Bereich: mitgehen

Thema: C Jesus – die Botschaft

Beitrag 2: Das nahe Gottesreich (Bodo Fiebig15. Januar 2018)

Wo sind wir? Was geschieht mit uns? Was verleiht unserem Leben, unserem Denken, Reden und Tun Gewicht und Dauer? Gibt es für das verwirrende, manchmal hoffnungsvolle, viel öfter noch beängstigende Geschehen unserer Tage eine ordnende, erklärende Zusammenschau? Wer sagt uns, wenn wir vor Entscheidungen stehen, in welche Richtung wir gehen sollen, welcher Weg zum Unheil oder welcher zum Frieden führt? Viele Antworten sind im Laufe der Menschheitsgeschichte auf solche Fragen gegeben worden und viele Antworten werden uns heute angeboten. Für Menschen, die im biblischen Glauben begründet sind, kann nur eine Antwort bleibend gültig sein: Nur die Selbstoffenbarung des Gottes, der alles, was unsere Wirklichkeit ausmacht, erschaffen hat und erhält, kann uns den Sinnzusammenhang und die Zielausrichtung unseres Lebens andeuten, kann uns ein Bild von unserer Vergangenheit und unserer Zukunft vermitteln, das uns in der Gegenwart ein sinnvolles Leben und Handeln ermöglicht (im Folgenden sind alle Bibelstellen, wenn nicht anders angegeben, nach der Luther-Übersetzung in der Revision von 1984 zitiert).

Diese Selbstoffenbarung Gottes kann uns aber nur erreichen, indem sie sich in menschliche Sprache, in menschliche Denk- und Redeweisen hüllt. So haben wir in der biblischen Offenbarung den „Schatz“ der göttlichen Wahrheit immer nur in dem „irdenen Gefäß“ menschlicher Sprache und menschlichen (manchmal scheint es: allzumenschlichen) Verstehens vor uns. Oft genug merkt man den Verkündern göttlicher Weisung in der Bibel an, dass sie das, was sie schauen und hören, kaum in Worte fassen können und sie geraten ins Stammeln angesichts der Größe ihrer Botschaft und der Unzulänglichkeit ihrer sprachlichen Mittel, diese auszudrücken.

An einer Stelle aber und in einer Person begegnet uns das Wort Gottes direkter und unverhüllter als irgendwo sonst in der Bibel: in der Person und Rede Jesu. Auch wenn wir die Worte Jesu nicht als Tonbandprotokoll vorliegen haben, sondern als treu bewahrte Erinnerung und als vom Geist Gottes selbst geführte und bestätigte Überlieferung, so ist die Rede Jesu, wie sie uns in den Evangelien überliefert sind, doch in besonderer Weise das Wort Gottes (siehe das Thema „Evangelium und Urgemeinde“)

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1 Die Botschaft Jesu vom nahe gekommenen Gottesreich

Kehrt um, denn das Reich Gottes ist nahe!“ Dieser Aufruf Jesu im Neuen Testament markiert eine Zeitenwende, die unsere Welt in den folgenden 2 Jahrtausenden grundlegend verändert hat. Heute freilich ruft dieser Satz eher Abwehr als Begeisterung hervor. „Reich“ bzw. „Königsherrschaft“ Gottes, das sind wahrhaftig keine „modernen“ Begriffe. Klingen sie nicht nach Unterdrückung und Gewalt? Muss es denn immer Herrschaft geben; noch dazu eine so unanfechtbare, unentrinnbare wie die eines allmächtigen Gottes? Muss es immer ein „oben“ und „unten“ geben: Herrscher und Beherrschte? Mit Recht wehren wir uns gegen jede Form von Unterdrückung durch Menschen. Sollen wir uns jetzt dafür mit dem „Reich Gottes“ die größte denkbare Diktatur einhandeln? Oder kann die Bitte Jesu „Dein Reich komme!“ auch ganz anders verstanden werden, kann sie ganz neu gehört, und umgesetzt werden und so auch für uns zum Herzensanliegen und zur Herausforderung unseres Lebens?

Die Botschaft Jesu hat ein zentrales Thema: Dieses wird am Anfang der Evangelien (bei den „Synoptikern“ Mt, Mk und Lk) nach der einleitenden Vorgeschichte genau angegeben:

Mt 4,7: Von da an begann Jesus zu verkündigen: Kehrt um, denn das Himmelreich ist nahe!

Mk 1,14+15: Er verkündigte das Evangelium Gottes und sprach: „Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium.“

Lk 4,43: Er sagte zu ihnen: „Ich muss auch den anderen Städten das Evangelium vom Reich Gottes verkündigen, denn dazu bin ich gesandt worden.

Das „Reich Gottes“ (oder „Himmelreich“ – die beiden Begriffe sind in ihrer Bedeutung gleich, die Juden zur Zeit Jesu haben nur aus Scheu, den Namen Gottes zu gebrauchen, diese Umschreibung verwendet) steht im Zentrum der Botschaft Jesu. Im Neuen Testament bezeichnet allerdings der Begriff „Reich“ nicht (wie wir es sonst gewöhnt sind) ein Land, ein Staatsgebiet (etwa wie bei „Deutsches Reich“ oder „Frankreich“), sondern ein Herrschaftsverhältnis. „Gott-Königtum“ oder „Königsherrschaft Gottes“ wären genauere und sinngetreue Übersetzungen dessen, was in den meisten deutschsprachigen Übersetzungen „Reich Gottes“ oder „Himmelreich“ heißt. Sie bezeichnen ein Gemeinwesen, in dem die Herrschaft Gottes praktisch zum Vollzug kommt, dadurch, dass Menschen Gott als ihren Herrn anerkennen und bekennen (indem sie seinen Namen „heiligen“) und sich freiwillig, aber entschieden seinen Ordnungen unterordnen (sodass durch sie sein Wille geschieht – siehe Abschnitt 3 „Das Vaterunser“). Im Folgenden werden „Reich Gottes“, „Himmelreich“ und „Königsherrschaft Gottes“ als gleichbedeutende Begriffe verwendet. Es geht um das Herr-Sein Gottes; davon redet Jesus.

Die oben angeführten Angaben der Evangelien über den Inhalt der Rede Jesu bezeichnen nicht ein Randthema, über das Jesus neben vielem anderen auch gesprochen hätte, sondern sie sind als eine Art Überschrift über seine ganze Lehre zu werten. Tatsächlich gibt es kaum Aussagen Jesu, die nicht irgendwie zu diesem Thema gehören. Auch da, wo es mehr um das Verhältnis Jesu zum Vater und um das Verhältnis seiner Jünger zu ihm geht (z. B. im Johannesevangelium, wo der Begriff „Reich Gottes“ nur an wenigen Stellen vorkommt), steht doch dieses „Reich“ im Mittelpunkt der Botschaft, und zwar deshalb, weil Jesus selbst als Erstling dieses Reiches redet und handelt. Gott hat ihm für diese Weltzeit die Herrschaftsrechte über sein Reich übertragen, deshalb ist mit ihm auch das Königtum Gottes gegenwärtig. Mt 28,18: „Mir ist gegeben alle Gewalt (eigentlich: Macht, Autorität) im Himmel und auf Erden.“ Gott übt seine Königsherrschaft in dieser Weltzeit durch seinen „Gesalbten“ (Messias), den „Gottesknecht“ und „Menschensohn“, aus. Die Botschaft Jesu ist von seiner Person nicht zu trennen.

Auch die Wunder Jesu sind nichts anderes, als eine besonders nachdrückliche und sinnfällige Bestätigung seiner Lehre vom nahegekommenen Himmelreich. Sie zeigen, dass mit Jesu Kommen die Wirklichkeit des Himmels, wo es kein Leid, keine Krankheit und keinen Tod gibt, inmitten des Elends der Welt Realität werden kann – eine Realität, die zwar nur zeichenhaft und vorläufig in Erscheinung tritt, aber doch sichtbar und erfahrbar wird. So bildet das ganze Reden und Handeln Jesu eine Einheit, deren Mitte und Kern die Botschaft vom Reich Gottes ist. Auch nach seinem Tode am Kreuz und nach seiner Auferstehung redet der verklärte Christus von nichts anderem: Apg 1,3: Vierzig Tage hindurch ist er ihnen erschienen und hat vom Reich Gottes gesprochen.

Das Reich Gottes ist auch der Inhalt der Botschaft der Jünger und Apostel (Lk 9,2 bei der Aussendung der 12 Jünger): Und er sandte sie aus mit dem Auftrag, das Reich Gottes zu verkündigen und zu heilen. (Die Wunder sind auch hier Bestätigung der Botschaft.) Lk 10. 8+9 (Bei der Aussendung der 70 Jünger): „Wo ihr in eine Stadt kommt und sie euch aufnehmen, da esst, was euch vorgesetzt wird, heilt die Kranken und sagt: Das Reich Gottes ist euch genaht.“

Von der Verkündigung des Gottesreiches werden sogar die Dauer dieser Weltzeit und der Ablauf der Weltgeschichte abhängig gemacht: Mt 24,14: „Dieses Evangelium von Reich wird auf der ganzen Erde verkündet werden, damit alle Völker es hören; dann erst kommt das Ende.“ Das bedeutet: Der Fortgang der Verkündigung seines Reiches ist für Gott der Zeitmaßstab für den Ablauf der Welt- und Heilsgeschichte.

Wir sehen: Hauptinhalt und entscheidende Zielrichtung der Botschaft Jesu ist die Botschaft vom „Reich“, von der Königsherrschaft Gottes. Durch sie soll die uralte Sehnsucht des Menschen nach Liebe und Geborgenheit, Fülle und Freude, Gerechtigkeit und Frieden erfüllt werden. Aber müsste dann die Geschichte der Menschheit nicht anders aussehen? Ist sie nicht auch nach Jesus eine ununterbrochene Folge von Bosheit und Feindschaft, Krieg und Gewalt – an denen auch die Christenheit ihren Anteil hat? Wie soll denn die Wirklichkeit unserer Welt mit der Botschaft Jesu vom Reich Gottes zusammenpassen?

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2 Die drei Erscheinungsweisen des Reiches Gottes in der Botschaft Jesu

Immer wieder haben Christen entsetzt, enttäuscht oder empört gefragt, wie denn die Realitäten dieser Welt mit all ihrer Gewalt, Niedertracht und Bosheit und mit all ihrem Leiden und Sterben mit der Botschaft von der Königsherrschaft Gottes zusammenpassen sollen. Um einer Antwort näher zu kommen, müssen wir die Predigt Jesu vom Reich Gottes etwas genauer anschauen, und dann merken wir, dass Jesus in dreierlei verschiedener Weise von diesem „Reich“ redet: vom Reich Gottes im Himmel, vom Reich Gottes im Anbruch und vom Reich Gottes der Zukunft. Wenn wir diese verschiedenen Erscheinungsweisen des Gottesreiches unterscheiden, werden wir leichter zu einer Antwort auf die oben gestellte Frage finden.

2.1 Das Reich Gottes im Himmel

Jesus verkündigt das Reich Gottes als etwas, was schon vollendet da ist, jedoch in einer Weise, die dem Menschen von sich aus nicht zugänglich ist. Es ist jene Wirklichkeit, wo Gott unverhüllt und uneingeschränkt regiert, wo schon immer sein Name geheiligt wird und sein Wille geschieht. Die Bibel nennt diese Wirklichkeit „Himmel“. „Vater unser im Himmel …“ Dorthin ist Jesus bei seiner Himmelfahrt zurückgekehrt. Von dort wird er wiederkommen, um die Gottesherrschaft auch auf der Erde zu vollenden. Dieses himmlische Gottesreich umfasst und übergreift alle menschliche Zeitrechnung und Raumvorstellung.

Dieses schon vollendete himmlische Königreich Gottes erwähnt Jesus in seiner Predigt nur am Rande. Er setzt es bei seinen Zuhörern schon als festen Glaubensinhalt voraus, z. B. wenn er sagt: …so wird auch im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über 99 Gerechte, die es nicht nötig haben umzukehren (Lk 15,7). Oder Lk 10,20: Freut euch darüber, dass eure Namen im Himmel verzeichnet sind.

2.2 Das Reich Gottes im Anbruch

Jesus verkündet das „nahegekommene“ Gottesreich auch als etwas, was gegenwärtig im Entstehen ist, das nun mit seinem Kommen im gegenwärtigen, irdischen Leben Gestalt annimmt, Raum gewinnt und, sich ausbreitend, seine Wirkung in der Welt entfaltet. Er verkündet es als etwas, was „schon mitten unter uns“ (Lk 17,21) ist.

Die Aussage Jesu, das Reich Gottes sei „nahe“, wurde fast immer in der Kirchengeschichte als zeitliche Nähe aufgefasst: Man müsse nur noch eine kleine Weile warten, dann werde sich (bei der Wiederkunft Christi) die Königsherrschaft Gottes offenbaren, und es brachte Christen oft in tiefste Not und Glaubenszweifel, als sich die Ankunft Christi und der Anbruch des Reiches scheinbar hinauszögerten. Noch katastrophaler wirkten sich die ungeduldigen Versuche aus, das Kommen des Reiches selbst herbeizuführen oder zu beschleunigen.

Seltener wurde dieses „nahe“ mit einer räumlichen Vorstellung verbunden: Unsere Sünde hat eine unüberwindliche Entfernung zwischen uns und Gott bewirkt; durch Jesus ist diese Entfernung überbrückt und Gott ist uns wieder ganz nahe gekommen.

Jesus selbst meint dieses „nahe“ nicht in erster Linie zeitlich oder räumlich, sondern existenziell und lebenspraktisch: Denen, die sich der Herrschaft Gottes unterstellen, denen wird die Königsherrschaft Gottes schon hier und jetzt erfahrbare Realität (nicht nur eine Glaubensschau), die ihr ganzes Leben prägt und ausrichtet. Ihnen ist das Reich Gottes „nahe“, weil es ihnen zur Lebenswirklichkeit geworden ist. Anderen kann es zur gleichen Zeit und am gleichen Ort noch ganz fern sein. Die meisten Aussagen Jesu zum Reich Gottes beziehen sich auf das Reich das „nahegekommen“ ist, das hier und heute Wirklichkeit werden soll, das „wie im Himmel, so auf Erden“ kommen und Gestalt annehmen soll.

Bei der Verkündigung dieses Reiches redet Jesus meist in Gleichnissen. Er knüpft an dem Erfahrungsbereich seiner Zuhörer an, um ihnen etwas nahezubringen und erkennbar zu machen, das weit über menschliche Vorstellungsmöglichkeiten hinausreicht. Die Tatsache, dass Jesus als Bezeichnung für das, was er verkündigt den Begriff „Königreich“ bzw. „Königsherrschaft“ wählt, ist Hinweis darauf, dass es mit keinem anderen verfügbaren Begriff der menschlichen Sprache treffender ausgedrückt werden kann.

Paulus verwendet für die gleiche Sache das Bild vom Leib, vom Haupt und den Gliedern (1. Kor 12, 12-27), oder das Bild vom Tempel (Eph 2,19-22): So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn. Durch ihn werdet auch ihr miterbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist.

Diese Bilder sind gut und hilfreich, sie bestätigen, unterstützen und ergänzen das Bild vom Königreich. Wären sie aber die treffendsten Bilder, so hätte sie Jesus in seiner Verkündigung verwendet. So müssen wir bei dem, was Jesus verkündigt, tatsächlich vom Bild eines „Reiches“, von einer Volksgemeinschaft unter der machtvollen und verantwortlichen Leitung eines Königs ausgehen, um mit unserem menschlichen Vorstellungsvermögen eine Ahnung von der viel größeren und viel umfassenderen Wirklichkeit des Gottesreiches zu bekommen.

Dieses Reich, die Königsherrschaft Gottes in unserer scheinbar gottverlassenen Welt, beschreibt Jesus in immer neuen Bildern und Vergleichen: Es ist verborgen, wie ein Schatz im Acker und kostbar, wie eine Perle, für die es sich lohnt, alles andere aufzugeben (Mt 13, 44-46). Es ist wichtiger als alles andere und schließt alles andere mit ein (Lk 12, 29-31, vgl. Mt 6, 31-33): … fragt nicht danach, was ihr essen oder trinken sollt, und macht euch keine Unruhe. Nach dem allen trachten die Heiden in der Welt; aber euer Vater weiß, dass ihr dessen bedürft. Trachtet vielmehr nach seinem Reich, so wird euch das alles zufallen.

Es beginnt klein und unauffällig, aber es wächst und breitet sich aus, so, wie aus einem Senfkorn ein Baum wird oder wie ein kleines Stückchen Sauerteig einen ganzen Teig durchsäuert (Mt 13,31-33).

Dieses Reich wird allen Menschen verkündigt, so, als ob Samen ausgestreut würde über fruchtbares und unfruchtbares Land. Aber nur wenige hören es recht, nehmen es auf und halten es fest, so dass die Früchte des Reiches Gottes unter ihnen wachsen und reifen können (Mt 13, 3-9 im Gleichnis vom „vierfachen Ackerfeld“). Es wird ausgeworfen, wie ein Fischernetz, in dem sich Brauchbares und Unbrauchbares fängt (brauchbar bzw. unbrauchbar für den Aufbau und die Ausgestaltung des Gottesreiches in dieser Welt Mt 13, 47-50). Es ist hineingestreut in die Welt wie Weizen in einen Unkrautacker, so dass es immer vermengt ist mit Ungöttlichem und Widergöttlichem (Mt 13,24-30).

Die Zeit dieses Reiches ist Zeit des Wachstums (Mt 13,30) und der Entscheidung. (Nur in dieser Zeit, wo Göttliches und Widergöttliches nebeneinander existieren, ist ja Entscheidung möglich.) Das nahende Gottesreich fordert jetzt unsere Entscheidung heraus (Lk 16,13): Kein Knecht kann zwei Herren dienen; entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon. Jetzt ist Gnadenzeit, an deren Ende die Ernte und das Gericht stehen (Mt 13,37-43 in der Auslegung zum Gleichnis vom Unkraut im Weizen).

Diese zuletzt genannten Gleichnisse zeigen, dass mit „Himmelreich“ hier gar nicht etwas Jenseitiges, Vollkommenes gemeint sein kann. Nur hier und heute, in dieser unserer vorläufigen und unvollkommenen Welt, ist die Königsherrschaft Gottes noch verborgen, noch unscheinbar, noch angefochten, noch vermengt mit Ungöttlichem. Im vollendeten Gottesreich ist dies alles nicht mehr der Fall.

Das Reich Gottes wird nicht mit berechnender Scheinfrömmigkeit verwirklicht. Es wird nur da Realität für die Menschen, wo ungeheuchelter Gehorsam geübt wird (Mt 6, 1-18 und 7, 1-5 vom Almosengeben, Beten, Fasten, Richten). Dort aber, wo Menschen unter Einsatz all dessen, was sie sind und haben „zuerst nach dem Reich Gottes trachten und nach seiner Gerechtigkeit“, dort steht Gott mit seiner ganzen Allmacht und Ehre dafür ein, dass diese Menschen nicht enttäuscht und als die Betrogenen dastehen werden (Mt 6, 19-34 und 7, 7-11 von den Vögeln am Himmel und den Lilien auf dem Felde; „bittet, so wird euch gegeben“). Dieses vorläufige, irdische, noch verborgene Gottesreich besteht in einer Zeit, wo sein König, der Herrscher dieses Reiches, nicht körperlich und sichtbar anwesend ist. Während dieser Zeit äußerer Abwesenheit sind die Gaben und Aufgaben im Reich Gottes „Knechten“ (verantwortlichen Verwaltern) anvertraut, die diese Gaben als „volkswirtschaftliches Kapital“ des Gottesreiches einsetzen und zum weiteren Auf- und Ausbau des Reiches verwenden müssen, damit es unter den Menschen mehr und mehr Wirklichkeit wird (Mt 25, 14-30 im Gleichnis von den anvertrauten Talenten).

Jesus spricht zu den Menschen seiner Zeit vor allem von diesem „nahegekommenen“ Gottesreich, das in unserem gegenwärtigen Leben Wirklichkeit werden soll. Dieses „Reich Gottes im Anbruch“ (nicht die Vollkommenheit des himmlischen Gottesreiches) ist Verheißung und Herausforderung für unsere Gegenwart. Daneben redet Jesus dann auch noch in wenigen Andeutungen von der Zukunft des Gottesreiches auf Erden, von einer Vollendung, die weit über das hinausgeht, was wir für dieses gegenwärtige Zeitalter erwarten können.

2.3 Das Reich Gottes der Zukunft

Jesus verkündigt das Reich Gottes auch als etwas Kommendes. Das gegenwärtige, irdische Gottesreich ist zeitlich, räumlich und in seinen Auswirkungen begrenzt. Es hat sein Ziel nicht in sich selbst, es ist nicht um seiner selbst willen da, sondern es zielt auf das Wiederkommen Christi, dessen Friedensreich diese Weltzeit ablösen und die uneingeschränkte Gottesherrschaft auch auf Erden verwirklichen wird. Bis dahin ist alles Leben im Reich Gottes in sehnsüchtiger Erwartung auf dieses Ereignis hin ausgerichtet. Dann wird alles, was jetzt noch verborgen, unvollkommen und bruchstückhaft ist, offen­bar, vollkommen und umfassend sein wie im Himmel, so auf Erden.

Dieses Neue, Kommende ist nicht eine Weiterentwicklung des Jetzt-Zustandes. Es bricht von außen in diese Weltzeit ein und bricht sie ab. Dieser Einbruch wird angekündigt durch Zeichen, die erkannt, aber auch übersehen werden können (Mt 24,5-26). Das Kommen Jesu selbst wird niemand übersehen, denn es wird mit einem Umbruch von kosmischen Ausmaßen verbunden sein (Mt 24,27-31). Dieses Geschehen wird die meisten Menschen überraschend und unvorbereitet treffen (Mt 24,35-5,19). Es schließt die Zeit der Entscheidung ab und bringt die Scheidung (Mt 24,40+41). Dann wird die Ernte des Lebens eingebracht (Mt 13, 30+37-43), dann wird Rechenschaft gefordert (Mt 25,19) und Gericht gehalten (Mt 25,31-46 im Gleichnis von den Schafen und Böcken). Dabei wird das Urteil an der Frage entschieden, ob das Liebesgebot an den Menschen, die Jesus seine „geringsten Brüder“ nennt, verwirklicht wurde. Danach wird eine Freudenzeit sein, vergleichbar mit einem Hochzeitsfest (Mt 22,2 und 25,10).

Da der Zeitpunkt der Wiederkunft Christi ungewiss ist und der alleinigen Entscheidung Gottes vorbehalten bleibt (Mt 24,36), ist es entscheidend wichtig, die Einladung Gottes jetzt anzunehmen, alles andere zurückzustellen (Mt 33,3-13) und jederzeit bereit und gerüstet zu sein (Mt 24,42-51 und 25,1-13). Auch die Rede Jesu vom zukünftigen Gottesreich zielt auf unser Verhalten und Handeln in der Gegenwart (siehe das ThemaZeit und Ewigkeit“).

Die Königsherrschaft Gottes in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, im Himmel und auf Erden, das ist der Inhalt der Predigt Jesu und das ist die entscheidende und alles andere überstrahlende Realität unseres Lebens. Und doch gibt es so viele Menschen, die sie nicht wahrnehmen können oder nicht wahrhaben wollen. Der Gedanke an einen königlich herrschenden Gott ist ihnen fremd oder gar Angst machend, vor allem, weil sie nicht wissen, in welcher Weise Gott seine Herrschaft ausübt und weil sie die abschreckenden Beispiele menschlicher Herrschaft, die sie vor Augen haben, auf Gott übertragen. Deshalb sollen im folgenden Beitrag „Sieben Merkmale der Königsherrschaft Gottes“ einige Merkmale dieses „Gott-Königtums“ angeführt werden, die uns Jesus in seiner Botschaft vom nahe gekommenen Gottesreich offenbart (siehe auch das Thema „Reich Gottes und Demokratie)“.

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Bodo Fiebig Das nahe GottesreichVersion 2018-1

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