Bereich: Grundfragen des Glaubens

Thema: Glauben?

Beitrag 4: glauben und vertrauen (Bodo Fiebig1. Mai 2022)

Das Vertrauen in die grundsätzlich positive Grundhaltung im Miteinander von Einzelnen und Gruppen, das Vertrauen in die Stabilität der sozialen Beziehungen und das Vertrauen in die Gültigkeit der Regeln des Zusammenlebens sind der „Kitt” in jeder menschlichen Gemeinschaft, erst recht der Kitt für den Zusammenhalt innerhalb der Gesellschaft jedes Staates und in der globalen Staatengemeinschaft.

1 Der Verlust des Vertrauens

Unsere Gegenwart am Beginn des 21. Jahrhunderts ist durch einen dramatisch fortschreitenden Verlust solchen Vertrauens gekennzeichnet: Sätze wie „Der Ehrliche ist der Dumme” oder „Jeder ist sich selbst der Nächste” sind Anzeichen für eine schleichende Aushöhlung des gemeinsamen Rechtsempfindens und für eine fortschreitende Entsolidarisierung der Gesellschaft. Der Verlust des Vertrauens zwischen Einzelnen und zwischen gesellschaftlichen Gruppierungen, der Verlust des Vertrauens in die öffentlichen Institutionen und Amtsträger, der Verlust des Vertrauens zwischen Rassen und Religionen, Völkern und Kulturen sind keine bedauerlichen Schönheitsfehler, sondern Vorboten eines (zuerst inneren ethischen, dann auch eines äußeren gesellschaftlichen) Zusammenbruchs der sozialen Beziehungen. Dieser Verlust ist deshalb so dramatisch, weil er dem Miteinander der Menschen die stabilisierende Grundlage entzieht. Brutale militärische Angriffe zum Machtgewinn einzelner Diktatoren zerstören nicht nur Häuser und Menschenleben, sondern auch das Vertrauen, dass Völker und Staaten mit friedlichen Mitteln ihre Interessen vertreten und ausgleichen können (und das ist, langfristig gesehen, noch viel folgenschwerer).

Wir sind tagtäglich darauf angewiesen, dass wir Menschen, mit denen wir in direktem persönlichem Kontakt sind, grundsätzlich vertrauen können. Stellen wir uns doch einmal vor, wie das wäre, wenn wir bei jedem Menschen, mit dem wir zu tun haben (der Nachbar, der neben uns wohnt, der Mann, der im Bus zur Arbeit hinter mir sitzt), argwöhnen müssten, dass sie uns Böses wollen, uns belügen, betrügen, verletzen oder gar töten wollten! Unsere Existenz wäre aufs Äußerste bedroht (und es gibt auch gegenwärtig Gesellschaften, in denen solche allgegenwärtigen Bedrohungen ganz real sind). Die einzige angemessene Einstellung gegenüber allem und jedermann wäre das Misstrauen. Schon heute rät die Polizei (mit Recht!) in öffentlichen Aufrufen zu einem „gesunden Misstrauen“ vor allem im Umgang mit dem Internet. Dieses „gesunde Misstrauen“ droht aber immer mehr Bereiche zu erfassen. Es ist ein Alarmsignal für eine ungesunde Entwicklung, durch die einem offenen und entspannten Miteinander der Boden entzogen wird. Das Extrembeispiel dafür ist der Terrorismus. Der internationale Terrorismus will gerade dieses grundsätzliche Vertrauen zerstören und uns einer allgemeinen Verunsicherung mit ständig wachsendem Misstrauen gegen alles und jeden ausliefern (wohin könnten wir noch gehen, wenn wir befürchten müssten, jeder Lkw, der auf uns zukommt, könnte die Absicht haben, möglichst viele von uns zu töten?).

Menschen, die in totalitären Systemen leben, erfahren es tagtäglich zumindest in Teilbereichen ihren sozialen Umfelds: Jeder Gesprächspartner in einer scheinbar belanglosen Unterhaltung, jeder „Freund“, dem man sich anvertraut, könnte auch ein Spitzel sein, jedes gesprochene Wort könnte bei den „Sicherheitsorganen“ landen. Manchmal hat schon eine unbedachte Bemerkung eines Kindes (z. B. im Nazi-Deutschland unter Hitler) ihre Eltern in die Todesmaschine eines „Konzentrationslagers“ gebracht und manchmal wurden Kinder auch bewusst ausgehorcht, um etwas „Verdächtiges“ über ihre Eltern oder Verwandten zu erfahren (z. B. durch die „Stasi“ in der Ex-DDR). Der Verlust des Vertrauens bedeutet Zerstörung von Gemeinschaft auf allen Ebenen.

Das gilt aber nicht nur für das Leben in totalitären Systemen, sondern auch für das Leben in nach außen hin noch gefestigten Demokratien.

Was macht das z. B. mit dem Gemeinschaftsempfinden in einer Schulklasse, wenn jede/r jederzeit damit rechnen muss, dass er (oder sie) in einer Situation persönlicher Schwäche oder peinlichen Ungeschicks von Mitschülern ihrer Klasse mit dem Smartphone fotografiert oder gefilmt wird und die Bilder dann im Internet einer fast unbegrenzten Öffentlichkeit präsentiert werden?

Was macht das mit dem Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten, wenn der Arzt damit rechnen muss, dass sein Patient nach der Behandlung ihm in entsprechenden Internet-Portalen Punkte für sein „Ärzte-Ranking“ zuteilen wird?

Was macht es mit unserer Bereitschaft zur Mitmenschlichkeit, wenn wir fast jeden Tag in der Zeitung lesen, wie raffinierte Betrüger die Hilfsbereitschaft vor allem älterer Menschen ausnutzen, um an ihr Geld zu kommen? Jede missbrauchte Hilfsbereitschaft bewirkt eine weitergehende „Abhärtung“ gegenüber der Bedürftigkeit anderer. Was aber, wenn jemand wirklich einmal dringend Hilfe braucht? Seine Not wird an der Mauer des abgehärteten Misstrauen abprallen.

Was macht das mit dem Betriebsklima einer Firma, wenn die Mitarbeiter wissen, dass jede – auch sachliche und konstruktive – Kritik von den Vorgesetzten als persönlicher Angriff gewertet wird und sich negativ auf die weitere Berufs-Laufbahn auswirkt?

Und: Was macht das mit unserer Welt-Wahrnehmung und unserem Selbst-Bild, wenn jede Information, woher sie auch immer kommt, eine bewusste Lüge sein kann? Es geht da ja nicht nur um den Wahrheitsgehalt einzelner Aussagen, sondern um den Erhalt  oder die Zerstörung unseres (individuellen und kollektiven) Weltverständnisses und Selbstverständnisses, die aus der Gesamtheit unserer Wahrnehmungen und Informationen gebildet werden und die unser Leben und Handeln in unserer Welt auf eine sichere Grundlage stellen sollen.*  Wenn gegenwärtige Ideologen den Menschen einreden, dass es so etwas wie „Wahrheit“ gar nicht geben kann, weil ja alles „relativ“ sei, dann versuchen sie bewusst (ja, bewusst!) das allgemeine Vertrauen in die Verlässlichkeit der eigenen Wahrnehmung und in die Vertrauenswürdigkeit der Beziehungen zu zerstören. Sie sind nicht die Vertreter einer „intellektuellen Ehrlichkeit“ (als die sie sich ausgeben), sondern sie sind die Lobbyisten einer „intellektuellen Machtübernahme“ durch die Zerstörung aller Vertrauensgrundlagen und durch die Verdächtigung aller Andersdenkenden als „lächerlich rückständige Gutmenschen“ oder „böswillige Diskriminierer“.

* Siehe den Beitrag „Glauben und Handeln“, siehe auch im Thema „Wer bin ich?“ die Beiträge „Des Menschen Herz“ und „Die Zentrale des Selbst“.

Der Verlust des Vertrauens in öffentliche Institutionen und deren Amtsträger hat zwangsläufige Folgen: So probiert man es in manchen Ländern gar nicht mehr, auf direktem Wege eine wichtige Entscheidung zu erreichen, sondern man versucht es über „Beziehungen“, über heimliche „Seilschaften“, über Personen, die einem „noch was schuldig“ sind, weil man ihnen auch mal zu einem ungerechtfertigten Vorteil verholfen hat, oder einfach mit plumper Bestechung.

Der Verlust des Vertrauens ist keine Kleinigkeit und erst rechts nichts, was nur den privaten Bereich beträfe. Wenn eine Mehrheit der Bevölkerung in einem Land zu der Ansicht kommt, dass man mit Ehrlichkeit, Anständigkeit, Fleiß und Sparsamkeit für sich und seine Angehörigen kaum etwas Positives aufbauen und weitergeben kann, dann wird die Krise des Vertrauens sehr schnell zur Krise der Gesellschaft. „Jeder ist sich selbst der Nächste“. „Der Ehrliche ist der Dumme!” Lüge und Untreue sind alltäglich, Korruption und Betrug werden zum Normalfall, man darf sich nur nicht erwischen lassen. Und schließlich: „Das machen doch alle so!” So konnte z. B. ein angesehener internationaler Sportverband (die Fifa) zeitweise zu einer Art „kriminellen Vereinigung“ verkommen, in der sich führende Leute Millionenbeträge in die eigene Tasche steckten. Es gibt Staaten, da hat sich die Korruption so tief in alle Bereiche des öffentlichen Lebens hineingefressen, dass auch noch so umfangreiche „Entwicklungshilfe“ und Unterstützung keine positiven Effekte mehr erzielen können.

Es gibt auch den Verlust des Vertrauens, dass man mit vernünftigen Argumenten, mit sachlicher Auseinandersetzung und ehrlicher Überzeug etwas Positives erreichen oder etwas Negatives verhindern kann. Das Ergebnis solcher Erfahrungen ist der „Wutbürger”, der sich in eine Abwehr- und Verweigerungshaltung hineinsteigert, die Kompromisse kaum mehr zulässt. Und solche Vertrauensverluste werden von (mehr oder weniger geheimen) Institutionen der gegenwärtigen Diktaturen weltweit (vor allem in Internet) durch Lügen und Hetze geschürt und gesteigert, bis ganze Bevölkerungsteile (sogar in noch bestehenden Demokratien) zur Überzeugung gelangen, selbst schon in einer Diktatur zu leben, gegen die man sich mit allen Mitteln wehren müsste.

Es gibt z. B. auch den Verlust des Vertrauens, dass unsere heutigen (materiellen) Werte auch in Zukunft noch ihren Wert behalten werden. Als Folge davon entwickelt sich der Trend zu immer schnellerem und oft sinnlosem Konsum ohne Vorsorge und langfristige Planung. Wenn die internationale Geldpolitik so angelegt ist, dass der Wertverlust durch Inflation deutlich höher ist als ein möglicher Zinsgewinn, dann dann wird Sparsamkeit bestraft und die immer risikobehaftete Spekulation mit Wertpapieren zur einzig möglichen Geldanlage (was die Aktienkurse in immer abenteuerlichere Höhen treibt und die Gefahr eines Totalabsturzes immer wahrscheinlicher macht).

Viele Staaten, die wirtschaftlich nicht auf die Beine kommen, kranken nicht (oder nicht entscheidend) an unfähigen Unternehmern oder ungünstigen Bedingungen, sondern vor allem an einer alles durchdringenden Korruption, die es den Menschen sinnlos erscheinen lässt, langfristig zu planen und geduldig etwas aufzubauen. Das schnelle Geld ist die einzig mögliche Perspektive, denn morgen kann alles schon vorbei sein.

Auch viele Fluchtursachen, welche die „Fluchtwellen“ (z. B. aus Afrika nach Europa) immer neu anwachsen lassen, beruhen nicht nur auf Hunger, Arbeitslosigkeit und Hoffnungslosigkeit der Menschen, sondern der Hunger, die Arbeitslosigkeit und die Hoffnungslosigkeit der Menschen beruhen zutiefst auf der „Krise des Vertrauens“ in ihren Ländern.

2 Die große „Vertrauung“

„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“. Dieser Satz Lenins ist ebenso berühmt wie falsch, aber er entspricht seinem zutiefst misstrauischen und menschenverachtenden Charakter. Richtig ist: Ohne ein soziales Grundvertrauen (des Einzelnen in die Gemeinschaft und der Gemeinschaft in den Einzelnen) ist eine Gesellschaft auf Dauer nicht lebensfähig. Selbst ein so perfekt organisiertes und allumfassendes Überwachungssystem wie das der „Staatssicherheit“ in der DDR konnte den Verlust des Vertrauens vieler Bürger in die DDR-Führung und in das hinter ihr stehende politische System nicht ausgleichen.

Gegenwärtig sind weltweit große und mit riesigen finanziellen und personellen Ressourcen ausgestattete Abteilungen der Geheimdienste autoritär geführter Staaten mit nichts anderem beschäftigt, als damit, das Vertrauen der Menschen, die noch in rechtsstaatlichen Demokratien leben, in die Funktionsfähigkeit eben dieser rechtsstaatlichen Demokratien zu erschüttern. Dazu ist jede Form von Lüge, Verdächtigung, Verleumdung, Hetze, Einschüchterung, Bedrohung, Bestechung usw. recht. Entscheidend für die Erhaltung eines freiheitlich-rechtsstaatlichen Systems ist, dass wir das als Angriff auf Freiheit, Recht, Gerechtigkeit und Frieden erkennen und nicht darauf hereinfallen.

Eine Folge des allgemeinen Vertrauensverlustes ist auch das abnehmende Vertrauen in religiös gefüllte Lebensmodelle und deren Begründungen. Das sogenannte „gesunde“ Misstrauen (das längst sehr ungesunde Ausmaße angenommen hat) bezieht sich unterdessen auf alles und jeden. Viele glauben ganz einfach nicht mehr, dass es so etwas wirklich geben kann: Bedingungslose Annahme, voraussetzungslose Wertschätzung, beständiges Vertrauen, grenzenlose Liebe, zwischen den Menschen und erst recht nicht im Verhältnis zu einem Schöpfer und Erhalter allen Seins.

Dabei gibt es für das, was wir „Glauben“ (an Gott) nennen, ein sehr menschliches-zwischenmenschliches Vor-Bild: 

Der Beginn eines auf eine ganze Lebenslänge angelegten Vertrauens-Bundes, heißt in der deutschen Sprache „Trauung“. Eigentlich müsste es „Vertrauung“ heißen. Zwei Menschen, die als Mann und Frau untereinander sehr verschieden sind, vertrauen sich und ihr Leben einander an. Und trauen sich gegenseitig zu, dass sie dieses Vertrauen in Treue durchhalten werden. Nicht nur sexuell, dass sie nicht „fremdgehen“, sondern dass sie sich in allen Dingen, die sie beide betreffen (z. B. wenn es ums Geld geht oder um die Erziehung der Kinder usw., usw. …), einander vertrauen können. Auch wenn eine solche Treue nicht immer und nicht immer durchgängig gelingt, ist doch so eine gegenseitige „Vertrauung“ etwas vom Schönsten und Wertvollsten, das es zwischen Menschen geben kann.

In den biblischen Erzählungen geht es immer wieder und ganz wesentlich um ein solches „Vertrauen“ innerhalb eines „Liebes-Bundes“. Der Gott der Bibel offenbart sich immer wieder als Liebender, der einen „Vertrauens-Bund“ eingeht mit denen, die er liebt. Dabei werden die Begriffe „Glaube“ und „Vertrauen“ oft gleich gesetzt. „Glauben“ heißt dann, Gott in ganz konkreten Verhältnissen, Situationen und  Vorgängen vertrauen, dass er alle Verhältnisse, Situationen und Vorgänge im Blick hat und sie zu einem guten Ziel führen wird. Nichts ist außerhalb seiner Liebe und seiner Handlungsmöglichkeiten.

Und wer so glaubt, kann vertrauen. Und ein beständiges „Gott-Vertrauen“ kann dann auch zu einer tragfähigen Stütze unseres Vertrauens zu unseren Mitmenschen werden. Zu unseren nächsten Angehörigen, zu unseren Nachbarn, Freunden, Kollegen …, zu Vorgesetzten, Ärzten, Richtern, Politikern … Freilich im Wissen, dass es da immer auch Missverständnisse, Auseinandersetzungen, ja auch Bosheit und Ungerechtigkeit geben kann, aber im Vertrauen, dass auch solche Verhältnisse, Situationen und Vorgänge bei Gott geborgen sind und sie uns nicht endgültig schaden können. Oder anders formuliert: Wer glaubt, kann vertrauen und wer vertraut, kann glauben. Der Glaube (zwischen Mensch und Gott und von Menschen untereinander) gründet sich auf vertrauenswürdiger Liebe; davon wird im nächsten Beitrag die Rede sein.

Bodo Fiebig „glauben und vertrauen“ Version 2022-3

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