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Thema: C Jesus – die Botschaft

Beitrag 6: Das Vaterunser (Bodo Fiebig15. Januar 2018)

Die Botschaft Jesu in der Bergpredigt zielt auf die Verwirklichung des Gottesreiches hin, das im Hier und Heute Gestalt annehmen und seine Auswirkungen entfalten soll. Am deutlichsten finden wir das im Gebet Jesu für seine Jünger, dem Vaterunser, angesprochen.

Vater unser im Himmel.

Geheiligt werde dein Name (wie im Himmel, so auf Erden).

Dein Reich komme (wie im Himmel, so auf Erden).

Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.

So beginnt das bekannteste Gebet der Christenheit, ja vielleicht der ganzen Menschheit. Die Ergänzungen in den Klammern deuten an, dass sich der Satzteil „… wie im Himmel, so auf Erden“ auf alle drei Bitten bezieht. Dieser Anfang des „Vaterunser“ ist zugleich sein programmatischer Hauptteil. Er enthält das zentrale Gebetsanliegen Jesu. Und in der Mitte dieses ersten Gebetsteils steht die Bitte: Dein Reich komme. Eigentlich ist das ja gar keine Bitte, sondern ein Ruf sehnsüchtiger Erwartung: „Ach, dass dein Reich doch endlich komme, möglichst bald und möglichst vollkommen, denn dann würde dein Name, Vater, geheiligt und dein Wille würde geschehen, hier auf der Erde so vollkommen und heilbringend, wie es im Himmel schon immer der Fall ist. Und dann wäre alles gut.“

Was danach folgt, sind Bitten für die alltäglichen Notwendigkeiten im alltäglichen Leben hier und heute, also für die Zeit, solange das erbetene Reich noch nicht in Fülle gekommen ist:

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Das tägliche Brot (und was sonst lebensnotwendig ist), die Vergebung der Schuld (von Seiten Gottes und der Menschen untereinander), die Bewahrung vor Versuchungen und die Errettung aus der Gewalt des Bösen, das alles ist „Wegzehrung“ für den (vielleicht sehr langen und mühsamen) Weg der Jüngergemeinde, bis das erbetene und ersehnte „Reich“ in Fülle und Vollkommenheit da ist.

Der Schluss des Gebets (der nicht in allen frühen Handschriften des Evangeliums enthalten ist) nimmt die Bitten des Anfangs wieder auf, jetzt aber als frohe Gewissheit und anbetende Verherrlichung:

Denn dein ist das Reich

und die Kraft

und die Herrlichkeit in Ewigkeit.

Amen

Das Vaterunser wird ausdrücklich als Vorlage und Muster für das Gebet der Jünger eingeführt (Mt 6, 9: „Darum sollt ihr so beten”); siehe auch Lk 11, 1-2). Lassen wir uns von diesem Gebet ein Stück näher an das Denken, Glauben und Hoffen Jesu heranführen.

1 Unser Vater im Himmel

Diese Anrede enthält einen kaum überbrückbaren Gegensatz: Unser Vater (und unsere Mutter) sind die nächsten und vertrautesten Personen unserer Kindheit. Gleichzeitig ist der „Himmel“, also die jenseitige Wirklichkeit Gottes, die abstrakteste, unanschaulichste und unseren menschlichen Vorstellungen fernstliegende Denkmöglichkeit. Die Anrede „Unser Vater im Himmel“ stellt uns also vor die Herausforderung, das Fernste im nächsten Umfeld zu suchen, das Unvorstellbarste im persönlichsten Beziehungsgeschehen, das Unzugänglichste im vertrautesten Nahbereich. Wie eng diese Vertrautheit und Beziehung zwischen dem himmlischen Vater und seinen irdischen Menschenkindern sein soll, sagt uns Jesus im so genannten „Hohepriesterlichen Gebet“ (Joh 17, 21-23): Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie (die Menschen, die an Gott glauben) in uns sein (…) damit sie eins seien, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, damit sie vollkommen eins seien … Eine engere Beziehung zwischen Gott und Mensch, Himmel und Erde ist nicht denkbar (siehe das Thema „AHaBaH – das Höchste ist lieben“).

Wenn wir Gott als „unseren Vater im Himmel“ anreden sollen, korrigiert das gleich am Beginn dieses Gebets zwei mögliche Fehlhaltungen: Gott ist eben nicht nur „mein Vater“, er ist „unser Vater“. Eine persönliche Kind-Vater-Beziehung zu Gott ist notwendig, aber nicht ausreichend. Ich bin ja nicht das einzige Kind dieses Vaters. Das stellt mich, ob ich das will oder nicht, in das Beziehungsgefüge der Gottesfamilie. Und zu dieser Gottesfamilie gehören möglicherweise auch Menschen, die ganz andere Erfahrungen, Eigenarten, Prägungen und Ausdrucksweisen haben als ich. Jeder persönliche Heilsegoismus, der nur das persönliche Verhältnis zum Vater und zu Jesus pflegt, nicht aber die Beziehungen zu den Glaubensgeschwistern, verfehlt unseren Status als Kinder dieses Vaters. Wir können das Vaterunser nur als geschwisterliche Gemeinschaft beten, sonst machen wir es zur Lüge.

Aber nicht nur dies: „Unser Vater“, zu dem wir beten, ist der, der im Himmel ist; seine Vaterschaft ist allumfassend, so wie der Himmel alles Irdische umfasst. Das erlaubt uns nicht, wie es sonst bei jeder Geschwistergemeinschaft selbstverständlich ist, in „wir“ und „ihr“ zu trennen, erlaubt uns nicht, zu unterscheiden zwischen denen, die „zu uns“ gehören und denen, die andere Väter haben. „Unser Vater im Himmel“ ist der rechte Vater über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden (Eph 3,15). Jeder fromme Gruppenegoismus, der Trennlinien zieht zwischen den Gemeinschaften der Kinder Gottes, ist eine schuldhafte Verfehlung dessen, was wir sein sollen.

Eigentlich können wir nur als ganze Menschheitsfamilie in rechter Weise „Vater unser“ beten. Weil es aber noch viele Menschen gibt, die den Gott der Bibel nicht als Vater kennen (siehe das Thema „Weltreligionen und biblischer Glaube“), so ist als vorläufige Mindest-Gemeinschaft für das Beten des Vaterunser die Vollzahl derer anzusehen, die sich selbst als „Kinder Gottes“ (im biblischen Sinn) verstehen: Alle Christen zusammen mit allen Juden*, gewiss nicht immer alle gleichzeitig und am gleichen Ort, aber doch als geglaubte und gelebte Einheit der Gotteskinder.

* Ja, auch mit allen Juden. Auch Juden reden den in der Bibel geoffenbarten Gott als „Unser Vater“ an.  Im AT z. B. in Mal 2,10: Haben wir nicht alle einen Vater? Hat uns nicht ein Gott geschaffen? Warum verachten wir denn einer den andern und entheiligen den Bund mit unsern Vätern? Oder Jes 63,16: Bist du doch unser Vater; denn Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns nicht. Du, HERR, bist unser Vater; »Unser Erlöser«, das ist von alters her dein Name. Siehe z. B. auch das „große Bußgebet“ für die 10 Bußtage zwischen dem jüdischen Neujahrsfest (Rosch HaSchana) und dem Versöhnungstag (Jom Kippur), dessen 44 Abschnitte alle mit der Anrede „Unser Vater, unser König …“ beginnen.

Dieser Vater ist zugleich Herrscher (König). Auch das ein kaum überwindbarer Gegensatz. Den Begriff „Vater“ verbinden wir (wenn wir mit unserem leiblichen Vater positive Erfahrungen gemacht haben) mit Fürsorge und Schutz, verständnisvoller Erziehung und liebevoller Wegweisung. Den Begriff „Herrscher“ verbinden wir mit Machtausübung und Zwang, vielleicht auch Unterdrückung und Ausbeutung. Ein König, dessen Herrschaft dem Verhalten eines guten Vaters gegenüber seinen Kindern entspricht, können wir uns nur schwer vorstellen. Aber genau so stellt uns Jesus in seinem Gebet Gott vor: als Vater-König (siehe den Beitrag „Sieben Merkmale der Königsherrschaft Gottes“). Sein Königtum, sein „Reich“ soll hier auf der Erde erfahrbare Wirklichkeit werden, so wie das im Himmel schon immer und in Vollkommenheit der Fall ist. Wenn Gott selbst als „König“ wie ein liebevoller Vater über alle Menschen herrscht, dann wird das für die Men­schen der „Himmel auf Erden“. Darum bittet Jesus in seinem Gebet.

Wie aber soll dieses „Reich“ kommen? Zwei Voraussetzungen sind dafür notwendig: Das Reich Gottes kann nicht kommen, wo nicht der Name Gottes geheiligt wird (siehe Abschnitt 2 „Geheiligt werde dein Name“). Und das Reich Gottes kann nicht kommen, wo nicht der Wille Gottes geschieht (siehe Abschnitt 3 „Dein Wille geschehe“). Ja, das Reich Gottes besteht im Wesentlichen darin, dass der Name Gottes geheiligt wird und sein Wille geschieht; alles andere (die Fülle des Lebens und die Segnungen des Friedens und der Reichtum der Freude im Miteinander des Mensch­seins) ist die Folge davon.

2 Geheiligt werde dein Name

So lautet die erste Bitte des Vaterunser; und wir müssen wieder ergänzen. …wie im Himmel, so auf Erden. So, in gleicher Weise, wie im Himmel der Name Gottes geheiligt wird, so soll dies auch auf Erden geschehen.

Diese Bitte ist die sprachlich ins Positive gewendete Form des 2. Gebotes: Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen (2. Mose 20,7). Die Begriffe „missbrauchen (wörtlich: gebrauchen zu Bosheit, Betrug, Nichtigkeit) und „heiligen (d. h. aussondern vom „normalen“ Gebrauch und weihen für die Bereiche, die von Gott und für Gott „reserviert“ sind) benennen hier die extremen Gegenpositionen für den Gebrauch des Gottesnamens. Wer den Namen Gottes „heiligt“, ehrt den Träger dieses Namens; wer den Namen Gottes missbraucht, schändet dessen Ehre. Was aber soll das mit dem Kommen des Gottesreiches zu tun haben?

Ganz einfach: Der Begriff „Name“ meint in der Bibel nicht nur die geschriebenen Buchstaben oder gesprochenen Laute eines Namens, sondern steht für die ganze Person. Das gilt auch für den Namen Gottes. Der Missbrauch, die Entheiligung seines Namens, stellt ihn selbst als Schöpfer und Erhalter des Universums, als Vater und König der Menschen in Frage. In einem Volk, das den „Namen“ seines Herrschers (das gilt für jede Art von Herrschaft, sogar für die gewählte Regierung einer Demokratie) nicht ehrt, sondern ihn missbraucht, entehrt, lächerlich macht, da ist die Regierungsvollmacht dieses „Herrschers“ am Ende. Die väterlich-königliche Herrschaft Gottes (sein „Reich“) kann nur dort zum Vollzug kommen, wo sein Name geheiligt wird. Wobei wir, im Gegensatz zu allen menschlichen Herrschaftsformen hinzufügen müssen, dass ja die HerrscherMacht Gottes über seine ganze Schöpfung nicht von der Zustimmung der Menschen abhängig ist. Ob sie aber für die Menschen rettend, helfend, frohmachend, heilbringend erfahrbar wird, das liegt sehr wohl an unserer Bereitschaft, ihn in seinem Namen zu ehren und seinen Willen zu tun.

In der Bibel gibt es einige Stellen, wo wir einen Blick in den Himmel tun können und mit hineingenommen werden in den himmlischen Gottesdienst vor dem Thron Gottes. Da können wir sehen und hören, wie im Himmel der Name Gottes geheiligt wird. Zwei solche Stellen will ich anführen, eine aus dem Alten und eine aus dem Neuen Testament.

Jes 6,1-3 (in der Berufungsgeschichte des Jesaja): In dem Jahr, als der König Usija starb, sah ich den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron, und sein Saum füllte den Tempel. Serafim standen über ihm; ein jeder hatte sechs Flügel: mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße, und mit zweien flogen sie. Und einer rief zum andern und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll!

So wird im Himmel der Name Gottes geheiligt.

Off 4, 2-11: Alsbald wurde ich vom Geist ergriffen. Und siehe, ein Thron stand im Himmel, und auf dem Thron saß einer. Und der da saß, war anzusehen wie der Stein Jaspis und Sarder; und ein Regenbogen war um den Thron, anzusehen wie ein Smaragd. Und um den Thron waren 24 Throne, und auf den Thronen saßen 24 Älteste, mit weißen Kleidern angetan, und hatten auf ihren Häuptern goldene Kronen. Und von dem Thron gingen aus Blitze, Stimmen und Donner; und sieben Fackeln brannten vor dem Thron, das sind die 7 Geister Gottes. Und vor dem Thron war es wie ein gläsernes Meer, gleich wie Kristall, und in der Mitte am Thron und um den Thron 4 himmlische Gestalten, voller Augen vorn und hinten. (…) Und eine jede der vier Gestalten hatte 6 Flügel, und sie waren außen und innen voller Augen, und sie hatten keine Ruhe Tag und Nacht und sprachen: Heilig, heilig, heilig ist Gott der Herr, der Allmächtige, der da war und der da ist und der da kommt. Und wenn die Gestalten Preis und Ehre und Dank gaben dem, der auf dem Throne saß, der da lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit, fielen die 24 Ältesten nieder vor dem, der auf dem Thron saß, und beteten den an, der da lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit, und legten ihre Kronen nieder vor dem Thron und sprachen: Herr, unser Gott, du bist würdig, zu nehmen Preis und Ehre und Kraft; denn du hast alle Dinge geschaffen, und durch deinen Willen waren sie und wurden sie geschaffen.

Diese beiden Texte geben uns eine Ahnung davon, was es eigentlich heißt „Dein Name werde geheiligt … wie im Himmel, so auf Erden.“ Ein Abglanz dieses himmlischen Gottesdienstes soll auch in unseren irdischen Gottesdiensten, in unseren Liedern und Gebeten sichtbar werden, denn dann wird ein wenig von der Herrlichkeit der Königsherrschaft Gottes und der Heiligkeit seines Namens auch auf der Erde erkennbar.

Die Gemeinde derer, die sich der Königsherrschaft Gottes unterstellen, kann kaum etwas Wichtigeres und Effektiveres tun, als diesen himmlischen Gottesdienst auf der Erde widerzuspiegeln. Sie trägt so auf entscheidende Weise zum Werden und Wachsen des Gottesreiches auf Erden bei. Der Gottesdienst der christlichen Gemeinde ist Königsproklamation Gottes in unserer Welt (oder sollte es sein!). Wer als Christ oder Jude ohne Not dem Gottesdienst der Gemeinde fernbleibt, wer aus Gleichgültigkeit oder welchem Grund auch immer nicht daran teilnimmt und nicht dabei mitwirkt, dass der Name Gottes geheiligt wird, der verleugnet die Königsherrschaft Gottes vor den Augen und Ohren der Welt. Die Anbetung Gottes, die Heiligung seines Namens, ist eine entscheidende Voraussetzung für das Kommen seines Reiches in unserer Welt und Zeit.

Allerdings muss uns dabei bewusst sein, dass wir den Namen Gottes dann erst recht verunehren, entheiligen, wenn wir ihn zwar in feierlichen Gottesdiensten anrufen, aber im alltäglichen Leben nicht nach dem Willen Gottes fragen. Gott wird vor allem dadurch geehrt, sein Name wird vor allem dadurch geheiligt, dass die Gemeinde, die im Gottesdienst ihn angebetet und verehrt hat, ihn nun auch im täglichen Leben Herr sein lässt, indem sie sich bemüht, seinen Willen zu tun.

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3 Dein Reich komme

Dieser Abschnitt muss hier nicht weiter ausgeführt werden, denn seine Überschrift weist ja auf den Inhalt des ganzen Themas „Dein Reich komme“ mit allen seinen Beiträgen.

4 Dein Wille geschehe

Was ist der Wille Gottes? Welche Pläne hat er und was erwartet er von uns? Es ist dem Menschen nicht möglich, von sich aus den Willen Gottes zu erkennen. Er muss uns von Gott selbst offenbart werden. Die vollkommenste Offenbarung des Willens Gottes begegnet uns in der Predigt Jesu. Der Wille Gottes, der „wie im Himmel, so auf Erden“ geschehen soll, kann nach einer zentralen Aussage Jesu in zwei kurzen Sätzen zusammengefasst werden. Jesus wird einmal gefragt, welches das höchste Gebot ist (also welche der Weisungen Gottes seinen Willen am vollkommensten ausdrückt). Er antwortet mit dem sogenannten „Doppelgebot der Liebe“, dessen beide Teile er aus dem Alten Testament zitiert (Mt 22, 37-39; vgl. 5. Mose 6,5 und 3. Mose 19,18): „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Dies ist das höchste und größte Gebot. Das andere aber ist dem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“ Das also ist der Wille Gottes und der soll hier auf Erden geschehen, so wie er im Himmel schon immer geschieht. Dabei entspricht der erste Teil „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt“ der Bitte im Vaterunser „Dein Name werde geheiligt“ (so liebt man Gott von ganzem Herzen, indem man vor den Augen und Ohren der Welt seinen Namen heiligt), und die zweite Hälfte „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ entspricht der Bitte „Dein Wille geschehe“ (so geschieht der Wille Gottes, indem die Menschen ganz konkret und handfest ihre Nächsten lieben wie sich selbst).

Das ist der Wille Gottes, dass die Beziehung zwischen Mensch und Gott bestimmt ist von liebender Hingabe und tiefem Vertrauen und dass die Beziehungen zwischen den Menschen geprägt sind von gegenseitiger Annahme statt Ablehnung, vom Miteinander statt vom Gegeneinander, vom gegenseitigen Helfen statt Hindern, vom einander Dienen, statt von dem Wunsch, den jeweils andern zu beherrschen, oder kurz gesagt: geprägt von der Liebe, denn die Liebe ist die Lebensordnung des Himmels und die soll „wie im Himmel, so auf Erden“ gelten.

Und weil Gott die Menschen kennt, ihre Unfähigkeit zur Liebe und ihre Neigung zu Feindschaft und Hass, deshalb gibt er ihnen als Hilfe zum Leben das Gebot. Die Gebote (genauer: „Weisungen“) Gottes beschreiben die notwendigen Rahmenbedingungen für ein Zusammenleben der Menschen, bei dem die Liebe das bestimmende Element werden soll. Jesus betont ausdrücklich, dass er nicht „gekommen ist, das Gesetz aufzulösen“ und er sagt, dass „nicht der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz vergehen wird“. Jesus will die Gebote Gottes, wie sie im AT offenbart sind, nicht in Frage stellen, sondern sie in einzigartiger Weise erfüllen, indem er ihren eigentlichen Sinn und Zweck wieder sichtbar macht, nämlich hier auf der Erde den Lebensraum der Liebe offenzuhalten, denn der ist das Territorium des irdischen Gottesreiches.

Wir können an den 10 Geboten des Alten Testamentes erkennen, dass sie und das Liebesgebot des Neuen Testamentes tatsächlich ein und dieselbe Sache sind: Ausdruck dessen, was der Wille Gottes ist.

In den ersten drei Geboten (nach der Zählung in 2. Mose 20 sind es die ersten 4 Gebote), die Mose am Sinai empfangen hat, geht es um das Verhältnis des Menschen zu Gott. (Du sollst keine anderen Götter haben, du sollst dir keine Götzenbilder machen, du sollst den Namen Gottes nicht missbrauchen, du sollst den Feiertag heiligen). Wir können diese Gebote nach den Worten Jesu auch so zusammenfassen: „... geheiligt werde dein Name“ oder auch „Du sollst den Herrn, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt“. Das Wort Gottes spricht im Alten Testament keine andere Sprache als im Neuen Testament. Und wir verstehen, was damit gemeint ist, wenn es heißt: „Die Liebe ist die Erfüllung der Gesetze“ (Röm 13,10). Wer Gott liebt „von ganzem Herzen“, der wird ganz selbstverständlich diese Gebote erfüllen, ohne dass er sich dabei anstrengen müsste. Das Gebot der Gottesliebe will ja keine seelischen Gefühlswallungen provozieren, es will unser Tun ausrichten. Die ersten 3 Gebote sagen: So liebt man Gott, so macht man das real und handfest im täglichen Leben.

Im 4.(5.)-10. Gebot geht es um das Verhältnis und das Verhalten der Menschen untereinander: „Du sollst Vater und Mutter ehren, du sollst nicht töten, nicht ehebrechen, nicht stehlen, nicht falsch Zeugnis reden, nicht begehren, was einem anderen gehört“. Diese Gebote können wir mit den Worten Jesu so zusammenfassen: „Dein Wille geschehe“ oder auch: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. Wenn jeder seinen Nächsten lieben würde wie sich selbst, dann käme niemand auf die Idee, den anderen zu belügen, zu bestehlen oder gar zu töten. Auch im Verhältnis der Menschen untereinander ist die Liebe die Erfüllung der Gebote. Und auch hier geht es primär nicht um romantische Liebes-Gefühle, sondern um reales, handfestes Tun: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst, das heißt doch: Tu deinem Nächsten all das Gute, das du dir selbst tun möchtest und das du dir von deinen Mitmenschen wünscht. Das Tun der Gebote und das Tun der Liebe ist das gleiche, und zu beiden brauchen wir, um es zu Stande zu bringen, die Gnade Gottes.

Dieses „Tun der Liebe“ ist die Berufung des Menschseins von Anfang an: 1.Mose 27 (wörtlich):: Und es sprach Gott: Machen wollen wir Menschen in unserem Bild, gemäß unserer Gleichheit. (…) Und Gott schuf den Menschen in seinem Bild, im Bilde Gottes schuf er ihn, männlich und weiblich erschuf er sie. Das ist der Wille Gottes für die Menschen, dass durch sie und ihr Miteinander der Schöpfer selbst (der die Liebe ist) in der Schöpfung anschaubar vergegenwärtigt wird.

Durch das Menschsein soll das Wesen Gottes in der Schöpfung anwesend sein, ja mehr noch: soll ein Geschöpf zum Gegenüber der Liebe des Schöpfers werden. Der Mensch ist ja keine optische Abbildung Gottes, als wäre Gott ein Wesen mit menschenähnlicher Ge­stalt, mit Armen und Beinen, mit Augen, Mund und Nase… (dann wäre Gott ein Abbild des Men­schen, und so haben sich Menschen zu allen Zeiten ihre Götter vor­zustellen versucht), son­dern eine wesentliche. Gott hat kei­ne Leiblichkeit, kein „Aussehen“ nach menschlichen Vorstellungen. Gott ist Liebe (1.Joh 4,16). Damit ist alles Wesentliche über den Gott der Bibel ausgesagt, das heißt, sein Wesen ist ein „Für-den-andern-da-sein“ in voraussetzungsloser Annahme, uneingeschränkter Zuwendung, unerschütterlicher Treue und opferbereiter Hin­gabe. Und dafür soll das Menschsein eine anschaubare und erfahrbare Vergegenwärtigung sein inmitten einer sonst ethisch blinden Schöpfung.

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5 Das Gebet für das Heute

Jesus ist kein realitätsferner Schwärmer. Er weiß: Noch ist das Reich Gottes auf Erden nur in winzigen Spuren zu entdecken. Das Kommen und Wachsen dieses Reiches geschieht inmitten einer gottfernen, selbstsüchtigen und und manchmal gottlosen und dadurch auch menschenfeindlichen Welt. Und deshalb bittet nun Jesus im zweiten (größeren) Teil des Gebets für alle, die sich auf den Weg gemacht haben, um mitten in dieser Welt diese Spuren des Gottesreiches zu suchen und zu vermehren, indem sie versuchen, den Namen Gottes zu heiligen und sich bemühen, seinen Willen zu tun:

Unser tägliches Brot gib uns heute

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen .

Diese Sätze beschreiben die notwendige materielle und spirituelle „Wegzehrung” auf dem Weg zur Vollendung des Gottesreiches:

  • Das tägliche Brot, also die Befriedigung der elementaren biologischen Bedürfnisse.

  • Die Vergebung unserer eigenen Schuld, die trotz allem Bemühens jeden Schritt unseres Weges hemmt. Nur so können wir trotzdem auf dem Weg zur Verwirklichung des Reiches Gottes vorankommen.

  • Die Bereitschaft zur Vergebung aller Schuld, die von anderen an uns begangen worden ist. Ohne dieses ständige selbst anderen Vergeben und von ihnen und von Gott Vergebung empfangen kann niemand der Erfüllung des Reiches Gottes näher kommen.

  • Und doch würde alles bisher Genannte Verirrung und Scheitern nicht von uns fernhalten können, wenn nicht der väterliche Gott selbst uns vor vielen Versuchungen bewahren und in der Versuchung beschützen würde.

  • sondern erlöse uns von dem Bösen (wörtlich: entreiße uns dem Bösen), das ist die letzte und dringendste Bitte dieses Gebetsteils. Dass es das Böse gibt, das wird niemand bestreiten wollen. Unsere Erde ist voll davon. Aber dass wir dem Bösen nicht schutzlos gegenüber stehen, dass wir seinen Verlockungen nicht erliegen müssen und wir seinen Gewalttaten nicht hilflos ausgeliefert sind, darum sollen wir bitten, jeden Tag neu.

  • Der (möglicherweise erst später angehängte) „liturgische” Schluss führt noch einmal aus, was mit diesem Satz gemeint sein kann: „Geheiligt werde dein Name”. Freilich kann der Name Gottes (also Gott selbst) auf sehr vielfältige Weise geheiligt werden. Entscheidend ist, dass es geschieht. Die „Heiligung des Heiligen” ist für unsere spirituelle Existenz genau so grundlegend wichtig, wie das Leben für unsere biologische Existenz: Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen

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Bodo Fiebig Das nahe GottesreichVersion 2018-1

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