Gott liebt das Leben und er hat das Leben geschaffen um der Liebe willen. Im Menschsein sollte sich diese Liebe entfalten und zu einem anschaubaren „Eben-Bild“ der Liebe Gottes werden. Wenn ein Mensch im gegenwärtigen Äon von Gut und Böse und trotz der Versuchung des Bösen in der Liebe zu Gott und den Menschen leben könnte, und wenn er bereit wäre, da wo er versagt, die Erlösungskraft der Liebe Gottes, die im Leiden und Sterben Jesu sich ganz für uns Menschen hingegeben hat, für sich in Anspruch zu nehmen, so wäre für ihn der Tod, der die Zeit der irdischen Gottferne begrenzen soll, ein offener Zugang in die Liebesgemeinschaft mit Gott. Dazu sind ihm noch als Hilfe die Gebote gegeben, dass er einen äußeren Rahmen hätte, der ihm in seinem irdischen Dasein optimale Voraussetzungen für die Entfaltung der Liebe gewährte.
Wenn aber ein Mensch trotz des ihm/ihr angebotenen Schutzraumes der Gebote in der Lieblosigkeit, in der Untreue und im Tun des Bösen verharrt, wenn er nicht umkehren will von seinen verkehrten Wegen und er sich die Last der Schuld nicht von der Liebe Gottes und der Menschen abnehmen lassen will und er auch das Versöhnungsangebot von Golgatha missachtet, dann müsste ihn der Tod in einen Bereich existenzieller Trennung von Gott führen, in eine große, tiefe Gottverlassenheit. Der Tod bedeutet ja: In dieser Welt, wo das Gute und das Böse nebeneinander existieren, kann (und soll) der Mensch nur begrenzte Zeit bleiben. Das bewusste und gewollte Verharren im Bösen und in der Ablehnung der Liebe, die ihm vom Bösen erlösen will, bedeutet aber, dass der Mensch nicht in die Lebensordnung der ungetrübten Liebe in der Gegenwart Gottes gelangen kann. Im Nahraum der Liebe Gottes gibt es nur Freiwillige (in der Gottesferne auch).
Freilich gibt es auch theologische Denkmodelle, die dem widersprechen: Seit Jahrhunderten wird in der Christenheit über die Möglichkeit einer „Allversöhnung“ (siehe auch den Beitrag „vorherbestimmt?“) gestritten. Zwei sich widersprechende Vorstellungen stehen sich gegenüber:
Die einen sagen: Jeder Mensch ist vor die Entscheidung gestellt, ob er in seinem Leben die „weite Pforte“ und den „breiten Weg“ wählt (Mt 7, 13-14), die zur (unumkehrbaren?) „Verdammnis“ führen oder die „enge Pforte“ und den „schmalen Weg“, die zum (ewigen) Leben führen und jeder hat das Recht, das Leben zu wählen. Aber in der Stunde des Todes geht dieses Wahlrecht zu Ende. Dann ist alles entschieden.
Andere sagen: „Gott will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (1. Tim 2,4). Wenn Gott dies will, so wird es geschehen, so dass am Ende alle Menschen erlöst werden, auch wenn sie zu Lebzeiten nicht entsprechend geglaubt und gelebt haben, denn der freie Wille des Menschen (auch der Wille zum Bösen) kann nicht den guten Willen Gottes für alle Menschen aufheben.
Ich meine: In allem, was wir über die Frage nach einer „Allversöhnung“ sagen können, ist viel spekulatives Denken enthalten und das Gesagte verrät uns mehr über die Haltung des jeweiligen „Denkers“ als über die Wirklichkeit Gottes. Ich will hier auch nicht von „Allversöhnung“ reden, sondern von der Erlösungskraft der Liebe:
Es gab und gibt keinen einzigen Menschen auf dieser Erde, auch nicht unter den Bösesten und Grausamsten, in dessen Leben niemals wenigstens ein winzigstes Fünkchen von unverfälschter Liebe zum Glimmen kam, der auch nie jemals von einem anderen Menschen geliebt wurde und sei es noch so gering und fragwürdig, der niemals ohne falschen Eigennutz etwas Gutes getan hätte, und sei das alles auch noch so bruchstückhaft und anfechtbar. Die Liebe aber, jede Liebe, die um eines andern willen das Eigene zurückstellt, ist von Gott, ja sie ist das „Wesen“ Gottes selbst, sein „Geist“, seine „Person“, seine „Identität“. Davon kann nichts in der Ewigkeit Gottes verloren gehen. Wie könnte etwas ewig verloren gehen, das aus Liebe, also den „Wesen“ und der „Substanz“ Gottes besteht? Also wird auch von den Bösesten (von Nebukadnezar bis Adolf Hitler, Stalin, Mao … und bis zu den Millionenmördern in unserer Gegenwart) etwas in der Ewigkeit erhalten bleiben. Wenn sie aber mit der ungeheuerlichen „Last“ ihrer Schuld in die Nähe der Liebe Gottes kommen und alles Schuldhafte ihres Lebens dort verglühen muss, was wird dann von ihrem Leben übrig bleiben? Wie klein und ärmlich werden dann die sein, die in ihrem irdischen Leben so groß waren? Die Liebe Gottes, die in Jesus Mensch geworden ist und für die schuldbeladenen Menschen litt und starb, wird auch sie nicht zurückweisen (wenn sie selbst ihrerseits diese Liebe nicht zurückweisen!). Aber wie groß und wie furchtbar wird das Feuer sein, wenn ihre millionenfachen Verbrechen in der Glut der Liebe Gottes verbrennen und wie kläglich der Rest, der von ihrem Leben, ihrem Wollen, Fühlen, Denken, Reden und Handeln dann noch bleibt!
Aber gibt es nicht auch Menschen, die bis zuletzt das Angebot der Vergebung und Erlösung bewusst zurückweisen? Ja, die gibt es. Und Gott nimmt diese Zurückweisung ernst. Er wird niemandem gegen seinen Willen seine Liebe aufzwingen. Aber auch für diese Menschen gilt: Alles, was je in ihrem Leben von der Liebe bestimmt war (als Gebende oder als Empfangende), wird bleiben. Aber das „Ich“ so eines Menschen (sein Selbstbewusstsein, seine Ich-Identität, seine Motivation, seine Willenskraft, sein Glaube …) dieses „Ich“, das sich gegen Gott entschieden hat und das von seinen verkehrten Einstellungen nicht umgekehrt ist, wird im Raum der Liebe Gottes keinen Platz finden (wie sollte ein „Ich“ Ruhe und Geborgenheit finden bei dem Gott, den es ablehnt?). Sicher, auch von ihm/ihr wird noch eine Erinnerung im Innersten Gottes übrig bleiben, dass da ein „Ich“ war, das nicht zum „Du“, zum Ebenbild und zur Widerspiegelung seiner Liebe werden wollte. Aber alles, was dieser Mensch in seinem irdischen Leben an Liebe gegeben und empfangen hat, wird bleiben und bei Gott sein und kann nie verlorengehen, aber sein „Ich“, sein personales Menschsein wird unbeheimatet sein, solange es nicht umkehrt zu Gott.
„Aber was ist mit denen“, wird dann oft gefragt, „die in ihrem Leben nie die Botschaft von der Liebe und Versöhnungsbereitschaft Gottes gehört haben, nie etwas von von Jesus, von Karfreitag und Ostern erfahren haben, sollten die denn verdammt werden, weil sie unglücklicherweise zu einer Zeit oder in einem Lande lebten, die von der Botschaft des Evangeliums nicht erreicht war?“ Nein, Gott will nicht, dass auch nur ein Mensch endgültig verlorengeht. Er wollte auch den Ort der Finsternis, der die Menschen gefangenhält, die in ihrem Leben nichts von der Liebe Gottes erfahren haben, die ohne die Hilfe des Gesetzes und ohne das Angebot des Evangeliums in der Sünde der Lieblosigkeit und Untreue lebten und starben, mit seiner Liebe erhellen. Alles was in ihrem Leben von der Liebe bestimmt war, als Gebende oder als Empfangende (und das gilt für alle Menschen unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit bzw. ihrem Atheismus), wird nach ihrem Tode bei Gott und in seiner Liebe geborgen sein. Aber auch ihr Glaube wird noch nach ihrem Tod der Liebe Gottes begegnen. Es sollte auch die letzte Bastion des Feindes aufgebrochen werden und kein Raum mehr sein, der unzugänglich wäre für die erlösende Liebe Gottes.
Wie sollte aber der Raum der Gottferne von der Liebe Gottes erreicht werden? Wer sollte die Liebe Gottes an den Ort tragen, der ja gerade durch die äußerste Trennung von Gott gekennzeichnet ist? Wenn es einen Menschen gäbe, der ohne Sünde wäre, so käme der nie an diesen Ort. Nur das Gewicht der unermesslichen Schuld des Menschen (gemessen an der Würde und an dem Auftrag, der ihm ursprünglich zugedacht war) kann ihn hinabziehen bis auf den Grund der tiefsten Gottverlassenheit. Wer dagegen mit eigener Schuld beladen ist, wird zwar, wenn er nicht Erlösung erfährt, jenen Ort erreichen, aber er kann wieder nur Sünde und Dunkelheit in das Reich der Finsternis bringen, aber nicht das Licht der göttlichen Liebe. Gott aber wusste einen, der in das „Haus des Starken“ (Mt 12,29) einbrechen und ihm seine Beute entreißen sollte: Den „Sohn, an dem er Wohlgefallen hat“.
Der Sohn aber war ohne Sünde. Seine Liebe zum Vater und zu den Brüdern war ohne Makel. So nahm Gott die Schuld der Menschen und legte sie auf ihn. Weil er nicht mit eigener Sünde belastet war, konnte er sie auf sich nehmen. So beladen und beschwert konnte er hinabsteigen an den Ort der Gottferne und dennoch die reine, ungetrübte Liebe dorthin bringen. So erreichte und erreicht auch die Verstorbenen noch der liebende Retterwille Gottes. …er ist auch hingegangen und hat gepredigt den Geistern im Gefängnis, die einst ungehorsam waren… (1. Petrus 3,19). Denn dazu ist auch den Toten das Evangelium verkündigt, dass sie zwar nach Menschenweise gerichtet werden im Fleisch, aber nach Gottes Weise das Leben haben im Geist (1. Petrus 4,6). Das gilt für alle Menschen.
Diejenigen aber, die in ihrem Leben von der Botschaft des Evangeliums erreicht wurden, die sich im alltäglichen Leben immer wieder neu und gegenseitig ihre Schuld vergeben haben, die darauf vertrauen, dass auch Gott ihnen alle ihre Schuld, mit der sie seine göttliche Liebe verletzt haben, schon vergeben hat und die alle zwischenmenschliche Schuld, die noch nicht vergeben ist, sich von Jesus abnehmen lassen, wie leicht werden die leben, und wie umfassend wird ihr Friede (Schalom) sein, schon hier in dieser zeitlichen und irdischen Begrenzung und erst recht in der Ewigkeit der Liebe Gottes. Für sie wird der Tod zum offenen Tor in die Gegenwart des liebenden Vaters. Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg (1. Korinther 15, 54+55)? Sie können in die himmlische Welt Gottes kommen, ohne zuerst die Qual der Gottverlassenheit im Sündentod zu schmecken. Sie haben darin einen unermesslichen Vorzug gegenüber allen anderen Generationen und Völkern der Menschheit. Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode ins Leben hindurchgedrungen (Johannes 5,24). Wahrlich, ich sage euch: Viele Propheten und Gerechte haben begehrt zu sehen, was ihr seht, und haben’s nicht gesehen, und zu hören, was ihr hört, und haben’s nicht gehört (Mt 13,17).
Er aber, der Sohn, musste stellvertretend die ganze Qual der Gottverlassenheit durchleiden: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen (Mt 27,46/Psalm 22)? Es muss ein unausdenkbarer Schmerz sein, in den Tod zu gehen, beladen mit der Last der Schuld, und zu erkennen, dass der Weg direkt in die Gottverlassenheit führt.
Die Liebe aber ist stärker als der Tod. Es war ja nicht eigene Sünde, die den Sohn in die Tiefe der Gottverlassenheit geführt hatte, sondern die Liebe, welche die Schuld der Verlorenen auf sich genommen hatte: „Fürwahr er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen …“
So war nun die Macht der Liebe eingebrochen in den Raum der äußersten Finsternis. Das Licht der Liebe Gottes erhellte das Dunkel des Todes und die Gewalt der Liebe Gottes zersprengte die Ketten der Schuld. Der für alle gestorben war, sollte für alle leben, damit allen der Weg zum Vater offen ist. Und viele werden noch in der Tiefe der Gottverlassenheit den Ruf der Liebe Gottes vernehmen und ihm folgen. Aber wieviel Schmerz bliebe ihnen erspart, wenn sie diesem Ruf jetzt folgen würden?
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Erlösung in der Tiefe Version 2018 – 1
© 2011 Bodo Fiebig
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