Freiheit ist die Grundsubstanz der Menschenwürde. Wer unter Zwang leben und handeln muss, dem ist eine wesentliche Voraussetzung eigenverantwortlichen Menschseins geraubt. Solche „Freiheitsberaubung“ kann sehr verschiedene Formen annehmen: In sehr nahen, persönlichen Bezügen oder auch im weiten Rahmen politischer Verhältnisse. Hier, im ersten Beitrag zum Thema „Freiheit“ geht es allerdings noch nicht um politische Freiheitsrechte, sondern um die Frage, ob es grundsätzlich so etwas wie einen freien Willen und freie Entscheidungen überhaupt geben kann. Das wird zunehmend bestritten.
Yuval Noah Harari, einer der populärsten Wissenschafts-Autoren der Gegenwart, der kurz nacheinander mehrere Welt-Bestseller herausgegeben hat (er steht hier stellvertretend für eine ganze Denkrichtung in Wissenschaft und Philosophie), schreibt in seinem Buch „Homo Deus“ (Deutsche Ausgabe Verlag C.H.Beck, München 2017, S. 380f) zum Thema „Freiheit“:
„Im 18. Jahrhundert war Homo sapiens so etwas wie eine geheimnisvolle Blackbox, deren Funktionsweise sich unserem Verständnis entzog. Wenn daher Gelehrte fragten, warum ein Mann ein Messer zog und einen anderen erstach, lautete eine akzeptable Antwort: „Weil er das so beschlossen hat. Er nutzte seinen freien Willen, um sich für Mord zu entscheiden, weshalb er für sein Vergehen voll verantwortlich ist“. Als Wissenschaftler im Verlauf des letzten Jahrhunderts die Blackbox des Sapiens öffneten, fanden sie dort weder eine Seele noch einen freien Willen, noch ein „Ich“- sondern nur Gene, Hormone und Nervenzellen, die den gleichen physikalischen und chemischen Gesetzen gehorchen wie der Rest der Wirklichkeit. Wenn Wissenschaftler heute fragen, warum ein Mann ein Messer zückte und einen anderen erstach, reicht es deshalb nicht zu sagen: „Weil er das so beschlossen hat“. Genetiker und Hirnforscher liefern stattdessen eine viel detailliertere Antwort: „Er tat es auf Grund dieser und jener elektrochemischen Prozesse im Gehirn, die durch eine bestimmte genetische Veranlagung beeinflusst sind, in der alte evolutionäre Zwänge gepaart mit zufälligen Mutationen zum Ausdruck kommen.“
Die elektrochemischen Abläufe im Gehirn, die in einen Mord münden, sind entweder deterministisch (also zwangsläufige und vorherbestimmte Folgen von vorausgehenden Ursachen – B.F.) oder zufällig oder eine Mischung aus beiden – aber sie sind niemals frei. Wenn beispielsweise ein Neuron eine elektrische Ladung abfeuert, kann das entweder eine deterministische Reaktion auf äußere Reize oder das Ergebnis eines zufälligen Ereignisses wie des spontanen Zerfalls eines radioaktiven Atoms sein. Keine dieser beiden Optionen lässt irgendeinen Raum für den freien Willen. Entscheidungen, die durch eine Kettenreaktion biochemischer Ereignisse, welche jeweils durch ein vorangegangenes Ereignis bestimmt sind, getroffen werden, sind mit Sicherheit nicht frei. Entscheidungen, die aus zufälligen subatomaren Geschehnissen resultieren, sind es ebenfalls nicht. Sie sind einfach nur zufällig. Und wenn zufällige Ereignisse sich mit deterministischen Abläufen verbinden, erhalten wir Wahrscheinlichkeitsergebnisse, aber auch das hat mit Freiheit nichts zu tun. […]
Soweit wir heute wissen, haben Determinismus und Zufälligkeit den gesamten Kuchen unter sich aufgeteilt, und der „Freiheit“ nicht einen Krümel übriggelassen. Das heilige Wort „Freiheit“ erweist sich, genau so wie die „Seele“, als leerer Begriff, der keine erkennbare Bedeutung hat. Der freie Wille existiert nur in den imaginären Geschichten, die wir Menschen erfunden haben.“
So wuchtig das oben angeführte Zitat dasteht und so überzeugend das im ersten Moment auch klingen mag, so erweist sich diese Sicht doch beim genaueren Hinsehen als zumindest frag-würdig und seltsam flach, eindimensional und technizistisch (wir werden darauf zurückkommen).
Freilich, der Determinismus, der in den zitierten Sätzen angesprochen wird, ist keine gar so neue und moderne Sichtweise. Schon in der griechischen Antike war man sich der Problematik zwischen einer „Vorherbestimmung“ menschlichen Handelns durch Ursache-Folge-Wirkungen (oder auch durch Einflussnahme der Götter) einerseits und der menschlichen Willensfreiheit und Verantwortung andererseits bewusst. Und in der christlichen Theologie hat sich im Laufe von Jahrhunderten eine „Prädestinationslehre“ herausgebildet, die sich mit einem freien Willen, mit der Schuldfähigkeit des Menschen und seiner Verantwortung für das eigene Leben und Handeln nur schwer in Einklang bringen lässt. Außerdem macht ja jeder Mensch seine eigenen Erfahrungen mit dem sogenannten „freien Willen“Ꞌ und er merkt, dass sein Wollen sich oft nur schwer in konkretes Handeln umsetzen lässt, z. B. weil gesellschaftliche Konventionen und Tabus, fehlende technische oder finanzielle Mittel, menschliche Widerstände, oder auch die eigene Unfähigkeit dagegen stehen.
Wie steht es denn nun mit unserer tatsächlichen oder vermeintlichen „Freiheit“? Hier in den ersten Beiträgen zum Thema „Freiheit“ versuche ich, das Thema noch ganz auf der menschlichen und zwischenmenschlichen Ebene anzusprechen, ohne einen religiösen Bezug. Wie sich diese Thematik auch in der Gottesbeziehung darstellt, soll dann in späteren Beiträgen näher betrachtet werden.
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Bodo Fiebig „Die Fragestellung“ Version 2019 – 4
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