Der Heilsweg Gottes mit den Menschen war an eine Grenze gekommen. Die Möglichkeiten der Offenbarung der Liebe Gottes auf der Erde waren ausgeschöpft; die Erneuerung des Gottesfriedens mit irdischen Möglichkeiten war gescheitert. Die Darstellung der Liebe Gottes im Miteinander der Menschen als gott-menschliche Liebesgeschichte auf der „Bühne“ namens „Schöpfung“ war misslungen. Eine weitergehende Offenbarung und Verwirklichung des Liebe Gottes auf der Erde war nur noch durch ein persönliches „Entgegenkommen“ Gottes möglich. In der Person eines Menschen aus dem erwählten Volk und aus dem Königsgeschlecht Davids, in Jesus von Nazareth, sollte uns die wahre Gestalt der Liebe Gottes vom Himmel her auf der Erde entgegenkommen.
Gott hatte vor, in einem beispiellosen Akt der Selbstoffenbarung und Selbsthingabe den entscheidenden Durchbruch für die Erneuerung der Schöpfung zu erreichen. Denn ohne Verwirklichung der Liebe Gottes im menschlichen Miteinander hätte die Schöpfung ihren Sinn und das Universum seinen Existenzgrund verloren und müsste lautlos und ohne eine Spur zu hinterlassen ins Nichts zerfallen. (siehe den Themenbeitrag „Die Frage nach dem Sinn“, Abschnitt 6 „die Berufung des Menschseins“).
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Bild 13: Neugeburt des Menschseins
Wie aber sollte und konnte das Menschsein nach all solchem Scheitern erneuert und zu seiner ursprünglichen Berufung als Eben-Bild und Vergegenwärtigung der Liebe Gottes in der Schöpfung geführt werden? Wie sollte Gott bei den Menschen gegenwärtig sein? Sollte er sich wie ein absoluter Herrscher inkognito unters Menschen-Volk mischen, um da unerkannt anwesend zu sein und zu sehen, wie es da zugeht? (Der jüdische Historiker aus der Zeit Jesu, Flavius Josephus, beschreibt, wie der König Herodes d. Gr. manchmal so handelte). Nein, Gott wollte viel mehr: Er wollte, dass seine uneingeschränkte Liebe in einem Menschen verwirklicht unter den Menschen lebt, ganz, ohne Abstand, ohne Abstriche und ohne Absicherung, wenn es schiefgehen sollte, damit mitten im Menschsein seine Liebe vollkommen gegenwärtig sei: Reines „Ebenbild“ Gottes im Schmutz Menschheitsgeschichte, Vergegenwärtigung seiner Liebe mitten im hasserfüllten Kampf um Macht und Besitz und Ehre. Um diese Erneuerung der Menschheitsberufung als „Ebenbild Gottes“ zu verwirklichen, wollte Gott nicht das Alte zerstören, um das Neue an seine Stelle zu setzen, sondern wollte das Frühere verwenden, um daraus das Zukünftige zu gestalten. Das Frühere, das waren der Bund der Bewahrung mit Noah, der Bund des Vertrauens mit Abraham, der Bund der Weisung mit Mose, der Bund des Königtums mit David. Alle diese Bundesschlüsse sollten nicht hinfällig und verworfen werden, sondern zur Erfüllung kommen. Der Messias sollte als Nachkomme Noahs, Abrahams, Moses und als „Sohn Davids“ geboren werden.
Leben kann auf dieser Erde nur aus Lebendem hervorgehen; Menschen können nur von Menschen geboren werden. Gott unterwirft seine Liebe dieser Lebensordnung und stellt sie (auch genetisch) in die Kette des Lebens, die durch die Jahrmillionen reicht und in die Kette des Menschseins durch die Jahrtausende und in die Kette der Verheißungen im Volk Israel. Seine göttliche Liebe wird empfangen und ausgetragen von einer Frau aus dem Volk der Verheißung und „zur Welt gebracht“, wie man eben ein Kind zur Welt bringt. An Maria wird deutlich, was die Aufgabe jeden Menschseins und der ganzen Menschheitsgemeinschaft ist: Zur-Welt-Bringung Gottes durch das Wachsen lassen und Ausreifen lassen dessen, was der Geist Gottes (und das ist seine Liebe) ins Innere des Menschseins eingesamt hat. Im Stall von Bethlehem werden das Menschsein und die Menschheitsberufung neu geboren: Das Kind in der Krippe als „Zur-Welt-Bringung“ Gottes und zugleich als Neueinsamung der Liebe Gottes in den Mutterschoß des Menschseins. Seitdem geht die ganze Menschheit schwanger mit dieser Liebe (aber wie oft wird diese Liebe „abgetrieben“, um selbst stark zu sein und nicht behindert zu werden beim Ringen um die „besten Plätze“ im Gesellschaftssystem). In Jesus wurde die Liebe Gottes menschlich anschaubar und erfahrbar unter den Menschen. Sie wurde „menschlich“, damit durch die Liebe das Menschsein (und mit ihm die ganze Schöpfung) zu Gott kommen, das heißt „göttlich“ werden kann.
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Bild 14: Wiederherstellung der Menschheitsberufung

Wer mich sieht, der sieht den Vater (Joh 14,9), sagt Jesus von sich. Damit bestätigt er, dass durch ihn die ursprüngliche Menschheitsberufung nun erfüllt ist: Gott schuf den Menschen in seinem Eben-Bild … Das ist die Berufung des Menschseins, jeden Menschseins. Wer die Menschen anschaut (nicht wie sie aussehen, sondern wie sie leben und miteinander umgehen), der soll etwas davon wahrnehmen können, wie Gott ist. Durch das Menschsein soll das Wesen Gottes (seine uneigennützige Liebe) in der Schöpfung anschaubar und erfahrbar gegenwärtig sein.
Im Leben Jesu war das vollkommen und vollgültig verwirklicht. Durch ihn war die göttliche Liebe in menschlicher Gestalt auf dieser Erde gegenwärtig, nicht als religiöse Idee, nicht als fromme Wunschvorstellung, sondern als realer Vollzug in einem realen Menschenleben: helfend, heilend, tröstend und rettend.
In Jesus ist wahres Menschsein unter uns erfüllt und die Menschheitsberufung verwirklicht, weil durch ihn ein vollkommenes „Eben-Bild“ der Liebe Gottes auf der Erde gegenwärtig ist. Mit Jesus ist aber nicht nur wahres Menschsein unter uns gegenwärtig, sondern auch wahres Gott-Sein, durch die anschaubare und erfahrbare Vergegenwärtigung der Liebe Gottes, die das innerste „Wesen“ Gottes ist, seine „Substanz“, seine „Identität“, sein „Geist“.
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Bild 15: Erniedrigung und Tod

„Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz“ (Phil 2,6-8). Die Selbsterniedrigung Gottes bis in die materielle Begrenztheit und Todesverfallenheit des Menschseins wurde zum Wendepunkt der Weltgeschichte.
Jesus war nicht der Erste und nicht der Letzte aus dem Volk Israel, der den grausamen Tod am Kreuz durch die Gewalt der Besatzungstruppen der Römer erleiden musste. Tausende starben so vor ihm und nach ihm. Aber er war der Einzige, der es als ein Mensch erlitt, in dem Liebe Gottes in Vollkommenheit gegenwärtig war. Es war die Liebe Gottes selbst, die als für diese Welt unpassend und störend angeklagt, verurteilt und gekreuzigt wurde. Aber: Menschen kann man töten, die Liebe nicht. Denn „Gott ist die Liebe“ (1. Jo 4,8) und Gott kann man nicht töten, auch wenn das Menschen wie Friedrich Nietzsche triumphierend verkündigten. Nirgendwo ist sie größer und lebendiger und lebensstiftender als da, wo sie sich (um des Lebens anderer willen) selbst dem Tode ausliefert (das Gegenmodell dazu ist der Selbstmordattentäter, der sich selbst in die Luft sprengt, um möglichst viele andere Menschen zu töten). So wurde der Tod des Geliebten Gottes zum Neubeginn göttlichen Lebens in der Gemeinschaft des Menschseins.
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Bild 16: Auferstehung und Erhöhung

Für einige wenige Stunden an einem einzigen Tag (und danach, mit Einschränkungen, noch vierzig Tage) wurde für menschliche Wahrnehmung sichtbar und erfahrbar, wie es um diese Schöpfung wirklich bestellt ist: Sie ist zur Vollendung bestimmt und Gott selbst kann und wird diese Vollendung herbeiführen. Dadurch wird diese ganze materielle Schöpfung von der Vergänglichkeit befreit und alles Leben von seiner Todesverfallenheit erlöst. Seitdem wissen wir, dass unser Leben nicht einfach nur dem leiblichen Tod entgegengeht, sondern zugleich und vor allem auch der Vollendung des Menschseins in der Gegenwart der Liebe Gottes (siehe die Themen „Zeit und Ewigkeit“ und „Leben und Tod“).
Die Messiasverheißungen des AT enthalten zwei einander anscheinend widersprechende Bilder: Das Bild des leidenden Gottesknechts und das Bild des gottgesandten Friedefürsten.
Jesaja 53,4-5: Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf das wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.-
Und im krassen Gegensatz dazu Jesaja 9,5+6: Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst: auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er’s stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des Herrn Zebaoth.
In der Person Jesu sind diese beiden Messiasgestalten vereinigt. Jesus kommt uns nahe als der leidende Gottesknecht und er kommt auf uns zu als der alles versöhnende, alles Böse überwindende Friedefürst. Aber trotz dieser Identität der beiden Messiasgestalten in der Person Jesu, geschieht ihre Offenbarung nicht gleichzeitig, sondern zeitlich versetzt nacheinander: In seinem ersten ankündigenden Kommen als leidender Gottesknecht wird uns die verwandelnde Macht der Liebe Gottes als Erlösung von aller menschlichen Schuld angeboten und in seinem zweiten erfüllenden Kommen als Friedefürst wird die alles erneuernde Kraft der Liebe Gottes durch die Verwandlung und Erneuerung der ganzen Menschheit und Schöpfung unwiderstehliche Wirklichkeit.
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Bild 17: Geistausgießung und neue Menschwerdung

Dazu wollte Gott noch einmal, wie er es schon bei Adam gemacht hatte, seinen Geist einhauchen in die ihrer Berufung entfremdete Menschheit. Ja mehr noch, er wollte seinen Geist der Liebe ausgießen in Fülle über die Menschen, die bereit wären, ihn zu empfangen: Joel 3,1-2: Und nach diesem will ich meinen Geist ausgießen über alles Fleisch, und eure Söhne und Töchter sollen weissagen, eure Alten sollen Träume haben, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen. Auch will ich zur selben Zeit über Knechte und Mägde meinen Geist ausgießen. Dies geschah 50 Tage nach der Auferstehung Jesu: Apg 2, 1-4: Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen zerteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist und fingen an, zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.
Das hatte direkte und für alle wahrnehmbare Folgen (Apg 44-47): Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte. Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen und lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk. Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden.
So sah (nicht als fromme Idee, sondern als alltäglicher Lebensvollzug) die neugewonnene Menschlichkeit, die wenigstens in ersten Ansätzen verwirklichte Erfüllung der Menschheitsberufung aus: Gott schuf das Menschsein sich zum Ebenbild und zum Gegenüber seiner Liebe. Von da aus sollte die Erneuerung der Menschheit als Liebesgemeinschaft sich ausbreiten in alle Völker und über alle Kontinente der Erde.
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Bild 18: Der zweite Sündenfall

In der Dramaturgie des Spieles der Liebe zwischen Himmel und Erde hätte mit der Auferstehung Jesu und mit der Ausgießung des Geistes der letzte entscheidende Akt beginnen können. Danach hätte die Vollendung der Schöpfung noch in der Lebenszeit der ersten Jünger in Gang kommen können (Mt 16, 28 und 24, 34). Dann aber geschah etwas, mit dem nach allem Vorangegangenen nie zu rechnen war: Es geschah der zweite, der neutestamentliche „Sündenfall“: Der Plan Gottes war es (soweit man das mit menschlichen Möglichkeiten wahrnehmen und ausdrücken kann), dass zuerst Israel seinen Messias erkennt und annimmt und dann ein messianisches Judentum innerhalb weniger Jahrzehnte die Völker der damals bekannten Welt missioniert und zu Gott bringt. Deshalb betont Jesus auch immer wieder, dass seine Sendung jetzt nur Israel betrifft. Aber (Joh 1,11): Er kam in sein Eigentum und die Seinen nahmen ihn nicht auf. Das Volk Israel konnte oder wollte in seiner bestimmenden Mehrheit in Jesus von Nazareth nicht seinen verheißenen Messias erkennen. Wohl deshalb, weil sie ihn vor allem in der Gestalt des triumphierenden Befreiers vor Augen hatten und sie die ebenso verheißene Messiasgestalt des leidenden Gottesknechtes vergessen oder verdrängt hatten.
Darauf ging Gott offenbar den umgekehrten Weg. Er wollte nun aus den Heidenvölkern einige herausrufen, die bereit wären, das Evangelium anzunehmen und aus denen er (zusammen mit den Juden, die Jesus als Messias angenommen hatten) eine neue, durch Jesus im Innersten verbundene Jüngergemeinde aus messiasgläubigen Juden und christusgläubigen Heiden formen könnte. Durch das überwältigende Zeugnis der Gegenwart der Liebe Gottes in ihrer Liebesgemeinschaft sollte Israel überzeugt und überwunden und zu seinem verheißenen Messias zurückgeführt werden. Die Liebes-Einheit der Jüngergemeinde aus Juden und Heiden sollte auf diese Weise ein Anschauungsmodell sein für die Einheit der ganzen Menschheitsfamilie (die ja auch aus Juden und Heiden besteht) unter der Königsherrschaft Gottes und seines Gesalbten. Joh 13, 34-35: Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander liebhabt. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.
Aber offensichtlich war das Zeugnis der ersten Christen schon bald nicht mehr so überzeugend und überwältigend wie am Anfang. In die urchristliche Liebesgemeinschaft schlichen sich bald ungute Einseitigkeiten und Egoismen ein. Die Spannungslinie entstand dort, wo sich Christen, die aus dem Judentum kamen und Christen mit heidnischen Hintergrund sich nicht mehr ganz selbstverständlich als Geschwister in dem einen großen Vaterhaus sahen. So wurde bald die Jesusjüngerschaft für das Judentum nicht zum Anschauungsmodell für die Liebe Gottes, sondern zum Schauspiel für innere Uneinheit, Spaltungen und Feindschaft und für wachsende Judenfeindlichkeit mit Verfolgungen, Vertreibungen und Pogromen bis hin zum Holocaust im Zwanzigsten Jahrhundert.
Weil aber Gott seinen Heilsplan für die Menschheit nicht ohne die eine Jüngergemeinde und Liebesgemeinschaft aus Juden und Heiden (als die eine „Braut des Messias“) verwirklichen will, entstand nun eine schon zweitausend Jahre währende Zwischenzeit zwischen dem ersten ankündigenden, vorbereitenden und erlösenden Kommen des Messias und seinem zweiten erfüllenden, wiederherstellenden und vollendenden Kommen. Diese zwanzig Jahrhunderte Zwischenzeit mit all dem vergeblichen Warten und all ihrem Leid, ihrem Hass und ihrer Gewalt wären so nicht nötig gewesen, sondern waren Folge des „neutestamentlichen Sündenfalls“ im Innersten der Jüngergemeinde Jesu.
Im geschichtlichen Ablauf hat sich diese Zwischenzeit in zwei verschiedenen Phasen ausgeformt: Zerstreuung und Sammlung.
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Bild 19: Erste Zwischenzeit: Zerstreuung

Trotz aller menschlichen Schuld und Verweigerung ging Gott unbeirrt seinen Heilsweg weiter voran: Durch das Kreuz Jesu war die unterbrochene Verbindung zwischen Himmel und Erde wieder hergestellt. Seit seiner Auferstehung ist ewiges Leben auf dieser vergänglichen Erde gegenwärtig. Das Reich Gottes ist „wie im Himmel, so auf Erden“ wirkmächtige Realität und offen für alle Menschen. Dies ist wahrhaftig eine „Frohe Botschaft“. Und die soll nun „in alle Welt“ gehen. Weil ohne das Kreuz Jesu die Trennung zwischen Himmel und Erde unüberwindlich bleibt, und ohne ihn keine Rettung aus der Gewalt des Bösen möglich ist, soll nun der Same dieses Evangeliums ausgestreut werden in alle Völker der Erde, damit alle Menschen Anteil haben können am Segen der Königsherrschaft Gottes.
Es begann die Zeit der christlichen Gemeinde und der Mission. Es ist die Zeit der Aussaat des Evangeliums in den harten, dornigen, felsigen und doch auch fruchtbaren Acker der Menschheit. Die Zeit der Aussaat dauert schon fast 2000 Jahre. Zwar gibt es immer noch Volksstämme auf der Erde, die von der Botschaft des Evangeliums kaum erreicht wurden, und die Mission unter den Völkern muss noch weitergehen, aber die große Zeit der Zerstreuung neigt sich dem Ende zu.
Weitgehend unbeachtet von der Christenheit blieb dabei, dass noch ein zweiter Same ausgestreut wurde: Das Volk Israel. Gleichzeitig mit der beginnenden Weltmission zur Zeit der ersten Apostel begann auch die Zerstreuung des jüdischen Volkes über alle Länder der Erde. Und, was uns noch viel weniger bewusst ist: Auch das war Aussaat Gottes! Die Verheißung Gottes an Abraham (…durch dich sollen gesegnet werden alle Völker auf Erden 1. Mose 12,3) wurde nicht nur durch die christliche Mission verwirklicht, sondern auch durch die Zerstreuung der Juden über alle Kontinente der Erde. Überall, wo in den vergangenen zwei Jahrtausenden Juden hinkamen und lebten, wurden sie zum Segen für die Völker, die sie aufnahmen (und zum Fluch für diejenigen, die sie misshandelten und vertrieben). Wir können bei Weitem nicht ermessen, welche Ströme des Segens durch die Anwesenheit jüdischer Gemeinden in die sie umgebenden Völker geflossen sind, vor allem durch ihr unablässiges Gebet und ihre alle Anfechtungen überstehende Treue zum Gebot Gottes.
Judentum und Christenheit sind in dieser Zeit der Aussaat gemeinsam Botschafter und Zeugen des Gottesreiches auf Erden
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Bild 20: Zweite Zwischenzeit: Sammlung

In vielen Verheißungen des Alten Testamentes und in mehreren Gleichnissen Jesu wird uns gesagt, dass nach der Zeit der Aussaat eine Zeit des Einbringens der Früchte kommen soll, eine Zeit der Sammlung und der Ernte. Jes 45, 5+6: So fürchte dich nun nicht (Israel), denn ich bin bei dir. Ich will vom Osten her deine Kinder bringen und dich vom Westen her sammeln, ich will sagen zum Norden: Gib her! und zum Süden: Halte nicht zurück! Bring her meine Söhne von ferne und meine Töchter von den Enden der Erde.
Mt 13,24-26+30: Das Himmelreich gleicht einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte. Als aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen und ging davon. Als nun die Saat wuchs und Frucht brachte, da fand sich auch das Unkraut (…) Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte; und um die Erntezeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut; (…) aber den Weizen sammelt mir in meine Scheunen. Der Weizen ist ein Bild für das Volk Gottes. Dieses soll gesammelt und in die Scheunen Gottes gebracht werden. Diese Sammlung des Gottesvolkes geschieht in zwei verschiedenen, aber sich ergänzenden Bewegungen:
- Die Sammlung Israels in seinem verheißenen Lande
- Die Sammlung der Christenheit zur Gemeinschaft aller Gläubigen und zur Einheit der Kirche Jesu Christi
Unsere heutige weltweite geistliche Situation (in Judentum und Christenheit) beschreibt diese nun sich offensichtlich ihrem Ende zuneigende Sammlungsbewegung und genau für die Zeit am Ende der Sammlung ist auch vorhergesagt, dass es gleichzeitig auch zu einer Sammlung und Ausreifung des Bösen in der Welt kommen wird. Es wird sich alles sammeln und verdichten, das Gute und das Böse (siehe das Thema „gut und böse“, Beitrag 3 „Der dunkle Schatten)“
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Bodo Fiebig „Vergegenwärtigung Gottes im Menschsein“ Version 2020-7
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