Selten gibt es so viel Einigkeit zwischen Theologie und Naturwissenschaft, wie in diesem Punkt: „Der biblische Schöpfungsbericht ist kein wissenschaftliches Protokoll, sondern Glaubensaussage. Man darf an ihn keine naturwissenschaftlichen Fragen und Ansprüche stellen, weil er nur auf Glaubensfragen antworten kann und will.“ Damit hat die Theologie einen schweren Ballast abgeworfen: Sie muss auf Fragen nach der naturwissenschaftlichen Stimmigkeit ihrer Botschaft nicht mehr antworten. Aber hat sie damit nicht zugleich auch den Anspruch aufgegeben, dass die biblische Botschaft grundsätzlich für die ganz realen Fragen im Alltag der Menschen Antworten hat (zumindest bei den Menschen, die sich für ihr Welt- und Selbstverständnis an naturwissenschaftlich belegten Fakten orientieren)? Hat sich die Theologie in eine spirituelle Nische zurückgezogen (weil die sich angeblich leichter verteidigen lässt) aus der sie aber jetzt nicht mehr herauskommt?
Ob nun die oben genannte Einschätzung des Schöpfungsberichts richtig ist oder nicht, sie verstärkt doch meistens, unterschwellig und unreflektiert, eine Festlegung, deren Stimmigkeit sich erst noch erweisen müsste: Der Glaube, der in den biblischen Texten begründet ist, ist das Eine und Naturwissenschaft ist etwas ganz anderes und beides hat nichts miteinander zu tun. Ja, sie bestärkt zumindest bei manchen die Ansicht, dass biblische Aussagen über die Entstehung des Universums und des Lebens grundsätzlich im Widerspruch stünden zu den naturwissenschaftlich erkennbaren Realitäten unserer Welt. Sie wären deshalb auch irrelevant für das Verständnis dieser realen Welt, in der wir leben. Als Glaubensäußerung längst vergangener Zeiten spiegelten sie nur das Weltbild vorwissenschaftlicher Mythologien wider. Aber stimmt denn das wirklich? Wir werden sehen, wie weit sich eine solche Einstellung im Lichte der biblischen Texte und der wissenschaftlichen Erkenntnisse durchhalten lässt.
Die Bibel führt uns die Erschaffung der Welt als Abfolge in mehreren Schritten vor Augen. Diese einzelnen Abschnitte werden zusätzlich noch in zwei großen Teilen zusammengefasst: Im ersten Teil wird sehr nüchtern und sehr präzise die Entstehung des materiellen Universums und die Entwicklung des Lebens auf der Erde in wenigen markanten Sätzen dargestellt und wir werden sehen, dass die auch im Lichte der modernen Naturwissenschaft überzeugen und kritischen Nachfragen standhalten können. Dieser erste Teil der Schöpfung wird hier im Beitrag 1 „Im Anfang schuf Gott?“ bearbeitet.
Danach beginnt der zweite Teil mit der Zubereitung des Menschen zu einer herausgehobenen „Sonderschöpfung” mit einer besonderen Berufung. Hier geht es nicht mehr um die Erschaffung neuer Schöpfungsbestandteile, sondern um den Beginn einer Geschichte und die Beschreibung eines Weges, durch welche die schon vorhandene materielle und biologische Schöpfung zu ihrem vorbestimmten Ziel geführt werden soll. (Dieser zweite Teil umfasst die Beiträge 2-6.) Man könnte die beiden Teile auch so charakterisieren: Der erste Teil beschreibt die Schöpfungsgeschichte, der zweite den Beginn der Heilsgeschichte.
Im jetzt folgenden ersten Beitrag „Im Anfang schuf Gott?“ zum Thema „Schöpfungsglaube und modernes Weltbild“ geht es zunächst um die Erschaffung der materiellen und biologischen Umwelt. Hier wird sozusagen die „Bühne” bereitet, auf der dann der zweite Teil, das Drama der Heilsgeschichte, stattfinden soll.
Die Darstellung zum Thema „Schöpfungsglaube und modernes Weltbild“ folgt Vers für Vers dem biblischen Text 1. Mose 1,1 bis 3,24 – hier in diesem ersten Beitrag 1. Mose 1,1 bis 1. Mose 1,25. Dieser Text ist hier kursiv-fett gedruckt. Die dünn gedruckten Textteile innerhalb der Bibeltexte sind Hilfen für den deutschen Satzbau, die im Urtext so nicht enthalten sind. Der Bibeltext ist hier in einer eigenen Übersetzung wiedergegeben, der den hebräischen Urtext in einer möglichst wörtlichen und auch an der hebräischen Sprech- und Schreibweise orientierten Fassung darstellt. In zwei Abschnitten:
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1 Erschaffung des Universums und Zubereitung der Erde
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2 Das Wunder des Lebens
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1 Erschaffung des Universums und Zubereitung der Erde
So beginnt die biblische Schöpfungsgeschichte:
1. Mose 1,1 Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde.
Dieser Satz ist die eigentliche Schöpfungsurkunde der Welt. Gott setzt einen Anfang und macht eine zweigestaltige Schöpfung: die Himmel und die Erde. Hier in diesem ersten Satz der Bibel steht „Erde“ (hebr. „erez“) noch für die gesamte materielle Schöpfung, für das ganze Universum. Demgegenüber bezeichnet „Himmel“ (schamajim) die „jenseitige“ Welt Gottes, und das ist nicht eine Art „Parallel-Universum“, weit weg von uns, sondern eine geistliche Realität, die uns mitten im Irdischen existenziell ganz nahe kommen kann.
Der erste Schöpfungsteil „Himmel“ steht hier in der Mehrzahl, die „Erde“ dagegen in der Einzahl. Das heißt: Der „vielfältigen“, für unsere Sinne unfassbaren und für unser Forschen unzugänglichen „Himmels-Schöpfung“ steht eine „einfältige“, das heißt eindeutige, erkennbare, benennbare und wissenschaftlich erforschbare irdisch-materielle „Welt-Schöpfung“ gegenüber (eigentlich stehen sie sich gar nicht „gegenüber“, sondern ergänzen und durchdringenn sich beide gegenseitig als die eine Schöpfung Gottes.
Bis vor gar nicht so langer Zeit galt in der Wissenschaft das Universum als „ewig“ existierend, ohne Anfang und Ende. Dann aber zwangen neuere Forschungsergebnisse zum Umdenken. Man musste, teilweise widerstrebend, akzeptieren, dass das Universum tatsächlich einen Anfang hat (so wie es die Bibel seit Jahrtausenden behauptet: Im Anfang schuf Gott …). Daraus entstand die „Urknall-Theorie“ (wobei die Frage unbeantwortet bleiben musste, was oder wer diese „Initialzündung des Seins“ auslöste). Wir sehen hier ein treffendes Beispiel, wie die Wissenschaft erst nach und nach Wahrheiten entdeckt, die solche Aussagen der Bibel, die lange Zeit als „mythologisch“ abgetan wurden, nachträglich bestätigen.
Das an dieser Stelle verwendete hebräische Wort „bara“ für „schaffen“ kommt in der ganzen Bibel 47 Mal vor und wird immer nur für ein Handeln Gottes verwendet. In der Schöpfungsgeschichte (1. Mose 1-3) kommt es nur drei* Mal vor und bezeichnet jeweils einen neuen Schöpfungsschritt, der entscheidend über das Bisherige hinausgeht:
* in 1. Mose 2,3 und 2,4 kommt zwar das Wort „bara“ auch vor, aber da wird kein Schöpfungshandeln Gottes beschrieben, sondern in der Rückschau auf vorangehendes Handeln Gottes Bezug genommen.
1,1 Im Anfang schuf (bara) Gott die Himmel und die Erde. (Die Erschaffung der „Himmelswelt“ als Ort der unverhüllten Gottesgegenwart und die Erschaffung der materiellen Welt)
1,21 Und es schuf (bara) Gott die großen Meerestiere und alles beseelte Leben, das sich regt, von dem die Wasser wimmeln, jedes seiner Art entsprechend und jedes flatternde Flugtier nach seiner Art. Und es sah Gott, dass es gut war. (Die Erschaffung der Tierwelt als „beseeltes Leben“)
1,27 Und Gott schuf (bara) den Menschen in seinem Bild, im Bilde Gottes schuf er ihn, männlich und weiblich erschuf er sie. (Die Erschaffung des Menschen als Ebenbild Gottes)
Man könnte es auch so sagen: Die Bibel verwendet das Wort bara für „schaffen“ immer dann, wenn sie einen Vorgang beschreibt, bei dem der Schöpfer in seinem Schöpfungs- und Heilsplan „eine neue Stufe zündet“. Der Schöpfungsbericht unterscheidet also in seiner Wortwahl zwischen einem gänzlich neuschaffenden Handeln Gottes und den Vorgängen, wo Gott eine schon vorhandene Entwicklung weiterführt. Dem entsprechend werden auch wir im Folgenden zwischen einem neuschaffenden und einem weiterführenden Handeln Gottes zu unterscheiden haben und das wird uns in einigen Fällen zu überraschenden Ergebnissen führen. Für das weiterführende Handeln verwendet der Schöpfungsbericht das Wort „asah“ („machen“, z.B. 1.Mose 1, 16), das im AT sehr häufig vorkommt und z. B. auch für das Handeln von Menschen verwendet wird: Man nimmt etwas, was schon da ist und macht etwas daraus. Gott hatte „Himmel und Erde“ geschaffen, und nun macht er etwas mit dem Geschaffenen, um es auf ein Ziel hin zu verändern. Dafür schaut er sich zuerst einmal einen winzigen Ausschnitt dieses Geschaffenen an, unsere Erde. Einen kleinen Planeten innerhalb eines der Milliarden Sonnensysteme in einer der Miliarden Galaxien des Weltalls; aufs Ganze gesehen einen völlig bedeutungslosen Materieklumpen im Universum.
1,2a Und die Erde war Chaos und Leere (hebr. tohuwabohu), und Finsternis war auf dem Angesicht (der Oberfläche) der Wasser-Flut.*
* (Im Folgenden nutze ich einige Anregungen aus Karel Claes „R-EVOLUTION IN DER GENESIS“, ohne daraus wörtlich zu zitieren, da der Verfasser dort in einem anderen Sachzusammenhang schreibt.)
Die Schöpfungsgeschichte lässt sich nur angemessen verstehen, wenn man wahrnimmt, dass sich der Standpunkt der Betrachtung mehrmals verändert. War im ersten Satz noch die ganze Schöpfung aus Himmel und Erde im Blickfeld, so verengt sich jetzt die Betrachtung (und damit der Bezugspunkt aller folgenden Aussagen) auf den Schöpfungsteil „Erde“, und hier ganz konkret auf unseren Planeten in unserem Sonnensystem.
Der biblische Schöpfungsbericht beschreibt das Folgende so, als ob es einen „Beobachter“ gegeben hätte, der den Ereignissen zugeschaut hätte. Das konnte selbstverständlich kein Mensch gewesen sein, den gab es ja noch nicht, das Leben war noch nicht entstanden. Wir können uns das eher so vorstellen, dass der Geist Gottes (der gleich im nächsten Satz genannt wird) als so ein „Beobachter“, als Zeuge und Mitwirkender bei der Erschaffung der Erde dabei ist, um das Geschaute später einem Menschen mitzuteilen, damit der das dann mit seinen menschlichen Worten formulieren und aufschreiben könnte.
Und dieser „Beobachter“ sieht sich nun auf die Oberfläche des noch jungen Planeten Erde versetzt, und was er wahrnimmt, ist „Tohuwabohu“. Das kann uns nicht überraschen. Die bei ihrer Entstehung glutheiße Erde war (in einer bestimmten Epoche der Erdgeschichte) noch nicht so weit abgekühlt wie heute. Und das bedeutet, dass ein großer Teil des Wassers, das sich heute in den Weltmeeren befindet, als Wasserdampf die Atmosphäre erfüllte. Wenn wir wahrnehmen, wie heute die Erwärmung der Erdatmosphäre um nur ein Grad bereits weltweit eine deutliche Zunahme von verheerenden Stürmen und Überschwemmungen verursacht, dann können wir uns in etwa vorstellen, welche Auswirkungen es hatte, als die Durchschnittstemperaturen noch wesentlich höher lagen: Ungeheure Wassermassen wurden in Dampfform von der glühend heißen Erdoberfläche in unvorstellbaren Stürmen hochgerissen. In den äußeren Schichten der Uratmosphäre kühlten sie wieder ab, kondensierten zu Wasser und stürzten mit der Gewalt von tausend Niagarafällen auf die Erde zurück, um dort sofort wieder zu verdampfen. Die ganze Atmosphäre der Erde war ein kochend heißes, sturmdurchtobtes Wasser-Chaos. Wahrhaftig ein Tohuwabohu! Und dieses Wasser-Chaos war so dicht, dass auch nicht der geringste Lichtschimmer hindurchschien und die Oberfläche der Erde in völliger Finsternis lag, obwohl es die Sonne, den Mond und die Sterne schon gab; „Himmel und Erde“ waren ja schon geschaffen.
1,2b Und Geisthauch Gottes schwebte über dem Angesicht (= der Oberfläche) des Wassers.
Der schöpferische Geist Gottes war schon am Werk. In aufmerksamer Gegenwart und unwiderstehlichem Gestaltungswillen, das Entstehende zugleich vorantreibend und behütend, schwebte er über dem Wasser-Chaos, um dort schon bis ins kleinste Detail alles vorzubereiten, was zur Entstehung des Lebens auf der Erde nötig war.
1,3 Und es sprach Gott: Es werde Licht! Und es wurde Licht. 1,4 Und es sah Gott das Licht, dass es gut war. Und es schied Gott zwischen dem Licht und zwischen der Finsternis. 1,5Und Gott nannte das Licht „Tag“, und die Finsternis nannte er „Nacht“. Und es wurde Abend und wurde Morgen, Tag eins.
Das Erste, was zum Fortgang der Schöpfung und besonders zur Entstehung und Entwicklung des Lebens auf der Erde nötig war, war das Licht. Dazu musste die Erde sich so weit abkühlen, dass ein Teil des Wassers aus der Atmosphäre auskondensieren und sich dauerhaft auf der Erde niederschlagen konnte. Dadurch wurde der Wassergehalt in der Atmosphäre so weit verdünnt, dass erste Lichtstrahlen der Sonne bis auf die Erdoberfläche durchdringen konnten. Das war noch nicht genug, dass „man“ die einzelnen Himmelskörper hätte erkennen können, aber doch so viel, dass „man” eine hellere und eine dunklere Zeit, Tag und Nacht, hätte unterscheiden können. Der durch die Erddrehung verursachte Hell-Dunkel-Rhythmus war auf der Erdoberfläche angekommen.
Hier, bei der Beschreibung, wie es auf der Erdoberfläche hell wurde, steht nicht das Wort „bara“ für eine Neuerschaffung. Das Universum war ja schon geschaffen, Sonne, Mond und Sterne waren schon da. Nun aber brachte Gott die Entwicklung auf der Erde soweit voran, dass ihr Licht da sichtbar und wirksam werden konnte.
(Anmerkung: Gewiss widerspricht so eine Deutung des biblischen Textes unseren gewohnten Bildern und Verstehensweisen, aber sie widerspricht nicht dem biblischen Text selbst. Wir werden im Folgenden immer wieder auf dieses Phänomen stoßen: Es sind gar nicht die biblischen Texte selbst, die im Widerspruch zu unserem heutigen, an naturwissenschaftlichen Erkenntnissen geschulten Weltverständnis stehen, sondern es sind die seit Jahrhunderten eingeschliffenen Interpretationslinien, die wir immer noch für die einzig richtige Auslegung halten. Dabei müssen wir (wenn wir nach einem unserem heutigen Verstehen angemessenen Verständnis der Bibel suchen) um den Gehalt der Bibel nicht fürchten. Eine „moderne“ Auslegung muss ganz und gar nicht die biblischen Texte als irrelevant auf die Seite schieben, sondern kann aufzeigen, wie nahe sich naturwissenschaftliche und biblische Betrachtungsweise in Wirklichkeit sind. Das wird im Folgenden immer wieder deutlich werden).
Ein besonders heftig umstrittenes Problem ist die Frage nach der Dauer der Schöpfungs-“Tage“. Hat Gott die Welt wirklich in 6 Tagen zu je 24 Stunden geschaffen? Das würde allen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen widersprechen; und es würde auch nicht dem biblischen Wortlaut gerecht. Das hebräische Wort „Jom“ für „Tag“ hat im biblischen Hebräisch mehrere Bedeutungsebenen: Es kann entweder den Zeitraum der Helligkeit gegenüber der Nacht meinen (siehe oben Vers 5), oder einen 24-Stunden-Zeitraum mit Tag und Nacht, oder es kann auch einen Zeitabschnitt von unbestimmter Länge bezeichnen, etwa vergleichbar mit der Ausdrucksweise im Deutschen, wenn wir sagen „Jetzt ist der Tag zum Handeln“ und dabei gar nicht genau festlegen wollen, ob dieses Handeln dann Tage, Wochen oder Monate in Anspruch nehmen wird. „Tag“ meint dann einfach nur „begrenzter Zeitraum“. Die mehrfach wiederkehrende Formel „Und es wurde Abend, und wurde Morgen, ein (zweiter, dritter usw.) Tag“ meint: „Es wurde immer wieder Abend und Morgen, Abend und Morgen, Abend und Morgen … bis der jeweilige „Tag“ im Sinne von „Schöpfungabschnitt“ vollendet war. Viele sonst unlösbare Verständnisprobleme der Schöpfungsgeschichte lösen sich auf, wenn wir hier diese dritte Bedeutung von „Jom“ annehmen.* Die Schöpfungs-“Tage“ können also auch (zwar begrenzte) aber nach unseren menschlichen Zeitbegriffen sehr lange Zeiträume umfassen, die jeweils ein besonderes Schöpfungshandeln Gottes zum Inhalt haben (siehe dazu auch das Thema „Zeit und Ewigkeit“).
* Vgl. 1.Mose 2, 4b, da heißt es (Lutherübersetzung): Es war zu der Zeit, da Gott der Herr Erde und Himmel machte ... Wörtlich steht da aber: Am Tag (Jom) des Machens JHWH Gottes Erde und Himmel … Hier ist mit „Jom“ eindeutig nicht ein Zeitraum von 24 Stunden gemeint, sonst müsste ja die Schöpfung von „Erde und Himmel“ an einem Tag geschehen sein. Nein, „Jom“ meint hier nur „zu der Zeit als…“ (so übersetzt auch Luther) und will über die Zeitdauer des „Schaffens Gottes“ gar nichts aussagen.
1,6 Und es sprach Gott: Es werde eine Luft-Schicht inmitten der Wasser und werde scheidend zwischen Wassern und Wassern! 1,7 Und Gott machte die Schicht und schied zwischen den Wassern, die unterhalb der Schicht waren und zwischen den Wassern, die oberhalb der Schicht waren. Und es wurde so. 1,8 Und Gott nannte die Schicht „Luft-Himmel“. Und es wurde Abend, und wurde Morgen, ein zweiter Tag.
Wir sind immer noch bei der Beschreibung, wie es mit der geschaffenen Erde weiterging. Die Abkühlung der Erdoberfläche schritt voran. Nun hatte sich schon ein beträchtlicher Teil des in der Atmosphäre enthaltenen Wasserdampfes auf der Erde niedergeschlagen. Noch gab es zwar kein trockenes „Festland“, dazu waren die unaufhörlichen Sturzregen überall auf dem Globus noch zu gewaltig, aber es bildete sich nun rund um die Erdkugel eine Luftschicht zwischen dem Wasser auf der Erde und den Wolkenmassen in der Höhe.
Das hebräische Wort „raqia“, das hier mit „Luftschicht“ übersetzt wird (so übersetzt z. B auch die „Konkordante Wiedergabe“), bereitet den Auslegern erhebliche Probleme. Es leitet sich in der Grundbedeutung ab von „stampfen“ (z. B. durch Stampfen eine dünne Lehmschicht auf dem Boden ausbreiten) oder allgemein „als dünne Schicht ausbreiten“ oder auch „dünn hämmern von Metall zu Blech“. Daraus schließen viele, dass hinter diesem Begriff die altorientalische Vorstellung vom Himmel als fester Halbkugel steht, die sich wie eine „Käseglocke“ über der flachen Erdscheibe wölbt, und an der die Sterne festgemacht sind (unser Begriff „Himmelsgewölbe“ verwendet heute noch diese Vorstellung, obwohl wir längst wissen, dass sie falsch ist). Infolge dessen übersetzt man dieses Wort zumeist mit „Feste“ oder „Firmament“. Geht man aber davon aus, dass der Verfasser des Schöpfungsberichts lediglich das, was der Geist Gottes ihm zeigte, in der ihm zur Verfügung stehenden Sprache auszudrücken versuchte, dann merkt man, dass das Käseglocken-Bild eher den Zugang zu einer sachgemäßen Übersetzung verhindert als erleichtert. Befreit man sich von diesem vorgefassten Erklärungs-Muster, wird eine Deutung möglich, die sich auch dem „modernen“ Menschen zwanglos erschließt: Die Erde kühlte langsam ab, das „Wasserchaos“ ließ nach, ein Teil des Wassers in der Atmosphäre konnte sich dauerhaft auf der Erde niederschlagen, ohne sofort wieder zu verdampfen, und es breitete sich rund um den Globus eine dünne Luftschicht zwischen den Wassermassen auf der Erde und den Wolkenmassen in der Höhe aus. Diese Luftschicht wurde später, als die Oberfläche der Erde bei den Landmassen allmählich abtrocknete, zum Lebensraum für die meisten Pflanzen und Tiere – bis heute.
Die Bibel will uns nicht das altorientalische Weltbild von der Erde als Scheibe und dem Himmel als „Käseglocke“ vermitteln, sondern präsentiert uns einen Text, der sich zwanglos mit unserem naturwissenschaftlich begründeten Weltbild in Einklang bringen lässt: Die Erde (erez) wird als kompakte Landmasse gesehen, die zum größten Teil mit den Wassern der Ozeane bedeckt ist, darüber die Luftschicht der (unteren) Atmosphäre als Lebensraum der meisten Tier-und Pflanzenarten und darüber die Wasser-Schicht der Wolken. Dem entspricht ein Kugel-Schichten-Modell, wie es heute für uns selbstverständlich ist, wesentlich besser, als ein Scheiben-Käseglocken-Modell. Wir müssen nur bereit sein, solche Verstehensweisen zuzulassen.
Eine Anmerkung dazu: Die „Stuttgarter Jubiläums-Bibel mit erklärenden Anmerkungen“ (Lutherübersetzung), 1912 herausgegeben von der „Privileg. Württ. Bibelanstalt“ schreibt in ihren Erklärungen zu den Versen 6-8: „Die Feste ist der die Erde rings umgebende Luftkreis, die Wasser über der Feste sind die Wolken, die unter der Feste die Gewässer auf Erden.“ Fast hundert Jahre später, in der „Stuttgarter Erklärungsbibel“, 2005 herausgegeben von der „Deutschen Bibelgesellschaft“ (in der Nachfolge der oben genannten „Bibelanstalt“) heißt es: „In der unmittelbaren Wahrnehmung erscheint der blaue Himmel als eine Art Gewölbe (Feste). Nach dem altorientalischen Weltbild befinden sich darüber die Wasservorräte, von denen die Regenwolken gespeist werden.“ Und die Anmerkungen zu „Feste“ fügen hinzu: „Das hebräische Wort bezeichnet etwas Festgestampftes, durch Hämmern Ausgedehntes, weniger eine dicke Platte als eine dünne Metallschicht. Man dachte sich im Alten Orient den Himmel als eine riesige Kuppel oder Schale. Darüber befand sich nach dieser Anschauung der Himmelsozean, von dessen Wasser der Regen gespeist wird und über diesem die Wohnung Gottes.“ Wir sehen: Zwischen 1912 und 2005 geschah offensichtlich eine Festlegung des „theologisch Erlaubten“ auf Anschauungen, die keinesfalls irgendeine Zusammenschau von Bibeltext und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen mehr zulassen wollte. Jetzt legte man sich fest auf Erkläungsmodelle, durch die der Bibeltext (als eine „altorientalische Anschauung“) einerseits und moderne wissenschaftlich begründete Vorstellungen andererseits sich unvereinbar gegenüberstehen. Die „Entmythologisierung“ biblischer Texte erweist sich hier, bezogen auf den biblischen Schöpfungbericht, als Versuch der „Mythologisierung“ des Bibeltextes mit dem Ziel, ihn als uralte „Mythologie“ darzustellen und abzutun, die für modern denkende Menschen höchstens noch kulturhistorisch interessant sein könnte.
1,9Und es sprach Gott: Es werden gesammelt die Wasser unter dem Himmel an einem Ort und es werde sichtbar das Trockene! Und es wurde so. 1,10Und Gott nannte das Trockene „Erdland“ und die Ansammlung der Wasser nannte er „Meere“. Und Gott sah, dass es gut war.
Nach weiterer Abkühlung der Erdoberfläche konnte sich ein großer Teil des Wassers in den Niederungen als Meere sammeln, sodass nun eine eindeutige Unterscheidung von Land und Meer möglich war. Und das ist ja auch heute noch so: Ein gewisser Anteil des auf der Erde vorhandenen Wassers befindet sich auch heute noch als Wolken und Luftfeuchtigkeit in der Atmosphäre, obwohl das meiste Wasser der Erde in den Niederungen der Ozeane gesammelt ist. Und wir sehen: Unsere heutige meteorologische Grundsituation ist nichts anderes als eine natürliche Fortsetzung der in der biblischen Schöpfungsgeschichte beschriebenen früheren Verhältnisse. So nah sind sich der biblische Schöpfungsbericht und und die moderne Naturwissenschaft! Bedenken wir aber dabei, dass dieser biblische Text mindestens zweieinhalb Jahrtausende alt ist, also aus einer Zeit stammt oder zum Teil noch älter ist als die Mythologien mancher Völker, wo z. B. im Weltbild der alten Germanen die Welt aus dem Leib des Ur-Riesen Ymir bestand. Da heißt es in einem der Schöpfungsmythen: „Aus Ymirs Fleisch wurde die Erde geschaffen, und aus den Knochen die Berge, der Himmel aus dem Schädel, und aus dem Blut das Meer“. In der ägyptischen Mythologie aus dem Land der großartigen Pyramiden sah man die Welt als Scheibe mit dem Himmelsgewölbe darüber, das aus dem Leib der Göttin Nut gebildet war. Tag und Nacht entstanden dadurch, dass Nut jeden Abend die Sonne fraß und verschluckte und sie jeden Morgen die Sonne neu gebar.
Hier in der Bibel klingt das alles viel nüchterner und auch für modernes Denken und Verstehen fassbar: Das Wasser sammelte sich in der Tiefen der Meere. Die Landmassen trockneten zumindest in manchen Gegenden allmählich ab, so dass sie schließlich von Landpflanzen besiedelt werden konnten*. Und damit beginnt der zweite Abschnitt der Schöpfungsgeschichte: Das Wunder des Lebens.
* (Und nun möge mir jemand erklären, wie die Verfasser der biblischen Texte vor Jahrtausenden so präzise Aussagen über die tatsächlichen erdgeschichtlichen Vorgänge machen konnten.)
2 Das Wunder des Lebens
1,11 Und es sprach Gott: Es lasse grünen das Erdland lebendiges Grün, Pflanzenwuchs, aussamend seinen Samen, und Fruchtbäume, Frucht hervorbringend je nach seiner Art, entsprechend seinem Samen, auf dem Erdland. Und es wurde so. 1,12 Und das Erdland brachte hervor Pflanzenwuchs, Kraut, aussamend seinen Samen je nach seiner Art, und Bäume, Frucht hervorbringend entsprechend seinem Samen, je nach seiner Art. Und es sah Gott, dass es gut war. 1,13 Und es wurde Abend, und wurde Morgen, ein dritter Tag.
Hier ist zum ersten Mal von (pflanzlichem) Leben die Rede, von Frucht und Samen, Vermehrung und Vererbung. Das Grün der Pflanzen wird dabei besonders erwähnt. Die Photosynthese mit Hilfe des Blattgrüns der Pflanzen war eine entscheidende Neuerung in der Entwicklung des Lebens. Durch sie konnten anorganische Stoffe in organische Verbindungen umgewandelt werden, eine Voraussetzung für das spätere Entstehen tierischen Lebens und für die dazu notwendige Anreicherung der Atmosphäre mit Sauerstoff. Die Besiedlung des Festlandes mit Landpflanzen wird hier extra genannt, obwohl es in den Meeren schon vorher pflanzliches Leben (z.B. Algen) gab. Wir sehen: Der biblische Schöpfungsbericht ist nicht darauf ausgerichtet, eine lückenlose Darstellung aller Schöpfungsvorgänge zu liefern, sondern er will die für die Vorbereitung und den Fortgang der Heilsgeschichte Gottes entscheidenden Weichenstellungen der Entwicklung aufzeigen.
Der Schöpfungsbericht betont hier am Beispiel der Pflanzen, dass jede Lebensform (jede biologische Art) ihren eigenen Samen „nach ihrer Art“ hat, also Keimzellen, durch die der genetische Code der Art vererbt und verbreitet wird – eine überraschend „moderne“ Sichtweise, die in diesem Jahrtausende alten Text zum Ausdruck kommt.
1,14 Und es sprach Gott: Es seien Leuchten sichtbar in der Luftschicht der Himmel, um zu scheiden zwischen dem Tag und zwischen der Nacht. Und sie sollen werden zu Zeichen für die Zeiten und für die Tage und Jahre. 1,15 Und sie sollen werden zu Leuchten, sichtbar in der Luft-schicht der Himmel, um es hell zu machen auf der Erde. Und es wurde so. 1,16 Und Gott machte die beiden großen Leuchten, die größere Leuchte zu beherrschen den Tag, die kleinere Leuchte zu beherrschen die Nacht, und dazu die Sterne. 1,17 Und es gab sie Gott sichtbar in der Luft-schicht der Himmel, um es hell zu machen auf der Erde 1,18 und zu beherrschen den Tag und die Nacht und zu scheiden zwischen dem Licht und zwischen der Finsternis. Und es sah Gott, dass es gut war. 1,19 Und es wurde Abend, und wurde Morgen, ein vierter Tag.
Ein ungeheurer Affront gegen die umliegenden Kulturen, wo die Himmelskörper als höchste Gottheiten verehrt wurden: Sonne, Mond und Sterne nichts als bloße Leuchten! Die wurden nicht hier in diesem vierten Schöpfungsabschnitt geschaffen. (Woher wäre sonst schon vorher das Licht auf der Erde gekommen? Außerdem fehlt hier das hebr. Wort „bara“, das sonst bei einer Neuschöpfung verwendet wird.) Vielmehr waren alle diese Himmelskörper schon da; ihre Erschaffung wurde im ersten Satz des Schöpfungsberichts mit genannt. Jetzt aber, nachdem sich die Atmosphäre der Erde so weit abgekühlt hatte und die Wolkenschichten dünner geworden und zeitweise schon ganz aufgerissen waren, wurden sie als einzelne Lichtkörper von der Erde aus „in der Luftschicht des Himmels“ sichtbar, in der angegebenen Reihenfolge: Zuerst die Sonne, dann der Mond und zuletzt, in klaren Nächten, die Sterne.
Die Tatsache, dass die Erscheinung des Lichts auf der Erde hier in den Zusammenhang mit der Erschaffung des Lebens gestellt wird, weist darauf hin, dass das Licht für die Weiterentwicklung des Lebens von entscheidender Bedeutung war; so sieht es auch die moderne Biologie.
1,20 Und es sprach Gott: Es sollen wimmeln die Wasser vom Gewimmel beseelten Lebens und Flatterndes fliege über der Erde, über der Oberfläche, in der Luftschicht. 1,21 Und es schuf (hebr. bara) Gott die großen Meerestiere und alles beseelte Leben, das sich regt, von dem die Wasser wimmeln, jedes seiner Art entsprechend und jedes flatternde Flugtier nach seiner Art. Und es sah Gott, dass es gut war. 1,22 Und es segnete sie Gott sprechend: Seid fruchtbar und vermehrt euch und füllt die Wasser in den Meeren und das Flatternde vermehre sich auf der Erde. 1,23 Und es wurde Abend und wurde Morgen, ein fünfter Tag.
Nun war die Umwelt bereitet, in der sich tierisches Leben ausbreiten konnte. Zuerst im Wasser der Meere, dann auch auf dem Land. Hier wird nicht die ganze Bandbreite des entstehenden tierischen Lebens beschrieben. Genannt werden nur die „großen Meerestiere“ und „flatternde Flugtiere“. Diese Tiere werden als erste in der Schöpfungsgeschichte „beseeltes Leben“ genannt, im Gegensatz zu Pflanzen (und wohl auch zu Einzellern, geringentwickelten Weichtieren usw.), die als unbeseelt gelten.
Der Bericht erwähnt hier diese „beseelten“ Tiere besonders und als „Neuschöpfung“, weil sie ein wesentlicher und das Bisherige weit übersteigender Entwicklungsschritt auf dem Wege zur Herausbildung des Menschen waren und damit auf das Ziel der Schöpfung hin (wir werden allerdings später noch sehen, dass nicht das „Lebewesen Mensch“ (Homo Sapiens) selbst dieses Ziel markiert, sondern eine bestimmte Gemeinschaftsform des Menschseins, die ihren „Wesen“ nach dem Schöpfer des Lebens entspricht). Das, was hier mit „beseeltes Leben“ bezeichnet wird, könnte man mit heutigen Begriffen etwa umschreiben als „atmendes Leben mit hochentwickeltem Zentralnervensystem, das differenzierte Wahrnehmungen und Reaktionen ermöglicht“.
1,24 Und es sprach Gott: Es lasse hervorkommen das Erdland beseeltes Leben, je nach seiner Art, Vieh und Kriechendes und Wildgetier der Erde, je nach seiner Art! Und es wurde so. 1,25 Und es machte Gott das Wildgetier der Erde, je nach seiner Art, und das Vieh, je nach seiner Art und jedes Kriechende auf dem Erdboden (hebr. adama), je nach seiner Art. Und es sah Gott, dass es gut war.
Nun bereitete Gott noch besonders die Umwelt, in der der Mensch leben sollte. Verschiedene Arten von Landtieren entstanden. Darunter einige, die hier im Gegensatz zu dem „Wildgetier“ als „Vieh“ bezeichnet werden und die potentiell zur Domestizierung durch den Menschen geeignet waren. Hier wird immer wieder betont, dass jedes Tier „nach seiner Art” geschaffen wurde. Die biologische Wissenschaft bestätigt, dass tatsächlich jede Tierart (wenn der Mensch nicht unnatürlich eingreift) nur mit ihresgleichen Nachkommen zeugen und sich vermehren kann. Die Bibel beschreibt die Entstehung und Entwicklung des Lebens als eine von Gott in Gang gesetzte, von ihm gestaltete, begleitete und auf ein Ziel hin ausgerichtete „teleologische (zielgerichtete) Evolution“.
Damit war der Boden bereitet, die „Bühne“ errichtet, auf der „Das Drama des Menschseins“ beginnen sollte: Das Menschsein als besonders berufene und begabte „Sonderschöpfung“, mitten in der geschaffenen materiellen und biologischen Welt.
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Bodo Fiebig, Im Anfang schuf Gott?, Version 2022 – 7
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