„Der Kosmos ist ewig, er hat keinen Anfang und kein Ende.“ Das war jahrhundertelang die Überzeugung der Gelehrten. Erst die naturwissenschaftlichen Forschungen des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts haben diese Weltsicht erschüttert. Nur widerstrebend begannen auch wissenschaftlich denkende Menschen zu akzeptieren, dass diese Welt offenbar doch einen Anfang hatte (so wie es die biblische Offenbarung seit Jahrtausenden behauptet: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“). Vor etwa 15 Milliarden Jahren, so die gegenwärtige Sicht, hat ein Anfangsereignis, das wir etwas naiv den „Urknall“ nennen, all die Erscheinungen und Abläufe in Gang gesetzt, die wir heute am Himmel und auf der Erde beobachten.
Die Bibel sagt aber nicht nur, dass die Schöpfung einen Anfang hat, sondern auch ein Ende. Ja mehr noch: dass sie nicht einfach in eine sinnleere Unendlichkeit ausläuft und verdämmert, sondern dass sie in einer gerichteten Bewegung auf ein ihr vorgegebenes Ziel zubewegt (siehe auch das Thema „Die Frage nach dem Sinn“). Von diesem Ziel her bekommt der Weg durch die Jahrmillionen seinen Sinn und jede einzelne Station auf diesem Wege (vom Beginn der Schöpfung bis zu ihrer Vollendung) ihre besondere Bedeutung. Dabei sind wir Menschen nicht als hilflose und ahnungslose Opfer unentrinnbar in einen Strudel von Ereignissen geworfen, sondern als Eingeweihte mitwirkend in die Prozesse eingebunden. Wir Menschen sind nicht dazu da, die geschichtlichen Ereignisse und Entwicklungen hilflos und passiv zu erleiden (obwohl das in bestimmten Epochen für Einzelne oder auch ganze Völker so scheinen mag), sondern sie aufs Ganze gesehen zielbewusst und mit-verantwortlich zu gestalten.
„Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“, sagt ein Sprichwort. Dieses Phänomen will ich mir bei diesem Thema zu Nutze machen. Mit Hilfe von 24 grafischen Darstellungen will ich versuchen, den biblisch geoffenbarten Weg durch die Geschichte der Schöpfung von ihrer Entstehung bis zu ihrer Vollendung sichtbar und verstehbar zu machen. Dass dies mit menschlichen Mitteln nur sehr unvollkommen gelingen kann, versteht sich von selbst. Trotzdem kann es hilfreich sein, eine Schneise des Verstehens durch das Dickicht der vordergründigen Ereignisse zu schlagen. Und wenn das oben genannte Sprichwort stimmt, dann könnte es gelingen, durch die Einsparung von 24 000 Wörtern dieses gewaltige Thema in wenigen überschaubaren Beiträgen unterzubringen.
Die einzelnen Abschnitte der Heilsgeschichte können in dieser Übersicht nur in kurzen zusammenfassenden Artikeln dargestellt werden. In anderen Themen auf „lebenundfrieden“ werden deren Inhalte zum Teil ausführlicher beschrieben. Vor allem folgende Themen können da weiterhelfen:
Schöpfungsglaube und modernes Weltbild
Die Frage nach dem Sinn
Dein Reich komme
Zeit und Ewigkeit
Die vorliegende Übersicht „Zwischen Schöpfung und Vollendung“ kann helfen, einzelne Elemente gläubigen Verstehens in einen Gesamtzusammenhang biblischen Glaubens einzuordnen und so leichter zugänglich zu machen. Die (möglichst wortgetreue) Übersetzung der ersten 3 Kapitel der Bibel (1 Mose 1,1 bis 1. Mose 3, 24) sind dem Thema „Schöpfungsglaube und modernes Weltbild“ entnommen; für weitere Bibeltexte wird die Lutherübersetzung verwendet.
Gegenwärtig enthält das Thema „Zwischen Schöpfung und Vollendung“ folgende Beiträge:
1 Die Vor-Geschichte
2 Der erste Teil der Schöpfung
3a Der zweite Teil der Schöpfung – Erwählung und Bund
3b Der zweite Teil der Schöpfung – Vergegenwärtigung Gottes im Menschsein
4 Die Vollendung der Schöpfung
5 Die Nach-Geschichte
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Die Vor-Geschichte
Die biblische Geschichte hat eine Vor-Geschichte. Diese Vor-Geschichte ist prä-historisch in dem Sinne, dass sie keine historische Dimension hat. Die biblische Vor-Geschichte ist außerhalb des Zeitrahmens von menschlichen fassbaren historischen Abläufen angesiedelt. Sie ereignet sich „vor“ der Welterschaffung, „vor“ dem, was wir (etwas naiv) den „Urknall“ nennen“. Allerdings: Auch der Begriff „vor“ ist hier eigentlich unzutreffend, denn die Dimension „Zeit“ entstand ja erst mit der Entstehung des Universums. Von einer Zeit „vor“ dem „Urknall“ zu reden, ist also eigentlich unsinnig. Dennoch geht die biblische Geschichte von einer Vor-Geschichte aus, von einer Gottes-Geschichte, die „außerhalb“ jeder „Zeit-Geschichte“ stattfindet, und die trotzdem alle Zeit und alle geschichtlichen Ereignisse mit einschließt. Ein wesentliches Element dieser Vor-Geschichte ist die Prä-Existenz der Einheit Gottes.
Bild 1: Die Einheit Gottes

5.Mose 6,4 (wörtlich): Höre Israel, JaHWeH, unserGott, JaHWeH ist einzig (oder: … ist Einer). So lautet die Grundaussage der Bibel vom Eines- und Einzig-Sein Gottes, die in vielen anderen Bibelstellen wiederholt und bestätigt wird z. B. im Alten Testament Jes 44,6: So spricht der Herr, der König Israels und sein Erlöser, der Herr Zebaoth: Ich bin der Erste und ich bin der Letzte, und außer mir ist kein Gott.
Oder im Neuen Testament Jo 17,3 sagt Jesus: Das aber ist das ewige Leben, dass sie (die Menschen) dich, der du allein wahrer Gott bist (…) erkennen.
Gott ist der Eine und Einzige, der Erste vor aller Zeit und auch noch der Letzte nach Ablauf aller Zeit. Die ewige Einheit und Einzigkeit Gottes ist die Grundwahrheit allen Seins.
Von diesem einen Gott heißt es: Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde (1. Mose 1). Die Aussage „Im Anfang schuf Gott …“ geht davon aus, dass der Schaffende selbst außerhalb und unabhängig von allem Geschaffenen existiert. Er macht den Anfang, aber er ist selbst „außerhalb“ dieses Anfangs, also unabhängig von aller materiellen Existenz, die ja erst mit dem ersten Schöpfungsakt (wir nennen ihn nicht ganz korrekt den „Urknall“) ins Dasein trat. Im Gesamtzusammenhang der biblischen Botschaft können wir den Sachverhalt etwa so zusammenfassen:
Es ist ein einziges Sein, das unabhängig von allem Materiellen und unabhängig von Raum und Zeit existiert. Wir nennen es mit den Mitteln der menschlichen Sprache „Gott“ (bzw. mit dem entsprechenden Begriff in irgendeiner anderen Sprache der Menschheit). Weil unser Dasein als Menschen an Materie, Raum und Zeit gebunden ist, deshalb ist das Göttliche von uns aus nicht direkt wahrnehmbar. Wir können mit den Mitteln menschlicher Erkenntnisfähigkeit immer nur so viel von Gott erfassen, und mit den Mitteln der menschlichen Sprache nur so viel von Gott aussagen, als er selbst uns in Wort und Tat offenbart. Und Gott hat sich offenbart. Aus dieser Selbstoffenbarung Gottes über Jahrtausende hinweg können wir schließen, dass seine Existenz wesentlich in einem „In-Beziehung-Sein“ besteht, das wir mit den Mitteln der menschlichen Sprache (freilich völlig unzureichend, aber wir haben keine Alternative) mit dem Begriff „Liebe“ umschreiben (1. Joh 4,8: Gott ist Liebe; siehe dazu auch das Thema „AHaBaH – das Höchste ist lieben“).
Aber kann denn ein „Einziges“ in sich selbst Liebe sein? Braucht nicht jede Form von Liebe ein Gegenüber? Ja, und das ist auch bei Gott so. Gott ist Einer, und doch sind in der Bibel Alten- und Neuen Testaments auch unübersehbare Hinweise darauf enthalten, dass der biblische Schöpfer sich selbst als „Pluralität“ darstellt. Die hebräische Bibel beginnt mit den Worten „bereschit bara elohim …“ (Im Anfang schuf Gott…). Das Wort „elohim“ (Gott) ist eine Mehrzahlform. Gott ist einzig, ja, aber er ist nicht einsam. Gott ist Einer, ja, aber er ist Einer-in-Beziehung. Gott ist Einer in Beziehung zu einem Du durch die Liebe, die der „Geist“ Gottes ist, d. h. sein innerstes „Wesen“, seine „Substanz“, seine „Identität“. Und dieses „Du“ der Liebe Gottes war schon von Anfang an und vor aller Zeit ausgerichtet auf die Menschwerdung seiner Liebe als sein „Ebenbild“. Später hat die Christenheit versucht, die Beziehungs-Existenz Gottes (Vater-Sohn-Heiliger Geist – ein Gott in drei Personen) in dogmatische Formeln zu fassen, ohne sich immer bewusst zu sein, dass menschliches Reden von Gott immer unvollkommen und missverständlich ist (siehe das Thema „Juden und Christen“, Beitrag 4 „Das trinitarische Problem“ und das Thema „Jesus – die Person“)
Diese Unvollkommenheit und Missverständlichkeit allen menschlichen Redens über Gott gilt selbstverständlich auch für die folgenden Sätze (aber wir brauchen solches „Reden von Gott“, um uns überhaupt seiner bewusst werden zu können): In der Beziehungs-Existenz Gottes (vor und außerhalb jeder Schöpfung) entstand ein Kraftfeld der Liebe von unvorstellbarer Intensität und Spannung. Eine allerwinzigste Ahnung von dieser Spannungsintensität können wir nachempfinden, wenn uns eine tiefe Sehnsucht nach einem innigst geliebten Menschen umtreibt. Diese „Sehnsucht“ Gottes (auch dies ein allzu menschlicher Begriff), der in sich ganz Liebe ist, brachte den Impuls hervor, dass etwas sei, das seiner Liebe entspricht und antwortet. Die Liebe Gottes sucht nach einer Entsprechung ihrer selbst als „Eben-Bild“ und Gegenüber. Dafür geschieht das alles, was wir „Schöpfung“ nennen.
Bild 2: Der Aufbruch der Liebe

Die Liebe Gottes bricht die Einheit Gottes auf. Noch vor aller Schöpfung geschieht ein Aufbruch der Liebe Gottes hin zu einem geschauten und ersehnten Gegenüber. Gott öffnet sich und macht sich auf, seiner Liebe ein liebendes Gegenüber zu suchen.
Die Liebe Gottes ist schon „vor“ aller Schöpfung wirksam und sie liebt ihr Geschöpf wie eine Mutter ihr Kind, noch ehe es geboren ist, wie ein Vater seinen Sohn, an dem er „Wohlgefallen“ hat, obwohl er noch fern ist. In diesem „Sohn“ ist bei Gott schon vor aller Zeit die ganze Menschheit aller Jahrtausende vergegenwärtigt als ersehntes Gegenüber seiner Liebe. Und es macht Gott gar nichts aus, dass der Weg zur Vollendung dieser Liebe nach menschlicher Zeitvorstellung Milliarden von Jahren umfassen wird, denn er selbst ist zeitlos und ewig. Durch die materielle Schöpfung des Universums und darin unserer Erde (Bild 3 und 4) wird der Schöpfer zunächst nur die „Bühne“ bereiten, auf der dann etwas ganz Unglaubliches in Gang kommen soll: ein „Schauspiel der Liebe“ zwischen Schöpfer und Geschöpf. Und er wird dieses Spiel weiterführen durch die Jahrtausende der Menschheitsgeschichte bis zur Vollendung.
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Bodo Fiebig „Die Vor-Geschichte“ Version 2020-7
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