Jo 13, 34-35: Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander liebhabt. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt. So sagt Jesus in seinem letzten Gespräch mit seinen Jüngern. Nur an der Liebe untereinander kann man erkennen, dass Menschen Jünger Jesu sind und damit auch Abbild und Gegenüber der Liebe Gottes.
Wie eng diese Liebesgemeinschaft zwischen Schöpfer und Geschöpf (und der Menschen-Geschöpfe untereinander) gemeint war und ist, erkennen wir an Aussagen Jesu in seinem letzten gemeinsamen Gebet mit seinen Jüngern (Joh 17, 20-23): Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, damit sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins seien, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, damit sie vollkommen eins seien und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und sie liebst, wie du mich liebst.
Versuchen wir, uns in diese Worte hineinzuhören: Der Vater in Jesus und der wiederum im Vater, und die Jünger in ihnen inmitten ihres göttlichen Einesseins als Liebende und Geliebte, so wie Jesus inmitten jeder Jüngergemeinschaft gegenwärtig ist, damit alle Jesusnachfolger vollkommen eins seien durch die Liebe, die die Herrlichkeit Gottes ist und das Zeichen der Gottesgegenwart auf Erden. Und das nicht nur als religiöse Idee, sondern als alltäglicher Lebensvollzug:
Apg 2, 41-47: Die nun sein Wort annahmen, ließen sich taufen; und an diesem Tage wurden hinzugefügt etwa dreitausend Menschen. Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. (…) Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen und lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk. Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden. Und Apg 4, 32-35: Die Menge der Gläubigen aber war ein Herz und eine Seele; auch nicht einer sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemeinsam. Und mit großer Kraft bezeugten die Apostel die Auferstehung des Herrn Jesus, und große Gnade war bei ihnen allen. Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte; denn wer von ihnen Äcker oder Häuser besaß, verkaufte sie und brachte das Geld für das Verkaufte und legte es den Aposteln zu Füßen; und man gab einem jeden, was er nötig hatte.
So wird das Gemeinschaftsleben der ersten Christen beschrieben. Das war einerseits eine zeitgebundene Form, die auf die speziellen Nöte und Herausforderungen jener Zeit abgestimmt war, andererseits auch gültiges Vorbild christlicher Gemeinschaft. Ganz gewiss aber war es keine einmalige Erscheinung, die es nur ganz am Anfang des Christentums gegeben hätte. Durch zwanzig Jahrhunderte hindurch haben Menschen christlichen Glaubens immer wieder Gemeinschaften geformt, in der die Liebe (AHaBaH) beispielhaft verwirklicht wurde und deren Lebensstil und Glaubenskraft großen und segensreichen Einfluss hatten auf ihre ganze Umgebung, ja auch auf eine religiös gleichgültige oder sogar feindliche Umwelt. Herausragende Beispiele dafür waren und sind verschiedene Formen klösterlicher Gemeinschaft, aber auch andere Formen gemeinsamen Lebens auf der Grundlage des biblischen Glaubens.
Wir Heutigen haben uns daran gewöhnt, dass solche geistlich begründeten Lebensformen, aus denen so viel Gutes hervorgegangen ist, nun schlecht geredet werden. Es scheint geradezu „Pflicht“ zu sein für eine „moderne“ und „künstlerische“ Darstellung in den Medien (falls die sich überhaupt jemals mit solchen Gemeinschaften beschäftigen), sie mit Hohn und Spott zu überschütten, sie als heuchlerische Frömmelei zu verleumden, sie geheimer krimineller Machenschaften zu verdächtigen, sie als geheimbündlerische Organisationen darzustellen, wo hinter einer frommen Fassade Missgunst und Intrigen, Machtstreben und Habgier, Hass und Mord herrschen. Das alles mag es vereinzelt, zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten, auch gegeben haben, aufs Ganze gesehen waren aber die christlichen Glaubens- und Lebensgemeinschaften durch viele Jahrhunderte Orte, von denen Gemeinschaftskultur und Frieden ausgingen und Bildung, Wohlstand, Fortschritt, Hilfe für Bedürftige, für Kranke, Alte und Sterbende …, und eine entsprechende Gesinnung des Miteinander und Füreinander. Und solche Gemeinschaften und Orte gibt es auch heute noch, trotz aller Schwachheiten und Unzulänglichkeiten, die grundsätzlich alle menschlichen Möglichkeiten begrenzen.
Seltsam ist es allerdings, dass sich die gleichen Medien so wenig mit jenen Orten und Gemeinschaften auseinandersetzen, von denen früher, vor allem aber auch in unserer Gegenwart wirklich das Böse in Form von Hass, Gewalt und Unfrieden ausgegangen ist und ausgeht. Auch das sind ja nicht nur Einzelpersonen am Werk, sondern Gemeinschaften und Organisationen, ja ganze ideologiegestützte Systeme des Bösen und der aktiven Lieblosigkeit.
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Das böse und das gute „System“
Das Schlimmste, was einem Menschen begegnen kann, ist nicht die böse Tat, auch nicht der böse Mensch, sondern das böse System (siehe das Thema „gut und böse“). Ein einzelner Mensch kann wohl einzelnes Unheil anrichten, kann andere Menschen verletzen oder sogar töten. Aber wenn dies in einem insgesamt positiven, die Rechte und die Würde des Menschen achtenden System geschieht, bleibt es eine einzelne Tat, die von der Mehrheit verurteilt und von den Rechtsorganen bestraft wird.
Wehe aber, wenn ein ganzes System böse wird, dann sind die negativen Auswirkungen viel tiefer gehend und viel umfassender. Das beginnt schon bei Klein-Systemen, wie etwa einer Jugend-Bande auf dem Schulpausehof, die nach innen eine gewalttätige Disziplinierung übt und nach außen Angst und Schrecken verbreitet. Noch deutlicher wird dies bei den kriminellen Großsystemen des heutigen internationalen Drogen-, Waffen- oder Menschenhandels mit weltweit Millionen von Opfern, obwohl ja auch diese Systeme noch in den meisten Ländern als verbrecherische Strukturen bekämpft werden. Seine eigentliche zerstörerische Macht erreicht so ein böses System aber erst dann, wenn es selbst zur „staatstragenden“ Idee und zum alles bestimmenden Machtzentrum geworden ist, da, wo es nicht nur Fehlentwicklung und Entgleisung einer bestehenden Ordnung durch menschliche Bosheit ist, sondern „von oben“ gewollter und gelenkter Vernichtungswille.
Eine höchste und furchtbarste Verdichtung so eines „bösen Systems“ hat es in einem Teilbereich des Nazi-Regimes in Deutschland (1933-1945) gegeben, nämlich in den Konzentrations- und Vernichtungslagern der SS. Weitgehend verborgen vor den Augen der „normalen“ Bevölkerung hatte sich ein Unrechts- und Gewaltsystem, ein „Staat im Staate“ etabliert, der alles Unrecht und alle Bosheit des Nazi-Regimes in höchster und grausamster Konzentration vollstreckte. Nie in der Geschichte der Menschheit hat es ein so rational geplantes und durchgeführtes, von den offiziellen Organen eines ganzen Staates gewolltes, vorangetriebenes und durchgesetztes Vernichtungswerk gegeben, wie jenes, das wir unter den Bezeichnungen „Holocaust“ oder „Schoah“ kennen, oder „Endlösung der Judenfrage“ (so nannten es die Täter), und ebenso die Vernichtung anderer als „minderwertig“ angesehener Volksgruppen, z.B. der körperlich oder geistig Behinderten, der Sinti und Roma, der „Kriminellen“ und „Asozialen“, der politisch Andersdenkenden, der Homosexuellen oder der „Bibelforscher“.
Alles in diesem System war daraufhin ausgerichtet, die Gefangenen, die ja meist keinerlei persönliche „Schuld“ auf sich geladen hatten, zu erniedrigen, zu quälen, ihre Arbeitskraft bis zum äußersten auszubeuten und sie schließlich zu töten. Und gleichzeitig war das System so angelegt, dass es die „Herren“ des Systems, die SS-Offiziere, mit dem Gut und der Arbeitskraft der Opfer mästete und sie zu bedingungslosen Herren über Wohl und Wehe, Leben und Tod der Häftlinge machte.
Viele Berichte aus diesen Lagern (man könnte ebenso auch Berichte aus den Straf-Lagern des „GULAG“ in der Sowjetunion unter Stalin heranziehen oder aus den „Umerziehungslagern“ in China unter Mao) bestätigen übereinstimmend, dass es die furchtbare Bosheit des Systems war, das die Opfer ständig an den Rand der physischen Existenz trieb, (man war ja ständig halb am Verhungern, ständig zu Tode erschöpft, und ständig in der Angst vor den Willkürmaßnahmen der Aufseher). Auch schon ohne direktes Eingreifen der SS-Henker wurden die Häftlinge und ihr Miteinander in eine unglaubliche Verrohung des Verhaltens und eine erschreckende Abstumpfung gegenüber fremdem Leid geführt, eine Verrohung und Abstumpfung, die die Häftlinge im „normalen“ Leben nie für möglich gehalten hätten. Die alltäglichen Vollstrecker des Unrechtssystems der Konzentrationslager waren ja oft gar nicht die SS-Leute selbst, die hielten sich normalerweise im Hintergrund, sondern die Kapos und Aufseher, die Kriminellen und Sadisten, die – obwohl sie selbst Häftlinge waren – innerhalb des Systems eine privilegierte Stellung erobert hatten und nun eine grausame Gewaltherrschaft über ihre Mithäftlinge ausübten, und das war oft die einzige Möglichkeit, selbst (wenigstens noch für eine Weile) am Leben zu bleiben.
Freilich gibt es auch Berichte, die belegen, dass mitten in der Hölle der Unmenschlichkeit und auch unter äußerster Todesgefahr Menschen einander zu Helfern und Wohltätern wurden, wahre „Heilige“, die nicht in den Kalendern stehen – und das waren nicht wenige.
Wir nehmen es als historische Tatsache wahr, dass das Böse sich als übergeordnetes System und alles bestimmende Macht in menschlichen Organisationsformen etablieren kann. Es war offensichtlich möglich, dass ein ganzes Volk in der überwiegenden Mehrheit seiner Mitglieder sich mehr oder weniger bewusst, mehr oder weniger aktiv in ein Verfolgungs- und Mordsystem einordnen ließ, das die Beteiligten selbst ein paar Jahre vorher nie für möglich gehalten hätten. Und dieses System der Bosheit (hinter deren glänzender Außenseite für jeden, der es sehen wollte, die Finsternis im Innern erkennbar war) wurde von der Mehrheit der Bürger mit gläubiger Inbrunst bejubelt, gewollt und vollzogen. So erscheint uns das „böse System“ als Negativ-Folie für jene Gemeinschaft des Füreinander und der Liebe, die eigentlich dem Menschsein als „Bild Gottes“, als Darstellung seiner Liebe zugedacht ist. Im Reich der Finsternis, das in den Todeslagern und Vernichtungsfeldzügen des sogenannten „Dritten Reiches“ umrisshaft sichtbar geworden ist, zeichnete sich auch umrisshaft das Gegenmodell zum verheißenen und kommenden Gottesreich ab.
An der Tiefe des Schattens, an der schrecklichen Finsternis des Bösen als Negativ-Bild der von Gott gewollten Menschlichkeit, können wir erahnen, welches Licht und welcher Glanz dem Menschsein in der Erfüllung seiner von Gott gegebenen Berufung zukommen kann. Und so wie in den Todeslagern der SS das Böse, die Gewalt, die Menschenverachtung und der millionenfache Mord hier auf dieser Erde zur alles bestimmenden Realität werden konnten (Lesen Sie die Berichte der wenigen, die überlebt haben!), so kann auch das Reich Gottes, also eine Gemeinschaftsordnung der Liebe, der Mitmenschlichkeit und des Friedens hier auf dieser Erde zur alles bestimmenden Realität werden. Nein, ich lasse es nicht gelten, wenn man sagt: „Das sind doch Illusionen eines weltfernen Träumers.“ Man möge mich dafür kritisieren und belächeln, aber ich bleibe dabei: Ein System der Güte und des Füreinander als Lebenselement und reale Rahmenbedingung des Menschseins hier und heute ist nicht unmöglicher, nein, es ist nicht unmöglicher, als es das reale System der Unmenschlichkeit in den Todeslagern der Nazis war. Wer hätte denn so etwas vorher für möglich gehalten? Wer wollte behaupten, es könnte unter den Menschen nur das Böse zur konsequentesten Verwirklichung und äußersten Entfaltung gelangen und nicht auch das Gute?
Der Mensch hat von seinem Schöpfer die Fähigkeit bekommen, zwischen Gut und Böse, zwischen Liebe und Egoismus zu unterscheiden und sich zwischen beiden Möglichkeiten entscheiden. Und wo, wenn nicht in der Gemeinschaft derer, die durch Jesus von Schuld befreit, zur Gemeinschaft berufen und zum Dienst gesandt sind, könnte die Entscheidung für die Liebe Gestalt annehmen und in einem „System“, besser gesagt, in einem lebendigen „Organismus“ des Miteinander und Füreinander zur gemeinsamen Lebensgrundlage werden? (Beispiele gibt es in der Geschichte der Christenheit bis in unsere Gegenwart viele.)
Gewiss weiß auch ich, dass die Vollendung des Reiches Gottes als einer Gemeinschaftsordnung des ungefährdeten und unbegrenzten Guten durch die Liebe noch aussteht und erst verwirklicht werden kann, wenn der Herrscher dieses Reiches, Jesus, als der Messias Gottes auf diese Erde zurückkehrt, aber eine modellhafte Vorverwirklichung ist schon hier und heute möglich und von Gott gewollt. Freilich: In der gegenwärtigen Welt und Zeit wird es eine vollkommen uneigennützige Liebe nicht geben. Das wäre auch gar nicht erstrebenswert und in dieser vorläufigen und unvollkommenen Welt auch nicht sinnvoll. Die Bibel im Alten und Neuen Testament sagt: „Du sollst deinen Nächsten (deine Nächste) lieben wie dich sebst.“ Das ist die unserer Zeit und Welt angemessene Form von Liebe. Zwischen totaler Liebe und totalem Egoismus gibt es einen weiten „Zwischenbereich“ und der ist es, in dem unsere Liebe konkret werden kann und soll. Stellen wir uns diesen Zwischenbereich eingeteilt vor in drei etwa gleich große Teilbereiche: Da gibt es auf der einen Seite einen Teilbereich nahe der totalen Liebe, der wird für uns Menschen höchstens für kurze Zeit und immer auch nur angefochten zugänglich sein. Dann gibt es auf der anderen Seite einen Teilbereich nahe dem totalen Egoismus und der ist als Verlockung (manchmal auch als maßlose Gier) immer gegenwärtig. Der dritte, mittlere Teilbereich, in dem die Liebe zum Du sich die Waage hält mit der Liebe zu sich selbst, ist der uns Menschen zugewiesene Beziehungs-Raum, in dem wir uns bewegen und begegnen sollen. Dabei müssen wir immer auf der Hut sein vor einer Selbstliebe, die in blanken Egoismus abzugleiten droht und vor einer Nächsten-Liebe, die sich ins Absolute vervollkommnen will, um (uneingestanden) das eigene Ego vor sich uns den anderen noch heller strahlen zu lassen.
Wer bereit ist, aufmerksamer zu schauen und zu hören, und sich hineinzubegeben in die Gemeinschaft des Gottesvolkes in Geschichte und Gegenwart (des Judentums und aller christlichen Konfessionen), auch da, wo diese Gemeinschaft noch sehr bruchstückhaft und unvollkommen ist, der wird erkennen: Ja, es hat längst schon begonnen, klein und in aller menschlichen Schwachheit, nicht überall und nicht zu jeder Zeit in gleicher Intensität und Konsequenz, aber immer mitten in dieser Welt. Freilich müssen wir auch gestehen, dass sich das immer nur in relativ kleinen, aufs Ganze gesehen scheinbar unbedeutenden Formen und Strukturen und immer nur für begrenzte Zeit verwirklicht hat. Und das ist nicht nur negativ zu sehen. Denn da, wo Kirche sich selbst als schon vollendetes „Reich Gottes auf Erden“ empfand, weil sie groß und mächtig geworden war, da war sie immer in der Gefahr, ihre Größe und Macht zu missbrauchen. Da aber, wo Menschen biblischen Glaubens (im Judentum oder in den christlichen Kirchen) wenigstens in Ansätzen so in Gemeinschaft lebten, wie es der Botschaft der Bibel im Alten und Neuen Testament entspricht, da wurde und wird das Menschsein zum Leuchtzeichen der Liebe mitten in einer verfinsterten Welt.
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Bodo Fiebig „AHaBaH – Gemeinschaft der Liebe“ Version 2018-1
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