entlassen in die Freiheit.
Später wird der Freiheitsbegriff noch weiter gefasst (Röm 8,21): … denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. (Gal 5,13): Ihr aber, Brüder und Schwestern, seid zur Freiheit berufen.
Eine solche Hoch-Schätzung der Freiheit inmitten einer Menschheitsgeschichte der Unterdrückung und Sklaverei, in der die Schwächeren von den Stärkeren (Einzelnen, Gruppen oder Völkern) in Ausbeutung und Abhängigkeit gehalten wurden, ist schon überraschend (vor allem in Texten, die schon Jahrtausende alt sind) und man fragt sich: Wo ist der Grund und die Motivation für eine solche „Freiheitsbewegung“? (Auf die Frage, wann und wie weit diese Vorschriften auch tatsächlich eingehalten wurden, wird hier nicht eingegangen. Entscheidend ist hier die Grundlinie dieser „Freiheitsbewegung“). Und diese Grundlinie beginnt mit dem biblischen Menschenbild. Sie beginnt mit der „Berufung zur Freiheit“ für alle Menschen.
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2 Berufen zur Freiheit
Jedes Lebewesen braucht einen angemessenen Lebensraum. Ein Wolfsrudel braucht einen anderen und viel weiteren Lebensraum als ein Maulwurfs-Familie. Ein Storchenpaar braucht einen Lebensraum, der über Kontinente reicht, einem Borkenkäfer reicht für einen großen Teil seines Lebens der winzige Raum zwischen der Rinde und dem Stamm einer Fichte. Für alle aber gilt: Wenn Lebensräume immer mehr eingeengt oder negativ verändert werden, dann können sie zumindest für einige ihrer Bewohner zum Gefängnis werden oder zur Todeszelle. Ein Mast-Stall oder eine Legebatterie z. B. sind keine angemessenen Lebens-Räume für Schweine oder Hühner.
Jedes eingesperrte Tier sucht nach einem Ausweg in die Freiheit. Dabei bedeutet Freiheit nicht schrankenlose Unbegrenztheit. Kein Lebewesen hat und braucht einen unbegrenzten Lebensraum um frei zu sein. Freiheit, das bedeutet Leben in einem Lebensraum mit Lebensbedingungen, die den Bedürfnissen des betreffenden Lebewesens entsprechen. Ein Adler braucht eine Freiheit, die seinem Adler-Sein entspricht. Ein Löwe braucht eine Freiheit, die seinem Löwe-Sein entspricht. Wenn wir dem Löwen die Freiheit geben zu fliegen wie ein Adler, könnte er damit nicht viel anfangen. Das gilt selbstverständlich auch für den Menschen. Der Mensch braucht eine Freiheit, die seinem Mensch-Sein entspricht. Bei ihm geht es aber nicht nur um ein räumliches Eingesperrt-Sein in einem Käfig oder Gefängnis. Sein Freiheitsbedürfnis ist vielfältiger und hat andere Schwerpunkte als bei einem Löwen oder Adler hinter Gitterstäben. Dabei muss man zunächst festhalten, dass Freiheit bei den Menschen nicht artbezogen ist (also z. B. passend für Adler oder Löwen) sondern individuell zugeschnitten sein muss. Was für einen bestimmten Menschen der Inbegriff von Freiheit ist, kann ein anderer als beengend und bedrückend empfinden. Und doch hat das Freiheitsempfinden des Menschen bestimmte Grundlagen, die für alle gelten.
Diese Frage ist allerdings gar nicht so leicht zu beantworten: Welche Art Freiheit braucht ein Mensch? Welche Freiheit entspricht dem Menschsein des Menschen? Wir werden noch darauf zurückkommen. Zunächst soll hier dargestellt werden, welche Freiheiten dem Menschsein grundsätzlich zur Verfügung stehen, auch wenn er sie im Einzelfall gar nicht nutzen kann oder will. Diese Zusammenstellung steht in Beziehung zu den Aussagen im Beitrag „Freiheit als Menschenrecht“, setzt aber doch einen eigenen Akzent, wo es nicht um juristisch fixierbare Rechtsordnungen geht, sondern um alltägliche Lebensvollzüge.
– räumliche Freiheit: Räumliche Ungebundenheit ist die elementare Grundform der Freiheit. Ja, aber die kann ganz verschieden empfunden werden: Eine Gefängniszelle ist sicher kein Freiheitsraum. Und eine Mönchszelle im Kloster mag für die meisten Menschen wie ein Gefängnis erscheinen. Für den Mönch, der dort wohnt, kann sie zum Inbegriff der Freiheit werden, wo er frei ist von dem Andrang der Begierden und Zerstreuungen einer maßlos gewordenen Konsumwelt, frei für die Erfahrung einer Nähe zu etwas Vertrautem (trotz aller Fremdheit), das ihm die Freiheit schenkt, seinen Mitmenschen offen zu begegnen und im Mitmenschen sich selbst. Räumliche Unfreiheit, das würde im Gegensatz dazu heißen: Gefangen sein an einem Ort, an dem man nicht sein möchte. Ein Aufenthalt an einem Ort, wo man gern sein möchte, kann keine Unfreiheit sein, und sei dieser Ort noch so beengt (z. B. bei einem Liebespaar, das sich für ein paar Tage in eine winzige Hütte in den Bergen zurückzieht, um dort nur für sich und ihr Miteinander da zu sein).
– zeitliche Freiheit: Viele Menschen leiden unter einer Einengung ihrer zeitlichen Freiräume. Sie hängen an der online-Leine des Smartphones wie ein Wachhund an der Kette, immer erreichbar und immer zur Verfügung für die Dringlichkeiten des Geschäfts (oder auch für die Aufdringlichkeiten der „sozialen Netzwerke“), gefesselt von der Angst, etwas Wichtiges zu verpassen. Zeitliche Freiheit, das würde bedeuten, für einen wesentlichen Teil der Zeit selbst bestimmen zu können, womit man sie füllen will (und: Mit diesem Wollen wirklich bei sich selbst zu sein und nicht nur bei den Zwängen des Zeitgeistes). Ein extremes Beispiel von „zeitlicher Unfreiheit“ wäre das Leben der Näherin in einer Bekleidungsfabrik in einem der „Billiglohnländer“, die täglich im Akkord und bis zu Erschöpfung in der riesigen Fabrikhalle arbeitet, um für sich und ihre zwei Kinder auch nur das Nötigste zum Leben zu verdienen.
– Freiheit des Lebensstiles: Die Gesamtheit der persönlichen und sozialen Lebensformen, der informativen und kreativen Äußerungen und der individuellen und kollektiven Kommunikationsweisen eines Menschen werden hier sein „Lebensstil“ genannt. Jeder persönliche Lebensstil eines Menschen soll seinen Freiraum in der Gesellschaft haben (unabhängig von seinem sozio-kulturellen Hintergrund), solange er nicht die Freiheitsrechte anderer in Frage stellt oder beeinträchtigt. Ein Beispiel von Unfreiheit bezüglich des Lebensstiles wäre der Gruppenzwang in einer geschlossenen Gemeinschaft, die ihren Mitgliedern rigoros und detailliert vorschreibt, welche Lebensweisen erlaubt oder verboten sind (etwa wie bei manchen religiösen Sekten oder auch bei großen Unternehmen, die mit ihrer „Unternehmensphilosophie“ einen starken Gruppendruck für ihre Mitarbeiter aufbauen, um sie zu gesteigerter Einsatzbereitschaft zu drängen).
– Freiheit der Sinnorientierung: Dabei geht es um die Freiheit, seinen Lebens-Sinn selbst zu suchen, zu entwickeln und zu verwirklichen, ohne sie der Dominanz einer vorherrschenden Meinung, Religion oder Ideologie unterordnen zu müssen. Freilich sind Menschen im Allgemeinen keine Einzelgänger, sondern soziale Wesen, die den Gleichklang oder besser noch einen harmonischen Zusammenklang mit ihren Nachbarn anstreben. Gerade wenn es um Sinnfragen geht, suchen die meisten Menschen die Einbettung in eine Gemeinschaft der Gleichgesinnten. (siehe das Thema „Die Frage nach dem Sinn“). Ein Beispiel für Unfreiheit der Sinnorientierung wäre eine Gesellschaft, die nur eine einzige religiöse oder weltanschauliche Orientierung zulässt und als „Staatsdoktrin“ verabsolutiert. Die Abgrenzung zwischen gewollter Zuordnung und ungewollter Abhängigkeit ist gerade im Bereich der Sinnorientierung oft besonders schwierig.
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3 Der Inhalt der Freiheit
Die oben gestellte Frage „Welche Freiheit braucht der Mensch?“ könnte nun so beantwortet werden: Der Mensch braucht eine ausreichende räumliche und zeitliche Freiheit und eine gesicherte Freiheit des Lebensstiles und der Sinnorientierung. Damit hätte man aber vorerst nur ein äußeres Gerüst konstruiert, aber noch nicht ein Haus gebaut, in dem die Freiheit der Menschen auch existenzielles „Wohnrecht“ und persönliche „Heimat“ finden könnten.
Das Fundament für dieses „Haus“ liegt tiefer. Es besteht aus einem tragenden Inhalt für die räumliche und zeitliche Freiheit und für die Freiheit des Lebensstiles und der Sinnorientierung. Ohne einen solchen tragenden Inhalt ist auch die Freiheit leer und bedeutungslos, schlimmstenfalls langweilig, öde und frustrierend. Und diese Inhalt ist nur dann auffindbar, wenn man es zulässt, dass dem Menschsein eine Bedeutung zugestanden wird, die weit über das bloße Existieren als Bio-Organismus und Sozialsystem hinausreicht. Eine Hilfe, dieses Fundament aufzuspüren, ist in den grundlegenden Texten der Bibel zu finden, die von der Grundberufung des Menschseins reden:
(1. Mose 1, 26-27): Und es sprach Gott: Machen wollen wir Menschen in unserem Bild, gemäß unserer Gleichheit (…) Und Gott schuf den Menschen in seinem Bild, im Bilde Gottes schuf er ihn, männlich und weiblich erschuf er sie. * Dies ist die Grundaussage der Bibel für alles Menschsein.
* siehe die Themen „sein und sollen“ und „wer bin ich?“
Biblisch gesehen ist dieses auf zwei Beinen aufrecht gehende Lebewesen „Mensch” nicht definiert durch das, was er ist (ein relativ intelligentes Säugetier) sondern durch das, was es sein und werden soll: „Bild” Gottes, Abbild und Darstellung des innersten Wesens dessen, der das Universum geschaffen hat. Der Mensch ist im Vergleich zu allem Vorangegangenen eine wirkliche Neuschöpfung Gottes, trotz seiner biologischen Nähe zu den Säugetieren. Und dieses „ganz Neue“ ist nicht materieller und nicht biologischer Art, besteht auch nicht in seinen geistigen Fähigkeiten, sondern in einer besonderen, nur die Menschen betreffenden Berufung: Die Schöpfung „Mensch“ soll „Bild“ sein, Ikone – Ikone Gottes, das heißt: sichtbare Darstellung des Schöpfers in der Schöpfung, anschaubare Vergegenwärtigung Gottes mitten in einer scheinbar gottlosen Welt. Dabei ist aber der Mensch keine optische Abbildung Gottes, als wäre Gott ein Wesen mit menschenähnlicher Gestalt, mit Armen und Beinen, mit Augen, Mund und Nase… (dann wäre ja Gott ein Abbild des Menschen, und so haben sich Menschen zu allen Zeiten ihre Götter vorzustellen versucht, schauen wir uns doch die Götterbilder der Religionen an).
Nein, der Mensch ist keine optische Abbildung Gottes sondern eine wesentliche. Durch das Menschsein soll das Wesen Gottes in der Schöpfung anwesend sein. Aber, wer ist Gott, was ist denn sein eigentliches Wesen? Und wozu hat er uns geschaffen und was erwartet er von uns? Die Antworten auf solche Fragen sind von uns aus nicht zugänglich. Wir können mit den Mitteln menschlicher Erkenntnisfähigkeit nur so viel von Gott erfassen und mit den Mitteln menschlichen Sprache nur so viel von Gott aussagen, als er selbst sich uns offenbart.
Und Gott hat sich offenbart: In der Schöpfung, in der Geschichte Israels, im Leben, Reden und Handeln Jesu, auch in der Geschichte des Judentums und der Christenheit der vergangenen 2000 Jahre und in der Weltgeschichte und Heilsgeschichte bis heute. Diese „Selbstvorstellung“ Gottes geschieht in den meisten Fällen durch sein Handeln, manchmal durch eine „Ansprache“ an bestimmte Menschen. In einer bestimmten Situation aber stellt Gott sich mit seinem Namen vor („Name“ meint in der Bibel nicht nur die Buchstaben eines „Namen-Wortes“, sondern er steht stellvertretend für die Person des Genannten, manchmal für den Wesenskern und die Macht einer Person). Als Mose Gott fragt, wie er ihn denn nennen sollte, wenn er in seinem Namen mit seinen Volksgenossen oder mit dem Pharao redet (2.Mose 3,14) da antwortet Gott mit einer Wortfolge, die sehr verschieden übersetzt wird, die aber doch bei aller Verschiedenheit immer um einen Bedeutungskern kreist: „Ich bin, der ich bin“ oder „Ich werde sein, der ich sein werde“.
„Ich bin, der ich bin“, das ist ein Ausdruck höchster Eigenständigkeit und Freiheit: Ich bin, was ich sein will. Mein „Ich“ ist von niemandes Wollen oder Meinen abhängig. Ich bin, der ich bin, das heißt, ich bin frei, das zu sein, was mein einzigartiges Sein ausmacht. Das gilt für Gott selbstverständlich, aber es soll auch für die Menschen gelten, die er als sein „Ebenbild“ geschaffen hat. Ein Mensch soll sagen können: Ich bin das, was ich von Gott (der mich gewollt und geschaffen hat) her bin und das kann mir keine menschliche Gewalt rauben, auch keine Ablehnung, keine Verachtung, kein Totschweigen … Ich bin, der ich bin, das ist mein von Gott verliehener „Freiheitsstatus“.
Allerdings: Das „Ich-bin, der ich bin“ sagt ja noch nichts über den Inhalt dessen aus, was Gott ist. Was also ist es, was das Gott-Sein Gottes ausmacht (und das nun auch das Menschsein des Menschen bestimmen soll)? Die Antwort auf diese Frage können wir uns nicht selbst geben, wir können sie nur als Offenbarung empfangen. In der Selbstoffenbarung Gottes über Jahrtausende hinweg können wir wahrnehmen, dass die Existenz Gottes wesentlich in einem „In-Beziehung-Sein“ besteht, einem „In-Beziehung-Sein“, das wir mit den Mitteln der menschlichen Sprache (freilich völlig unzureichend, aber wir haben keine Alternative) mit dem Begriff „Liebe“ umschreiben (siehe das Thema „AHaBaH – das Höchste ist Lieben).
In der Bibel klingt das so (1. Joh 4, 7-8): Ihr Lieben, lasst uns einander liebhaben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe. Das also (das, was hier mit dem Begriff „Liebe” umschrieben wird), das ist es, was das Gott-Sein Gottes ausmacht, sie ist sein eigentliches „Wesen”, seine „Substanz”, seine „Identität”.
Die Bibel beschreibt (in deutscher Übersetzung) das Wesen Gottes in drei Worten: Gott – ist – Liebe. Damit ist alles Wesentliche über den Gott der Bibel ausgesagt: Sein Wesen ist ein „Für-den-andern-da-sein“ in voraussetzungsloser Annahme und uneingeschränkter Zuwendung, in unerschütterlicher Treue und opferbereiter Hingabe. Und diese Liebe, die das Gott-Sein Gottes ausmacht, die soll nun als sein „Ebenbild” auch das Mensch-Sein des Menschen bestimmen. Sie ist der Inhalt seines „Ich bin, der ich bin“, sie macht die Freiheit aus, das zu sein, was er sein soll und sein will. Das, was das Menschsein des Menschen ausmacht, ist die Fähigkeit zu lieben. Zu lieben aus bewusster Hingabe an ein Du, zu lieben, auch wenn es für das eigene Ich Nachteile einbringt, zu lieben, und koste es das eigene Leben. Diese Liebesfähigkeit (als menschlich anschaubares „Bild“ Gottes) ist es, die Gott dem Menschen besonders einhauchen musste, weil sie seinem Status als Lebewesen mitten im „Kampf ums Dasein“ total widerspricht.
Solche Liebe, die sich bewusst an ein Gegenüber hingibt, die nicht sich selbst erhöhen, sondern dem andern zur Erfüllung seines Menschseins und zur Freude am Dasein helfen will, die sich aus freiem Willen für eine Gemeinschaft engagiert und die sich sogar selbst unter Zurückstellung des eigenen kreatürlichen Lebenswillens für das Gefährdete und Verlorene einsetzen kann, um es zu retten, das ist das Göttliche, das sich im Menschsein widerspiegeln soll als sein Ebenbild und das durch den Menschen in der Schöpfung gegenwärtig und wirksam sein soll. Sie ist die inhaltliche Füllung des „Ich bin, der ich bin“, auf dem die Freiheit des Menschseins am tiefsten gründet.
Die Berufung des Menschen zum „Bild“ Gottes, an dem man etwas davon wahrnehmen soll, wie Gott ist, ist das eigentlich Menschliche und Besondere am Menschsein. Alles andere (z. B. seine geistigen Fähigkeiten) ist nur eine graduelle Weiterentwicklung dessen, was bei den Tieren in Abstufungen auch schon vorhanden ist. Diese Berufung, etwas vom Wesen Gottes (seiner Liebe) hier im materiellen Dasein sichtbar und erfahrbar zu machen, die ist auch der „Bezugspunkt“), der den Menschen an eine Realität bindet, die nicht in der materiellen Ausstattung des Universums begründet ist.
Diese Liebe soll zur Überwindung des universalen Ego–Prinzips der Evolution werden im Miteinander der Menschen. Sie ist das Gegenmodell zum „Kampf ums Dasein”, und zum Prinzip vom „Fressen und Gefressen-werden”, die sonst alles Leben beherrschen.
Mitten in einer Natur, in der jedes Lebewesen um seinen Lebensraum und seine Lebensmittel ringen muss, schafft Gott mit dem Menschen ein Geschöpf, das die Möglichkeit hat, seinen Lebensraum bewusst als Raum der Gemeinschaft zu gestalten und seine Lebens-Mittel im bewussten Miteinander und Füreinander zu erwerben. Gott will sich in seiner Schöpfung ein Gegenüber erwecken, das sein Ebenbild ist, erkennbare und erfahrbare Vergegenwärtigung seiner Liebe mitten in dieser Welt und mit dem er eine Liebesbeziehung beginnen kann. Die Liebe, die das Menschsein zum Gottesbild macht, die ist der Inhalt seiner Freiheit. Sie ist sein „Ich-bin“, das unabhängig von allen menschlichen Urteilen gültig bleibt. „Ich bin der, der ich (von Gott her) bin“ und: „Ich werde sein, der ich sein werde“, unverwechselbar ich, unveränderlich, unauslöschbar, uneinholbar von jeder Verfolgung durch Menschen und Mächte.
Zu lieben oder nicht zu lieben, das ist entscheidende Frage zur Identität eines Menschen. Und in der Antwort auf diese Frage liegt auch das Fundament seiner Freiheit. Denn der ist frei zu nennen, der sich mit seinem Leben und Handeln im Einklang mit den Grundlagen seiner persönlichen Identität befindet. Und der kann jedem anderen leichter seine Freiheit lassen, der selbst ungefährdet in Freiheit leben kann.
Das ist nicht einfach nur fromme Redeweise, sondern handfeste gesellschaftliche und politische Realität. Überall da, wo sich das menschliche Miteinander nicht auf der Ebene von Konkurrenz und gegenseitiger Überwältigung vollzieht, sondern auf der Ebene von Kooperation und gegenseitigen Respekt, da wird (bei allen menschlichen Fehlen und Schwächen, die ja bleiben) das „Ich bin, der ich bin“ nicht zur Konfrontation, sondern zum (vielstimmigen und doch zusammenklingenden) Konzert, wo jeder seine besondere Rolle auf seinem je besonderen „Instrument“ spielen kann und darf und gerade dadurch die Schönheit des Zusammenklangs entsteht. In jeder funktionierenden Demokratie, in jeder gesellschaftlichen Kooperation, in jedem Miteinander und Füreinander der verschiedenen Gruppe, Klassen, Rassen, Völker, Kulturen, Religionen … vollzieht sich die Freiheit des Menschseins, wo jeder ganz bei sich und seinen Bedürfnissen bleiben kann und trotzdem alle in Freiheit leben können. Und das geschieht jeden Tag rund um den Globus viele Millionen Mal.
Allerdings gibt es da noch eine Unsicherheit, die das alles in Frage stellen könnte: Ist es nicht Gott selbst, der unseren freien Willen unmöglich macht, dadurch, dass er in seiner Allmacht und Allwissenheit alles, was geschieht, schon voraussieht und vorausbestimmt?
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Bodo Fiebig „Freiheit als göttliche Lebensordnung“ Version 2019 – 4
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