1 Der Sonnen-Gott
Glauben Christen an einen „Sonnen-Gott“? Selbstverständlich nicht. Die alten Ägypter zur Zeit der Pharaonen-Reiche glaubten (neben vielen anderen) an ihren Sonnen-Gott, der hieß Re. Auch in manchen anderen Religionen gab und gibt es eine Ver-Gottung der Sonne. Das liegt ja auch nahe, ist es ja sie, die uns Licht und Wärme gibt und das Leben auf der Erde erst möglich macht. Aber Christen glauben nicht an einen Sonne-Gott. Oder doch?
Es gibt in vielen Religionen eine enge Verbindung zwischen der Selbstdarstellung von Herrschern verschiedener Völker (deren Macht, Reichtum und Pracht man sehen konnte) und der Art und Weise wie sich eben diese Völker ihre Götter vorstellten (die sie nicht sehen konnten). So stellte man sich einen bestimmten „Gott“ vor wie einen mächtigen Herrscher, nur noch etwas all-mächtiger. Wie einen Herrscher, der ganz viel über seine Untertanen weiß (schon die Könige der Babylonier oder die Pharaonen der Ägypter hatten ihre Spitzel, die jeden ihrer Untertanen aushorchen sollten, was sie sagten, was sie taten, möglichst auch was sie dachten …), und so stellten sich die Untertanen dieser Herrscher dann auch ihre Götter vor, nur noch etwas all-wissender … Die Menschen sahen den Reichtum, Glanz und Prunk an den Herrscher-Höfen und stellten sich den Hof-Staat ihrer Götter noch etwas reicher, noch etwas glanz- und prunkvoller vor. In der Art sehr menschlich, nur in den Dimensionen übermenschlich groß.
Und dieses Phänomen gab und gibt es auch in der Christenheit: . Man kann es an der Gestaltung ihrer Kirchen ablesen:
Nach den Wirren der Völkerwanderung in Europa im 3. bis 6. Jahrhundert, wo ganze Völkerschaften kreuz und quer durch Europa (und Nordafrika) zogen auf der Suche nach Lebens-Raum und Lebens-Mitteln, auch nach Beute und Macht, da war eine große Sehnsucht nach Sicherheit entstanden, nach Beständigkeit, nach ortsfester Geborgenheit hinter starken Mauern. Und genau so gestalteten nun die Herrscher Europas ihre Burgen, Schlösser und Pfalzen: Ruhende Gegenwart, ortsfeste Kraft, starke Sicherheit hinter mächtigen Mausern aus Stein, unerschütterliche Beständigkeit im Chaos der Zeit: Im Vor- und Frühromanischen Baustil bis zu den Höchstformen der romanischen Architektur. Und genau so baute man nun auch die Kirchen: Geborgenheit hinter starken und unerschütterlichen Mauern, Säulen und Bögen. Und so stellte man sich nun auch Gott vor: Wie einen König, mächtig, unbesiegbar, der seinem Volk Sicherheit und Geborgenheit gibt in seiner Burg auf hohem Berg. „Ein feste Burg ist unser Gott“.
Ganz anders die Gotik: Gotische Herrscher-Häuser und Kirchen sind keine Wehr-Burgen. Das Eigentliche bei der gotischen Architektur sind nicht die Mauern, sondern die himmelwärts strebenden Räume zwischen den Mauern. Wesentlich sind nicht die tragenden Steine, sondern die farbig verglasten Licht-Öffnungen zwischen den Steinen. Um die Innen-Räume frei zu halten und die Außenmauern für das Licht zu öffnen, musste man die notwendigen Trag- und Stützelemente nach außen verlagern in Strebepfeilern und Strebebögen. Tausende Tonnen Stein, aufgelöst in Himmels-Schau und losgelöst von aller Erdenschwere. Und so war auch das Gottesbild in der Epoche der Gotik: Gott, hoch und erhaben, fern (so fern wie die irdischen Herrscher von der Lebenswirklichkeit ihrer Untertanen), aber für den Glauben und für Gebete erreichbar. Sein (in den gotischen Domen dargestellter) Lichtglanz wurde zum Gegenbild für die oft düstere Lebensrealität der „einfachen Leute“ in ihrer oft trostlosen Alltags-Wirklichkeit. Und so wie die Architektur die Erdenschwere überwand und mit den Himmels-Höhen in Verbindung trat, so sollte auch die Hoffnung der Gläubigen auf den Himmel und auf das Leben bei Gott alles irdisches Leiden und Sterben überwinden.
Wieder ganz anders die Barock-Architektur (die Renaissance ist hier weggelassen, sie wollte ja, von ihrer Leitidee her, eine „Wiedergeburt“ klassischer, das heißt vorchristlicher Formen sein). Bildeten in der Romanik und Gotik die Kirchen die Höhepunkte der architektonischen Entwicklung, so waren es jetzt die Schlösser. Die Schloss-Anlagen von Versailles und die Prachtentfaltung am Hofe des französischen Königs Ludwig des 14., des „Sonnen-Königs“, wurden zum Maß aller Herrlichkeit für ganz Europa. Überall in Europa wurden jetzt Schlösser nach dem Vorbild von Versailles gebaut und Hof-Zeremonien nach dem Vorbild des absolutistischen Königtums eingeführt.
Die Kirchen passten sich dem an und ihre Kirchen-Bauten eiferten nun in ihrer Gestaltung und Ausstattung den Prunk-Schlössern der Könige nach. Die großen Kirchenfeste in ihrer Ausgestaltung mit Musik, Gewändern und Zeremonien, sollten den Festen des Adels in den Schlossanlagen der Könige mit ihrem Gold-Glanz von Stuck und Zier nun möglichst nahe kommen. Ja (wenn möglich), sollten sie vielleicht sogar noch ein wenig glanzvoller sein als sie: Barock-Bauten, Barock-Musik, Barock-Malerei, Barock-Zeremonie. Sogar die Klöster glichen nun grandiosen Schloss-Anlagen (z. B. Melk an der Donau).
Und so, so herrlich wie den strahlenden „Sonnenkönig“ mit seinem glanzvollen Hofstaat und seinen großartigen Zeremonien in seinem prunkvollen Schloss, so herrlich, strahlend, glanzvoll, großartig und prunkvoll, so stellte man sich nun Gott vor, nur vielleicht doch noch ein noch kleines bisschen herrlicher, strahlender, glanzvoller, großartiger und prunkvoller …
In der Folgezeit passte sich das Gottesbild der Christen überall in Europa diesem „Vor-Bild“ an: Ihr Gott sollte doch, wenn möglich, noch ein wenig prächtiger sein als der „Sonnen-König“, sein Hofstaat noch ein wenig zahlreicher, seine „Adeligen“ (der Klerus) noch etwas edler, seine Verehrung noch ein wenig großartiger, die Unterwürfigkeit der „gemeinen Gläubigen“ noch etwas demütiger … Die äußerliche Vergoldung von Stuck und Zier überstrahlte den Verlust der inneren Werte des Glaubens und der Gottesdienste. In den Kirchen Europas zur Barock-Zeit zeigte sich (nicht immer und überall, aber doch maßgebend) das neue Gottesbild der Christenheit: Der „Sonnen-Gott“.
Und das Überraschende geschah nun in dieser Folgezeit: Das Gottesbild vieler Christen in Europa blieb (auch nach der „Französischen Revolution“, in der das absolutistische Königtum unterging) jahrhundertelang weitgehend auf diesem Stand stehen. Ihr Gott war bis ins 20. Jahrhundert hinein (und ist es bei manchen bis heute) der „Sonnen-Gott“, ein göttlich überhöhter Abklatsch des „Sonnen-Königs“. Nur ein Bild dafür: Die (kirchlich zelebrierten) Krönungszeremonien der englischen Monarchen z. B. haben dieses barocke Gottesbild und Glaubensverständnis (einschließlich noch älterer Elemente) bis ins 21. Jahrhundert konserviert, obwohl ja diese „Monarchen“ in Wirklichkeit keinerlei Macht mehr haben (aber als „Show“ für das Volk sind sie immer noch begeisternd und wirksam). Und so rückte man nun (bei besonders feierlichen Anlässen) auch den „Sonnen-Gott“ der europäischen Christenheit in die Rolle eines machtlosen Dekorations-Elements bei einer großartigen „Religions-Show“. (Das ist etwas „bissig“ formuliert, und es trifft sicher nicht die schlichten Gottesdienste der „einfachen“ Leute.)
So wurde Gott zum „Ebenbild“ des Menschen gemacht (genauer: zum Ab-Bild des absolutistischen Herrschers und seiner Macht und Pracht). Und man vergaß die biblische Menschheitsberufung, durch die der Mensch zum „Ebenbild“ Gottes werden soll (also zur erkennbaren und anschaubaren Darstellung seiner Liebe). (Siehe das Thema „sein und sollen“.)
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Die Neigung, sich die Götter wie eine letzte Überhöhung menschlicher Herrscher vorzustellen, ist universell. Auch in der Bibel gibt es solche Vorstellungen. Sowohl im Alten wie im Neuen Testament findet man Beispiele dafür:
(Jes 6,1-4) In dem Jahr, als der König Usija starb, sah ich den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron und sein Saum füllte den Tempel. Serafim standen über ihm; ein jeder hatte sechs Flügel: Mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße und mit zweien flogen sie. Und einer rief zum andern und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll! Und die Schwellen bebten von der Stimme ihres Rufens und das Haus ward voll Rauch.
Off 4, 2-11: Alsbald wurde ich vom Geist ergriffen. Und siehe, ein Thron stand im Himmel und auf dem Thron saß einer. Und der da saß, war anzusehen wie der Stein Jaspis und der Sarder; und ein Regenbogen war um den Thron, anzusehen wie ein Smaragd. Und um den Thron waren vierundzwanzig Throne und auf den Thronen saßen vierundzwanzig Älteste, mit weißen Kleidern angetan, und hatten auf ihren Häuptern goldene Kronen. Und von dem Thron gingen aus Blitze, Stimmen und Donner; und sieben Fackeln mit Feuer brannten vor dem Thron, das sind die sieben Geister Gottes.
Und vor dem Thron war es wie ein gläsernes Meer, gleich dem Kristall, und in der Mitte am Thron und um den Thron vier Wesen, voller Augen vorn und hinten. Und das erste Wesen war gleich einem Löwen, und das zweite Wesen war gleich einem Stier, und das dritte Wesen hatte ein Antlitz wie ein Mensch, und das vierte Wesen war gleich einem fliegenden Adler. Und ein jedes der vier Wesen hatte sechs Flügel, und sie waren rundum und innen voller Augen, und sie hatten keine Ruhe Tag und Nacht und sprachen: Heilig, heilig, heilig ist Gott der Herr, der Allmächtige, der da war und der da ist und der da kommt.
Und wenn die Wesen Preis und Ehre und Dank geben dem, der auf dem Thron sitzt, der da lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit, fallen die vierundzwanzig Ältesten nieder vor dem, der auf dem Thron sitzt, und beten den an, der da lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit, und legen ihre Kronen nieder vor dem Thron und sprechen: Herr, unser Gott, du bist würdig, zu nehmen Preis und Ehre und Kraft; denn du hast alle Dinge geschaffen, und durch deinen Willen waren sie und wurden sie geschaffen.
Auch hier finden wir das Vor-Bild des irdischen Herrschers und seines Hofstaats und seiner Huldigung als Veranschaulichung für „Gott“ im „Himmel“. Das kleine Israel war umgeben von Groß-Reichen mit absoluten Herrschern (in Ägypten, Babylon, Persien … später im kaiserlichen Rom). Und man wollte die „Heiligkeit Gottes“ bildhaft darstellen, indem man sie mit der Macht und der Unnahbarkeit und Verherrlichung der Herrschenden verglich. Auf diese Weise sollten sich die Menschen das Unvorstellbare doch irgendwie vorstellen können.
Freilich: Das kann ja durchaus auch sinnvoll sein, dass man etwas (für menschliche Wahrnehmung Unfassbares) vorstellt, indem man es mit etwas Bekannten vergleicht (die Gleichnisse Jesu im Neuen Testament sind eindrückliche Beispiele dafür). Hier, in den oben wiedergegebenen biblischen Texten, geschah das im Vergleich Gottes mit überhöhten Vorbildern aus dem Hofzeremoniell der großen Herrscher ihrer jeweiligen Zeit-Epoche.
Die übergroße Gefahr dabei ist allerdings, dass man dann das „Gleichnis-Bild für die Heiligkeit Gottes“ zum realen „Gottes-Bild“ macht: So ist Gott. Nein, so ist Gott nicht! Nein, nein, nein! Sondern so stellen sich Menschen, jeweils in ihrer Zeit, ihre Götter vor. Ja, wir brauchen Gottes-Bilder, um überhaupt von Gott und mit Gott reden zu können. Ja, es ist wahr: Gott, der Gott der Bibel (JHWH) ist (mit menschlichen Worten gesprochen, und wir haben ja keine anderen) „König“ und „Herr“, ja. Aber sein Königtum und seine Herrschaft entsprechen eben nicht unseren menschlichen Erfahrungen mit menschlichen Gewalt-Herrschern und deren absoluter Macht-Ausübung. Solche Gottes-Bilder (wenn wir sie nicht als Bilder verstehen, sondern für die Realität halten) degradieren den Schöpfer der Welt und Erhalter allen Lebens zu einem machtprotzenden, herrschsüchtigen Despoten.
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2 Gott (JHWH): Erfahrbare Gegenwart und begleitete Zukunft
Aber wie sollen wir uns denn dann das „König-und-Herr-Sein“ des unsichtbaren Gottes vorstellen, wenn wir es nicht mit mit den sichtbaren menschlichen Königen und Herren vergleichen sollen? Wir werden sehen: In der biblischen Offenbarung stellt sich Gott (JHWH) selbst nicht in anschaubaren Bildern vor, sondern in erlebten Gottes-Erfahrungen in Verlauf einer erlebten Gottes-Geschichte (die oben abgedruckten Beispiele aus der Bibel sind ja nicht Selbstoffenbarung Gottes, sondern zwar inspirierte, aber doch auch menschliche Bilder von Gott).
Sehen wir also nach: Wie stellt sich der biblische Gott (JHWH) selbst vor?
Im Folgenden werden die entscheidenden Gottes-Erfahrungen am Leben von einzelnen Personen dargestellt, wobei die Personen als „Erstlinge“ jeweils den Beginn einer weiterführende Phase der Gottesgeschichte verkörpern.
Adam: Gott (JHWH), der berufende und vergebende Schöpfer
Abraham: Gott (JHWH), der segnende Menschheits-Freund
Mose: Gott (JHWH), der befreiende und mitziehende Begleiter
Jesus: Gott (JHWH), der liebende Menschheits-Vater
(Siehe dazu auch den Beitrag „Selbstoffenbarung Gottes“ zum Thema „Weltreligionen und biblischer Glaube“, dort sind einige Aspekte ausführlicher dargestellt). Hier geht es nur darum, einige Phasen der Selbstoffenbarung Gottes im Überblick anzusprechen. Gott „offenbart“ sich (macht sich bekannt) in den realen Verhältnissen und Vorgängen unserer Welt und Zeit.
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2.1 Die Adam-Offenbarung (1. Mose 1,1 bis 1. Mose 11,26)
Es gibt am Anfang der Bibel (in den ersten 11 Kapiteln) eine Ur-Offenbarung Gottes, mit Ereignissen, die historisch nicht einzuordnen sind. Da ist von der Erschaffung von „Himmel und Erde“ die Rede, und von Vorgängen auf der Erde die, sinnvoll aufeinander folgend, einen einen „Weltplan“ des Schöpfers andeuten. Und da ist von Menschen die Rede, die vor grundlegende Herausforderungen und Entscheidungen gestellt sind (wie alle Menschen in allen Zeitepochen). Und es ist die Rede davon, wie das alles in die „Geschichte Gottes mit der Welt und mit den Menschen“ eingebettet ist.
Den ersten Teil dieser „Ur-Offenbarung“ habe ich im Thema „Schöpfungsglaube und modernes Weltbild“ (im Themenbereich 2 „Grundfragen des Glaubens“) ausführlicher dargestellt. Diese Inhalte können hier nicht wiederholt werden.
Im Thema 6-1 „Adam“ (im Themenbereich 6 „Wege im Glauben“) werden grundlegende Erfahrungen von Menschen mit der Gegenwart und Zuwendung Gottes in zum Teil erzählender Form beschrieben. Hier können die Inhalte nur in einem Satz zusammengefasst werden: Menschen erfahren Gott (JHWH) als Schöpfer, der ihnen die Erde als fruchtbaren Garten (Eden) zur Verfügung stellt, mit dem Auftrag, ihn zu bebauen und zu bewahren und sie erfahren ihn als sprechendes und ansprechbares Gegenüber, das ihnen (als sie schuldhaft von dieser Berufung abweichen) vergibt und ihnen eine Zukunft als „Gottesgeschichte mit den Menschen innerhalb der Geschichte Gottes mit seiner ganzen Schöpfung“ eröffnet.
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2.2 Die Abraham-Offenbarung
Hier zeigt sich Gott (JHWH) als Initiator und Begleiter einer Segens-Geschichte, die zuerst einzelnen Personen offenbart wird (Abraham, seiner Familie und seiner Nachkommenschaft), dann einem erwählten und berufenen Volk (Israel) und schließlich der ganzen, oft geknechteten und immer Segens-bedürftigen Menschheit. (Siehe das Thema 6-2 „Abraham“)
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2.3 Die Mose-Offenbarung (AT ab1. Mose 12)
Der weitaus größere Teil der Selbstoffenbarung Gottes im ersten Teil der Bibel (dem sog. „Alten Testament“) verbindet sich mit der Geschichte des Volkes Israel. Dieser Teil ist historisch fassbar und auch (mehr oder weniger gut) der übrigen Weltgeschichte zuordenbar. Gott offenbart sich hier als Geschichts-gestaltende Macht, die mit gegenwärtigen Vorgängen schon zukünftige Entwicklungen gezielt vorbereitet und in Gang setzt. Auch diese Ereignisse können hier nicht eingehender behandelt werden. Im Thema „Mose“ werden sie aber exemplarisch anhand bestimmter Situationen im Leben dieser Person (zum Teil in erzählender Form) dargestellt.
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2.4 Die Jesus-Offenbarung (NT)
Gott selbst will sich den Menschen zu erkennen geben und zwar auf eine Weise, die den Verstehensweisen der Menschen entgegenkommt. Deshalb macht er sich auf (d. h. er öffnet sich) und gibt eine Wesensentsprechung seiner eigenen Identität, eine Selbstoffenbarung seiner Göttlichkeit sichtbar und erfahrbar auf die uns vertraute Ebene der für uns sichtbaren und erfahrbaren Welt. Und er tut das im Leben, Reden und Handeln eines ganz realen Menschen namens Jeschua (griechisch-römisch „Jesus“) aus dem Dorf Nazareth in Galiläa zur Zeit des Königs Herodes (eines Vasallen-Königs, des römischen Kaisers Augustus) und dessen Nachfolger. Und er tut es, damit im Leben, Reden und Handeln dieses Menschen Jesus etwas vom Wesenskern Gottes (der, so sagt es die Bibel, die Liebe ist) sichtbar und erfahrbar Realität wird in unserer liebeleeren Welt (die Weiten des Universums und seine Massen und Energien, die können ja, so unvorstellbar groß sie auch sind, nicht lieben). Wenn wir die Evangelien in der Bibel lesen und wir unseren Glauben und Leben dafür öffnen, wird uns dort diese Realität begegnen.
Die Selbstoffenbarung Gottes im zweiten Teil der Bibel (dem sogenannten „Neuen Testament“) ist also zentral mit einer Person verbunden, an der wir wahrnehmen können (und sollen), wie Gott ist (Jesus sagt selbst: „Wer mich sieht, sieht den Vater“). Auch hier wird es nicht möglich sein, die entsprechenden Aussagen der Bibel im Detail darzustellen und zu interpretieren. Deshalb muss auch hier der Hinweis auf schon vorhandene Texte auf dieser Internet-Seite genügen: Im Themenbereich „Jesus“ sind das die Themen „Jesus – der Weg“, „Jesus – die Person“ und „Jesus – die Botschaft“. Hier und jetzt sind nur noch einige Anmerkungen möglich:
Wir haben gesehen: Gott ist keine Realität dieser Welt (siehe im Beitrag 2 „Die Gottes-Frage“), weil er der Schöpfer der Welt ist, ja, aber Jesus kam in diese Welt, damit er in dieser geschaffenen Welt das „Wesen“ Gottes als erlebbare Realität vergegenwärtigt, damit er das innerste „Ich bin“ Gottes, seinen „Geist“, seine „Substanz“ seine „Identität“ verkörpert (und dafür verwenden wir das Wort „Liebe“, auch wenn das, in allen Sprachen der Welt, völlig ungenügend ist, aber wir haben kein besseres).
Die Evangelien berichten davon, wie Menschen das erlebt haben: helfend, heilend, rettend, befreiend, erlösend. Und dies als „Vor-Bild“ und Vor-Verwirklichung der Menschheitsberufung, durch die alles Menschsein zum „Eben-Bild“ Gottes werden soll, so steht es schon auf der ersten Seite der Bibel (1.Mose 1,27): „Und Gott schuf den Menschen (warum, wozu, was soll das Ganze?) … Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde. Zum Bilde Gottes schuf er ihn und schuf sie als Mann und Frau“- also als Liebesgemeinschaft (aber eben nicht reduziert auf das Erotisch-Sexuelle). Am Miteinander und Füreinander menschlicher Gemeinschaft soll erkennbar werde, wie Gott ist. Und das wurde (vorbildhaft und uneingeschränkt) real erfahrbar im Leben, Reden und Handeln Jesu und dann auch (wenn auch menschlich begrenzt und unvollkommen) im Miteinander seiner Jünger und Jüngerinnen. Und: Dabei sollte es nicht bleiben, es sollte weitergehen und die ganze Menschheit erfassen.
Das heißt: Wir Menschen (alle Menschen, ob wir das wahrnehmen und annehmen oder nicht) sind dazu bestimmt, zur erkennbaren Vergegenwärtigung der außer-kosmischen Realität Gottes inmitten der innerkosmischen Realität unserer Welt beizutragen, und zwar durch die reale Verwirklichung von Liebe im Miteinander und Füreinander menschlicher Gemeinschaft (siehe dazu auch das Thema „AHaBaH – Das höchste ist lieben“).
Gewiss: Gott ist keine Realität dieses Universums. Aber die Liebe Gottes kann erfahrbare Realität werden in diesem Universum, und soll es noch mehr werden durch die Verwirklichung von Liebe (die das „Wesen“ Gottes ist) zwischen den Menschen (und das meint nicht nur die Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau (die auch), sondern jedes Miteinander von Menschen, ja in der Zielperspektive der Schöpfung, die Liebesgemeinschaft des Menschseins als Ganzes).
Jesus wird einmal gefragt (Mt 22, 35-40): … welches ist das höchste Gebot im Gesetz? („Gesetz“ ist hier ein Ausdruck für den offenbarten Willen Gottes im „Alten Testament“. Gemeint ist also: Was ist das Wichtigste, was im ganzen „Wort Gottes“ steht und seinen Willen zum Ausdruck bringt?)
Jesus aber sprach zu ihm: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt“ (5.Mose 6,5) Dies ist das höchste und erste Gebot. Das andere aber ist dem gleich: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (3.Mose 19,18). In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten. („Gesetz und Propheten“ ist hier ein Ausdruck für die ganze „Schrift“ im AT). Dieses „Doppelgebot der Liebe“ soll zur Darstellung des Menschseins als „Ebenbild Gottes“ helfen: Erfahrbare Vergegenwärtigung des „Göttlichen“ (der Liebe) im Miteinader und Füreinander der Menschen. In Leben, Reden und Handeln Jesu ist diese Vergegenwärtigung schon unverfälscht erkennbar.
Welches Gottesbild haben wir heute im 21. Jahrhundert? „Gott“ (jedenfalls, wenn damit der biblische Gott (JHWH) damit gemeint ist) sitzt nicht auf dem Thron des „Sonnengottes“. Und alle Bemühungen von Kirchen-Vertretern, seinen Platz dort oben zu verteidigen, müssen scheitern.
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2.5 Gegenwarts-Offenbarung
Hier können wir die wesentliche Ausrichtung einer heilsgeschichtlichen Epoche nicht an einer „Person“ festmachen. Vielmehr sehen wir immer wieder neue Weichenstellungen und Aufbrüche, die mit ganz verschiedenen Personen in der Gottes-Geschichte der Jahrhunderte verbunden sind (siehe das Thema „Fragen der Zeit und Antworten des Glaubens“).
Die Antwort auf die Frage: „Ist Gott eine Realität in unserer Welt?“ entscheidet sich also an der persönlichen Nach-Frage: Wie weit trägst du selbst, wie weit tragen dein Leben und dein Zusammenleben mit anderen Menschen (deinen „Nächsten“) dazu bei, dass das Innerste „Wesen“ Gottes, die Liebe, in dieser deiner/unserer Welt erfahrbare Realität wird? Diese Liebe ist ja auch eine Realität; wer wollte an ihr zweifeln, wenn man sie je schon (in aller menschlichen Begrenztheit und Fragwürdigkeit) persönlich erlebt hat? Die Liebe ist, wie Gott selbst, eine Realität in dieser Welt.
Seit dem Anfang des Christentums vor 2000 Jahren (und schon vorher des Judentums) ist das die eigentliche Aufgabe allen Menschseins (siehe das Thema „sein und sollen“ im Bereich Grundfragen des Lebens): Die Liebe Gottes widerzuspiegeln und erkennbar zu machen im Leben und Zusammenleben von Menschen, denn nur so wird das Menschensein (in aller Unvollkommenheit aber doch) zum „Ebenbild“ Gottes. (Und wir wissen davon, wie sehr die Menschheit und auch die Jesus-Jüngerschaft in den vergangenen 20 Jahrhunderten an dieser Berufung gescheitert ist.) Trotzdem hat Gott in allen diesen Jahrhunderten im Judentum und in christlichen Gemeinschaften immer wieder Boten und Zeugen dieser Menschheitsberufung erweckt.
Auch dafür können schon vorhandene Texte auf dieser Internet-Seite eine Veranschaulichung bieten (siehe das Thema „Fragen der Zeit und Antworten des Glaubens“ im Bereich „Grundfragen des Glaubens“).
Gott, der Schöpfer, der alles geschaffen hat, ist selbstverständlich nicht Teil der von ihm selbst geschaffenen Realität, aber wir Menschen haben die Aufgabe und Berufung, dazu beizutragen, dass das „Wesen“ Gottes, die Liebe, in unserer Welt (bruchstückhaft und immer menschlich unvollkommen, aber dennoch) erfahrbare Realität wird (siehe die Themen „sein und sollen“, „Die Frage nach dem Sinn“ und „AHaWaH – das Höchste ist lieben“.)
Wir sollen die Realität Gottes (die Liebe) „zur Welt bringen“, wie eine Frau ein Kind zur Welt bringt: Als „Frucht“ der Liebe zwischen den Menschen (so jedenfalls sollte es sein), denn nur so kann die Realität Gottes unter den Menschen als „Wirklichkeit“ erfahrbar werden (wieder, wie schon oben, abgesehen von Erfahrungen, wo Gott sich selbst unmittelbar erfahrbar macht – aber das sind, auch in der Bibel, die seltenen Ausnahmen).
Gott (JHWH) braucht keine Bilder von menschlicher Macht und Pracht als Veranschaulichung für sein Gott-Sein. Er offenbart sich selbst, aber nicht in sichtbaren Bildern, sondern erlebbaren Erfahrungen. Das gilt auch für die Gottes-Offenbarung durch Jesus; wir wissen ja nichts davon, wie Jesus ausgesehen hat, wir kennen ihn nur durch die Berichte von seinen Worten und Taten in denen eine zentrale Gottesoffenbarung geschieht. Und in dieser Offenbarung Gottes wird Gott als liebender Vater-König erkennbar und nicht als goldglänzender, gewaltiger und gewalttätiger „Sonnen-Gott“. Aber trotz dieser Selbstoffenbarung Gottes begegnet uns manchmal etwas Unfassbares, völlig Unverständliches, das mit keinem unserer Gottesbilder in Einklang zu bringen ist. Wir haben es immer mit einem Gott zu tun, der sich selbst den Menschen bekannt macht und der zugleich auch immer der Unbekannte bleibt (siehe den folgenden Beitrag „Der unbekannte Gott“).