Bereich: Grundfragen des Glaubens

Thema: Schöpfungsglaube & modernes Weltbild

Beitrag 6: Scheitern und Neubeginn (Bodo Fiebig8. Dezember 2017)

Die Ausführungen dieses Beitrags folgen, wie schon in den vorangehenden Beiträgen, Vers für Vers dem Text der Bibel (hier 1.Mose 3,7 bis 3,24).

3,7 Da wurden geöffnet die Augen von ihnen beiden und sie erkannten, dass sie nackt waren. Und sie flochten sich Blätter des Feigenbaumes zusammen und sie machten sich Schurze.

Der Bibel wird oft Leibfeindlichkeit vorgeworfen. Die so argumentieren, haben z. B. das „Hohelied“ der Bibel im AT nie gelesen, oder auch den hier angeführten Text nicht verstanden. Die „Erkenntnis“, dass Nacktheit „böse“ sei und körperliche Schönheit verborgen werden müsste, wird hier ja als eine „Frucht“ beschrieben, die Adam und Eva nicht hätten essen sollen!

Im Garten Eden, unter dem Schutz einer Ethik, die aus der Liebe Gottes kommt, wäre eine Abwertung des Körperlichen nicht zwangsläufig notwendig gewesen. 2,25 Und sie waren beide nackt, Adam und seine Frau, und nicht schämten sie sich“. Das ist natürlich zuerst Ausdruck der Intimität einer ungestörten Zweierbeziehung. Aber das würde ja auch noch für die Situation im oben zitierten Vers gelten. Trotzdem versuchen sie hier, ihre Nacktheit zu verbergen, und im Vers 3,11 ist es eben die „Bekleidung“, an der Gott erkennt, dass Adam und seine Frau vom Baum der Erkenntnis „gegessen“ haben. Wir sehen: Die Bibel ist hier weder leibfeindlich noch anti-erotisch eingestellt.

Zu allen Zeiten gab und gibt es im Umgang mit Erotik und Sexualität zwei extreme Richtungen: Verteufelung oder Vergottung. In den Kulturen rings um das biblische Israel gab es Fruchtbarkeitskulte und Tempelprostitution. In den heutigen „westlichen“ Kulturen wird körperliche Schönheit zum Werbeartikel herabgewürdigt und Sexualität zur billigen Massenware. Dazwischen gab es immer wieder Zeiten (auch in der Christenheit), wo alles Körperliche als minderwertig oder gar böse angesehen wurde. Manchmal (heute vor allem in islamischen Kulturen) wird die totale Verhüllung des Körpers der Frau zum Symbol für ihre Minderwertigkeit und für den totalen Besitzanspruch des Mannes über sie. Die Bibel will aber weder Verteufelung noch Vergottung des Körperlichen.

Offensichtlich sollte die neue Ethik in Eden die menschliche Sexualität und Erotik nicht als „böse“ abwerten, sondern als „guten“ und wesentlichen Bestandteil einer „Ethik der Liebe“ aufwerten. In einer Gemeinschaftsordnung, in der die sexuelle Begehrlichkeit gehalten und geborgen ist in einer Zuwendung, die den ganzen Menschen meint (nicht nur seine körperliche Attraktivität und erotische Ausstrahlung), und wo die Ausschließlichkeit der ehelichen Beziehung von allen als unantastbar respektiert wird, muss unverhüllte Körperlichkeit nicht anstößig und verwerflich sein. Nicht der Bikini am Badestrand oder der Tschador in der Fußgängerzone machen den Unterschied, sondern die Bereitschaft jedes Einzelnen, den anderen Menschen in seiner personalen Ganzheit wahrzunehmen und zu achten. Dafür kann der Bikini, der alle Aufmerksamkeit auf das Körperliche lenkt, ebenso hinderlich sein wie der Tschador, der alles Körperliche verhüllt (wobei der Bikini, im Gegensatz zum Tschador, eine ganzheitliche Wahrnehmung immerhin zulässt; der nötige Respekt liegt im Auge des Betrachters). Wenn ein Mann nur als wohlgeformtes Muskelpaket mit Penis angesehen wird und eine Frau am Idealbild einer superschlanken Busen-Po-Beine-Figur gemessen wird, dann ist die Reduktion des Menschen auf seine biologische Form schon weit fortgeschritten, unabhängig davon, was er/sie dann an Kleidung trägt oder nicht.

Adam und seine Frau „aßen“ also von der damals allgemeingültigen „Erkenntnis von Gut und Böse“, die im persönlichen und kollektiven Egoismus begründet war, und ihnen gingen die Augen auf und sie sahen zuerst etwas, was sie erschreckte: Wir sind nackt! Wir sind schutzlos ausgeliefert dem, was auf uns zukommt, jetzt, nachdem wir den Schutz Gottes verlassen haben.

Die Angst, dass unverhüllte Körperlichkeit ausgenutzt und „geschändet“ werden könnte, ist Ausdruck des verlorenen Vertrauens, und Teil der allgemeinen Furcht, dass jede „Blöße“, jede Schwäche, gleich welcher Art, eine lebensbedrohliche Gefahr darstellt.

Im Bewusstsein dieser Gefahr leben wir alle, die nicht mehr im Schutzraum der Liebe sind. Jede Schwäche (z. B. im beruflichen Alltag, in der Schulklasse oder Freundes-Clique, im Sport, im Verein usw., auch in einer christlichen Gemeinde …) jede nicht abgesicherte Stelle unseres Lebens wird zum möglichen Angriffspunkt. Nackt (auch in teurer Modebekleidung) und schutzlos sind wir in einer bösen und harten Welt. Schutzlos ausgeliefert sind wir jetzt den Mitmenschen, die unsere „Nacktheit“ (d. h. jede ungeschützte Verletzlichkeit) auch mit bösem Blick anschauen können, die unsere „Blöße“ ausnutzen können, um uns zu schaden. Wäre unsere Nacktheit in einer „guten“ Welt selbstverständlich und schön, so wird sie nun, da wir erkannt haben, dass es auch das Böse gibt, zur Gefahr. Ich muss mich bedecken, muss mich verstecken, ja besser noch panzern mit Rüstung und Helm – und ein Schwert in die Hand, mich zu verteidigen – – oder ist nicht doch Angriff die beste Verteidigung …?

3,8Da hörten sie die Stimme JaHWeHs, Gottes, der wandelnd im Garten war beim Wind des Tages und es versteckten sich der Adam und seine Frau inmitten des Baumgartens. 3,9Und es rief JaHWeH, Gott, den Adam und er sprach zu ihm: „Adam, wo bist du?“

Adam, wo bist du? Du, Neuschöpfung des Menschseins, du, Träger des Lebenshauchs Gottes, du, Bild der Liebe Gottes in der geschaffenen Welt. Wo bist du? Seit Jahrtausenden stellt Gott diese Frage und er lauscht, und lauscht, und er lauscht immer noch, bei jedem Einzelnen, auch heute, ob nicht doch die Antwort kommt: „Hier bin ich.“

3,10Und er (Adam) sprach: „Deine Stimme hörte ich im Garten und ich fürchtete mich, weil ich nackt bin und ich versteckte mich“. 3,11Und er (Gott) sagte: Wer hat mitgeteilt dir, dass nackt du bist? Etwa von dem Baum, von dem ich dir befohlen habe, nicht zu essen von ihm, hast du gegessen? 3,12Und es sagte der Adam: Die Frau, die du gegeben hast neben mich, sie, sie gab mir von dem Baum, und ich aß. 3,13Und es sprach JaHWeH, Gott, zu der Frau: „Was, dies hast du getan?“ Und es sprach die Frau: „Die Schlange verlockte mich und ich aß.“

Hierzu ist nicht viel zu sagen. Es ist das alte Spiel: Der andere ist schuld. Und am Ende ist Gott selbst schuld, der alles so gemacht hat, dass es so kommen musste. Übrigens: Adam sagt nicht „Die Frau, die du gegeben hast unter mich …“ sondern „neben mich“ auf gleicher Augenhöhe. Adam hatte das erkannt; seine Nachkommen tun sich heute, Jahrtausende später, oft noch schwer damit.

3,14Und es sprach JaHWeH, Gott, zu der Schlange: „Weil du getan hast dieses, verflucht bist du von allem Vieh und von allem Wildgetier des Feldes. Auf deinem Bauche musst du kriechen und Staub musst du fressen alle Tage deines Lebens. 3,15Und Feindschaft setze ich zwischen dir und der Frau, und zwischen deinen Samen und ihren Samen. Er, er zermalmt dir den Kopf, und du, du schnappst ihn in die Ferse.

Zwischen dem Materialistisch-Egoistischen im Menschen und den klugen Verlockungen der „Schlange” (des „falschen Messias“) einerseits und der Berufung des Menschseins zur „Ebenbild“ Gottes andererseits, wird Feindschaft sein. Diese „Feindschaft“ ist in jedem Menschenleben gegenwärtig und wirksam, und der Mensch wird weder das Eine noch das Andere jemals ganz ausschließen können. Aber welches von beiden die Oberhand behält und das Leben bestimmt, das liegt in der Verantwortung jedes Menschen ebenso wie in der Verantwortung jeder menschlichen Gemeinschaft. Aufs ganze gesehen aber ist dieser Feind schon besiegt, auch wenn er den Nachkommen Adams immer wieder in die Ferse schappt.

Mit der Redewendung von der Staub fressenden Schlange wird die vorher genannte Verfluchung noch einmal veranschaulicht. „Auf dem Bauch kriechen und Staub fressen“ war wohl der gebräuchliche Ausdruck für die Unterwerfungsgeste für besiegte Feinde (auf Reliefbildern der Babylonier sind solche Unterwerfungsszenen dargestellt, wo die besiegten Feinde des Königs vor ihm auf dem Boden liegen). Dabei mussten die Unterworfenen wahrscheinlich nicht wirklich Stab fressen; die Redewendung will nur die Verachtung zum Ausdruck bringen, die dem unterlegenen Feind zuteil wird. Hier, in diesem Zusammenhang, bedeutet diese von Gott selbst verwendete Redewendung: Die „Schlange“ ist schon besiegt, sie muss sich dem Adams-Nachkommen und Gottes-Sohn unterwerfen.

Gott hat die Erwählung Adams und seinen ihm gegebenen Lebensodem nicht zurückgenommen. Die Geschichte der Bibel, die die Geschichte der Adamsnachkommen ist, wird dies zeigen: Gott erweckt sich aus der Nachkommenschaft Adams immer wieder Menschen, die diesen Kampf aufnehmen. Sie alle werden scheitern, und doch wird durch sie der Keim des Guten weitergegeben werden – bis heute. Und einer von ihnen, Jesus von Nazareth, ein Jude, abstammend aus der Geschlechterfolge der Adamiten, wird den endgültigen Sieg erringen.

3,16Zu der Frau sprach er: „Vermehren, ja vermehren werde ich deine Beschwernis und deine Schwangerschaft, mit Beschwerden wirst du gebären Kinder, und nach deinem Mann ist dein Verlangen und er wird herrschen über dich.“

An den Folgen des „Sündenfalls“ kann man den Wert dessen erkennen, was die beiden Menschen in Eden verloren haben: Wo die freie und ganz auf den andern gerichtete Liebe nicht mehr das tragende Fundament der Beziehung ist, da tritt ein egoistisch motiviertes begehrendes Verlangen an ihre Stelle, das danach trachtet, den andern für sich zu vereinnahmen. Der Kampf um Macht und Vorherrschaft bestimmt nun auch die intimste Zweierbeziehung zwischen Mann und Frau, und der Mann als der körperlich Stärkere kann sich zum Herrscher über seine Partnerin aufschwingen. Die Beschwernisse der Schwangerschaft und Geburt (die ja auch vorher schon da waren, die sich aber in einer gestörten Beziehung vermehrt und belastender auswirken) können nun die Position der Frau gegenüber dem Mann zusätzlich schwächen und und sie, im Extremfall, seiner Willkür ausliefern.

Wer wollte behaupten, diese Folgen würden uns heute, in einer modernen Gesellschaft, nicht mehr betreffen? Aber sie betreffen uns nicht deshalb, weil zwei Menschen vor sechstausend Jahren einen Fehler gemacht haben, sondern weil unsere Liebesfähigkeit heute genau so gestört ist wie die der Menschen damals in Eden, obwohl es heute wie damals nicht so sein müsste.

3,17Und zu Adam sprach er: „Weil du gehört hast auf die Stimme deiner Frau und du gegessen hast von dem Baum, von dem ich dir geboten habe, sprechend: nicht wirst du essen von ihm, verflucht sei der Ackerboden deinetwegen! In Beschwernis wirst du von ihm essen alle Tage deines Lebens. 3,18Und Dornen und Stechkraut wird er wachsen lassen dir und du wirst essen das Kraut des Feldes. 3,19Im Schweiße deines Angesichts wirst du essen Brot bis zu deiner Rückkehr zum Ackerboden, denn von ihm wurdest du genommen, denn Staub bist du und zum Staub wirst du zurückkehren.

Wenn der Mensch nicht seiner Berufung entsprechend lebt, dann fällt ein Fluch auf die ganze Schöpfung, denn die Berufung des Menschen ist es, die Welt zu Gott zu bringen, indem er Gott zur Welt bringt, durch die Verwirklichung einer Liebe, die das Abbild göttlichen Wesens ist (siehe das Thema „AHaBaH – das Höchste ist lieben“).

Nicht dass der Mensch arbeiten muss, um seinen Lebensunterhalt zu erwerben, ist das Schlimme, der Fluch, sondern die Beschwerlichkeit und Vergeblichkeit seiner Mühen in einer Welt, in der Konkurrenzkampf und Neid, Ungerechtigkeit und Ausbeutung die Arbeitsbedingungen bestimmen.

Nicht dass der Mensch sterben muss und zu Staub wird, ist das Schlimme, sondern dass er leben muss in einer Welt, in der die „Erkenntnis von Gut und Böse“ nicht zu einem Mehr an Gutem (an mitmenschlicher Nähe und Zuwendung und Hilfe) geführt hat, sondern oft zu einem Mehr an Bösem (an Abgrenzung, Entfremdung und Feindschaft).

3,20Und es nannte der Adam den Namen seiner Frau Eva (hebr. Chawwa = Leben) denn sie wurde die Mutter aller Lebenden.

Chawwa/Eva wurde natürlich nicht die Mutter alles Lebens, also etwa auch der Tiere. Man würde eher die Aussage erwarten „… sie wurde die Mutter aller Menschen“, aber das steht eben nicht da. Sie wurde aber die Mutter all der Menschen, in denen von Adam her der besondere Lebenshauch Gottes wirksam war. In diesem Sinne wurde sie die Mutter aller „Lebenden“. Sie wurde die Stammmutter einer langen Generationenfolge von Menschen, in denen der besondere Lebenshauch Gottes, seine Erwählung und Begabung, trotz allen Scheiterns dennoch gegenwärtig und wirksam blieb. Die Nachkommen Adams und Evas blieben, trotz allen Versagens, Träger der Heilsgeschichte Gottes, blieben das „auserwählte Volk“, aus dem schließlich der hervorging, durch den die Heilsgeschichte ihre alles entscheidende Wendung zum Guten nahm: Jesus von Nazareth.

3,21Und es machte JaHWeH, Gott, für Adam und für seine Frau Umhänge aus Fell und bekleidete sie.

Gott selbst machte nun für Adam und seine Frau eine Bekleidung, für die Tiere ihr Leben lassen mussten. Dies zeigt: Die Paradiesesordnung der Unantastbarkeit des „beseelten Lebens“ war zu Ende, und trotzdem ist dieses Handeln Gottes auch ein Zeichen der Fürsorge und der Weiterführung, und nicht der endgültigen Verwerfung.

3,22Und es sprach JaHWeH, Gott: Siehe, der Adam ist geworden wie einer von uns im Erkennen von Gut und Böse. Und nun, dass er nur nicht ausstrecke und nehme auch noch vom Baum des Lebens und esse und lebe für immer. 3,23Und es sandte ihn JaHWeH, Gott, aus dem Garten Eden

Das klingt aber nun wirklich so, als ob Eifersucht und nicht Liebe das Motiv für das Handeln Gottes wäre. Es klingt so, als bangte Gott um seine Vorherrschaft und fürchtete die Konkurrenz des Menschen. War der Mensch wirklich Gott so gefährlich nahe gekommen, dass dieser ihn aus dem Paradies weisen musste, um ihn loszuwerden? Nein, gewiss nicht. Es geht hier um etwas ganz anderes. Gott hatte im Garten Eden einen Lebensraum eröffnet, in dem die Liebe im Menschsein zum Bild, zur anschaubaren Vergegenwärtigung göttlichen Wesens werden sollte.

Nun aber war das Experiment Eden gescheitert. Der „Neue Mensch“ hatte versucht, die Erkenntnis von Gut und Böse für sich und seine egoistischen Bestrebungen zu vereinnahmen. Nun gab es zwar die notwendige Erkenntnis von Gut und Böse, aber es war nicht gelungen, eine neue Ethik des Menschseins zu verwirklichen, die zum Bild der Liebe Gottes werden könnte. So gab (und gibt) es nun keinen Ort auf dieser Erde, wo die Erkenntnis des Bösen sich nicht verselbständigt hätte, und wo das Böse nicht in seiner egoistischen Vereinnahmung gegenwärtig und wirksam wäre. Und es war für Gott schon überdeutlich, wie schnell das Böse auch Adam und seine Nachkommen überwältigen würde.

Die nächsten Sätze in der Bibel schildern das Drama von Kain und Abel. Die Geschichte des von Gott erwählten und besonders begabten Menschengeschlechts begann mit einem Brudermord; und er würde nicht der letzte bleiben. Das Böse als bewusste Abkehr vom Guten, war im Garten Eden angekommen. Und nun weist Gott das Menschenpaar, dem er seine besondere Zuwendung, den Hauch seiner Liebe, anvertraut hatte (1. Mose 2, 7) aus dem Garten und verwehrt ihm den Zugang zum Baum des Lebens, und zwar mit der Begründung, dass Adam und Eva nicht für immer leben sollen: „Und nun, dass er nur nicht ausstrecke und nehme auch noch vom Baum des Lebens und esse und lebe für immer“.

Wie sollen wir das verstehen? Waren denn beide ursprünglich unsterblich im Paradies? Nein, natürlich nicht, ebenso wenig wie alle anderen Lebewesen auch. Sie waren nicht biologisch unsterblich, aber sie waren spirituell unverlierbar im „Herzen“ Gottes „eingeschrieben“. Dadurch hatten sie schon in ihrem irdischen Leben einen offenen Zugang zur himmlischen Welt Gottes. Sie hatten durch den Lebenshauch der Liebe Gottes (die Neschamat 1. Mose 2,7) schon den Atem der Ewigkeit in sich, hatten durch den Geist der Liebe schon die Lebenskraft des Himmels mitten in ihrem irdischen Dasein gegenwärtig. So hätten sie bei ihrem irdischen Sterben leicht und ohne existenziellen Bruch in die himmlische Realität der unverhüllten Gottesgegenwart gehen können. Denn wenn die Liebe zum Lebenselement des Menschseins wird, dann wird unsere irdische Existenz der himmlischen Wirklichkeit Gottes ähnlicher, und dann verliert die Grenze des Todes, die irdisches und himmlisches Leben voneinander trennt, ihre Kälte und Schärfe.

Adam und seine Frau Eva hätten schon mitten im Irdischen ein Leben führen sollen (und können!), das sie mit dem Wesen Gottes und mit der Realität der himmlischen Welt ganz nah in Berührung bringt, so nah, dass sie von einer Realität in die andere hätten wechseln können, wie man ein Kleidungsstück wechselt, oder wie man in einem großen Haus von der Werkstatt in den Festsaal geht. Und das gilt grundsätzlich für jedes Menschenleben seit der Einhauchung des Geistes Gottes in Adam, die er für alle seine Nachkommen empfangen hatte und die er an sie alle weitergeben sollte.

Als dies gescheitert war, wurde für Adam und Chawwa (Eva) der Tod wieder (wie für uns alle) zum Feind und Zerstörer des Lebens, weil das Leben, das sie nun führten (und wir jetzt führen), nicht „kompatibel“ war (und auch bei uns heute nicht ist) mit den Lebensweisen des Himmels. Seitdem bedeutet der Tod Zerbruch des Menschseins, der mit menschlichen Möglichkeiten nicht geheilt werden kann. Was wäre denn, wenn es den Pharmakonzernen gelänge, eine chemische Formel zu entwickeln, die das Leben der Menschen um ein Vielfaches verlängern könnte? Wem würden sie diese „Lebens-Pille“ verkaufen, wem verweigern? Die Reichen und Mächtigen dieser Erde wären Herren über das Leben und könnten vom Baum des Lebens „essen“ so viel sie wollten; und die Verlängerung des Lebens wäre nicht mehr als eine Verlängerung der Bosheit und des Leidens. Nur Gott selbst kann unser Leben so erneuern, dass es im Einklang steht mit der Lebens- und Liebesordnung des Himmels. Gott will nicht, dass wir uns „ausstrecken“ nach dem Baum des Lebens, um unser Leben hier „für immer“ zu verlängern, solange dieses Leben nicht so verändert und erneuert wird, dass es der von Gott gegebenen Berufung des Menschseins entspricht.

Nein, Gott will nicht, dass der Mensch „für immer“ in einer vom Bösen beherrschten und geknechteten Welt leben muss. Der Mensch darf nicht ewig leben, weil er sonst ewig dort leben müsste. Jetzt war für Adam – wie für alle anderen Menschen auch – der Tod (in seiner Funktion als Feind und Zerstörer des Lebens) der einzige Weg, der aus dieser bösen und ihrer verheißenen Vollendung entfremdeten Welt hinausführt in die Ewigkeit der liebenden Nähe Gottes.

Dort aber, wo im Miteinander von Menschen etwas – und sei es noch so gering und fragwürdig – etwas von dem Bild der Liebe Gottes sichtbar, etwas von der Güte seines Wesens erfahrbar, etwas von der verwandelnden Kraft seiner Gegenwart wirksam wird, dort, wo die Liebe unter den Menschen schon hier auf der Erde etwas von der Wirklichkeit des Himmels vor-verwirklicht, dort wird die Grenze des Todes dünner und durchlässiger, dort wird der Schritt von der irdischen zur himmlischen Welt kleiner und leichter, dort kommt die himmlische Zukunft unserer irdischen Gegenwart offener und unmittelbarer entgegen, dort wird das Irdische dem Himmlischen ähnlich, und beide berühren sich in einer Schnittfläche lebenswarmer Vertrautheit.

3,23Und es sandte ihn JaHWeH, Gott, aus dem Garten Eden, zu bedienen die Adama, von der er genommen war.

Das Experiment „Eden“, wo, wie in einem geschützten Biotop, eine neue Menschlichkeit heranwachsen sollte, war gescheitert und nun wies Gott Adam aus dem Garten, um (wörtlich:) „zu bedienen die Adama, von der er genommen“. Gewöhnlich wird das übersetzt mit „um den Erdboden zu bearbeiten, von dem er genommen war “. Es könnte aber auch übersetzt werden mit: „… um der Menschheit zu dienen, von der er genommen war“. Es kann auch sein, dass der Verfasser dieses Textes hier bewusst mit der Doppeldeutigkeit des Wortpaares „Adam-Adama“ spielt, um dem Bild des Bauern, der den Ackerboden bearbeitet, die Aufgabe des Adam (als Repräsentant der ganzen Menschheit) gegenüberzustellen, der nun den Nährboden des Menschseins „beackern“ soll, um in einer langen Menschheitsgeschichte doch noch das zu verwirklichen, was im Schutzraum von Eden in wesentlich kürzerer Zeit hätte geschehen sollen. Bei der Berufung Abrahams (1.Mose 12, 5) wird diese Pro-Existenz der Adamiten wieder aufgenommen und weitergeführt: „... in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechte auf Erden” (siehe das Thema „Abraham” im Bereich „Mitgehen”).

Die Aufgabe Adams und Evas (und ihrer Nachkommenschaft, die sich biblisch im Volk Israel konkretisiert und bis heute mit dieser Berufung lebt) bleibt langfristig die Gleiche: Sie sollen als Gemeinschaft, in ihrem alltäglichen Miteinander, die Menschheitsberufung verwirklichen und zum Bild der Liebe Gottes werden. Nun aber nicht mehr im abgeschlossenen “Schonraum“ des Gartens, sondern mitten im Lebensraum und mitten auf dem Kampfplatz der Menschheit, – in der Welt und doch nicht von der Welt. So wie seit Jesus die Botschaft von der Liebe Gottes nicht mehr im „Schonraum“ des erwählten Gottesvolkes bleiben kann, sondern hinaus muss in die Weite der Menschheitsgesellschaft.

3,24Und er vertrieb den Adam und ließ ihn wohnen östlich des Gartens Eden. Die Cherubim und die Flamme des kreisenden Schwertes waren da zu bewachen den Weg zum Baum des Lebens.

Wir leben alle in dieser Welt, wo Gut und Böse nebeneinander existieren, als die Gescheiterten, deren Herz sich immer wieder dem Bösen zuneigt und die deshalb ihr Lebensziel verfehlen. Und doch wusste Gott einen Weg für jeden einzelnen Menschen und für die ganze Menschheit und Schöpfung, wie er mit ihnen dieses Ziel, trotz allen Scheiterns, doch erreichen wollte. Die Bibel ist, wenn wir sie recht lesen, die Beschreibung dieses Weges.

Auf diesem Weg wird sichtbar werden, dass Gott seine Schöpfung nicht preisgibt, sondern sie Schritt um Schritt ihrer Vollendung entgegenführt. Immer wieder wird er Menschen suchen (und finden!), mit denen er einen Neuanfang des Menschseins in Gang setzen kann: Noah, Abraham, Mose, David, Maria … Auch sie werden scheitern. Aber durch sie und viele Tausende Unbekannter wird der Gottesfunke des Glaubens und der Liebe am Leuchten bleiben, bis der Nährboden (die Adama) des Menschseins soweit bereitet ist, dass aus ihm der Spross herauswachsen kann, durch den die Schöpfungsverheißung und die Menschheitsberufung zur Erfüllung kommen: Jesus von Narzareth, der Messias Israels. Durch ihn wird das verwirklicht, was von Anfang an der Schöpfung als Ziel vorgegeben ist: Sie soll Ort der Vergegenwärtigung des Schöpfers sein und Schauplatz der Darstellung seiner Liebe.

Wer mich sieht, sieht den Vater“ (Jo 14, 9)[1], sagt Jesus. Genauer kann man die Berufung des Menschseins (jeden Menschseins!) nicht beschreiben: Im Anschauen des Menschen in menschlicher Gemeinschaft (also wie die Menschen zusammenleben und miteinander umgehen) soll ein Bild der Liebe Gottes erkennbar werden. In Jesus ist das einzigartig und vollgültig geschehen; in ihm, seinem Leben und Reden, Handeln und Leiden ist Gott selbst gegenwärtig. Wenn wir uns den Lebensweg Jesu anschauen, einen Weg, der gesäumt war von körperlich Geheilten und seelisch Gesundeten, von Menschen, die im Glauben gefestigt, in der Liebe gestärkt, in der Erkenntnis Gottes vertieft, zur Hingabe befähigt und zum Dienst bereit wurden, dann erkennen wir: In ihm war wirklich das Menschsein zur vollen Erfüllung seiner ursprünglichen Berufung als Bild Gottes gekommen. Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung (Kol 1, 15).

Wahres Menschsein kommt nur dort zum Vollzug, wo es (auch in aller menschlichen Unvollkommenheit) Bild der Liebe Gottes wird. In Jesus war diese Menschheitsberufung schon vollkommen und vollgültig verwirklicht. Am Vor-Bild und in der Nach-Folge Jesu soll die Menschheit diese Menschheitsberufung immer neu lernen und verwirklichen: Darstellung des Schöpfers in der geschaffenen Welt durch die Liebe, die das Göttliche im Menschsein widerspiegelt. Ab-Bildung des Ewigen mitten in der Vergänglichkeit der materiellen Welt. Das ist die Vollendung des Menschen und der Schöpfung: Vergegenwärtigung des Schöpfers im Miteinander der Geschöpfe, Himmel auf Erden, Gott bei den Menschen. Ein solcher Schöpfungsglaube muss auch Menschen mit einem modernen, von der aktuellen Wissenschaft geformten Weltbild nicht verschlossen bleiben. Schöpfungsglaube und modernes Weltbild sind nicht Widerspruch sondern Sinn-volle Ergänzung.

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Bodo Fiebig, Scheitern und Neubeginn, Version 2020-4

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