Bereich: Grundfragen des Glaubens

Thema: AHaBaH – Das Höchste ist lieben

Beitrag 4: Gegenwartspraxis d. Zukünftigen (Bodo Fiebig4. Januar 2018)

Als Jesus seine öffentliche Predigt beginnt, verkündigt er das „Reich Gottes“ (siehe das Thema „Dein Reich komme“). Dieses „Reich“ (gemeint ist hier nicht ein bestimmtes Land, sondern die Gemeinschaft des Gottesvolkes unter der Königsherrschaft der Liebe Gottes) besteht nicht aus einer großen Anzahl von Einzelnen, von denen vielleicht viele eine besondere Beziehung zu Gott haben, sondern aus einer wohlorganisierten Lebensgemeinschaft. Und die soll durch die Intensität ihres Gemeinschaftslebens zu einer organischen Einheit werden, die schließlich alles Menschsein umfasst. Durch die sichtbare, dann unbegrenzte und unangefochtene Herrschaft Gottes im Friedensreich des Messias soll die AHaBaH , die Liebe Gottes, überall und für alle zur Grundlage der Liebesgemeinschaft des Menschseins werden.

Aber ist das nicht ein fernes und unerreichbares Ideal, so fern, dass es die alltägliche Realität unseres Lebens gar nicht mehr berührt? Nein, denn diese „Menschlichkeit“ als Abbildung und Nachahmung der Gottesliebe soll schon hier und jetzt in den ganz kleinen alltäglichen Realitäten unseres Lebens zumindest modellhaft vor-verwirklicht werden. Sie misst sich dabei nicht am Ideal der Vollkommenheit, sondern am Vollzug der Mitmenschlichkeit inmitten aller menschlichen Unvollkommenheiten und Schwächen. Und diese Mitmenschlichkeit begegnet uns nirgends so real und zugleich so vorbildhaft wie im Leben Reden und Handeln Jesu, in dem das Menschsein zum wahrhaftigen Ebenbild Gottes geworden ist und die Liebe Gottes ganz menschlich (siehe das Thema „Jesus – der Weg“).

Das messianische Reich der Liebe (und des Friedens, der Freude und der Vollkommenheit durch die Liebe) wird die Schöpfung Gottes zur Erfüllung bringen: als einen Ort, in dem Gott, der vor und jenseits aller Schöpfung existiert, in der Schöpfung gegenwärtig und erfahrbar ist. Das bedeutet: Das Reich Gottes ist nicht von dieser Welt, aber in dieser Welt. Es vollzieht sich hier auf dieser Erde, nicht in einem sagenhaften, jenseitigen Irgendwo (siehe den Themenbeitrag Zwischen Schöpfung und Vollendung). Es soll, „wie im Himmel so auf Erden“ Realität werden. Die Liebe, d. h. die Lebensordnung des Himmels, kann und soll und muss hier auf dieser Erde zum Vollzug und zur Vollendung kommen. Dann aber nicht mehr allein für das Judentum und für die christliche Gemeinde als „Herausgerufene“ aus den Völkern, sondern für die Menschheits-Gemeinschaft als Ganzes. Dann wird die Bestimmung allen Menschseins erfüllt sein als Abbild und Darstellung der Liebe des Schöpfers in der geschaffenen Welt, als menschlich fassbare Vergegenwärtigung des unfassbaren Gottes mitten in einer von Egoismus beherrschten und nach Selbsterhalt, Selbstbehauptung und Selbstverwirklichung strebenden Menschheit. Im messianischen Reich wird die Liebesgemeinschaft der ganzen Menschheit zur sichtbaren und erfahrbaren Darstellung der Liebe Gottes, denn Gott schuf das Menschsein sich zum Eben-Bild (1. Mose 1, 27).

Gott will auf dieser Erde eine alle und alles umfassende Gemeinschaft des Guten verwirklichen, in dem nichts Böses (keine Lieblosigkeit, keine Gewalt, kein Leid und nicht einmal der Tod) mehr Raum haben kann. Das wird geschehen im Friedensreich des Messias, wenn der sichtbar kommt, um diese Erde von allem Bösen zu befreien und sie zum Schauplatz der Gottes- und Menschenliebe zu machen.

Bis dahin kann die Liebe, wie Gott sie meint und sucht (AHaBaH), immer nur modellhaft verwirklicht werden, zeitlich und räumlich begrenzt, aber doch in einer Echtheit und Tiefe, die schon jetzt (trotz aller menschlichen Schwächen und trotz aller Unvollkommenheit) die Vollendung widerspiegelt.

Wie könnten wir sagen, etwas sei unmöglich, wenn es doch Gottes erklärter Wille ist? Er hat alle Macht, seine Pläne durchzusetzen. Wenn es um die Verwirklichung seines verheißenen Reiches geht, ist Gott bereit, Wunder über Wunder zu tun, so wie er es durch Jesus und dann in der frühen Christenheit getan hat. Er will und kann jede Voraussetzung dafür schaffen, dass sein Reich der Liebe unter den Menschen entsteht und wächst. Nur die Liebe selbst kann und will er nicht erzwingen, weil sie dann nicht mehr frei und ehrlich und echt wäre. Gott stellt seine ganze Herrschermacht in den Dienst seiner Vaterliebe, damit unter seinen Kindern auf der Erde das Reich der Liebe Wirklichkeit wird „wie im Himmel, so auf Erden“. Ja mehr noch: Er gibt sich selbst, seine opferbereite Liebe, ins Menschsein, um durch die Macht seiner Liebe im Miteinander der Menschen jedes Böse zu entmachten und alles Gute freizusetzen (siehe das Thema „Gesetz oder Liebe?“, Beitrag Warum musste Jesus am Kreuz sterben?

Wie das aussehen soll, das können wir uns an einem bildhaften Vergleich deutlich machen: Wenn man ein sehr großes und sehr schönes Haus bauen will und viele einladen will, daran mitzubauen, dann ist es gut, wenn man von diesem Haus ein Modell anfertigt. Viele Menschen können sich von einer bloßen Beschreibung oder Zeichnung keine Vorstellung machen, wie das Haus wirklich aussehen soll. Sie brauchen ein Modell, damit sie es anschauen und „begreifen“ können.

So macht es Gott. Er will auf der Erde ein Haus bauen, das größer und schöner sein wird als alles, was Menschen je geplant haben. Es ist das Haus des Guten, der Liebe und der Einheit, in welchem die ganze Menschheit auf dieser ganzen Erde wohnen soll (die Bibel nennt es das „Reich Gottes“). Und weil dieses Haus so unvorstellbar groß und vielgestaltig und schön werden soll, deshalb will Gott ein Modell davon machen, damit die Menschen es sehen und Lust bekommen, selbst daran mitzubauen und darin zu wohnen (übrigens: Ein Modell kann ein sehr besonderes und einmaliges „Haus“ vor-abbilden, im Gegensatz zu einem Muster, das zur Vorlage zur Vervielfältigung des immer gleichen dient). Dieses „Haus“, das Gott bauen will, ist die erneuerte und vollendete Schöpfung. Das „Modell“ dafür, das hier und jetzt entstehen soll, ist eine Gemeinschaft von Erstlingen, die in ihrem Miteinander hier und jetzt schon etwas von dieser Erneuerung und Vollendung verwirklicht.

Es genügt nicht, wenn die Botschaft von der Liebe Gottes nur gesagt und gehört wird. Sie muss auch sichtbar und handgreiflich erfahrbar werden. Die ursprüngliche Berufung des Menschen, Ebenbild Gottes, d. h. durch die Liebe Abbild seines Wesens zu sein, muss jederzeit und auch heute dargestellt und vorgelebt werden, sonst fehlt der Menschheit das Vorbild des göttlichen Wesens für das rechte Menschsein. Es geht nicht ohne das Abbild der Liebe Gottes unter den Menschen. Wenn in dieser armen, leiderfüllten und doch so wunderschönen Schöpfung die Liebe als Lebenselement des Menschseins nicht mehr gegenwärtig und erfahrbar wäre, dann hätte die Menschheit ihren Auftrag und die Schöpfung ihre Lebenskraft verloren.

Das Volk Gottes hat in dieser Welt und Zeit eine Aufgabe. Es soll und kann nicht das endzeitlich vollkommene, umfassende Heil herbeiführen, vorwegnehmen, erzwingen, berechnen, es kann und soll auch nicht so tun, als ob die Vollendung der Schöpfung schon da wäre und dabei die Augen vor den Realitäten dieser Welt verschließen. Das alles kann und soll das Volk Gottes nicht.

Aber es kann und soll, zeichenhaft und vor-abbildend, die Grundzüge des Heils in aller Unvollkommenheit und Bruchstückhaftigkeit doch schon jetzt und hier sichtbar, erkennbar und nachvollziehbar machen. Es kann und soll den Glanz der himmlischen Herrlichkeit schon in dieser Welt und Zeit ein wenig zum Leuchten bringen. Es kann und soll den Geschmack des himmlischen Friedens schon auf dieser Erde ein wenig schmecken lassen. Es kann und soll die Barmherzigkeit und Liebe Gottes schon jetzt und hier wie eine zarte Berührung spüren lassen. Es kann und soll wenigstens ein paar Grundtöne des himmlischen Lobgesangs schon hier auf der Erde zum Klingen bringen.

Das Modell der vollendeten Schöpfung, wo es einmal kein Leid und kein Geschrei, keinen Schmerz und keinen Tod, keine Gewalt und keine Ungerechtigkeit, keinen Hunger und keine Armut, keine Angst und keine Verzweiflung mehr geben wird, das Modell dafür, das schon hier und heute entstehen soll, ist nach dem Willen Gottes das alltägliche Miteinander unter denen, die schon hier und heute und mitten in dieser Welt (bei aller menschlichen Schwäche und Unvollkommenheit) das zu verwirklichen versuchen, was nach den Worten Jesu das Höchste des Menschseins ist: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Dies ist das höchste und größte Gebot. Das andere aber ist dem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.

Baupläne“ d. h. Beschreibungen, wie dieses Modell für das Haus der Liebe aussehen soll, wie das Volk Gottes leben soll, damit es ein Zeichen ist, an dem man in einer Art Vor-Schau erkennen kann, wie die Verwirklichung des Heils aussehen wird, gibt es im Alten und Neuen Testament genug. Zum Beispiel Jesaja 58, 6-7: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!

Wo das, was der Prophet Jesaja hier aufzählt, und was die Apostelgeschichte (Apg 2, 42-47 und Apg 4, 32-35) als Gemeinschaftsleben der Urgemeinde beschreibt, wirklich alltägliche Lebenspraxis im Volk Gottes Alten und Neuen Testaments wird, da wird es tatsächlich Leuchtzeichen einer himmlischen Realität inmitten der Finsternis dieser Welt, da wird es Bild der Liebe Gottes, Hoffnungszeichen in einer scheinbar verlorenen Schöpfung. Parallel dazu könnte man aus dem NT die ganze Bergpredigt und große Teile der übrigen Reden Jesu, vor allem aber sein Leben und Handeln (also, wie er mit den Menschen umgegangen ist) anführen, um zu zeigen, wie das Modell des zukünftigen Heils in dieser Welt und Zeit aussehen soll.

Solche Gegenwartspraxis des zukünftigen Gottesreiches kann und soll auch heute überall geschehen, wo Menschen sich von Jesus zu einer Lebensgemeinschaft der Einheit in versöhnter Vielfalt durch die Bindungskraft der Liebe führen lassen. Und das nicht als weltferne Utopie und wirklichkeitsscheuen Wunschtraum, sondern als handfest-konkreter Lebensvollzug. Nur so kann in der Jüngerschaft Jesu ein Erfahrungsraum entstehen, in dem schon hier und jetzt (andeutungsweise und trotz aller menschlichen Gebrochenheit) ein Vorgeschmack der Vollendung wahrzunehmen ist.

Eine Jüngergemeinschaft, die so lebt, wird (trotz aller menschlichen Schwäche, Unvollkommenheit und Schuld) zum „Vor-Bild“ der Vollendung jener Liebe (AHaBaH), die die Gemeinschaft des Menschseins zum „Eben-Bild“ Gottes macht, mitten in dieser armen, geschundenen und doch auch so schönen Welt. Und solche „Modelle“ für das Haus der Gottesgegenwart auf Erden gibt es viele, an vielen Orten, in vielen Ländern, in vielfältigen Organisationsformen und Lebensweisen, innerhalb der verschiedenen Konfessionen und Glaubensgemeinschaften. Wer Beispiele gemeinsamen Lebens und Glaubens sucht, wo man etwas von der „Liebesgemeinschaft des Menschseins“, etwas von der „Gegenwartspraxis des zukünftigen Gottesreiches“ konkret erfahren kann, der wird sie finden – gewiss niemals vollkommen, aber doch liebevoll und lebensfroh, warmherzig und barmherzig, echt und ehrlich.

Aber nicht nur innerhalb der Jüngergemeinschaften soll sich diese Liebe heute schon bewähren, sondern auch im Umgang mit einer manchmal ablehnend und feindlich eingestellten Umwelt. In der Bergpredigt sagt Jesus (Mt 5, 43-44): Ihr habt gehört, dass gesagt ist: „Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.“ Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen … (Manche alten Überlieferungen fügen hinzu: „segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen“). So „liebt“ man seine Feinde. Das ist nicht zuerst etwas, was Jesus von seinen Jüngern verlangt, sondern etwas, das er selbst ihnen vorlebt, sogar noch in der Todesstunde am Kreuz: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun (Lk 23, 34). Jesus liefert sich aus Liebe zu den Menschen menschlicher Feindschaft und menschlichem Hass aus, um eben diese feindselige, hasserfüllte Menschheit zu retten. So hat er in seiner Person das Menschsein zur Erfüllung seiner gottgegebenen Berufung gebracht (1. Mose 1,27): Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn. Wenn im zwischenmenschlichen Miteinander, wo und wie auch immer, auch nur geringste Ansätze solcher Liebe gelingen und winzigste Spuren davon sichtbar werden, dann ist das Höchste des Menschseins dabei, sich zu erfüllen. Denn Gott hat nicht nur vor, einige Gläubige und Heilige zu retten, sondern die ganze Menschheit zum Glauben und zum Heil zu führen. Das Menschsein als Ganzes, in allen seinen Erscheinungsformen und Ausprägungen soll als Gemeinschaft der Liebe zum „Bild Gottes“ werden, zur anschaubaren und erfahrbaren Vergegenwärtigung des Schöpfers in der geschaffenen Welt. So soll diese ganze lebensfeindliche und lieblose Welt zum Ort der Gottesgegenwart und Schauplatz seiner Liebe werden. Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde (Joh 3, 16-17).

AHaBaH – das Höchste ist lieben. Dass dieses „Lieben“, das uns als höchstes „Gebot“, als größte Herausforderung und Aufgabe des Menschseins vorgestellt wird, zugleich auch jene Erfahrungen mit sich bringt, die dem Menschen höchste Freude und tiefste Zufriedenheit und umfassendstes Glück bescheren, das können wir nur dankbar als Ausdruck der Menschenfreundlichkeit Gottes empfangen und annehmen.

Aber nicht nur unser gegenwärtiges irdisches Glück ist von der Liebe getragen, sondern auch die verheißene zukünftige Erfüllung und Voll­endung unseres Menschseins (siehe die folgenden Beiträge „Gemeinschaft der Liebe“ und „Verheißung der Liebe“).

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Bodo Fiebig Die Gegenwartspraxis des Zukünftigen“, Version 2018-1

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