1 Die Erschaffung des Menschen
1,26 Und es sprach Gott: Machen wollen wir den Menschen (hebr. adam) in unserem Bild, gemäß unserer Gleichheit. Und sie sollen herrschen bei den Fischen des Meeres und bei den Flatternden des Himmels und bei dem Vieh und bei dem Wildgetier der Erde und bei allem Kriechenden, das auf dem Erdland kriecht.
Als die Umwelt entsprechend bereitet war, schuf Gott zuletzt den Menschen (zuletzt in der Variante des Homo Sapiens, der als einziger Hominide bis jetzt überlebt hat). Auch diese Aussage der Bibel stimmt mit unseren entwicklungsgeschichtlichen Erkenntnissen überein.
Hier heißt es nun zum ersten Mal, dass Gott etwas machen „will“. Bisher hieß es immer: Gott sprach und es wurde so. Mit der Erschaffung des Menschen war das Schaffen Gottes bei dem Ziel angekommen, das er erreichen wollte. Alles andere waren notwendige Vorstufen dazu. Die ganze Entwicklung des Lebens war so angelegt, dass dieses von Gott gewollte Geschöpf „Mensch“ entstehen konnte. Ja, man kann vermuten, dass die „Notwendigkeit“ der Entwicklungsgeschichte bis hin zum Menschen sogar jene Vielfalt an Formen mit einschließt, die schon lange vor der Entstehung des Menschen wieder ausgestorben waren (z. B.die Saurier), die aber doch zur Zubereitung des erforderlichen genetischen Variantenreichtums und Komplexitätsgrades gebraucht wurden.
Gott wollte nun ein Geschöpf bilden, das inmitten der materiellen Schöpfung ein Bild des Schöpfers darstellen soll. Dieses „Bild Gottes“ wird hier zuerst durch die Verantwortung des Menschen gegenüber der Tierwelt bezeichnet, für die er in die Rolle und Aufgabe einer Stellvertretung für Gott berufen wird. Dabei heißt es allerdings nicht, wie meist übersetzt wird, „herrschen über die Tiere“, sondern wörtlich „herrschen in“ im Sinne von „inmitten der Vielzahl der Tierarten“, also eine Herrschaft in der „Solidarität des Lebens“.
Trotz der Sonderstellung des Menschen gegenüber der Tierwelt betont der Name des Menschen (adam), dass er wie alle Lebewesen, materiell gesehen vom Erdboden (adama) abstammt.
1,27 Und Gott schuf (hebr. bara) den Menschen in seinem Bild, im Bilde Gottes schuf er ihn, männlich und weiblich erschuf er sie. 1,28 Und es segnete Gott sie, und es sprach zu ihnen Gott: Seid fruchtbar und vermehrt euch und füllt das Erdland und unterwerft es. Und herrscht bei den Fischen des Meeres, bei den Flatternden der Himmel, und bei allem Getier, das auf dem Erdland kriecht.
Der Mensch ist gegenüber allem Vorangegangenen eine Neuschöpfung Gottes, trotz seiner biologischen Nähe z. B. zu den Säugetieren, das kommt wieder in dem Wort „bara“ zum Ausdruck. Und dieses „ganz Neue“ ist nicht biologischer Art, sondern besteht in einer besonderen, nur die Menschen betreffenden Berufung. Die Schöpfung „Mensch“ soll „Bild“, das heißt anschaubare Vergegenwärtigung Gottes sein.
Durch das Menschsein soll das Wesen Gottes in der Schöpfung anwesend und erfahrbar werden. Der Mensch ist also keine optische Abbildung Gottes, als wäre Gott ein Wesen mit menschenähnlicher Gestalt, mit Armen und Beinen, mit Augen, Mund und Nase …, sondern eine wesentliche. Gott hat keine Leiblichkeit, kein „Aussehen“ nach menschlichen Vorstellungen (dann wäre ja Gott ein Abbild des Menschen, und genau so haben sich Menschen zu aller Zeit ihre Götter vorzustellen versucht). In der ganzen Bibel steht nichts darüber, wie Gott aussieht. Gott ist Liebe (1.Joh 4,16). Damit ist alles Wesentliche über Gott ausgesagt. Und davon ist die Bibel voll von der ersten bis zur letzten Seite: davon, was Gott aus Liebe tut. Und darin, im Tun der Liebe, soll der Mensch ein Abbild Gottes sein (oder werden).
Hier wird nun auch ein entscheidendes Merkmal dieser Gottes-Ebenbildlichkeit genannt: Das Bild Gottes in der Schöpfung ist „männlich-und-weiblich“. Das ist auf den ersten Blick irritierend: Würde das nicht auf fast alle Lebewesen zutreffen (bis auf geschlechtslose Einzeller und Ähnliches)? Nein, denn nicht jede Zweigeschlechtlichkeit ist Abbild Gottes. Das Gleichnis, durch das im Menschsein Gott selbst abgebildet werden soll, ist „liebende Beziehung“ zwischen denen, die zwar verschieden, aber doch ganz aufeinander bezogen und füreinander da sind. Wir werden später noch deutlicher sehen, dass gültiges Menschsein, das seiner Schöpfungsberufung entspricht, grundsätzlich nur in der Beziehung zwischen Menschen (und in der Beziehung zu Gott) zum Ausdruck kommen kann, und die Beziehung zwischen Mann und Frau soll das „Urmuster“ dafür sein. Nicht ein einzelner Mensch soll und kann also „Bild Gottes“ sein. Gott ist Liebe, und das Bild Gottes im Menschsein soll die Liebe Gottes anschaubar machen. Ein einzelner Mensch kann für sich allein nicht „Liebe“ darstellen. Das geht nur in der Beziehung zum Du. Aber nicht nur die Beziehung zwischen Mann und Frau, sondern jede Beziehung zwischen Menschen soll nach dem Willen Gottes eine Liebesbeziehung sein und jede menschliche Gemeinschaft, ja die Menschheit als Ganzes, soll (als Zielvorstellung) ein Bild, ein Anschauungsobjekt für das Wesen (das heißt für die Liebe) Gottes werden. Und wir erkennen mit Erschütterung, wie weit wir auch nach 2000 Jahren Christentum noch von dieser „Urberufung des Menschseins“ entfernt sind.
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2 Fertigstellung der (materiellen und biologischen) Schöpfung
1,29 Und es sprach Gott: Siehe, ich gebe euch allen Pflanzenwuchs, welcher aussamt seinen Samen, der auf der Oberfläche des ganzen Erdlandes wächst, und jeden Baum, an dem Baumfrucht ist, welche aussamt ihren Samen. Euch werde es zur Nahrung. 1,30 Und allem Wildgetier der Erde und allem Flatternden der Himmel und allem Kriechenden auf dem Erdland, das in sich beseeltes Leben hat, ist jeglicher grüne Pflanzenwuchs zur Nahrung. Und es wurde so.
Gott wollte offensichtlich eine Schöpfungsordnung, in der alles „beseelte Leben“, und das schließt alle höheren Tiere mit ein, unantastbar ist. Nur die „unbeseelte“ Pflanzenwelt, die keinen Schmerz, keine Angst und kein qualvolles Sterben kennt, sollte als Nahrung zur Verfügung stehen. Zum ersten Male wird hier der Spannungszustand zwischen Schöpfungs-Verheißung und Schöpfungs-Realität sichtbar, der sich durch die ganze Bibel hindurchzieht. Lebt denn nicht die ganze Natur vom „Fressen-und-Gefressenwerden“? Ist denn nicht alles Leben eingespannt in den unerbittlichen „Kampf ums Dasein“ und in ein unaufhörliches „Werden und Vergehen“? Dieser Spannungszustand zwischen Verheißung und Realität wird im folgenden Satz noch deutlicher: Gott schaut die Schöpfung an, die er gemacht hat, und nennt sie „sehr gut“.
1,31 Und Gott besah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es wird sehr gut. Und es wurde Abend, und wurde Morgen, der sechste Tag.
Hier haben naturwissenschaftlich denkende Menschen zum ersten Mal Grund zum Protestieren. Während bis zu dieser Stelle dieser jahrtausendealte Bericht mit geradezu atemberaubender Präzision den nach dem heutigen Stand der Wissenschaft erkennbaren Verlauf der Entwicklung der Erdgeschichte und des Lebens wiedergibt (man vergleiche doch einmal den biblischen Schöpfungsbericht mit den Schöpfungsmythen der Völker!), wird hier als Ergebnis des Schöpfungshandelns Gottes ein Zustand geschildert, der unserer Erfahrung elementar widerspricht. Die Welt, in der wir leben, ist nicht „sehr gut“. In der Tierwelt herrscht der „Kampf ums Dasein“ und die Menschheitsgeschichte ist erfüllt von Kampf und Krieg. Wir nehmen eine schmerzhafte Dissonanz wahr zwischen dem „sehr gut“ des sechsten Schöpfungstages und der Realität unserer Welt, und es drängt sich die Frage auf, wie diese Dissonanz einzuordnen und zu erklären ist. Ist die Schöpfung unter den Händen Gottes missraten? Hatte Gott sich zu viel vorgenommen und dann feststellen müssen, dass er zwar eine funktionierende, aber keine „sehr gute“ Schöpfung zusammengebracht hat? Unterliegt er einer Selbsttäuschung, als er seine Schöpfung „sehr gut“ nennt, wie ein Hobby-Bastler, der selbst krasse Fehler in seinem Werk nicht wahrhaben will?
Hier kann dieser Frage nicht weiter nachgegangen werden. Im Thema „Dein Reich komme”, Beitrag 5 „Auf dem Weg zur Vollendung der Schöpfung” und Abschnitt 6 „Der zweite Teil der Schöpfung” wird darauf näher eingegangen.
2,1 So wurden fertiggestellt die Himmel und das Erdland und all ihr Heer. 2,2Und es beendete Gott am siebenten Tag sein Werk, das er gemacht hatte. Und er feierte am siebenten Tag, ruhend von all seinem Werk, das er gemacht hatte. 2,3Und es segnete Gott den siebenten Tag und heiligte ihn, denn an ihm feierte er, ruhend von all seinem Werk, welches erschuf Gott durch Tun.
Die materielle Schöpfung und in ihr die Entwicklung des Lebens war fertiggestellt und bis zu ihrer entscheidenden Phase weiterentwickelt. Die „Zutaten“ für die Entfaltung und Vollendung der Schöpfung waren bereitgestellt. Der „Rohbau“ der Schöpfung war fertig, nun ging es darum, das Leben in ihr zu gestalten. Und diese Ausgestaltung des Lebens sollte auf einen Vorgang hinzielen, der hier mit Feier, Ruhe und Segen beschrieben wird. Im Neuen Testament wird dafür oft das Bild von der Hochzeit verwendet. Die Schöpfung war fertiggestellt, aber noch nicht vollendet. Als Handlungsrahmen soll sie ein Ort der Liebe werden und als Lebensraum ein Ort der Feier. Der siebte Tag der Woche ist schwacher Abglanz, ein vorläufiges Angeld für den großen Welten-Schabbat, den Gott sich und seiner ganzen Schöpfung bereiten will.
2,4Dies sind die Entstehungsabfolgen der Himmel und der Erde, nach denen sie erschaffen wurden am Tage (jom), als JaHWeH Gott, die Erde und die Himmel machte.
Dies ist der Schlusssatz des Schöpfungsberichtes. So, in dieser Entstehungsabfolge, hat Gott die Schöpfung gemacht, und eine unvoreingenommene Betrachtung findet: Ja, so wie es hier in der biblischen Schöpfungsgeschichte dargestellt ist, entspricht es auch Punkt für Punkt, Schritt für Schritt dem mit den Mitteln der heutigen Wissenschaft erkennbaren Ablauf.
Allerdings zeigt sich hier in dem oben wiedergegebenen Satz aus dem Schöpfungsbericht noch ein sprachliches Problem: Das biblische Hebräisch kennt keine Satzzeichen. Das bedeutet, dass es manchmal nicht eindeutig festzulegen ist, wo ein Satz endet und der nächste beginnt. Die meisten Übersetzungen beenden den Schöpfungsbericht mit (1. Mose 2, 4a, Lutherübersetzung): … So sind Himmel und Erde geworden, als sie geschaffen wurden. Und beginnen dann mit 2, 4b einen ganz neuen Abschnitt: Es war zu der Zeit, da Gott der HERR Erde und Himmel machte … Mit der zweiten Hälfte des 4. Verses lassen sie einen „zweiten Schöpfungsbericht“ anfangen, der noch einmal mit anderen Worten (und durch einen anderen Verfasser) die Erschaffung der Erde, des Lebens und des Menschen erzählt.
Wir werden aber sehen, dass es gute Gründe dafür gibt, den Vers 4 ganz zu lassen und in den folgenden Texten nicht eine Wiederholung, sondern eine Fortsetzung des Berichts zu sehen. Der ganze Vers 4 ist der Schlusssatz des Schöpfungsberichtes. Es ist ein zusammenfassender Nachsatz zu dem Vorangegangenen und nicht eine Überschrift über das Folgende.
Hier wird übrigens auch noch einmal deutlich, dass der hebräische Begriff „Tag“ (jom) manchmal nicht eine 24-Stunden-Zeiteinheit meint (denn dann müsste ja die ganze Schöpfung an nur einem Tag entstanden sein: … am Tage (jom), als JaHWeH Gott, die Erde und die Himmel machte.), sondern hier einfach „zu der Zeit, als …“ bedeutet, und die Länge dieses Zeitabschnitts gar nicht in Betracht gezogen wird.
Mit den nun folgenden Versen des biblischen Textes beginnt der zweite Teil des Schöpfungsberichts, der weit über das hinausgeht, was bis dahin entstanden war (siehe das Thema „Dein Reich komme”, Beitrag 6 „Der zweite Teil der Schöpfung”). Thema ist die Neuschöpfung des Menschseins als Träger einer einzigartigen Berufung. Wir werden sehen, dass es dabei nicht um eine Vervollständigung des biblischen „Schöpfungs-Zoos“ durch um eine neue Variante des Lebens geht, sondern um einen völlig neuen Schöpfungsvorgang. An ihm wird zum ersten Mal deutlich, dass der Schöpfer des Universums viel mehr vorhat, als einen Planeten in den Unendlichkeiten des Kosmos als wohnliche Heimstatt des Lebens einzurichten. Es geht jetzt, wo die Erde als Entfaltungsraum des Lebens gestaltet und eingerichtet ist, um die Verwirklichung der eigentlichen und innersten Schöpfungsabsicht Gottes. Und der Mensch ist das Lebewesen, das er dazu ausersehen hat, dass er mit ihm die entscheidenden Schritte zu Vollendung der Schöpfung gehen kann, welche das sind, werden wir noch sehen.
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3 Adam, der neue Mensch
2,5 Und ehe alles Gesträuch des Feldes wurde in jenem Lande und ehe alles Kraut des Feldes sprosste, weil es nicht hatte regnen lassen JaHWeH, Gott, in jenem Lande, und ein Mensch (adam) nicht da war, um den Erdboden (adama) zu bearbeiten, 2,6da stieg Feuchtigkeit auf aus dem Land und tränkte die Oberfläche des Erdbodens.
In diesem Text ist nun von einem „Land“ (hebr. „erez“) die Rede, auf das es Gott noch nicht hatte regnen lassen. Hier kann nicht die Erde als Ganzes gemeint sein, und diese Aussage kann sich nicht auf die ganze Entstehungsgeschichte der Erde beziehen. Es gab ja eine Periode der Erdgeschichte, wo die ganze Erde ein „Wasserchaos“ war (vgl. die Anmerkungen zu 1. Mose 1,2).
Hier vollzieht sich nun, wie schon anfangs angedeutet, eine zweite Verschiebung des Standorts der Betrachtung. Ab jetzt ist nicht mehr der ganze Planet Erde im Blickfeld, sondern jetzt bezeichnet „erez“ ein begrenztes Stück „Erdland“ in einem geografisch benennbaren Gebiet und dieses Gebiet war damals trocken und menschenleer.
Die Bibel fokussiert nun den weiteren Bericht auf die Ereignisse in einem Land namens „Eden“, und zwar deshalb, weil dort die entscheidende Weiterentwicklung geschieht. Die Ereignisse, die jetzt beginnen, finden in einem grundsätzlich historisch benennbaren Zeitrahmen statt, auch wenn wir diese Zeit mit archäologischen Mitteln noch nicht genau bestimmen können. (Die jüdische Tradition zählt die biblischen Angaben über das Alter der Menschen und Generation rückwärts bis zu Adam und begeht dementsprechend gegenwärtig (20017) das Jahr 5777/78. Demnach hätten die nun folgenden Ereignisse vor knapp 6000 Jahren stattgefunden).
Wir müssen jedenfalls zwischen dem Geschehen des sechsten „Schöpfungstages“ und dem nun folgenden Bericht über die Ereignisse in dem Lande „Eden“ einen sehr langen Zeitraum annehmen, in dem sich die Menschen (nun in ihrer letzten Entwicklungsstufe als „Homo sapiens“), wahrscheinlich ausgehend von Afrika, über weite Teile der bewohnbaren Erde ausbreiteten.
2,7 Und JaHWeH, Gott, bildete den Adam – Staub vom Erdboden war er – und hauchte in seine Nase Odem des Lebens. So wurde Adam beseeltes Leben.
Hier betont der Bericht noch einmal, dass Adam, der „Erdling“, aus der gleichen Materie besteht wie der Erdboden (Staub vom Ackerboden war er). Ja, man kann sagen, dass er durch die Pflanzen, von denen er sich ernährt, und die von den Mineralstoffen des Bodens mit Hilfe von Wasser, Luft und Sonnenlicht gewachsen sind, tatsächlich direkt aus „Erdmaterie“ gebildet ist.
Wichtig ist, dass hier nicht der Begriff steht, den der Schöpfungsbericht sonst verwendet, wenn etwas ganz neu geschaffen wird (bara), wie z. B. 1. Mose 1, 27 bei der Erschaffung des Menschen. Der Text verwendet hier für „bilden“ zwar ein Wort, dessen Bedeutung vom Bild des Töpfers, der aus Ton einen Gegenstand formt, herkommt, das Wort „jazar“ wird aber sehr häufig im übertragenen Sinne verwendet. So wird etwa von Gott gesagt (Jer 10,16) dass er das All „gebildet“ hat, oder (Jes 45,7) dass er das Licht „gebildet“ (also wörtlich: „getöpfert“) hat. Dabei wird niemand davon ausgehen, dass Gott das Licht aus Lehm geformt hat. Dieselbe bildhafte Redeweise gilt auch für den Satz aus 1. Mose 2, 7: Und JaHWeH, Gott, bildete den Adam. Gott macht hier nicht den Adam aus Erde (das hebräische Äquivalent für „aus“ steht im Urtext nicht da), sondern er handelt an dem „Erdling“ Adam. Die Vorstellung, dass Gott einen Lehmkloß durch Anhauchen zum Leben erweckte, ist hier völlig unpassend, auch wenn wir uns noch so sehr daran gewöhnt haben, dem biblischen Bericht diese sehr seltsame Sichtweise zu unterstellen, um sie dann um so verächtlicher als „mythologisch“ abtun zu können. Hier wird nicht die Erschaffung des Menschen als Lebewesen, nicht die Entstehung der biologischen Art „Homo sapiens“ beschrieben, das war ja schon lange vorher am sechsten Schöpfungs-„Tag“ geschehen (1.Mose 1, 26-27). Hier geht es nicht um die Erschaffung des Menschen, sondern um seine entscheidende Umgestaltung in eine von Gott besonders begabte und erwählte „Sonderschöpfung“. Diese Umgestaltung geschieht durch eine besondere Zuwendung und Gabe Gottes, die nur diesem Einen zuteil wird. Er, nur er und kein anderes Geschöpf, bekommt von Gott selbst einen besonderen Lebensodem (Neschamat) eingehaucht. Bis dahin war der Mensch Lebewesen (genauer: ein intelligentes Säugetier) unter vielen anderen. Jetzt aber wird er ein von Gott gerufenes und berufenes Geschöpf, von dem Antwort und Verantwortung erwartet wird.
Nein, Gott macht nicht den Adam als ersten Menschen, indem er einer Lehmfigur Leben einhaucht. Nie in der ganzen biblischen Geschichte handelt Gott so. Aber er handelt in der ganzen biblischen Geschichte so, dass er aus den vorhandenen Menschen einen auswählt, mit dem er einen ganz neuen Schritt auf dem Weg seiner Heilsgeschichte beginnt. So macht er es später mit Noah, Abraham, Mose, David … Adam ist (biologisch gesehen) nicht der erste Mensch, aber er ist (spirituell gesehen) der erste Mensch mit dem Gott so handelt, wie später immer wieder: Einzelne erwählend und berufend als Erstlinge und Stellvertreter für viele, ja für alle Menschen.
Das Entscheidende ist: Adam bleibt „Erdling“ und wird doch eine „neue Kreatur“. Mit ihm beginnt Gott eine Jahrtausende währende Heilsgeschichte, an deren Erde das „sehr gut“ des sechsten Schöpfungstages vollendet sein wird (siehe die Themen „Adam, wer bist du?” und „Dein Reich komme”, Beitrag 6 „Der zweite Teil der Schöpfung”).
Wurde im vorausgehenden Abschnitt das Geschehen räumlich und zeitlich neu fokussiert, so geschieht jetzt zum ersten Mal die Zuspitzung des Berichts auf bestimmte beteiligte Personen. War bisher „Adam“ die Bezeichnung für alle Menschen, für die ganze Gattung „Homo Sapiens“, so bezeichnet dieser Name hier und im Folgenden einen ganz bestimmten Menschen, an dem Gott in ganz besonderer Weise handelt, und mit dem er etwas ganz Besonderes vorhat. Was dies ist, werden wir noch genauer sehen.
Wie schon oben erwähnt, gehen viele Theologen davon aus, dass mit 1. Mose 2, 4b ein „zweiter Schöpfungsbericht“ beginnt. Es mag durchaus so sein, dass Gen 1,1- 2,4a von einem anderen Verfasser aufgeschrieben wurde als die folgenden Teile ab 2,4b. Die Berichte des Alten Testaments waren ja zuerst mündliche Erzählungen, die erst später schriftlich fixiert wurden. Trotzdem gehe ich davon aus, dass Gott selbst die Überlieferungsgeschichte der biblischen Texte (die mündliche Überlieferung, die schriftliche Fixierung und die Zusammenstellung der Texte) genau so direkt und aktiv gestaltet und begleitet hat wie die Entstehung der Schöpfung selbst, so dass wir als Ergebnis davon die Heilige Schrift wirklich als „Wort Gottes“ (wenn auch in menschlicher Verstehens- und Ausdrucksweise) vor uns haben.
Die Annahme von zwei „Schöpfungsberichten“ ist meiner Ansicht nach nur insofern richtig, als hier von der „Neuschöpfung“ des Menschseins, von einer „zweiten Menschwerdung Adams“, jetzt nicht im biologischen, sondern im spirituellen Sinne berichtet wird. Jesus betont im Gespräch mit Nikodemus (Johannes 3,3), dass an jedem Menschen so eine „Neuschöpfung“ geschehen muss, an Adam geschah dies zum ersten Mal. Adam war also (biologisch gesehen) nicht der erste Mensch, der geschaffen wurde, sondern ein Auserwählter (wie später z.B. Abraham), mit dem Gott ein neues Kapitel seiner Heilsgeschichte begann. Und von da her gesehen, verliert der Streitpunkt, woher denn Kain, der Sohn Adams, der seinen Bruder erschlug, plötzlich eine Frau hernahm und wie er (als zweite Generation der Menschheitsfamilie!) zum Städtebauer werden konnte, völlig an Bedeutung.
Was uns an der Schöpfungsgeschichte der Bibel intellektuelle Schwierigkeiten macht, sind meist nicht die biblischen Texte selbst, sondern Interpretationslinien, die sich in jahrhundertelanger Tradition so verfestigt haben, dass sie heute kaum mehr aufzuweichen sind. Und wir hängen an den vertrauten Bildern, auch wenn sie noch so sehr den Realitäten unserer Welt widersprechen. Wir lassen es eher zu, dass der ganze biblische Text als „Mythologie“ und für den modernen Menschen irrelevant abgetan wird, als dass wir bereit wären, unsere traditionellen Deutungsmuster in Frage stellen zu lassen.
2,8 Und es pflanzte JaHWeH, Gott, einen Garten in Eden, im Osten, und setzte dorthin den Adam, den er gebildet hatte.
Im heißen, trockenen, über weite Strecken wüstenhaften Orient klingt das Wort „Garten“ selbst schon nach „Paradies“. „Garten“ bezeichnet ein irgendwie umgrenztes und somit geschütztes, ein bewässertes und somit fruchtbares Stück Land. Die Flussoasen am Euphrat/Tigris und am Nil waren für die alten Orientalen der Inbegriff von Leben und Fülle. Das leuchtet auch aus dem Bild des Gartens Eden hervor. Hier sollte nun die Berufung des Menschseins zur Erfüllung kommen. Dazu, nicht für ein ereignisloses und verantwortungsfreies Schlaraffenland-Dasein, war der Garten Eden gemacht.
An dieser Stelle müssen wir eine Sichtweise in Frage stellen, die für die meisten christlichen Bibelleser seit Jahrhunderten zur Selbstverständlichkeit geworden ist: Die Idee, dass es anfangs, im „Paradies”, eine „perfekte“ Schöpfung gab, die erst nachträglich durch den „Sündenfall“ der Menschen verdorben worden wäre. Diese Vorstellung ist biblisch nicht begründbar. In Röm 5, 12-21 z. B. spricht Paulus nicht vom leiblich-biologischen Tod, sondern vom spirituellen Tod, „der durch die Sünde in die Welt gekommen” ist. Dass alle Lebewesen, einschließlich der Menschen vor und nach Adam leiblich gestorben sind, bleibt davon unberührt. Der biologische Tod ist ein natürlicher Vorgang und keine Sünden-Strafe. Adam war aber der erste Mensch, dem durch ein Gebot Gottes eine ethische Verantwortung auferlegt wurde (siehe den folgenden Beitrag „Der Baum der Erkenntnis“). Als Adam dann bewusst gegen dieses Gebot handelte, war dadurch der göttliche Lebens-Odem in ihm und seinen Nachkommen (d. h. ihr spirituelles Leben, ihr zeitliches und ewiges Leben in der Gegenwart der Liebe Gottes) gefährdet. Nirgendwo im biblischen Bericht vom „Garten Eden“ wird das Leben in diesem „Garten“ so dargestellt, als sei er ein „paradiesischer“ Urzustand der Schöpfung, in dem es noch keinen Schmerz und keine Krankheit, kein Leid und keinen Tod gab (siehe das Themenheft „Dein Reich komme”, Beitrag 5.1 „Leben in einer unvollkommenen Schöpfung). Der „Garten Eden” wird uns als ein von Gott zubereiteter und geschützter Lebensraum vorgestellt, in dem zum ersten Male die besondere Berufung des Menschseins erkannt, angenommen und entfaltet werden sollte. Dafür ist er gemacht.
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Bodo Fiebig, Die Berufung des Menschseins, Version 2017 – 12
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