Bereich: A Wege biblischen Glaubens

Thema: Mose

Beitrag 4: Licht in der Finsternis (Bodo Fiebig15. November 2020)

Was war geschehen? Wir wissen es: Während Mose auf dem Berg war, hatte Aaron auf Drängen des Volkes hin ein Götzenbild geschaffen, einen Jungstier aus Gold, Symbol für Kraft und Fruchtbarkeit. Als Mose nicht mehr da war, und es (nach 40 Tagen!) unsicher schien, ob er je zurückkommen würde, da hat das Volk nicht seine Verantwortung als königliche Priesterschaft wahrgenommen, sondern Aaron, den Bruder des Mose, in die Rolle eines Oberpriesters gedrängt und mit ihm ein Opfer-und Fruchtbarkeitsfest nach dem Vorbild heidnischer Völker gefeiert. Es hat seine eben erst empfangene Berufung verleugnet und aus Angst vor der eigenen Verantwortung einen Götzenkult und Priesterdienst eingerichtet, so wie es ringsum in allen Völkern und Kulturen üblich war.

Als Mose vom Berg herabkam und sah, was geschehen war, zerschmetterte er die steinernen Tafeln mit den Weisungen Gottes für das Leben eines königlichen Priestervolkes. Das Volk Israel hatte sich angesichts der Größe seiner Berufung als zu kleinmütig und kleingläubig erwiesen. Alles schien verloren, das Vorhaben Gottes schon im Ansatz gescheitert.

Nein, nicht unwiederbringbar verloren, nicht endgültig gescheitert. Denn unterdessen, noch während das Volk das Fest seines Bundes-Bruchs feierte, waren zwei Dinge geschehen: Einmal die Fürbitte des Mose für sein Volk und noch davor und zuerst die Einsetzung des Aaronitischen Priestertums und die Schau eines Tempel- und Opferkultes als vorläufige Not-Lösung, bis das Volk durch lange Zeiten der Schulung und Prüfung so weit wäre, seine eigentliche königlich-priesterliche Berufung wieder anzunehmen und zu vollziehen.

Erst jetzt bekommen besondere und herausgehobene Ämter ihre (zeitweilige) Bedeutung. Das Amtspriestertum sollte für die kommende (vielleicht sehr lange) Zeit ein Licht in der Finsternis sein, wie das sanfte Licht einer Öllampe in einem sehr großen, dunklen Raum, aber es konnte nie den verheißenen hellen Morgen herbeiführen. Dabei geht es hier nicht darum, das Amtspriestertum als minderwertig und „uneigentlich“ zurückzuweisen. Es hatte und hat in einer bestimmten heilsgeschichtlichen Epoche eine wichtige und unverzichtbare Funktion.

Durch diese Einsetzung des Aaronitischen Priestertums entstand nun eine Spannung zwischen der ursprünglichen Berufung des ganzen Volkes zu einem königlichen Priestertum und den Ämtern einer vom „allgemeinen Volk“ abgesonderten und herausgehobenen Priesterschaft. Und diese Spannung sollte sich durch die Jahrhunderte ziehen bis in unsere Gegenwart. Aber auf dem Weg durch spannungsvolle Jahrhunderte sollte Israel in seine Berufung als königliches Priestervolk hineinwachsen. Dazu hat Gott selbst die historischen Entwicklungen so gelenkt, dass das Amtspriestertum und der Tempeldienst im Judentum schon seit der Zerstörung des Tempels vor fast zweitausend Jahren nicht mehr vorhanden und auch nicht mehr notwendig ist. Das ist nicht nur als Verlust zu werten, sondern als Beleg, dass das Judentum wenigstens ansatzweise zu seiner ursprünglichen Berufung zurückgefunden hat, wie sie von Anfang an von Gott her gemeint war.

Um das zu erläutern, soll nun kurz aufgezeigt werden, wie sich nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift das biblische Priester-Amt herausgebildet hat.

In der Bibel kommt der Begriff „Priester“ zum ersten Mal im Zusammenhang mit Melchisedek vor. 1.Mose 14,18-20: Aber Melchisedek, der König von Salem, trug Brot und Wein heraus. Und er war ein Priester Gottes des Höchsten und segnete ihn und sprach: Gesegnet seist du, Abram, vom höchsten Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat; und gelobt sei Gott der Höchste, der deine Feinde in deine Hand gegeben hat. Und Abram gab ihm den Zehnten von allem.

Melchisedek war offensichtlich nicht einfach einer der ungezählten heidnischen Priester, die es in den verschiedensten Kulten jener Zeit gab, sondern „Priester Gottes des Höchsten“ von Gott selbst aus seiner heidnischen Umwelt heraus berufen und eingesetzt. Er war zugleich König von Salem (Jerusalem); er verkörperte in sich ein von Gott gegebenes „königliches Priestertum“. Dies geschah, bevor Gott sich in Abraham und seinen Nachkommen ein besonderes Bundesvolk erwählt hatte (1.Mose 15,18: An dem Tage schloss der HERR einen Bund mit Abram und sprach: Deinen Nachkommen will ich dies Land geben …). Danach gab es ein biblisch bezeugtes Priester-König-Amt in dieser Form nicht mehr. Es gab zwar in der Geschichte Israels Könige, die versuchten, sich zusätzlich auch noch das Priesteramt anzueignen um ihre Machtposition zu erweitern, aber das wurde von Gott immer zurückgewiesen. Nach der Melchisedek-Episode sind in der Bibel für lange Zeit (etwa ein halbes Jahrtausend vgl. 2. Mose 12, 40) nur noch heidnische Priester gemeint, wenn von Priestern geredet wird (ägyptische Priester und Jitro, der Midianiter).

Die zweite Stelle im AT, die von einem nichtheidnischen und von Gott eingesetzten Priestertum spricht (beim Bundesschluss Gottes mit Israel am Sinai), ist 2.Mose 19, 5-6: Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein. Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein. Das sind die Worte, die du den Israeliten sagen sollst.

Wir sehen: Das von Gott eingesetzte Priestertum ist von Anfang an ein von Gott verliehenes König-Priestertum. Nur wurde hier nicht ein Einzelner und nicht eine bestimmte Gruppe oder Kaste zum Priesteramt berufen, sondern das Volk als Ganzes bekam eine königlich-priesterliche Berufung. Die Berufung des Priesterkönigs Melchisedek war nur ein Vor-Zeichen für das allgemeine königliche Priestertum des ganzen Gottesvolkes (siehe auch den Themenbeitrag „Reich Gottes und Demokratie“).

Dies geschah offensichtlich in bewusster Abgrenzung zur Erfahrung des Volkes Israel mit dem ägyptischen Priestertum, das im ägyptischen Volk eine eigene, so mächtige und vom übrigen Volk herausgehobene Kaste bildete, dass sogar der vom Pharao mit allen Vollmachten ausgestattete Joseph in der Hungersnot während der 7 mageren Jahre ihren Besitz nicht antasten konnte. (siehe 1.Mose 47, 22). Hier, beim Bundesschluss Gottes mit dem Volk Israel am Sinai, ist also von einer königlich-priesterlichen Berufung des ganzen Gottes-Volkes die Rede und dies ist offensichtlich die eigentliche und ursprüngliche Form des Priestertums, die Gott eingesetzt und gewollt hat: Ein getreues Bundesvolk, das als Ganzes in seinem gemeinsamen Leben nach innen und in seiner Ausstrahlung und Wirkung nach außen eine priesterliche Pro-Existenz verwirklicht und zugleich eine königliche Verantwortung trägt und dadurch die Abrahams-Berufung mit Leben erfüllt: „In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden“.

Deshalb werden jetzt beim Bundesschluss am Sinai Israel keine Amtspriester eingesetzt um das Opfer darzubringen, sondern ganz normale „junge Männer von den Israeliten“ (2. Mose 24, 4-5): Da schrieb Mose alle Worte des HERRN nieder und machte sich früh am Morgen auf und baute einen Altar unten am Berge und zwölf Steinmale nach den zwölf Stämmen Israels und sandte junge Männer von den Israeliten hin, dass sie darauf dem HERRN Brandopfer opferten und Dankopfer von jungen Stieren.

Erst als das Volk Israel den Bund brach und den Gehorsam verweigerte, (beim „Tanz um das goldene Kalb“) wurde das Aaronitische Priestertum eingesetzt: 2.Mose 28,1-3: Du sollst Aaron, deinen Bruder, und seine Söhne zu dir herantreten lassen aus der Mitte der Israeliten, dass er mein Priester sei, er und seine Söhne Nadab, Abihu, Elea-sar und Itamar. Und du sollst Aaron, deinem Bruder, heilige Kleider machen, die herrlich und schön seien, und sollst reden mit allen, die sich darauf verstehen, die ich mit dem Geist der Weisheit erfüllt habe, dass sie Aaron Kleider machen zu seiner Weihe, dass er mein Priester sei.

Diese Einsetzung des aaronitischen Priestertums (mit Tempel bzw. Stiftshütte und Opferkult) geschah, und das ist das Erstaunliche, noch als Mose oben auf dem Gottesberg war, also zur gleichen Zeit, während Aaron selbst unten am Fuße des Berges das goldene Stier bild goss! Noch während die Schuld, der Abfall, die Verleugnung Gottes im Gange waren, hat Gott selbst parallel dazu und im Angesicht dieses Frevels das Amts-Priestertum als Hilfsmittel zur Überwindung dieser Schuld eingesetzt. Das aber bedeutet: Das aaronitische Priestertum war nicht das von Gott vorgesehene und gewollte Mittel, um Israel und die Völker der Erde zu segnen. Weil es aus einer schuldhaften Verfehlung heraus geboren war, konnte es nicht mehr sein als ein göttlicher Notbehelf angesichts des Ungehorsams des Volkes. Deutlich wird das auch daran, dass es nur noch nach innen wirken konnte zur Versöhnung des eigenen Volkes, dass es aber nicht mehr dem eigentlichen Auftrag wahrnehmen konnte, ein Segen für „alle Geschlechter auf Erden“ zu sein.

Das war ähnlich wie später bei der Einsetzung eines monarchischen Königtums in Israel, das ja auch gegen den ursprünglichen Willen Gottes war (vgl. 1. Sam 8, 4-9) und das dann doch mit großen Segnungen und Verheißungen ausgestattet wurde. Genau so war Gott auch hier bei der Einsetzung des besonderen Priesteramtes bereit, diesen Notbehelf zu segnen und mit großen Vollmachten auszustatten. Jetzt wird auch zum ersten Mal eine besondere „heilige, herrliche und schöne“ Priesterkleidung als Zeichen einer herausgehobenen Stellung der Priesterschaft genannt.

Vor der Einsetzung des Aaronitischen Priestertums ist nur einmal im AT von Priestern im Volk Israel die Rede, und zwar in einem ablehnenden Sinn: Auch diese „Priester“ dürfen sich Gott nicht nahen, wie das übrige Volk (2. Mose 19, 22-24). Offensichtlich hatte sich auch im Volk Israel in Angleichung an die Verhältnisse in Ägypten eine Priester-Kaste etabliert, ohne von Gott berufen und eingesetzt zu sein.

Immer wieder war das Volk Israel in der Versuchung, sein zu wollen „wie alle Heiden auch“ (1.Sam 8,5). Und Gott in seiner grenzenlosen Barmherzigkeit ging geduldig auch die verkehrten Wege des Volkes mit und war bereit, sogar aus den Akten des Ungehorsams noch etwas zumachen, was den Menschen diente und die Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen weitertrug. So bekam Israel einen Tempel, eine besondere Priesterschaft und einen Opferkult, die sich zwar äußerlich an heidnischen Vorbildern orientierten, die aber dennoch auch Abbild einer himmlischen Wirklichkeit sein sollten (2. Mose 25, 8+9) und in denen sich dem bilderhungrigen Volk das eigentlich unsichtbare Geschehen der Versöhnung sichtbar darstellen sollte. Dieses Amts-Priestertum war aber immer in der Gefahr, sich zu verselbständigen und zu einem hierarchischen Machtapparat zu verkommen, so dass es immer wieder durch prophetische Weisung unmittelbar von Gott angesprochen und korrigiert werden musste.

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Bodo Fiebig „Licht in der Finsternis, Version 2020-5

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