In der jesusgläubigen Urgemeinde gab es zunächst zwei grundlegende Formen von Zuständigkeit und Verantwortung. Apg 6,1-4a: In diesen Tagen aber, als die Zahl der Jünger zunahm, erhob sich ein Murren unter den griechischen Juden in der Gemeinde gegen die hebräischen, weil ihre Witwen übersehen wurden bei der täglichen Versorgung. Da riefen die Zwölf (Apostel) die Menge der Jünger zusammen und sprachen: Es ist nicht recht, dass wir für die Mahlzeiten sorgen und darüber das Wort Gottes vernachlässigen. Darum, ihr lieben Brüder, seht euch um nach sieben Männern in eurer Mitte, die einen guten Ruf haben und voll heiligen Geistes und Weisheit sind, die wir bestellen wollen zu diesem Dienst. Wir aber wollen ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben.
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1 Zweifacher Dienst
Wir sehen: die Urgemeinde entwickelte schon von Anfang an verschiedene Zuständigkeiten für die materielle und die spirituelle Versorgung der Menschen (siehe dem Beitrag „der kleine Anfang“). Es gab eine überregionale, für alle Mitglieder der Gemeinschaft zuständige geistliche Leitung durch die Apostel und eine lokal oder regional verantwortliche Zuständigkeit für die materielle Versorgung durch die Diakone. Die apostolische Berufung war zuständig für die geistliche „Speisung“ der Menschen, die diakonische Berufung war zuständig für deren leibliche Speisung. Die Apostel waren von Jesus, dem Messias Gottes, selbst berufen und eingesetzt, die Diakone wurden von der Gemeinde gewählt (und danach von den Aposteln bestätigt und gesegnet, Apg 6, 5-6). Das bedeutet: Die Apostel sind die Beauftragten Christi für die geistliche Leitung der weltweiten Gemeinschaft aller Jesus-Gläubigen, die Diakone sind Beauftragte der Gemeinde für deren materielle Versorgung und soziale Sicherung an einem bestimmten Ort. Beide, das Apostolat und das Diakonat, haben eine weltweite Verantwortung, aber in verschiedener Weise: Das Apostolat nimmt seine Welt-Verantwortung ausgehend von einem spirituellen Zentrum in Jerusalem wahr, die Diakonate dagegen haben eine örtlich begrenzte Verantwortung, sind aber über das ganze Land (und später über alle Länder) verstreut und untereinander verbunden, so das sie (als Zielvorstellung) ein weltweites Netzwerk bilden. Beide aber waren und sind gleichermaßen unverzichtbar. Unverzichtbar auch für die Gesellschaften in modernen Demokratien.
Allerdings: Diese beiden Verantwortlichkeiten sind in den heutigen Demokratien sehr unterschiedlich ausgeprägt: In der Realität der demokratischen Verfassungen der Gegenwart gibt es zwar vielfältige Strukturen und Institutionen, die für die materielle Versorgung und soziale Sicherung der Menschen zuständig sind: Ministerien für Wirtschaft oder Finanzen, für Arbeit oder Gesundheit, für Sicherheit oder Recht usw. „Minister“ sind (wörtlich übersetzt) eigentlich „Diener“ oder „Diakone“, und Ministerien sollten eigentlich so etwas wie „Dienstorganisationen“ sein (keine Herrschaftsinstrumente). Freilich: Die Dienstorgane der Gemeinschaft neigen auch in der Demokratie zur Verselbstständigung und Verabsolutierung und verstehen sich dann als „Regierung“, d. h. als Herrschaftsapparat. Ihnen hängen noch immer die Jahrtausende der Menschheitsgeschichte an, in denen Verantwortung ganz selbstverständlich immer mit Macht- und Gewaltausübung verbunden war. Im biblischen Verständnis aber gibt es Regierungs-Verantwortung nur als Diakonie.
Staatliche Institutionen für eine spirituelle Verantwortung für die Gesellschaft als Ganzes gibt es in den demokratischen Staaten nicht mehr seit der „Trennung von Kirche und Staat“. Diese „Trennung“ wurde herbeigeführt, um Konkurrenzsituationen zwischen beiden zu vermeiden. (Dass da noch viele andere Aspekte eine Rolle spielten, ist hier nicht Gegenstand der Erörterung). So hatten z. B. Kirchen zeitweise die Aufsicht über das Schulwesen und die Personenstandsregister (Geburten, Eheschließungen, Todesfälle …), so dass staats-hoheitliche Aufgaben und geistliches Amt vermischt waren. Diese Überschneidungen zu trennen, war richtig und notwendig.
Allerdings wurde mit der Trennung auch jede Art von spiritueller Verantwortung aus dem staatlich-gesellschaftlichen System ausgeschlossen. Die Kirchen sollten nun nur noch für ihre eigenen internen Angelegenheiten zuständig sein und sich aus allen öffentlichen Belangen heraushalten. Die spirituelle Verfassung der Menschen wurde zur Privatsache, und weil es private Verantwortung immer nur für die eigenen privaten Belange geben kann, wurde eine spirituelle Verantwortung für die Gesellschaft als Ganzes unmöglich. Man meint, ein moderner Staat könne und müsse weltanschaulich neutral sein und könne auch ohne spirituelle (und das bedeutet in der Konsequenz auch: ohne ethische) Verantwortung auskommen. Erst allmählich beginnt man zu verstehen, dass ein spirituelles Vakuum in einem Gemeinwesen einen Sog erzeugt, welcher Einstellungen und Vorgehensweisen anzieht und verdichtet, die eben dieses Gemeinwesen (und vor allem seine freiheitlich-demokratische Grundordnung) von innen heraus zerstören können. Das bedeutet nicht, dass Kirchen versuchen sollten, nun wieder Einfluss auf konkrete politische Entscheidungen zu nehmen, aber doch, dass auch Demokratien gemeinsame spirituelle (und daraus abgleitet) ethische Grundlagen brauchen. Ja, noch mehr: Dass die ganze Menschheitsgemeinschaft in einer zunehmend globalisierten Welt ein gemeinsames spirituell begründetes ethisches Fundament braucht.
Was in den heute existierenden Demokratien also fehlt, ist das apostolische Element, durch das (über den als „privat“ empfundenen Bereich des Glaubens hinaus) eine weltweite spirituelle Verantwortung wahrgenommen werden könnte. Und es fehlt gleichzeitig eine spirituelle Institution, die mit einer globalen ethischen Verantwortung die nationalen Demokratien stützt. Es fehlt also eine globale qualitativ-ethische Ergänzung für die nationalen und rein quantitativ geregelten Demokratien der Gegenwart (siehe dazu auch das Thema „Die Krise der Demokratie“ im Bereich „mitreden“ und den Beitrag „Die qualitative Demokratie“ zum Thema „konkrete Visionen“).
In manchen Ländern werden bestimmte christlichen Kirchen als Stimme ethischer Verantwortung wahrgenommen. Wie weit sie dieser Verantwortung auch gerecht werden, bleibt fraglich. Außerdem wird eine solche Wahrnehmung dadurch erschwert, dass die Christenheit (fast seit ihrem Beginn vor zwei Jahrtausenden) in verschiedene Glaubensrichtungen aufgespalten ist und von daher zu manchen drängenden Fragen der Gegenwart ganz unterschiedliche, ja, manchmal widersprüchliche Antworten gibt.
Im Folgenden soll dargestellt werden, welche Hilfen uns das „Modell der Urgemeinde“ an die Hand gibt, um unsere gegenwärtig von allen Seiten angegriffene Demokratien durch ein spirituell-ethisches „Innengerüst“ zu stützen.
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2 Das spirituelle Zentrum
… Recht-Weisung wird ausgehen von Zion und das Wort JaHWeHs von Jerusalem. Und er wird Recht sprechen zwischen den Nationen und gerecht entscheiden für die Völker. Da werden sie umschmieden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Speere zu Winzermessern. Da wird nicht mehr Volk gegen Volk das Schwert erheben und sie werden nicht mehr lernen, wie man Krieg führt (Jes 2, 3-4). Dies ist das „Jerusalem-Projekt” Gottes, und das beschreibt die von Gott selbst vorgegebene Voraussetzung, dass Frieden werden kann zwischen Menschen und Völkern: Von Jerusalem muss Recht-Weisung (Thora) ausgehen. Das Wort Gottes, seine Ordnungen und Freiheiten, seine Warnungen und Ermutigungen, seine Verbote und Gebote, seine Liebeszusagen und Verheißungen müssen von Jerusalem aus alle Völker der Erde erreichen (siehe dazu das Thema „Das Jerusalem-Projekt“).
Das ist auf vielfältige Weise schon geschehen: Von Jerusalem aus ist in den vergangenen zwei Jahrtausenden durch die Botschaft der Apostel Jesu und deren Nachfolger das Wort Gottes in die Völker der Welt gegangen. Das Evangelium, die „Frohe Botschaft“ der Bibel Alten und Neuen Testaments, ist auf allen Kontinenten präsent, auch wenn es noch nicht alle Völker und Volksgruppen erreicht hat. Warum ist aber dann die verheißene Wirkung, der Friede zwischen den Völkern, so oft nicht zu Stande gekommen oder nicht mit der notwendigen Konsequenz durchgehalten worden? Ist eine „Demokratie auf biblischer Grundlage“ (siehe dazu das Thema „Reich Gottes und Demokratie“) angesichts der Realitäten dieser Welt nicht eine bloße Fiktion? Waren die vergangenen zwei Jahrtausende in den „christlichen“ Ländern wirklich weniger blutig und schuldbeladen als anderswo?
Teilweise, zu bestimmten Zeiten, an bestimmten Orten, ja (das im Einzelnen aufzuzeigen, ist im Rahmen dieses Beitrags nicht möglich). Dass es aber nicht zu einem umfassenden Wandel hin zum Frieden kam, liegt daran, dass eine entscheidende Voraussetzung nicht gegeben war: Es ist nicht „Recht-Weisung“ ausgegangen von Jerusalem, jedenfalls nicht mehr nach dem Tod der ersten Apostel. Es hat diese eine von Gott autorisierte Stimme der Weisung („Thora“, also Unterweisung, Wegweisung, Anweisung, Zurechtweisung) nicht gegeben.
„Die Verhältnisse waren nicht so, dass das möglich gewesen wäre“, so könnten wir jetzt achselzuckend sagen. Mag sein. Aber jetzt, in unserer Gegenwart, im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts, sind die Verhältnisse so, dass es möglich wäre. Gott selbst hat durch die Rückkehr des jüdischen Volkes in sein verheißenes Land die äußeren Umstände so verändert, dass es möglich wäre, dort in der Stadt Jerusalem ein „Weltzentrum spiritueller Verantwortung” aufzubauen. Nicht zufällig ist die Wiederherstellung Israels im 20. Jahrhundert in Form einer Demokratie (inmitten von lauter Feudalherrschaften und Parteidiktaturen) entstanden.
Dieses Zentrum müsste allerdings von den Verantwortlichen der jüdischen und christlichen Glaubensgemeinschaften gewollt und vorangebracht werden. Und es müsste in den Formen und Ordnungen geschehen, die in der Jerusalemer christlichen Urgemeinde (die aus lauter gläubigen und praktizierenden Juden bestand) modellhaft vorgezeichnet waren. Diese Formen und Ordnungen sollen nun in Kürze dargestellt werden:
3 Apostolisch-spirituelle Verantwortung
Es geht beim „Jerusalem-Projekt“ Gottes nicht um Ämter und Positionen, sondern um Dienste und Gesinnungen. Konkret geht es hier um die Wahrnehmung einer apostolisch-spirituellen Verantwortung, nicht um den Aufbau hierarchischer Ämter-Strukturen. Trotzdem bedarf es auch bestimmter Personen und Begabungen, die sich in eine solche Verantwortung rufen lassen (siehe dazu auch die Erzählungen unter dem Titel „Die Tore Jerusalems“).
a) Die Apostel
Die Apostel im Neuen Testament waren von Jesus, dem Messias Israels und Christus der Völker, selbst berufene und eingesetzte Botschafter des Reiches Gottes, denen in besonderer Weise die Inhalte der Botschaft Jesu erschlossen waren (Mt 13,11: Euch ist’s gegeben, die Geheimnisse des Himmelreiches zu verstehen). Sie hatten für diese Aufgabe keine menschlichen Machtpositionen, aber göttliche Vollmacht. In der Wahrnehmung und Ausübung dieser Vollmacht haben sie und die nach ihnen kamen, in zweitausend Jahren die Welt verändert.
Das Aufgabengebiet apostolischer Vollmacht ist die ganze Erde (Mt 5,13: Ihr seid das Salz der Erde … ihr seid das Licht der Welt), und alle Völker (Mt 28,19: Darum geht hin und macht zu Jüngern alle Völker: Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes.)
Hauptaufgaben apostolisch-spiritueller Verantwortung sind:
a1) die Verkündigung des kommenden messianischen Reiches, das in der Gegenwart schon verborgen aber wirkmächtig da ist, und die Weitergabe der Lehren Jesu Mt 10,7: Geht aber und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Mt 28,20: … und lehrt sie halten alles, was ich euch befohlen habe.
a2) die Festlegung von verbindlichen Grundregeln des Lebens und Handelns im Volk der Königsherrschaft Gottes. Mt 18,18: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel gelöst sein. Diese Aufgabe der Apostel in ihrem Leitungsamt wird von Jesus mit „binden und lösen“ bezeichnet. Meist verstand man später darunter die Vollmacht der Kirche und ihrer Amtsträger, Schuld zu vergeben oder auch nicht. Das Begriffspaar „binden und lösen“ war aber zur Zeit Jesu in Israel ein schon bekannter, feststehender Ausdruck, von dem damals jeder wusste, was damit gemeint war. Und zwar bezeichnete man damit die Vollmacht der geistlichen Autoritäten, bestimmte Lebensformen und Handlungsweisen für verboten (gebunden) oder erlaubt (gelöst) zu erklären.
Wenn nun Jesus seinen Jüngern im Apostelamt diese Aufgabe zuspricht, so gibt er ihnen die Vollmacht, Lebensformen und Verhaltensweisen für richtig oder falsch zu erklären, sie den Gläubigen zu empfehlen oder davon abzuraten („erlauben” oder „verbieten” wären hier eher unpassende Begriffe, die Apostel können nichts „verbieten” oder gar noch bestrafen, wenn sich jemand nicht daran hält). Sie sollen aber doch gültig für das ganze Volk Gottes erklären, was (allgemein oder in bestimmten Situationen) dem geistlichen Fundament des Lebens im Reich Gottes entspricht, und was nicht. Und diese Entscheidungen behalten ihre Gültigkeit nach den Worten Jesu bis hin in das kommende messianischen Reich.
a3) die Verantwortung für die Einheit der ganzen Jesusjüngerschaft, des ganzen Gottesvolkes aus Juden und Heiden und der ganzen Menschheitsfamilie, Jo 17,20-22: Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, damit sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins seien, wie wir eins sind. Joh 10,16: Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden. Im sogenannten „Apostelkonzil“ (Apg 15) wurde die Verantwortung der Apostel für die Einheit des ganzen weltweiten Gottesvolkes zum ersten Mal beispielhaft sichtbar.
a4) die Vollmacht und Beauftragung, Schuld und deren negative Folgen für (von Gott) endgültig vergeben zu erklären. Jo 20,21 Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten. Hier ist nun tatsächlich die Vollmacht zur wirksamen und vor Gott gültigen Vergebung angesprochen. Diese Vollmacht bezieht sich nicht nur auf einzelne Sünden einzelner Menschen, sondern auch auf die Schuldgeschichte ganzer Völker und Generationen, von Parteien und Ideologien, Mächten und Reichen, auch von Kirchen und geistlichen Bewegungen, von Religionen und religiösen Ideen …, denn die Vollmacht der Apostel ist auch hier umfassend, sie sind ja (siehe oben) von Jesus so gesandt, wie er selbst vom Vater.
Menschen, die in eine apostolisch-spirituelle Verantwortung berufen sind, können und dürfen als Einzelne nicht je eine der vorhandenen christlichen Konfessionen, Kirchen oder Gruppierungen repräsentieren, auch nicht je eine bestimmte theologische, kirchen- oder gesellschaftspolitische Richtung, auch nicht eine der im Judentum maßgeblichen Strömungen, sondern sie sind die Beauftragten der Einheit für das ganze Gottesvolk Alten und Neuen Testaments. Sie sind an keinerlei Weisungen religiöser oder weltlicher Ämter und Gremien gebunden. Aber sie tragen bewusst, so weit es möglich ist, die ganze Fülle christlich – jüdischer Existenz in sich, wissen sich in die Verantwortung genommen für die ganze Weite und Vielfalt des Menschseins aller Völker und Kulturen, glauben und fördern deren Zusammengehörigkeit und Einheit.
Sie versorgen das ganze Volk des schon beginnenden Gottesreiches mit der geistlichen Speise, die es zum Leben braucht, so wie es Jesus ihnen geboten hat. Mt 24,3-4: Und als er auf dem Ölberg saß, traten seine Jünger zu ihm und sprachen, als sie allein waren: (…)Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: (…) Verse 45-47: Wer ist nun der treue und kluge Knecht, den der Herr über seine Leute gesetzt hat, damit er ihnen zur rechten Zeit zu essen gebe? Selig ist der Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, das tun sieht. Wahrlich, ich sage euch: Er wird ihn über alle seine Güter setzen. Dies sagt Jesus nur zu seinen Jüngern, den späteren Aposteln, als sie allein waren. Bei all dem bleiben die in eine apostolische Verantwortung Berufenen in unmittelbarer Verbindung mit Gott und handeln nur, wenn sie sich sicher sind, seinem Willen zu entsprechen. Natürlich sind sie dabei nicht unfehlbar, so wie alle anderen Menschen auch, deshalb werden sie von prophetischer Unterstützung und Korrektur begleitet (siehe unten Abschnitt „Prophetie”).
Menschen mit apostolisch-spiritueller Verantwortung hatten und haben keinerlei eigenen „Machtapparat“. Ihre Autorität beruht ausschließlich auf ihrer Berufung durch Jesus, dem Messias Israels und Christus der Völker, auf der Kraft ihres Wortes und auf der Anerkennung ihrer Berufung durch die Reich-Gottes-Bürgerschaft. Für solche Berufungen waren und sind keinerlei vorausgehende „Karrierestufen“ oder Ausbildungsnachweise vorschreibbar (ein paar Fischer und Hirten, ein ehemaliger Zolleinnehmer …).
Eine apostolisch-spirituelle Verantwortung begründet keine Machtposition, von der aus die eigenen Einsichten für alle angeordnet und durchgesetzt werden könnten. Die Weisungen des Apostolats im Bezugsrahmen einer qualitativ-spirituellen Demokratie ( siehe das Thema „Reich Gottes und Demokratie“) wären auch nicht nur Ergebnis eigener Überlegungen. Die apostolischen Diener wären auf die Mithilfe und Unterstützung sehr vieler geistlich wacher Menschen angewiesen, die in allen Regionen der Welt die jeweils besondere Situationen und Probleme erfassen, die mit den Menschen vor Ort im Gespräch sind und so die menschlichen Hintergründe und Nöte hinter den Ereignissen kennen, die verworrene Vorgänge durchschauen und folgenreiche Entwicklungen richtig einschätzen und die ihre Erkenntnisse an das Apostolat weiterleiten (kein kirchlicher „Geheimdienst“, sondern mitlebende, mitdenkende, mitfühlende, mitleidende Weltoffenheit). So könnte ein weltweites apostolisches Netzwerk entstehen aus Einzelnen und Gemeinschaften, denen die Einheit aller Gläubigen und das Füreinander aller Menschen am Herzen liegt und die durch eine apostolische Gesinnung, Begabung und Berufung verbunden sind. Die Apostel in Jerusalem selbst wären dann nur das sichtbar handelnde Organ dieses viel größeren, umfassenderen, weltumspannenden Apostolats.
b) Das Apostelkonzil
Die Versammlung der 12 Apostel war in der Urgemeinde das grundlegende Leitungsorgan für die gesamte Jesusjüngerschaft nach der Himmelfahrt Jesu. Alle wesentlichen Entscheidungen der frühen Christenheit wurden von der Vollversammlung der Apostel getroffen. Die Gemeinschaft des weltweiten Gottesvolkes ist (Eph 2,20) … erbaut auf dem Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist. Im Rahmen einer „spirituellen Demokratie“ wäre das Apostolat als Ganzes dazu berufen, oberstes geistliches Leitungsorgan zu sein.
Auch das neutestamentliche „Apostelkonzil“ (Apg. 15) war keine einmalige Angelegenheit. Es war und ist die ständige Aufgabe des Apostolats, die Gesamtheit der Gläubigen zu leiten und dazu geistlich begründete Richtlinien herauszugeben. Schon die ersten Apostel sind nicht nur einmal, sondern immer wieder zu solchen „Konzilien“ zusammengekommen z. B. bei der Nachwahl des Matthias, bei der Einsetzung der Diakone, bei der Klärung der Frage, wie Messiasgläubige aus dem Judentum mit Christusgläubigen aus heidnischen Völkern zusammenleben sollen …
Das Apostelkonzil ist als Ganzes Träger aller Gaben und Vollmachten, die den Aposteln zugesprochen sind. Jesus spricht die Jünger und späteren Apostel immer als Gemeinschaft an (z. B. Ihr seid das Licht der Welt, ihr seid das Salz der Erde Mt 5,13+14). Einzige Ausnahme ist das Petrus-Amt (siehe unten). Das Apostelkonzil hat die Gesamtverantwortung für die unverfälschte Überlieferung, für die jeweils aktuelle Auslegung und die weltweite Verbreitung der biblischen Botschaft. Es nimmt wesentliche heilsgeschichtliche Zusammenhänge wahr und beschreibt die weltweit gültigen spirituellen Grundsätze für die Ausgestaltung der inneren Ordnungen und äußeren Strukturen in den Regionen und Dienstbereichen. Es gibt grundlegende biblisch begründete Richtlinien für das Leben als Einzelne und als Gemeinschaft vor. Grundlage und Ziel aller Entscheidungen des Apostolats ist das Doppelgebot der Liebe, das Jesus selbst zum Grundgesetz des Gottesreiches erklärt hat, ist die Liebe zu Gott und die Liebe zu den Menschen, die alle unsre „Nächsten” sind.
Die Gesamtheit der Apostel spricht einem unter ihnen das „Petrus-Amt“ zu. Sie tut das anhand der Frage, wen Christus selbst für dieses Amt ausgewählt und berufen hat. Der Inhaber dieses Amtes ist Leiter und Sprecher des Apostelkollegiums, ohne daraus eine herausgehobene, dominierende Stellung über den anderen Aposteln abzuleiten (Mt 23,8: Einer ist euer Meister; ihr aber seid alle Brüder). Sitz des Apostolats und Tagungsort des Apostelkonzils ist (wie es von Anfang an war) Jerusalem.
c) Apostolische Gesandtschaften
Die Apostel können je nach Bedarf apostolische Gesandte in Zweiergruppen in die verschiedenen Regionen der Erde senden. Luk 10,1-2a+9: Danach setzte der Herr weitere zweiundsiebzig Jünger ein und sandte sie je zwei und zwei vor sich her in alle Städte und Orte, wohin er gehen wollte, und sprach zu ihnen: (…) heilt die Kranken, die dort sind, und sagt ihnen: Das Reich Gottes ist nahe zu euch gekommen.
Die apostolischen Gesandtschaften sind die Brücke zwischen dem spirituellen Zentrum in Jerusalem und den missionarischen und diakonischen Aktivitäten in den verschiedensten Regionen der Erde. Apostolische Gesandtschaften verkünden das (gegenwärtige und zukünftige) messianische Königreich, helfen und heilen, wo es nötig und möglich ist. Sie geben im Auftrag und in Abstimmung mit den Aposteln grundsätzliche Hilfen und Weisungen beim Aufbau der Dienstbereiche in den Diakonaten (siehe unten) und beim Einrichten der entsprechenden Strukturen, Ordnungen und Ämter. Sie vermitteln in grundlegenden Streitfragen, können ungeeignete Strukturen innerhalb der Diakonate in Frage stellen und ihre Neuordnung initiieren. Sie sind dabei aber an die Vorgaben des Apostolats gebunden. Die apostolischen Gesandtschaften gehen normalerweise als Team von zwei gleichberechtigten Mitgliedern an ihre jeweiligen Aufgaben. Die 72 Gesandten können ihre Aufgabenbereiche regional oder sachbezogen untereinander aufteilen.
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4 Prophetie
In der Verfassung jeder funktionierenden Demokratie sind Regelungen eingebaut, die verhindern sollen, dass die demokratischen Freiheiten missbraucht werden. Allzu leicht können ja durch reine Mehrheitsentscheidungen auch undemokratische und menschenfeindliche Bestrebungen an die Macht kommen. Auch die Machtausübung in der Demokratie braucht ein korrigierendes Gegenüber, das nicht von Weisungen der Mandatsträger und Amtsinhaber abhängig ist: Das sind dort normalerweise freie Wahlen, eine unabhängige Justiz und freie Medien. Aber die Erfahrung zeigt, dass im Falle einer totalitären Entwicklung auch in einer äußerlich noch existierenden Demokratie Wahlen manipuliert werden, dass das Recht meist sehr gehorsam der Macht folgt und dass die Medien ganz unauffällig vereinnahmt und „gleichgeschaltet“ werden können. Auch in der Demokratie braucht die Macht das Gegenüber einer Instanz, die nicht Teil des politischen Systems ist, sondern in einer Instanz außerhalb des Systems begründet bleibt.
Im Alten Testament waren die Propheten das relativierende Gegenüber zur Macht der Fürsten und Könige. Sie repräsentierten eine Instanz, die den monarchischen Macht-Strukturen nicht untergeordnet, sondern außerhalb des politischen Systems begründet war: in Gott und in seiner Erwählung. Freilich waren die Mächtigen auch in einem religiös begründeten System immer in der Versuchung, die religiösen Instanzen in den Griff zu bekommen durch eine von ihnen abhängige Priesterschaft oder durch fügsame „Hof-Propheten“, die immer rechtzeitig genau die gewünschten „Offenbarungen“ lieferten, welche die Machthaber zur Rechtfertigung ihres Tuns und zur Stabilisierung ihrer Machtpositionen brauchten.
Trotzdem brach das echte, von Gott selbst eingesetzte Prophetentum immer wieder durch als beunruhigendes und korrigierendes Element einer Gottesunmittelbarkeit, das die Selbstherrlichkeit der Mächtigen in Frage stellte. Dass die Machthaber immer wieder versuchten, diese störende Stimme zum Schweigen zu bringen, kann niemanden überraschen.
Für ihre Aufgabe einer spirituellen Verankerung der Demokratie in den Weisungen Gottes (hier besonders angesprochen im Rahmen einer qualitativ-spirituellen Demokratie) und für die je aktuelle Schau auf die gegenwärtigen Verhältnisse im Lichte der vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Heilsgeschichte Gottes müssen den 12 Aposteln eines spirituellen Weltzentrums in Jerusalem 12 Propheten beigeordnet werden, die sie als unabhängiges Gegenüber begleiten. Die Vollmacht des Apostolats ist auf die Korrektur durch die kritische Distanz der Prophetie ebenso angewiesen, wie die prophetische Aussage auf die prüfende Stellungnahme der Apostel. Die Prophetie ist wachendes und korrigierendes Element freier Gottesunmittelbarkeit ohne eigene Handlungsvollmacht, aber mit dem Anspruch, bei den Aposteln jederzeit Gehör zu finden. Die zwölf Propheten bilden zusammen mit den zwölf Aposteln den „Rat der 24 Ältesten“ (siehe unten).
Unabhängig von diesen zentralen Strukturen gibt es überall da, wo gläubige Gemeinschaft lebt, auch Menschen mit prophetischen Begabungen. Diese sind im allgemeinen nicht Träger eines „Amtes“, sondern hörende Menschen in allen Bereichen des Lebens und Zusammenlebens, wo sie ein mahnendes und korrigierendes Gegenüber zu allen verfassten Ämtern bilden. Auch die prophetische Begabung soll sich (wie die apostolische, siehe dort) in einer „qualitativen Demokratie“ zu einem weltweiten Netzwerk verbinden und verdichten, das dem zentralen Prophetenamt in Jerusalem zuarbeitet. Indem dieses auf die prophetischen Stimmen im gesamten Gottesvolk (und das heißt in allen konfessionellen Erscheinungsformen, in allen Erdteilen, Völkern und Kulturen) hört, sie ernst nimmt und in alle Entscheidungen und Vorhaben mit einbringt, trägt es zur Verwirklichung und Stärkung der „königlichen Priesterschaft“ aller Gläubigen bei.
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5 Der Rat der 24 Ältesten
Die 12 Apostel und die 12 Propheten bilden zusammen den Rat der 24 Ältesten. Die Gemeinschaft von „Gottes Hausgenossen“ soll ja erbaut sein (Eph 2, 19-21) auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn. Dieser Rat ist zugleich auch ein irdisches Abbild des himmlischen Rates vor dem Thron Gottes (Offb 4,4).
Im Regelfall sollten alle grundsätzlichen Vorgaben und Entscheidungen des Apostolats im Rat der 24 Ältesten besprochen und in grundsätzlicher Einheit beschlossen werden. Sollte es im Rat der 24 Ältesten zu gravierenden und nicht behebbaren Meinungsverschiedenheiten kommen, so sollten die strittigen Angelegenheiten solange zurückgestellt bleiben, bis eine grundsätzliche Einigung möglich wird. Zu Propheten im Rat der 24 Ältesten innerhalb des spirituellen Zentrums von Jerusalem könnten Männer und Frauen berufen werden (im AT wie im NT werden auch Prophetinnen erwähnt z. B. 2. Mose 15,20; Richter 4,4; 2. Könige 22, 14; Lukas 2,36) Die von Jesus selbst eingesetzten ersten Apostel waren zwar ausschließlich Männer (was aber auch zeitbedingt sein kann und keinen Ausschluss von Frauen für alle Zeiten bedeuten muss), unter den apostolischen Gesandten gab es aber offensichtlich auch damals schon Frauen (in Röm 16, 7 wird eine „Junia“ als „bei den Aposteln angesehen“ oder als „angesehene Apostelin“ erwähnt, sie gehörte wohl einem erweiterten Apostelkreis an, siehe oben „apostolische Gesandtschaften“. Die männliche Form des Namens müsste „Junius“ heißen).
Der Rat der 24 Ältesten (aus Aposteln und Propheten) und die 72 Mitglieder der apostolischen Gesandtschaften würden regelmäßig zu gemeinsam Sitzungen als Vollversammlung des spirituellen Zentrums zusammenkommen. Ihr Auftrag einer „spirituellen Verantwortung“ kann aber nur gelingen, wenn es auch, ergänzend zum spirituellen Zentrum in Jerusalem und auf dieses Zentrum hinorientiert, entsprechende Einrichtungen zur „leiblichen Speisung“ der Menschen im weitesten Sinne durch eine weltweite Diakonie gibt.
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Bodo Fiebig „Apostolische Verantwortung“ Version 2018 – 9
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