Die Verbindung von Josef und Mirjam stand von Anfang an unter besonderen Belastungen. Schon in der Verlobungszeit wird sie auf eine harte Probe gestellt, die sie anfangs beide bestehen. Später schweigen die Evangelien über Josef und man kann nur spekulieren, welche Ereignisse und Entwicklungen dahinter verborgen sind.
1 Josef
Josef war nach dem Stammbaum in Mt 1 der letzte David-Nachkomme (eine Abstammung, die zu Zeiten des Herodes lebensgefährlich war und die unbedingt geheim gehalten werden musste). Wahrscheinlich war er sogar der einzige männliche Davidide überhaupt, der noch am Leben war. Offensichtlich war er in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, wie die späteren Ereignisse belegen.
Er hatte den Beruf eines Zimmermanns gelernt*. Wie weit er sich selbst von Anfang an seiner königlichen Abstammung bewusst war und ihre Herausforderung akzeptiert hatte, ist unsicher. Einerseits hatte er wohl wenig Lust, seine monarchische Herkunft irgendwie in seine Lebensplanung einzubeziehen,sondern neigte eher dazu, ein unauffälliges Leben als Zimmermann zuführen und mit den Herrschenden möglichst nicht in Berührung zukommen. Er wusste, wie grausam Herodes jede geringste Gefährdung seiner Machtposition verfolgte. Andererseits war er sicher von den Davidianern über seine königliche Abstammung aufgeklärt worden. Wahrscheinlich war er schon in jungen Jahren von Anhängern der Davidianer bewusst und gezielt auf seine Rolle in der erwarteten Heils-Zeit vorbereitet worden. Sein Sohn, das letzte Glied in der Kette von 3 mal 14 Generationen, sollte der erhoffte „Davidsohn“ und Messias sein.
*Das hier verwendete griechische Wort „Tekton“ meint einen Baufachmann für verschiedene Konstruktionen in Stein oder Holz.
Wir werden bei Josef immer wieder auf eine seltsame Zwiespältigkeit und Unentschlossenheit stoßen, die darauf schließen lässt, dass er zwischen den beiden Polen seiner Lebenswirklichkeit hin und her schwankte: Einerseits der unauffällige, unbedeutende Zimmermann ohne besondere Ambitionen und andererseits der Nachkomme Davids und Träger einer hohen (und gefährlichen) Berufung. Zur Zeit der Kreuzigung Jesu war Josef offensichtlich nicht mehr am Leben, sonst hätte Jesus seine Mutter nicht der Fürsorge des Jüngers Johannes anvertrauen müssen.
2 Mirjam
Die Wahl für die zukünftige Frau des letzten David-Nachkommen und Mutter des Messias fiel auf Maria (hebr. Mirjam) aus der Verwandtschaft der Elisabeth (hebr. Elischeva), der Frau des Priesters Zacharias (hebr. Secharja), die „aus dem Geschlecht Aarons“ (Lk 1.5), also aus hohepriesterlicher Abstammung war.
Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass Zacharias selbst der David-Bewegung angehörte, denn in seinem Lobgesang nach der Geburt seines Sohnes Johannes spricht er genau ihre Sehnsucht und Zielrichtung aus (Lk 1,68-75): Gelobt sei der Herr,der Gott Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk und hat uns aufgerichtet eine Macht des Heils im Hause seines Dieners David – wie er vorzeiten geredet hat durch den Mund seiner heiligen Propheten -, dass er uns errettete von unsern Feinden und aus der Hand aller, die uns hassen, und Barmherzigkeit erzeigte unsern Vätern und gedächte an seinen heiligen Bund und an den Eid, den er geschworen hat unserm Vater Abraham, uns zu geben, dass wir, erlöst aus der Hand unsrer Feinde, ihm dienten ohne Furcht unser Leben lang in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor seinen Augen.
Auch Elisabeth, seine Frau, war ganz offensichtlich überzeugte Anhängerin der Davidianer. Als Maria/Mirjam zu ihr kommt, redet sie, die ältere Frau, die schwangere Verlobte Josefs (nach unseren Begriffen ein junges Mädchen im Teenager-Alter) mit „Mutter meines Herrn“ an. Ihr Sohn Johannes wird in dieser Tradition aufwachsen, leben und handeln. Manche sehen in dem Geschlechtsregister Lk 3, 23-38 die Abstammungslinie Marias (die dann ebenfalls aus davidischer Abstammung wäre) und erklären so die Unterschiede zwischen Mt und Lk. Aus dem Lukasevangelium selbst ist das aber so nicht herauszulesen. Es stellt vielmehr die Verwandtschaft Mirjams zur Priesterfamilie des Zacharias heraus und betont so ihre priesterliche Abstammungslinie.
Man kann auch davon ausgehen, dass Mirjam selbst mit der Tradition der Davidianer vertraut war und sie sehr genau wusste, was ihre Verlobung mit Josef bedeutete. Ja, wie sich später zeigen wird, war sie noch mehr und wesentlich entschiedener als Josef selbst von ihrer Mission und von der Bedeutung ihrer Elternschaft für den kommenden Messias durchdrungen: In dem Sohn Josefs und Marias/Mirjams sollten sich königliche und priesterliche Abstammung und Vollmacht verbinden.
Der König und der Hohepriester waren im Alten Testament die „Gesalbten“, d.h. die von Gott unmittelbar Berufenen und Beglaubigten. Der Gesalbte heißt auf Hebräisch „Maschiach“ (Messias). Der Sohn Josefs und Marias sollte der zweifach gesalbte, d. h. der doppelt beglaubigte Messias aus priesterlicher und königlicher Abstammung sein.
Mirjam wohnte in Nazareth, also im Norden Israels, wo auch die meisten Davidianer lebten. Josef, in dessen Sohn die Davidianer den kommenden Befreier und Herrscher erhofften, hatte wohl die angestammte Heimat seiner Familie in Bethlehem verlassen. Dort, in unmittelbarer Nähe zum Machtzentrum in Jerusalem und zum „Herodion“, dem großartigen Palast des Herodes bei Bethlehem, war es für ihn wohl zu gefährlich geworden. So hielt er sich in Galiläa, in der Gegend um den See Genezareth auf, obwohl er noch (wie sich zeigen wird) etwas Landbesitz in der Nähe von Bethlehem hatte. Wahrscheinlich wollten einflussreiche Davidianer Josef sogar bewegen, ganz nach Galiläa umzusiedeln, um von da aus eine Machtbasis für den Kampf gegen Herodes und die Römer aufzubauen.
Alles war sorgfältig geplant und vorbereitet, der Hochzeitstermin festgelegt. Da geschah das Unfassbare: Als Josef seine Verlobte heimholen wollte, war Maria schwanger, „ehe Josef sie heimholte“ (Mt 1,18). Alle Träume geplatzt, alle Vorbereitungen über den Haufen geworfen! Was war zu tun? Offenbar übernahm Josef nun selbst die Initiative: Maria, die sich (so musste es dem Josef und den Davidianern erscheinen) unmittelbar vor der Hochzeit mit einem anderen Mann eingelassen hatte, konnte unmöglich die Mutter des Messias-Königs werden. Andererseits musste Josef jedes unnötige Aufsehen vermeiden. So wollte er seine Verlobte heimlich verlassen und ihr, die er vielleicht unterdessen auch persönlich lieb gewonnen hatte, damit auch die Schande der Anklage wegen Bruchs der Verlobung (der rechtlich einem Ehebruch gleichkam) ersparen (Mt 1,19).Mt 1,20-21: Als er das noch bedachte, siehe, da erschien ihm der Engel des Herrn im Traum und sprach: Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist von dem heiligen Geist. Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden.
Josef wird hier direkt auf seine Eigenschaft und Berufung als Davidnachkomme angesprochen („du Sohn Davids“). Das soll deutlich machen: Gott nimmt die königliche Abstammung des Josef ernst, und er bestätigt seine Berufung als Vater des kommenden Messias, auch wenn seine Vaterschaft nur durch (rechtsgültige) Adoption zu Stande kommt. Die Engelsbotschaft betont: Hier ist nichts schiefgelaufen, hier ist nichts gegen den Willen Gottes hinfällig geworden, sondern Gott selbst ist dabei, die Davidnachfolge und Messiasberufung auf seine besondere Weise zu regeln. Für Maria/Mirjam war das schon von Anfang an klar. Der Verkündigungs-Engel hatte ihr deutlich gesagt, dass diese Ereignisse kein Unglücksfallwaren, sondern die Erfüllung göttlicher Verheißungen.
Es muss für Josef eine sehr schwere Stunde gewesen sein, als er sich dazu durchrang, Maria nicht zu verlassen und das Kind als das Seine anzunehmen. Ebenso schwer muss es für die meisten der Davidianer gewesen sein, diese unerwartete Entwicklung zu akzeptieren. Konnte dieses ungewollte Kind wirklich als der erhoffte Friedefürst aus dem Hause Davids gelten, oder war er und blieb es ein „Unglücksfall“, auch wenn es von Josef adoptiert würde? Waren damit die ganzen sorgsamen Vorbereitung und alle Erwartungen, die sich damit verbanden, gescheitert?
3 Die Geburt des Messias
Josef nahm Maria rechtsgültig zu seiner Frau und erkannte später das Kind als sein eigenes an. Er blieb vorläufig in Galiläa, in Nazareth, und erwog wohl, sich dort dauerhaft niederzulassen. Da wurde vom Kaiser Augustus in Rom eine Steuerschätzung befohlen „zur Zeit, als Quirinius Statthalter in Syrien war“ (Lk 2,1). Jeder musste sich in seiner Heimat-stadt in Steuerlisten eintragen lassen. Das bedeutete, dass sich jeder Mann in „seiner Stadt“, also dort, wo er seinen Wohnsitz oder Landbesitz hatte, bei den römischen Behörden melden musste. Josef musste also nicht nach Bethlehem, weil seine Vorfahren vor Jahrhunderten einmal dort gelebt hatten, das interessierte die Römer nicht im Geringsten. Es ging ja bei dieser „Schätzung“ um Steuern, die die Römer eintreiben wollten. Steuern wurden aber (außer der Kopfsteuer) vor allem auf den (Land-)Besitz erhoben. Man kann also davon ausgehen, dass die Familie Josefs (deren einziger noch lebender männlicher Vertreter er offensichtlich war) in Bethlehem noch etwas Landbesitz hatte, von ihren Vorfahren her, die ja aus Bethlehem stammten.
Josef musste sich also nach Bethlehem auf die Reise machen, wenn er nicht mit den römischen Behörden in Konflikt kommen wollte. Das aber musste er um jeden Preis vermeiden. Seine schwangere Frau nahm er mit. Das wäre wohl nicht unbedingt nötig gewesen, aber vielleicht erwog er, doch wieder in seine Heimatstadt zurückzukehren und verstand die Reise nach Bethlehem auch als nachgeholte „Heimholung“ seiner Braut. Es kann auch durchaus sein, und erscheint im Gesamtzusammenhang auch am wahrscheinlichsten, dass Josef, im Sinne seiner königlichen Abstammung und Berufung, ganz bewusst diese Gelegenheit der Steuerschätzung nutzte, um unauffällig dafür zu sorgen, dass sein (Adoptiv)-Sohn entsprechend der alttestamentlichen Verheißung in Bethlehem zur Welt kam, denn dort sollte der Messias geboren werden (Micha5,1 / Mt 2,6): Und du, Bethlehem im jüdischen Lande, bist keineswegs die kleinste unter den Städten in Juda; denn aus dir wird kommen der Fürst, der mein Volk Israel weiden soll.
Eusebius erwähnt im Zusammenhang mit dem im Beitrag 2 „Die Zeit Jesu“ erwähnten Prozess vor dem Kaiser Domitian, dass die angeklagten Davidnachkommen ein „Feld von 39 Morgen besaßen, das sie mit eigener Hand bewirtschafteten, um davon die Steuern zu bezahlen und ihren Lebensbedarf zu decken.“ Dann müsste man davon ausgehen, dass Josef zumindest noch eine Zeit lang nach seiner Engelsbegegnung den Sohn der Maria bewusst in der Rolle des zukünftigen Messias sah. Später wurde er darin offensichtlich wieder unsicher (davon wird noch die Rede sein).
Der Bericht, dass Josef mit seiner hochschwangeren Frau in einer „Herberge“ eine Unterkunft suchte und das Kind schließlich in einem Stall zur Welt kam und in eine Futterkrippe gebettet wurde, zeigt, dass Josef kein eigenes Haus in Bethlehem besaß, dass er dort auch keine Verwandtschaft mehr hatte und dass er, wie die meisten im Land, in ärmlichen Verhältnissen lebte.
Von Sternenkundigen aus dem Osten erfuhr Herodes, dass da in Bethlehem etwas im Gange war, was ihm gefährlich werden könnte und er handelte genau so entschlossen und brutal wie in hundert anderen Fällen auch: Er ließ alle Knaben in Bethlehem, die jünger als zwei Jahre waren, umbringen. Josef aber war mit seiner Familie unterdessen nach Ägypten geflohen. So blieb der verheißene „Davidssohn“ am Leben. Nach dem Tode des Herodes kehrte Josef mit seiner Familie nicht nach Bethlehem zurück. Der Nachfolger des Herodes, sein Sohn Archelaus, schien nicht weniger gefährlich. So entschloss sich Josef mit seiner Familie nach Nazareth zu gehen. Dort war er erstens weit weg von den Machtzentren der Herodianer, und zweitens konnte er dort eher mit der Unterstützung durch aktive Gruppen der Davidianer rechnen. Vielleicht wäre er auch am liebsten einfach nur der Zimmermann, einer wie jeder andere, ohne diese gefährliche Bürde der königlichen Abstammung. Es ist anhand der wenigen Aussagen über Josef schwer zu entscheiden, ob er eher eine bewusst planende oder eher eine unentschlossene und ohne sein entschiedenes Zutun „außengesteuerte“ Rolle in diesen Vorgängen spielte.
4 Spannungen
Zumindest anfangs war es wohl vor allem Maria/Mirjam selbst, die (vielleicht zeitweise als Einzige) an der Berufung ihres Erstgeborenen festhielt. Sie bewahrte all die Worte und Verheißungen, die über ihren ersten Sohn ausgesprochen worden waren, „und bewegte sie in ihrem Herzen“. Sie hatte die besondere Berufung für sich selbst und für ihren Sohn angenommen. Für sie war es völlige Gewissheit, dass sie ihren Erstgeborenen, Jesus, wirklich von Gott durch den Heiligen Geist empfangen hatte, dass er der von Gott verheißene Retter war und dass sie ihm zu Recht den Namen Jeschua (Gott rettet) gegeben hatte.
So ringt sie sich bei ihrer Begegnung mit der ebenfalls schwangeren Elisabeth zu einem Loblied durch, das die Größe ihrer Erwartung offenbart, die sie mit ihrem noch ungeborenen Kind verbindet (Lk 1, 46-55): Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes; denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder. Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist. Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten. Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen. Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf, wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.
Marias Erwartung hat weitreichende religiöse und politische Dimensionen. Ihr Sohn Jesus(Jeschuah) wird später viele ihrer Anliegen aufgreifen und sie mit dem nahe gekommenen „Reich Gottes” in Verbindung bringen. Unter den Davidianern gab es wohl von Anfang an Skeptiker, und wahrscheinlich waren zuerst nur wenige, und auch die nur zögernd, be-reit, die Version Marias anzunehmen.
Von Josef hören wir am Anfang der Evangelien sehr wenig und später gar nichts mehr. Man hat schon viel spekuliert, warum das wohl so sei. Viele meinen, dass er vielleicht früh verstorben war und deshalb nicht mehr erwähnt wurde. In den Evangelien steht nichts davon. Aus dem bisher aufgeführten Zusammenhang scheint die Vermutung näher lie-gend, dass Josef wohl nach und nach zu der Überzeugung kam und daran festhielt, dass nur ein leiblicher Sohn in die Davidnachfolge eingereiht werden durfte und er sich deshalb von seinem erstgeborenen (Adoptiv-)Sohn und von der entstehenden Jesus-Bewegung distanziert und ferngehalten hatte. Sowohl bei der Geburt Jesu (Lk 2,20) als auch bei seiner Bar Mizwa als Zwölfjähriger (Lk 2,51) wird betont, dass Maria die Worte der Verheißung für Jesus ernst nahm und in ihrem Herzen behielt. Eigentlich müsste man jeweils erwarten: „Josef und Maria behielten alle diese Worte in ihren Herzen“. Aber schon hier wird Josef in diesem Zusammenhang nicht erwähnt, obwohl er ja hier ausdrücklich noch am Leben war.
Dabei hatte Josef durchaus auch eine emotionale Beziehung zu seinem Adoptivsohn. Als der Zwölfjährige bei einer Jerusalem-Wallfahrt verloren ging, hat er ihn, zusammen mit Maria „mit Schmerzen“ gesucht (Lk 2,48). Trotzdem konnte er offensichtlich die Übertragung der Messias-Verheißung auf den Adoptivsohn nicht mitvollziehen. Man kann wohl davon ausgehen, dass sich später viele Hoffnungen der Davidianer an Jakobus knüpften, den zweiten Sohn der Maria und den ersten, der wirklich Sohn Josefs und Davids im biologischen Sinn genannt werden konnte. Vielleicht entstand auch eine Spaltung in der Bewegung der Davidianer: Die einen, die an Jesus als den rechtmäßigen Davidsohn festhielten und die anderen, die in Jakobus den eigentlichen Träger der Verheißung sahen. Zur Zeit als die Evangelien abgefasst wurden, war die Frage entschieden und deshalb spielt sie in den Evangelien auch keine Rolle mehr. Die Evangelisten berichten ja aus der Position überzeugter und gläubiger Jesusjünger. Erst in der Apostelgeschichte taucht Jakobus als der Leiter der Jerusalemer Urgemeinde auf.
Mirjam dagegen begleitete ihren Sohn in vielen Situationen seines öffentlichen Wirkens bis hin zum Kreuz auf Golgatha. Wie vielgestaltig die Gruppen der Davidianer waren, zeigte sich bei der Darstellung Jesu im Tempel, einem wichtigen Ereignis, an dem offensichtlich eine ganze Abordnung von ihnen teilnahm. Unter ihnen war z. B. der greise Simeon (Schimon), der nun hinzutrat. Von ihm wird gesagt (Lk 2, 25 ff), dass er auf den „Trost Israels“ wartete und dass er die Verheißung hatte, er werde nicht sterben, bevor er den „Christus des Herrn“, also den messianischen König aus dem Geschlecht Davids, gesehen habe. Und nun, als man diesen Davidsohn in den Tempel brachte, um ihn Gott zu weihen, bestätigte Simeon unter der Führung des Heiligen Geistes, dass dieser wirklich der erwartete Heiland ist (Lk 2, 29-32): Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, den du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht, zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel.
Ebenso gehörte wohl auch die Prophetin Hanna (Channah) dazu, die zu den Anwesenden, die „auf die Erlösung Jerusalems warteten“, von diesem Kind sprach, das Simeon soeben „Licht der Heiden und Preis des Volkes Israel“ genannt hatte. Die Davidianer-Bewegung hat sich wohl bald nach der Geburt Jesu geteilt. Nur der eine (vermutlich kleinere) Teil, der an der Messiasberufung Jesu festhielt, wurde zur Keimzelle der Jesusjüngerschaft, der Urgemeinde und Christenheit. Es war der Teil, der in der Empfängnis und Geburt Jesu ein direktes Eingreifen Gottes sah und in ihm den „dreifach beglaubigten Messias“ erkannte: Aus priesterlicher Abstammung durch Maria, aus königlicher Abstammung auf Grund der rechtsgültigen Adoption durch Josef und aus göttlicher Abstammung durch den Heiligen Geist. Die sozusagen „offizielle“ Bestätigung ihrer Ansicht erhielten sie beider Taufe Jesu, als die Stimme vom Himmel es ausdrücklich und hörbar aussprach: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe“ (Mt3,17).
Von der Kindheit und Jugend Jesu und seinem Leben bis zum Alter von etwa 30 Jahren wird in den Evangelien fast nichts berichtet. Nur Lukas überliefert die Begebenheit, als der zwölfjährige Jesus nach einem Passahfest in Jerusalem zurückbleibt, bis ihn die Eltern im Gespräch mit den Schriftgelehrten im Tempel finden. Die Antwort des Knaben auf die Frage der Eltern, warum er in Jerusalem geblieben war („wisst ihr nicht, dass ich sein muss, in dem, was meines Vaters ist“), zeigt, dass Jesus sich schon damals seiner besonderen Vater-Sohn-Beziehung zu Gott bewusst war. Man kann davon ausgehen, dass der junge Jesus von seiner Mutter und von Anhängern der Davidianer schon frühzeitig auf seine erhoffte Rolle als zukünftiger Messias-König vorbereitet wurde. Und er hat sicher nicht nur als Zwölfjähriger mit den Gelehrten seiner Zeit diskutiert.
In seiner späteren Theologie zeigt sich eine gewisse Nähe zu den Positionen der Pharisäer (auch wenn er mit bestimmten Strömungen unter ihnen in harter Konfrontation stand), sicher hatte er auch vielfältige Begegnungen mit Essenern, von deren theologischen Kernaussagen er sich aber doch deutlich abhebt. Ganz gewiss aber war er mit vielen im Gespräch, die wie er darauf warteten, dass das Reich Gottes (das„Himmelreich“ bei Matthäus) nahe herbeikommt, dass Gott in ihrer Zeit seine Verheißungen wahr macht und das Königreich seines Gesalbten aufrichtet. Das alles blieb aber noch weitgehend im Verborgenen, erst nach der Taufe Jesu durch Johannes beginnt seine öffentliche Wirksamkeit. Die Ereignisse bei der Taufe Jesu brachten die Entscheidung: Johannes erkannte Jesus als den von Gott gesandten Messias, Jesus trat aus der Verborgenheit seines bisherigen Lebens in die Öffentlichkeit und es entstand die Gemeinschaft der Jesus-Jünger.
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Bodo Fiebig „gescheiterte Pläne“, Version 2020-2
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