„Die Geschichte des Universums und die Geschichte der Menschheit werden nicht von Zufälligkeiten geschrieben, sondern von Sinnerfüllung und Zielvorgaben“. Das ist eine Glaubensaussage, keine wissenschaftlich belegbare Tatsache. Trotzdem gibt es gute Argumente dafür, dass diese „Geschichte“ mehr ist, als „nur“ religiöse Phantasie (siehe die Themen „Die Frage nach dem Sinn“, „Zwischen Schöpfung und Vollendung“ und „Schöpfungsglaube und modernes Weltbild“). Hier, beim Thema „Das Jerusalem-Projekt“, geht es allerdings gar nicht um die Fragen nach der Entstehung des Universums, sondern darum, ob das Universum eine Zukunft hat. Eine Zukunft, die nicht einfach irgendwann ins Nichts ausläuft, sinnlos und ohne Spuren zu hinterlassen.
Es geht um die Frage, ob die Gesamtheit der Abläufe und Ereignisse im Universum nicht doch eine Zielrichtung kennt und auf eine Sinnerfüllung zuläuft: Auf eine zukünftige und umfassende Sinnerfüllung, die auch unser gegenwärtiges und begrenztes Leben in einen umfassenden Sinnzusammenhang einordnet. Dass eine solche Sinn- und Zielorientierung nicht Gegenstand wissenschaftlicher Forschung sein kann, versteht sich von selbst. Aber seriöse, nicht ideologisierte Wissenschaft war und ist sich immer bewusst, dass wissenschaftliche Forschung an Grenzen stößt, wenn es um Sinn-Fragen geht. Die Behauptung, dass es nur das geben könne, was wissenschaftlich nachweisbar sei, stellt sich selbst schon außerhalb jeder Wissenschaftlichkeit .
Die Bibel redet von einer solchen Sinn- und Zielorientierung des Daseins. Sie gibt dafür keinen mit menschlichen Zeitvorstellungen festlegbaren Zeitablauf vor (siehe das Thema „Zeit und Ewigkeit“), aber sie ordnet die Ereignisse und Entwicklungen einem räumlich erkennbaren Zentrum zu, wo das Entscheidende geschah, auch jetzt geschieht und zukünftig geschehen soll. Wir werden sehen: Der, der das Universum und auch das Menschsein geschaffen hat, der überlässt seine Schöpfung nicht sich selbst, sondern er hat mit ihnen und für sie etwas vor:
„Es wird geschehen zur Spätzeit der Tage: (…) Und es werden sich aufmachen viele Völker und werden sagen: Kommt und lasst uns hinaufsteigen zum Berg JaHWeHs, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns unterweise über seine Wege und wir gehen auf seinen Pfaden. Denn Recht-Weisung wird ausgehen von Zion und das Wort JaHWeHs von Jerusalem. Und er wird Recht sprechen zwischen den Nationen und gerecht entscheiden für die Völker. (…) Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Da wird nicht mehr Volk gegen Volk das Schwert erheben und sie werden nicht mehr lernen, wie man Krieg führt“ (Jes 2, 2-4).
Das ist das Jerusalem-Projekt Gottes für einen bestimmten Teil der Menschheits- und Universal-Geschichte; so hat er es angekündigt und so wird er es durchführen: Er will Jerusalem zum spirituellen Mittelpunkt der Erde machen, von dem aus „Recht-Weisung“ (wörtlich „Tora”, also Unterweisung, Richtungsweisung, Wegweisung, Anweisung, auch Zurechtweisung derer, die auf falschen Wegen sind …) in die Regionen und Völker der Erde gehen, damit dort Frieden und Gerechtigkeit wachsen können. So wird es geschehen „zur Spätzeit der Tage”.
Aber Gott will nicht nur dann, „zur Spätzeit der Tage“ (also bei der Vollendung der Schöpfung) Frieden schaffen, sondern auch in unserer Zeit (d. h. in der „Vor-Zeit“ der Vollendung), in der der Friede immer angefochten und zerbrechlich ist, aber immer auch möglich. Vorläufigen und unvollkommenen Frieden zwar, aber doch für das Leben und Zusammenleben der Menschen hilfreich und wohltuend. Und auch dazu muss „Recht-Weisung ausgehen von Zion und das Wort JaHWeHs von Jerusalem”, damit die Völker der Erde wenigstens einige ihrer schlimmsten Waffen umschmieden zu Werkzeugen für den Aufbau des Friedens. Und diesen vorläufigen Frieden in der Vor-Zeit der Vollendung, den will Gott mit und durch Menschen schaffen, die „seinen Namen heiligen und seinen Willen tun“ (siehe die Bitte Jesu im Vaterunser).
Das alles geschieht nicht in einer Art „spirituellem Vakuum“, sondern inmitten der Fülle widerstreitender Meinungen und Einstellungen, Ideologien und Religionen der jeweiligen Zeit und selbstverständlich auch unserer Gegenwart. Die Weltgeschichte mit allen ihren großartigen Entwicklungen und furchtbaren Verirrungen ist die „Rahmenhandlung“, innerhalb derer sich die gegenwärtige Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen vollzieht. In diesem zeitgeschichtlichen Rahmen will Gott sein „Jerusalem-Projekt” (das er ja schon vor Jahrtausenden begann) weiterführen und ans Ziel bringen durch seinen „Gesalbten“, den Messias und Heiland der Völker: Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde (Joh 3, 16+17).
Welt-Rettung, das ist das Vorhaben Gottes und er wird es genau so durchführen, wie er es sich vorgenommen hat (und immer dann, wenn Mächtige unter den Menschen meinten, diese „Welt-Rettung“ selbst und in ihrem Sinn herbeiführen zu können, haben sie furchtbares Leid über die Menschen gebracht – siehe die großen ideologischen Diktaturen des 20. Jahrhunderts). Nur der Schöpfer selbst kann die Schöpfung zu ihrem Ziel bringen.
Nebenbei angemerkt: Es ist ja ganz und gar nicht zufällig, dass unter den großen Narrative unserer Gegenwart (z. B. die großen Erzählungen in Büchern, Filmen, Computerspielen …) sehr viele von Welt-Rettung handeln: Da droht der Weltuntergang durch Naturgewalten, durch Außerirdische oder einen Kometen, der mit der Erde zusammenzustoßen droht oder durch einen Schurken, der die Erde vernichten will … Und diese Erzählungen handeln von den Helden, (von James Bond bis Lara Croft usw.), die mit heldenhaften Taten diese Vernichtung aufhalten und die Welt retten. Offensichtlich „weiß“ die Menschheit (bewusst oder unbewusst) etwas davon, wie sehr unsere Welt, in der wir leben, gefährdet ist und wie verzweifelt sie auf „Rettung“ wartet.
Allerdings: Alle (wirklichen, nicht als erfundene Geschichte erzählten) Versuche von Menschen, die Welt zu retten, sind auf furchtbare Weise gescheitert. Vor allem das vergangene 20. Jahrhundert weist schrecklichste Beispiele dafür auf: Die Nazis wollten die Welt retten vor den verderblichen Einflüssen des Judentums, die Kommunisten wollten die Welt retten vor den schändlichen Machenschaften der Kapitalisten, und die Kapitalisten wollten die Welt retten vor den schrecklichen Plänen der Kommunisten usw. Das Ergebnis dieser Welt-Rettungs-Versuche waren Millionen, viele Millionen unschuldige Opfer.
Trotzdem: Gott will sein „Jerusalem-Projekt” zur Welt-Rettung nicht ohne die Menschen verwirklichen, nicht ohne das Gottesvolk Alten und Neuen Testaments, nicht ohne uns. Das Reich Gottes ist Verheißung und Geschenk, ja, aber es ist auch Anfrage und Auftrag für die, denen die Bitte Jesu im Vaterunser zur Herausforderung des Lebens und Handelns wird: „Dein (des Gott-Vaters) Name werde geheiligt, dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auch auf Erden.“ Ja, ganz gewiss: Überall da „auf Erden“, wo der Name Gottes geheiligt wird, und wo sein „Reich“ (seine Herrschaft) kommt, weil da sein Wille geschieht, da ist der “Himmel“ schon gegenwärtig. Da kann und soll der umfassende Schalom Gottes hier und jetzt, in dieser Welt und Zeit zwar nur vorläufig, zeichenhaft und unvollkommen zur Verwirklichung kommen, aber doch lebenspraktisch, echt und gültig.
Freilich, von menschlichen Mächten (auch nicht von mächtigen religiösen „Führern“ und auch nicht von mächtigen Kirchenfürsten der Christenheit) haben wir da kaum die entscheidenden Fortschritte zu erwarten. Zu groß ist die Versuchung der Macht, wenn man sie erst einmal in den Händen hat. Es werden wohl die machtlosen, manchmal ohnmächtigen „kleinen Leute“ sein müssen, die mit großem Vertrauen auf ihren großen Gott, in aller Bescheidenheit, aber im Glauben an die Verheißungen der Bibel, den Weg des Friedens suchen und gehen. Aber die haben die bedingungslose Zusage des Mächtigen im Himmel, dass die Mächtigen der Erde nicht das letzte Wort haben werden.
In den folgenden Themen „Reich Gottes und Demokratie“, „Die Qualitative Demokratie“, „Die Tore Jerusalems“ und „konkrete Visionen“ sollen Umrisse einer gegenwärtig-vorläufigen Verwirklichung dieses „Jerusalem-Projekts“ angedeutet werden.
Aber warum ausgerechnet Jerusalem? Gibt es da nicht schon genug Ärger? Im Folgenden Beitrag will ich diese Frage ansprechen.
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Das Vorhaben Gottes, Version 2022-8
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