Bereich: A Wege biblischen Glaubens

Thema: Abraham

Beitrag 2: Der Bund des Vertrauens (Bodo Fiebig26. April 2020)

Abraham gilt in allen drei orientalisch-monotheistischen Religionen (Judentum, Christentum und Islam) als „Vater des Glaubens”. Er vertraut Gott und wagt sich auf sein Wort hin in eine ungewisse Zukunft (1. Mose 12, 1+4): Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land,das ich dir zeigen will (…) Da zog Abram aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte …

Und gleichzeitig vertraut Gott dem Abraham eine einzigartige Verheißung und Berufung  an (1. Mose 12, 2+3): Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter (d. h. alle Völker und Generationen) auf Erden.

Dieses wechselseitige Vertrauen zwischen Gott und Mensch wird (und ist bis heute) Merkmal der mit Abraham neu beginnenden Heilsgeschichte. Die Heilsgeschichte Gottes, durch die er die ganze Menschheit hereinholen will in den Lebensraum seiner Liebe, beginnt als Familiengeschichte. Und sie ist, wie jede wahre Geschichte, immer auch eine Folge wechselseitiger Beziehung und Beeinflussung zwischen innerem Geschehen und äußeren Ereignissen. Die Glaubensgeschichte Abrahams und seiner Nachkommen wird zur erzählbaren Lebensgeschichte konkreter Menschen mit allen ihren Stärken und Schwächen. Sie ist Glaubenswanderung und Heilsweg, ja, aber nicht in einem spirituellen Niemandsland, sondern auf den steinigen Bergen Kanaans, in den fruchtbaren Talauen am Jordan-Fluss und in den Wüsten des „Südlands” bis nach Ägypten.

Und weil das so ist, deshalb will Gott für das innere Geschehen des Glaubens-Bundes zwischen ihm und den Menschen auch ein äußeres Zeichen setzen, sozusagen ein biologisches Merk-Mal für einen theologischen Vorgang: Das Zeichen des Bundes.

Um zu verstehen, worum es beim Bund Gottes mit Abraham geht,müssen wir zunächst etwas weiter ausholen: Abraham stammte aus Ur. Die Stadt, deren eindrucksvolle Ruinen man heute noch besichtigen kann, liegt in Mesopotamien, am Unterlauf des Euphrat, im heutigen Irak, etwa 190 km nordwestlich der heutigen Stadt Basra. Ur war zur Zeit des Abraham (ca. 1900 v. Chr., also vor fast 4000 Jahren!) eine Stadt mit einer damals schon mehr als tausendjährigen Geschichte. Die heutigen Ausgrabungen der Stadt Ur zeigen die Ruinen einer großen, mächtigen, wohlhabenden, farbenprächtigen Weltstadt zu Beginn des zweiten Jahrtausends vor Christus. Dort ist Abraham aufgewachsen.

Abraham lebte als Einwohner von Ur in dem höchstentwickelten kulturellen Zentrum der damaligen Welt. Er war wohlhabender Städter, gewöhnt an den zivilisatorischen Komfort seiner Zeit. Zugleich war er aber auch mit der Lebensweise nomadisierender Hirten vertraut. Seine Familie war, wie wir später lesen, im Besitz großer Viehherden, und die lebten ja nicht in der Stadt, sondern die mussten je nach Jahreszeit über weite Strecken von Weideplatz zu Weideplatz und von Wasserstelle zu Wasserstelle getrieben werden. Zumindest bei der Beaufsichtigung der Hirten musste dann Abraham oft wochenlange Reisen in das weiter entfernte Steppenland machen.

Wahrscheinlich hatte die Familie Abrahams auch weite Handelsbeziehungen, die bis nach Ägypten reichten und es ist anzunehmen, dass Abraham selbst schon von Ur oder von Haran aus mehrere Male mit Handelskarawanen bis nach Ägypten gezogen war, denn als er später während einer Hungersnot mit seinen Leuten dorthin kam, kannte er die Gepflogenheiten der Ägypter sehr genau.

So kann man davon ausgehen, dass Menschen wie Abraham gewohnt waren, in zwei ganz verschiedenen Umweltsituationen zu leben: einmal in der Sicherheit und Bequemlichkeit der großen Stadt und einmal in der Beschwerlichkeit und Gefährdung auf dem Zug durch Steppe und Wüste.

Diese beiden Lebensbereiche verlangten auch ganz unterschiedliche Lebensstile, die vor allem durch die Fülle oder den Mangel von Wasser gekennzeichnet waren. Während man z. B. zu Hause in Ur, so oft man wollte, sich waschen oder in den Fluten des Euphrat baden konnte, war auf den oft monatelangen Wüstenwanderungen bei weiten Karawanenzügen jede Körperhygiene auf ein äußerstes Minimum reduziert. So wurde es zur Erfahrung jeden Mannes, der sich längere Zeit in wasserarmen Gegenden aufhalten musste, dass sich unter der Vorhaut des Penis Ablagerungen bildeten, die zu schmerzhaften Erkrankungen, ja bis zum Entstehen von Krebs führen konnten. Dem konnte man nur entgehen, indem man für die Zeit der Wüstenwanderung die Vorhaut zurückschob.

Durch diese Notwendigkeit wurden die beiden verschiedenen Lebensbereiche in denen sich Abraham bewegte, auch noch durch ein körperliches Merkmal gekennzeichnet. Also: zu Hause in der wasserreichen Kulturlandschaft, in der Sicherheit und Bequemlichkeit der Stadt mit allen Möglichkeiten der Körperhygiene: Vorhaut vorgeschoben; auf der Wanderung durch die wasserarme Wüste und Steppe: Vorhaut zurückgeschoben. Diese Besonderheit im Alltag der Menschen zur Zeit Abrahams sollte später noch eine ganz eigene Bedeutung erhalten.

Nun bekommt Abraham in Haran von Gott die Weisung: „Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will“ (1. Mose 12, 1). Und Abraham macht sich auf den Weg mit seiner Familie und seinem Neffen Lot.

Der Weg Abrahams ist voller Unsicherheiten und Gefahren. Relative Sicherheit gab es damals nur in der befestigten Stadt. Die meisten Sozialgebilde dieser Zeit (vor allem in dem nur dünn besiedelten Kanaan) waren keine Flächenstaaten, wie wir sie heute kennen, sondern eng begrenzte Stadtstaaten (je eine befestigte Stadt mit einigen Weilern und etwas Land außen herum), zwischen denen sich weitgehend rechtsfreies Niemandsland ausbreitete. Das freie Land lieferte die Reisenden erbarmungslos der Gewalt der Natur und der Willkür der herumziehenden Räuberbanden aus. Das heißt, für Abraham und seine Familie war dies eine Situation größter Gefahr und äußersten Angewiesenseins auf die Gegenwart und den Schutz des Gottes, der sie auf diese Reise geschickt hatte.

Und in dieser Situation bekommt Abraham von Gott den Befehl, sich selbst und alle männlichen Mitglieder seiner Sippe zu beschneiden. 1.Mose 17, 9-14: Und Gott sprach zu Abraham: So haltet nun meinen Bund, du und deine Nachkommen von Geschlecht zu Geschlecht. Das aber ist mein Bund, den ihr halten sollt zwischen mir und euch und deinem Geschlecht nach dir: Alles, was männlich ist unter euch, soll beschnitten werden; eure Vorhaut sollt ihr beschneiden. Das soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und euch. Jedes Knäblein, wenn’s acht Tage alt ist, sollt ihr beschneiden bei euren Nachkommen. (…) so soll mein Bund an eurem Fleisch zu einem ewigen Bund werden. So lautet die Anweisung Gottes und Abraham weiß natürlich sofort, was dies bedeutet.

Der Sinn dieser Anweisung liegt ja keineswegs in hygienischen Überlegungen, die hatten ja schon vorher zu einer erfolgreichen Praxis ohne Beschneidung geführt. Der Sinn dieser Anweisung ist eindeutig spiritueller Natur, ist Herausforderung des Glaubens: Gott for-dert von Abraham, dass er (für sich und seine Angehörigen) den Zustand, der ja gerade das Zeichen für das Unterwegssein in ständiger Gefahr und für totale Abhängigkeit von Gott war, nun unumkehrbar macht. Gott will, dass Abraham und seine Nachkommen für immer in der unmittelbaren Abhängigkeit der Glaubenswanderschaft bleiben. Gott will, dass sich Abraham mit seiner ganzen Sippe endgültig und unumkehrbar von seiner kulturellen Herkunft und von der Sicherheit in der Stadt trennt. So unumkehrbar, wie die Beschneidung unumkehrbar ist. Abraham hätte das nicht wieder rückgängig machen können.

Abraham steht vor der Entscheidung, ob er bereit ist, seine kulturelle Herkunft und seine gewohnte Sicherheit für immer aufzugeben zugunsten der Verheißungen Gottes und für die Zusage seiner Gegenwart und Hilfe. Das Zeichen für diese „Gottesunmittelbarkeit“ und „Glaubens-Wanderschaft“ ist die Beschneidung. Dazu sagt Abraham „ja“ (1. Mose17, 23): Da nahm Abraham seinen Sohn Ismael und alle Knechte, die im Hause geboren, und alle, die gekauft waren, und alles, was männlich war in seinem Hause, und beschnitt ihre Vorhaut an eben diesem Tage, wie ihm Gott gesagt hatte. Der „Bund der Beschneidung“ ist ein Bund des Vertrauens. Und dieses Vertrauen ist der reinste und echteste Ausdruck dafür, dass ein Mensch den Herrn, seinen Gott, liebt von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all seiner Kraft (5. Mose 6,5).

Die Liebe zu den Mitmenschen kann ganz verschiedene Formen annehmen (siehe das Thema „AHaBaH – das Höchte ist lieben“). Die Liebe zu Gott findet ihre stärkste und glaubhafteste Verwirklichung im tätigen Vollzug des Vertrauens. Die freiwillig gewählte Abhängigkeit von der Hilfe und Fürsorge Gottes, das ist der Abrahams- Bund, der Bund des Vertrauens. Und der zielt von Anfang an über die Person und die Familie Abrahams hinaus auf das Volk seiner Nachkommenschaft (Israel) und schließlich auf die Weltgemeinschaft des Menschseins (… in dir sollen gesegnet sein alle Geschlechter auf Erden).

Das Bundeszeichen der Beschneidung galt für das Volk Israel auch noch nach dem Ende seiner Wüstenwanderung, nach der Landnahme unter Josua (und gilt bis heute). Die Nachkommen Abrahams, die nun im eigenen Land wohnen dürfen, die sollen auch in Israel, auch im Land der Verheißung, in dieser Gottesunmittelbarkeit bleiben, sollen „Volk Gottes auf der Wanderschaft“ sein, sollen in der ständigen Abhängigkeit von der Fürsorge Gottes bleiben, auch wenn sie sesshaft werden im eigenen Land. Das Fest der „Laubhütten“ (die man heute sogar auf den Balkonen der Hochhäuser baut) ist ein weiteres Zeichen dieser „Glaubenswanderschaft“ und „Gottes-Abhängigkeit“ auch in der festen Stadt im eigenen Land. Die über Jahrtausende sich immer wieder erneuernde Bedrohung des winzigen Landes und Volkes Israel durch die jeweiligen Mächte ihrer Zeit, bis heute, ist der geopolitische Hintergrund dieser Abhängigkeit.

Deshalb sollte auch das Zeichen der Beschneidung „ewig“ (im Sinne von bleibend) sein. Wenn das auserwählte Bundesvolk Gottes dies vergisst und verleugnet, weil es so sein will „wie alle anderen Völker auch“ (so in 1. Sam 8,5), dann wird das Zeichen der Beschneidung zur bloßen Äußerlichkeit, dann ist die Berufung Israels als Volk Gottes aufs äußerste gefährdet. Und das gilt bis heute und sogar heute wieder besonders, wo das Volk Israel wieder im eigenen Lande lebt.

Übrigens: Diese Herausforderung der „Gottesunmittelbarkeit“ als „Volk Gottes auf der Wanderschaft“ gilt auch für das neutestamentliche Gottesvolk, gilt auch für die Christen und für die christliche Gemeinde und Kirche. Die Christenheit hat sich zu den Zeiten, wo ihr Glauben wach und stark war, immer als „Volk Gottes auf der Wanderschaft“ verstanden und ihr Leben als Pilgerschaft hin zur eigentlichen Heimat bei Gott. Nur wenn ihr Glaube in Wohlstand und scheinbarer Sicherheit müde und schwach wurde, hat sich die Kirche im Hier und Jetzt häuslich eingerichtet und sich mit den Ersatz-Mitteln der Macht und des Reichtums umgeben. Freilich: Das neutestamentliche Gottesvolk (die Christenheit) braucht für diese Gottesunmittelbarkeit, für diesen Bund des Vertrauens, nicht das Zeichen der Beschneidung, das ist allein Israel, dem ersterwähten Bundesvolk Gottes vorbehalten, aber den Mut des Vertrauens brauchen die Christen genau so wie die Juden.

Von dieser Glaubenswanderschaft und dem Mut des Vertrauens soll im folgenden Abschnitt die Rede sein. Dafür ist eine erzählende Form besser geeignet, als eine erklärende. Gott stellt diesen „Mut des Vertrauens” auf eine harte Probe, die genau an der Stelle einer „unglaublichen” Verheißung ansetzt: Er soll den verheißenen Sohn seines Alters opfern. Das ist nicht in erster Linie eine Frage bedingungslosen Gehorsams, sondern die Frage nach dem Verhältnis zwischen Gehorsam und  Liebe.

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Bodo Fiebig „Der Bund des Vertrauens, Version 2020

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