Das Thema „wer bin ich?“ im Bereich „Grundfragen des Lebens“ wird der Mensch als Individuum in den Blick genommen. Hier, beim Thema „Adam“ ist das Menschsein als Ganzes Gegenstand der Betrachtung: „Adam – wer bist du“?
Der Mensch ist sich selbst ein Rätsel. Jahrtausende philosophischer Selbstreflexion und Jahrhunderte anthropologischer Forschung haben diesem Rätsel viele neue Fragen hinzugefügt und kaum eine beantwortet. Was wir vom Menschen wahrnehmen, könnte widersprüchlicher nicht sein: Seine Aufbauleistungen und seine Zerstörungswut, seine Mitmenschlichkeit und seine Unmenschlichkeit, seine Liebesfähigkeit und sein Hasspotenzial …
„Der Mensch ist, was er isst“, sagt der Materialist. „Der Mensch ist die Krone der Schöpfung“, sagt der Idealist. „Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“, sagt der Pessimist.
Sehen wir nach, was die Bibel (das Lehrbuch der Menschheit für das Erlernen einer göttlichen Sichtweise auf die weltlichen Dinge) uns über die Entstehung und Berufung des Menschseins sagt. 1. Mose 1, 26+27: Und es sprach Gott: Machen wollen wir den Menschen (hebr. adam) in unserem Ebenbild, gemäß unserer Gleichheit. (…) Und Gott schuf den Menschen in seinem Bilde; im Bilde Gottes schuf er ihn …* Diese wenigen Wörter enthalten in äußerster Verdichtung die gültige Beschreibung des Menschseins, sein Herkommen, sein Unterwegs-Sein und sein Ziel. Das hebräische Wort „zäläm“ (für „Bild“) bedeutet eigentlich „geschnitztes Götterbildnis“. Es repräsentiert in einem Tempel oder auch bei einem Hausaltar den Gott, den man anbetet.
* Siehe den Themenbeitrag „Schöpfungsglaube und modernes Weltbild“. Die Übersetzung der (hier fett gedruckten) Bibeltexte aus 1. Mose 1 und 2 ist diesem Beitrag entnommen.
Der Gott der Bibel (JaHWeH) verbietet aber den Menschen, von ihm so einen geschnitzten (oder aus Metall gegossenen, aus Stein gehauenen …), toten „Stellvertreter“ herzustellen und anzubeten (1. Gebot, 2. Mose 20,4 Lutherübers.): Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist. (Hier wird für „Bild” das Wort „päsäl“ verwendet, das eine ganz ähnliche Bedeutung hat wie zäläm). Die Menschen sollen sich keine toten Götterbilder machen, weil Gott sich den Menschen als seinen lebenden „Repräsentanten“ erwählt hat. Adam und seine Nachkommen sollen lebende Gottesbilder sein und ihr Leben soll das Wesen Gottes sichtbar machen – davon werden wir noch hören.
Der Name „Adam“ stammt aus der hebräischen Sprache und ist eigentlich kein Eigenname, sondern heißt einfach „Mensch“. Das Wort „Adam“ hat seine Wurzel in dem hebräischen Wort „adom“, rot. Und das Wort adom, rot, stammt von dem Wort „dam“ ab; dam heißt Blut. Adom (rot) ist die Farbe des Blutes (dam). Und „Adam“ ist der Name des Menschen. Adam, der Mensch, ist der Lebendige, Durchblutete und manchmal Heißblütige, der leicht auch mal rot sehen kann.
Sein Name ist verwandt mit dem Wort „Adamah“ für Erde, für den Ackerboden, der im Orient meist eine rötliche Farbe hat. Adamah ist der Nährboden, aus dem alles Leben herauswächst. Auch das Menschsein, Adam, kommt von der Adamah. …denn Staub (bist) du und zum Staub wirst du zurückkehren. (1.Mose 3,19). Eine sehr nüchterne und unverklärte Sicht in einen Jahrtausende alten Text: Der Mensch besteht seiner Materie nach aus den gleichen Atomen und Molekülen wie die ganze Natur und alles Leben und wie der Staub auf der Straße; da ist er gar nichts Besonderes.
Aber zugleich ist das Menschsein, Adam, auch selbst so ein Nährboden, eine Adamah, aus der vieles herauswächst, Gutes und Böses, Liebenswertes und Verabscheuungswürdiges. Von diesem Menschen, dem Adam, wird gesagt, dass er in einzigartiger Weise geschaffen wurde: als „Bild“, als Kunstwerk. Gewiss, jedes Lebewesen ist ein großartiges Kunstwerk der Schöpfung, aber allein der Mensch ist geschaffen, dass er ein Eben-Bild sei von etwas, das kein geschaffenes Auge je wahrnehmen könnte: vom Schöpfer selbst. Wer also den Menschen anschaut (nicht einen einzelnen Menschen, sondern eine menschliche Gemeinschaft, hier dargestellt durch ein Liebespaar aus Mann und Frau in ihrem Miteinander und Füreinander), der soll ein Bild, eine Ikone, das heißt eine anschaubare Vergegenwärtigung Gottes vor Augen haben.
Dabei müssen wir beachten: Wenn Gott den Menschen in der schon geschaffenen Welt zu seinem „Ebenbild“ beruft, dann bedeutet das, dass die Schöpfung selbst nicht Ebenbild Gottes ist und auch der Mensch selbst, von sich aus nicht. Weder in der Schöpfung noch im Menschen (soweit er diese Berufung nicht annimmt und zu verwirklichen versucht) ist (bei aller Vielfalt und Schönheit) etwas zu finden, an dem man etwas davon wahrnehmen könnte, wer und wie Gott ist.
Trotzdem: Das Menschsein als Liebesgemeinschaft (und das gilt ganz allgemein, nicht nur für die erotische Liebe in der Paarbeziehung von Mann und Frau, sondern für jede Form menschlicher Gemeinschaft) soll Abbild und Repräsentation seiner göttlichen Identität sein, denn (2. Jo 4,16): Gott ist Liebe. Wie diese Gott-Ebenbild-lichkeit des Menschen Realität werden soll in einer Welt, die vom „Kampf ums Dasein”, vom Streit um Macht und Besitz, von der Rivalität um Amt und Ansehen geprägt ist, davon wird noch die Rede sein.
Die Forschung der vergangenen Jahrzehnte hat die Entwicklungsgeschichte des Menschen immer genauer nachverfolgt: Wahrscheinlich in Afrika hatte die biologische Entwicklung zum ersten Mal jenen Typ Säugetier hervorgebracht, den wir den „modernen Menschen (Homo Sapiens) nennen und von dem alle heutigen Menschen abstammen. Aber wie soll denn das mit der biblischen Geschichte von Adam und Eva als den ersten Menschen zusammenpassen? War Adam wirklich der erste Mensch? Wir wollen versuchen, genauer hinzuschauen.
Zunächst nehmen wir wahr: Die Schöpfungsgeschichte der Bibel ist kein Epos, sondern Stenografie, Kurzschrift. Mit wenigen Worten werden Welt-umspannende und Welt-bewegende Vorgänge angedeutet. Uns bilderhungrige und geschichtendurstige moderne Menschen fällt oft es schwer, die Kurzschrift der Bibel zu entschlüsseln. Das gilt auch für die Mitteilung der Bibel über die Entstehung und Berufung des Menschen.
Vorher (siehe dazu das Thema „Schöpfungsglaube und modernes Weltbild“) wird in der Schöpfungsgeschichte berichtet, wie das Leben auf der Erde entstand: Pflanzen und Tiere wurden geschaffen und ihren verschiedenen Lebensräumen zugeordnet. Und dann, als die Umwelt entsprechend bereitet war, schuf Gott zuletzt den Menschen. Eine Aussage der Bibel, die mit unseren modernen entwicklungsgeschichtlichen Erkenntnissen übereinstimmt. Der Mensch ist tatsächlich das letzte Glied in der Kette des Lebens.
Hier (1.Mose 1, 26) heißt es nun zum ersten Mal in der Schöpfungsgeschichte, dass Gott etwas machen „will“ (Lutherübersetzung: Machen wollen wir den Menschen … Wörtlich steht hier: „Machen wir den Menschen“, aber die entsprechende hebräische Wendung drückt das „Wollen“ Gottes, seine Absicht aus). Bisher hieß es immer: Gott sprach und es wurde so. Mit der Erschaffung des Menschen war das Schaffen Gottes bei dem Ziel angekommen, das er erreichen wollte. Alles andere waren notwendige Vorstufen dazu. Die ganze Entwicklung des Lebens war so angelegt, dass dieses von Gott gewollte Geschöpf „Mensch“ entstehen konnte.
Im zweiten Kapitel des ersten Mose-Buches ist noch einmal von der Erschaffung Adams die Rede, diesmal aber nicht in der allgemeinen Form wie im ersten Kapitel (machen wollen wir den Menschen …, und Gott schuf den Menschen…), sondern in der Form einer persönlichen Zuwendung: Da machte Gott der HERR den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen (1. Mose 2,7 Lutherübersetzung 1984).
Haben Sie jetzt auch dieses Bild vor Augen, wie Gott aus einem Lehmkloß einen Menschen formt und ihn dann durch Anhauchen zum Leben erweckt? Dann legen Sie bitte diese Vorstellung jetzt zur Seite. Sehen wir nach, was wirklich im biblischen Text steht: Und JaHWeH, Gott, bildete den Adam – „Staub vom Erdboden“ war er – und hauchte in seine Nase Odem des Lebens. So wurde Adam beseeltes Leben (eigene, wörtliche Übersetzung, die dünn gedruckten Wörter „war er“ sind zum besseren Verständnis eingefügt). Adam wird uns hier als das vorgestellt, was er tatsächlich ist: „Staub vom Ackerboden“ (hebr. Adamah) war er, wie wir alle.
Gott macht hier nicht den Adam aus Erde (das hebräische Äquivalent für „aus“ steht im Urtext nicht da), sondern er handelt an dem „Erdling“ Adam. Hier, im zweiten Kapitel wird nicht die Erschaffung des Menschen als Lebewesen, nicht die Entstehung der biologischen Art „Homo sapiens“ beschrieben, das war ja schon lange vorher am sechsten Schöpfungs-„Tag“ (1. Mose 1, 26-27) geschehen. Hier handelt Gott offensichtlich an einem Einzelnen, dem er seinen göttlichen Lebensodem einhaucht. Hier geht es nicht um die Erschaffung des Menschen, sondern um seine entscheidende Umgestaltung in eine von Gott besonders begabte und erwählte „Sonderschöpfung“. Diese Umgestaltung geschieht durch eine besondere Zuwendung und Gabe Gottes, die nur diesem Einen zuteil wird. Er, nur er und kein anderes Geschöpf, bekommt von Gott selbst einen besonderen geisterfüllten Lebensodem (neschamah), eingehaucht.
Zwei Übersetzungen, die jeweils Träger ganz verschiedener Vorstellungen sind, stehen sich gegenüber. Wie sollen wir uns entscheiden? Da machte Gott der HERR den Menschen aus Erde (oder Lehm) vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase.
Oder: Und JaHWeH, Gott, bildete den Adam – Staub vom Erdboden war er – und hauchte in seine Nase Odem des Lebens. (siehe oben).
Beide Übersetzungen sind wohl möglich und legitim. Aber welche ist die wahrscheinlich angemessene? Wenn wir bereit sind, uns von vorgefertigten Bildern zu lösen und nur die Bibel selbst entscheiden zu lassen, dann ist die Sache eindeutig: Dass Gott sich durch Anhauchen eines Lehmkloßes ein Lebewesen erweckt, das kommt sonst in der Bibel nie vor. Dass er sich einzelne Menschen aus der schon vorhandenen Menschheit erwählt und durch Mitteilung seines Geistes zu einer besonderen Berufung führt, das ist durchgängiges Handeln Gottes in seiner ganzen Heilsgeschichte im Alten und Neuen Testament.
Gott handelt hier und er schafft etwas ganz Neues, nie Dagewesenes: Bis dahin war der Mensch einfach ein Lebewesen (genauer: ein intelligentes Säugetier) unter vielen anderen. Jetzt aber wird er ein von Gott gerufenes und berufenes Geschöpf, von dem Antwort und Verantwortung erwartet werden.
Adam ist Neuschöpfung des Menschseins durch den Geist Gottes. Die Vorstellung, dass Gott einen Lehmkloß durch Anhauchen zum Leben erweckte, ist hier völlig unpassend, auch wenn wir uns noch so sehr daran gewöhnt haben, dem biblischen Bericht diese sehr seltsame Be-Deutung zu unterstellen. Wir können also davon ausgehen, dass seit der Erschaffung des Menschen (1. Mose 1, 27) ein langer Zeitraum vergangen war, in dem sich die biologische Gattung „Mensch“ (Homo Sapiens) von Afrika ausgehend schon über große Teile der bewohnbaren Erdoberfläche ausgebreitet hatte. Und nun wählt sich Gott einen von ihnen und beginnt mit ihm eine ganz neue Geschichte, die aufs Ganze gesehen zur Verwirklichung der Menschheitsberufung als Bild Gottes führen soll.
Das Entscheidende ist: Adam bleibt „Erdling“ (er besteht ja seiner Materie nach aus den gleichen Elementen wie die Erde, die Adamah) und wird doch eine „neue Kreatur“. Er wird das erste Lebewesen, das zu seiner biologischen Existenz hinzu nun noch eine spirituelle Existenz bekommen und entwickeln soll. Mit ihm beginnt Gott eine Jahrtausende währende Heilsgeschichte, an deren Erde das „sehr gut“ des sechsten Schöpfungstages vollendet sein wird. Jesus betont im Gespräch mit dem jüdischen Gelehrten Nikodemus (Johannes 3,1-12), dass an jedem Menschen so eine „Neuschöpfung“ (eine „Neugeburt”) geschehen muss, damit er so Mensch wird, wie Gott ihn gemeint hat. An Adam geschah dies zum ersten Mal.
Adam war also nicht der erste Mensch, der geschaffen wurde, sondern ein Auserwählter, mit dem Gott ein neues Kapitel seiner Heilsgeschichte begann. Und von da her gesehen, verliert der Streitpunkt, woher denn Kain, der Sohn Adams, der seinen Bruder erschlug, plötzlich eine Frau hernahm und wie er (als zweite Generation der Menschheitsfamilie!) zum „Städtebauer“ werden konnte, völlig an Bedeutung. Gott macht aus einem intelligenten Säugetier, das auf zwei Beinen geht und erstaunliche kulturelle und technische Leistungen vollbringt, durch Einhauchen seines Geistes einen Menschen als Person, ein Lebewesen, das dazu berufen ist, Bild Gottes zu sein.
Adam war biologisch gesehen nicht der erste Mensch, aber er war der Erste, mit dem Gott den entscheidenden Schritt vom nur biologischen Menschen zum spirituell begabten Menschsein ging, das zum Bild und Gegenüber Gottes bestimmt ist.
Wir sehen: Hier geht es weniger um die Frage, wie der Mensch geschaffen wurde, sondern wozu. Immer wieder, durch die ganze Heilsgeschichte hindurch, geht Gott, der Schöpfer, genau so vor: Er wählt aus dem Vorhandenen (in diesem Fall aus der schon längst vorhandenen Vielzahl von Lebewesen der Gattung „Homo Sapiens“) ein Exemplar aus und beginnt mit ihm eine neue, ganz persönliche Geschichte, durch die er eine neue Phase seiner umfassenden Heilsgeschichte in Gang setzt. So wird er es später mit Abraham, mit Mose, mit David… machen, und (an der alles entscheidenden Wendemarke der Heilsgeschichte) dann auch durch Jesus.
Bei Adam machte er es zum ersten Mal so. Dazu musste er keinen Lehmkloß durch Anhauchen zum Leben erwecken. Was uns an der Schöpfungsgeschichte der Bibel intellektuelle Schwierigkeiten macht, sind meist nicht die biblischen Texte selbst, sondern unsere Interpretationslinien, die sich in jahrhundertelanger Tradition so verfestigt haben, dass sie heute kaum mehr aufzuweichen sind. Wir lassen es eher zu, dass der ganze biblische Text als „Mythologie“ und für den modernen Menschen irrelevant abgetan wird, als dass wir bereit wären, unsere verkehrten Deutungsmuster und festgelegten Vorstellungen infrage stellen zulassen.
Im folgenden Beitrag „Entscheidung in Eden“ wird versucht, die „Kurzschrift” der Bibel rund um die Geschichte vom „Garten Eden” ein wenig aufzulösen und sie in eine Erzählung umzuwandeln, die uns mit hineinnimmt in die Ereignisse. Freilich ist die hier vorgestellte Erzählung Phantasie, die nicht den Anspruch erheben will, den tatsächlichen historischen Vorgang zu beschreiben, aber sie ist so zugeschnitten, dass sie die biblische Darstellung auszulegen vermag, ohne ihr an irgendeiner Stelle zu widersprechen.
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Bodo Fiebig „Adam – der erste Mensch?“, Version 2020-4
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