Bereich: Grundfragen des Lebens

Thema: Zeit und Ewigkeit

Beitrag 1: Zeit-Bilder (Bodo Fiebig29. Mai 2017)

1 Was ist „Zeit“?

Noch nie hat ein Mensch das, was wir „eine Minute“ nennen oder „eine Stunde“ gesehen, gehört, gefühlt, gerochen, geschmeckt, berührt oder angefasst. Das, was wir „Zeit“ nennen ist keinem unserer Sinne direkt zugänglich. Und doch haben wir ein Empfinden vom „Vergehen“ der Zeit und können in etwa abschätzen, wie lange eine Minute oder eine Stunde dauert. Manchmal allerdings haben wir das Gefühl, dass die Zeit viel zu schnell verrinnt, davon eilt, rast, und manchmal scheint sie sich endlos zu dehnen, ja fast still zu stehen. Wir versuchen, sie für uns verfügbar zu machen, indem wir „Zeitmessgeräte“ bauen, vom Sonnen-Stab bis zur Atomuhr, mit deren Hilfe wir unser Zeiterleben einteilen, vergleichen, steuern können. Ja, wir reden von „Zeitplanung“ und „Zeitmanagement“ und haben doch eher das Gefühl, dass die Zeit uns steuert, dass sie sich unser bemächtigt und unserem Leben ihr Maß aufzwingt. Das Bewusstsein vom Vergehen der Zeit ist uns oft lästig, ja, es macht uns manchmal Angst. Deshalb drehen wir den Spieß um, wollen vom Gejagten zum Jagenden werden, indem wir aktiv die Zeit „vertreiben“ und manchmal verlieren wir uns und unseren Lebenssinn im gedankenlosen Zeit-Vertreib.

„Zeit“ ist ein sehr abstrakter, unanschaulicher Begriff. Deshalb brauchen wir Vorstellungshilfen, Bilder, die uns die Anschaulichkeit ersetzen, die dem Phänomen Zeit selbst offensichtlich fehlt. Solche Zeit-Bilder sind meist schon uralt und stammen aus den frühesten Schichten menschlichen Erlebens und Denkens. Unsere Vorstellung davon, was Zeit eigentlich ist, bestimmt wesentlich und seit Jahrtausenden unser eigenes Zeit-Empfinden mit, beeinflusst und färbt gefühlsmäßig und intellektuell die Art, wie wir uns selbst und unser Dasein in der Zeit erleben und deuten.

Noch unanschaulicher ist uns der Begriff „Ewigkeit“. Und doch rührt er in uns etwas an: eine Sehnsucht, die Menschen schon seit Jahrtausenden bewegt. Auch in der Bibel finden wir deutliche Spuren davon, allerdings mit einem besonderen Akzent: Ewiges Leben im Sinne der Bibel bedeutet nicht ein endlos langes Leben, sondern ein Leben ohne Vergänglichkeit. Das ist nicht das Gleiche. „Ewiges Leben“ im Sinne der Bibel bezeichnet nicht eine Zeit-Dauer (also eine Quantität von Zeit), sondern ein Leben in der Gegenwart Gottes (also eine Qualität von Leben). Ewiges Leben ist nicht endlose Zeit sondern erfüllte Zeit, in der das Vergehen der Zeit und die Vergänglichkeit des Lebens nicht mehr die entscheidende Rolle spielen.

Das Thema „Zeit und Ewigkeit“ will uns anleiten, unsere Zeit-Bilder bewusster wahrzunehmen, will uns helfen, besser zu verstehen, was sie für uns bedeuten können. Es will auch erkennbar machen, welches Zeitbild in der biblischen Botschaft Alten und Neuen Testaments enthalten ist und sie will uns eine bewusste und persönliche Haltung ermöglichen, die es uns erlaubt, mit den Fragen nach Zeit und Ewigkeit, Leben und Tod positiv umzugehen.

2 Unsere Bilder von der Zeit

Der Mensch ist das einzige Wesen auf dieser Erde, das eine bewusste Vorstellung von Zeit – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – haben kann. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass er nun auch gezwungen ist, sich mit dem Phänomen Zeit und ihrer Vergänglichkeit auseinanderzusetzen. Ein Lebewesen, das weiß, dass es so etwas wie „Zeit“ gibt, kann nicht mehr in unbefangener Zeitlosigkeit leben. Je mehr und genauer wir in der Lage sind, Zeit zu messen, einzuteilen und zu vergleichen, desto mehr werden wir genötigt, uns den Zeitvorgaben unserer Umwelt anzupassen, oft auch unterzuordnen. Das merken wir spätestens, wenn wir ein paar glückliche Tage im Urlaub ohne Zeitdruck gelebt haben und wir dann zum Rückflug pünktlich am Flughafen sein müssen, weil sonst der Flieger weg ist. Zeit kann unerbittlich sein und manchmal grausam. Und immer, wenn in unserer Umgebung der Tod der Lebens-Zeit eines Menschen ein Ende setzt, sehen wir uns vor beklemmende Fragen gestellt: Wie ist es möglich, dass die Zeit allgemein einfach weitergeht, wenn meine Zeit zu Ende ist? Kann denn die Zeit in der Stunde meines Todes mein „Dasein in der Zeit” einfach abschalten, oder hat die Zeit auch nach meiner biologischen Lebens-Zeit für mich persönlich noch eine Bedeutung? Unsere Zeitvorstellungen lassen uns oft ratlos zurück: Ist vielleicht das, was wir „Zeit“ nennen, selbst etwas Endliches und der Begriff „Ewigkeit“ vielleicht nur ein Hilfskonstrukt, das uns helfen soll, die offensichtliche Unerbittlichkeit im Vergehen der Zeit und in der Vergänglichkeit des eigenen Lebens zu ertragen?

Was ist das: „Zeit“? Und was soll man sich darunter vorstellen, dass die Zeit „vergeht“ ?Im Laufe der Menschheitsgeschichte haben sich verschiedene Weisen herausgebildet, wie sich Menschen das Phänomen „Zeit“ vorstellen. Wir brauchen ja Bilder, um einen so abstrakten Begriff wie „Zeit“ überhaupt mit Inhalt füllen zu können. Wie also können wir uns das, was wir „Zeit“ nennen, also das Zusammenspiel von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, und unser eigenes Dasein darin, bildhaft anschaulich machen? Und welche Bilder stecken da – bewusst oder unbewusst – in unseren Köpfen und Herzen schon drin und bestimmen unser Denken und Empfinden? Wir werden sehen: Die häufigsten Vorstellungen vom Ablauf der Zeit beinhalten entweder ein zyklisches oder ein lineares Zeit-Bild.

2a Zyklisches Zeitbild

Das älteste Verständnis von „Zeit“ ist ein natürlich-zyklisches. Sein Ur-Bild ist der Kreislauf. Es ist dem Geschehen in der Natur abgeschaut, dem Wechsel der Tages- und Jahreszeiten, die sich Tag für Tag und Jahr für Jahr in immer gleichem Ablauf wiederholen. Dem entspricht ein zyklisches Zeitverständnis: Alles wiederholt sich in einem ständigen Kreislauf, alles kehrt wieder zu sich selbst zurück.

Aber, ob wir uns dessen bewusst sind, oder nicht: Ein zyklisches Zeitbild (also ein Zeitverständnis in Kreisläufen) formt auch unser Weltverständnis und Selbstverständnis mit. Religionen, bei denen Ahnenkult oder Reinkarnation eine Rolle spielen, haben so ein zyklisches Zeitverständnis als Glaubenshintergrund (Siehe den Themenbeitrag „Weltreligionen und biblischer Glaube“): Etwa so: Die Lebenskraft, Spiritualität und Gestaltungspotenz der toten Vorfahren kann für das Leben der gegenwärtigen Generation reaktiviert werden. Oder: Der Mensch stirbt zwar als Individuum, aber Auswirkungen früherer Existenzweisen kehren je nach ethischer Qualität (Karma) der vorigen Lebensformen in neuer Gestalt zurück (etwa im Hinduismus). Im Buddhismus ist es sogar das höchste Ziel, nach vielen Reinkarnationen irgendwann im Nirwana vom Zwang des ewigen Wiederholen-Müssens erlöst zu werden.

Ob wir es merken oder nicht: Etwas von diesem zyklischen Zeitempfinden steckt auch in jedem von uns, und nicht von ungefähr sind Reinkarnationslehren auch bei uns im sogenannten „christlichen Abendland“ wieder stark im Kommen. Da unser Erleben von frühester Kindheit an von Zeiterfahrungen in Form von Kreisläufen und Wiederholungen geprägt ist (Morgen und Abend, Tag und Nacht, Hunger und Sättigung, Ebbe und Flut, Sommer und Winter, Saat und Ernte, Geburt und Tod …), sind zyklische Zeitvorstellungen ganz tief in unserem Empfinden verankert.

2b Lineares Zeitbild

Das zweite Zeitbild und Geschichtsverständnis, das sich im Laufe der Menschheitsgeschichte herausgebildet hat, ist ein philosophisch-lineares. Es kommt nicht aus der Naturerfahrung, sondern aus dem Denken des Menschen. Er fragt, wenn von einem Ereignis in der Vergangenheit die Rede ist: „Und, was war davor?“ – und wenn von etwas die Rede ist, was noch in der Zukunft liegt: „Und, was kommt danach?“ und er stößt mit seinem Nachdenken immer tiefer in immer fernere Zeiträume vor. Und er merkt: Zu jedem noch so fernen Zeitpunkt in der Vergangenheit kann ich diese Frage stellen: Und was war davor? Und zu jedem noch so fernen Zeitpunkt in der Zukunft kann ich fragen: Und was kommt danach? Die Zeit scheint also in die Vergangenheit und in die Zukunft hinein endlos, ewig. Eine unendliche Zeitlinie, die von einer unendlich fernen Vergangenheit in eine unendlich ferne Zukunft reicht und auf der sich die Gegenwart zwar stetig nach vorne bewegt, auf der sie aber nie an ein Ende kommen kann. Auch dieses philosophisch-lineare Zeit-Bild steckt in unserem Denken ganz tief drin, und manchmal halten wir es sogar für das einzig mögliche, einzig gültige Denkmodell.

Bild 2a

Wir könnten uns die Vorstellung dessen, was in so einer linear unendlichen Zeitlinie eigentlich unsere Gegenwart ausmacht, etwa mit folgendem Vergleich veranschaulichen: Eine Zündschnur, gerade ausgespannt und von uns aus gesehen nach beiden Seiten unendlich lang. Und diese Zündschnur wäre vor vielen Milliarden Jahren irgendwo weit weg von uns, in einer für uns uneinsehbaren Vergangenheit angezündet worden. Die heiße, funkensprühende Glut, die nun entlang der Zündschnur weiterwandert, wäre ein Bild für das, was wir „Gegen­wart“ nennen. Und nun fräße sich der von Nähe, Erfahrungsdichte und Handlungsmöglichkeiten glühende Zündfunke der Gegen­wart Jahrtausend um Jahrtausend an dieser Zeit-Schnur entlang, vor sich die noch unberührte Zukunft, hinter sich die kalte Asche der Vergangenheit zurücklassend. Ein ganz kleines Stück dieser Zeit-Schnur, gerade dort, wo jetzt der Funke der Gegenwart die Zukunft frisst, wäre mit einer Farbe markiert, der Farbe des Menschen. Die Zeit, seit es die ersten Menschen gab bis heute, ist ja nur ein winziger Abschnitt auf der Zeitskala des Kosmos; und das Universum könnte noch Milliarden von Jahren weiterexistieren, wenn die Menschheit längst ausgestorben ist, vielleicht an ihrer eigenen Dummheit und Aggressivität zu Grunde gegangen.

Die Zeit des einzelnen Menschen wäre ein verkleinertes Abbild davon: Er wird geboren, lebt eine kurze Zeit und stirbt, das ist alles. Und was ihm bleibt, ist der Versuch, es sich in dieser kurzen Spanne Zeit so gut wie möglich gehen zu lassen; wenn es sein muss auch auf Kosten anderer: Jeder gegen jeden.

Manchmal haben wir auch eine Zeitvorstellung, die beide bisher genannten Bilder, das zyklische und das lineare, miteinander verbindet: eine Art endlose Spirale, als hätte man die Zündschnur der Zeit zu einer endlos langen Spule gewickelt, so dass sich der Zündfunke der Gegen­wart unter ständigen Wiederholungen und Kreisläufen insgesamt doch linear ins Endlose vorwärtsbewegt.

Dieses Zeit-Bild entspricht am ehesten dem Zeitempfinden des „modernen Menschen“, der sich einem sinnlosen Werden und Vergehen ausgeliefert sieht, ohne die Möglichkeit, entscheidend in die Abläufe des Geschehens einzugreifen, und unwillkürlich wehren wir uns gegen solche Festlegungen.

Wie sollen wir uns aber dann das Phänomen „Zeit“ vorstellen, welche Vorstellung von Zeit und Ewigkeit, von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft könnte uns helfen?

2c Biblisches Zeitbild

Das dritte Zeit-Bild und Geschichtsverständnis ist das biblische und das ist seiner Herkunft nach weder natürlich noch philosophisch, sondern es ist Offenbarung und es ist seiner Art nach weder zyklisch noch linear, sondern es ist epochal (siehe dazu auch das Thema „Zwischen Schöpfung und Vollendung“).

Bild 3

Den beiden erstgenannten Zeit-Bildern ist gemeinsam, dass sie ohne Anfang und Ende sind: entweder endlose Wiederkehr oder unendliche Ausdehnung. Nach der biblischen Offenbarung dagegen ist auch die Zeit etwas Geschaffenes und auch sie hat Anfang und Ende. Der erste Satz der Bibel lautet: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“. Die Schöpfung – einschließlich dessen, was wir „Zeit“ nennen – hat einen Anfang und sie hat ein Ende. Das letzte Buch der Bibel und viele Offenbarungen des Alten und Neuen Testaments sprechen von einem Ende unserer Zeit.

Dem an der modernen Wissenschaft geschulten Menschen von heute sind solche Gedanken übrigens gar nicht fremd: Auch für die moderne Wissenschaft ist die Zeit nichts Absolutes, Unendliches, sie ist (nach der Einstein’schen Relativitätstheorie) selbst etwas Relatives und man kann sinnvolle Aussagen über die Zeit immer nur dann machen, wenn man sich auf ein bestimmtes System im Universum bezieht. Und auch die Wissenschaft spricht von einem Uranfang, dem sogenannten „Urknall“ (dieser Begriff ist allerdings ein wenig naiv und trifft den Sachverhalt nicht wirklich, siehe das Thema „Die Frage nach dem Sinn“, im Bereich 1 „Grundfragen des Lebens“, Beitrag 1 „Im Anfang schuf Gott?“). Hinter dieses „Anfangsereignis“ kann auch unsere wissenschaftliche Zeitvorstellung nicht sinnvoll zurückdenken. Für die heutige wissenschaftlich begründete Zeitvorstellung ist „Zeit“ nichts Absolutes, sondern etwas Relatives, das einen Anfang und ein Ende hat und wir merken: Sie ist der biblischen Zeitvorstellung viel näher, als etwa den vorhin genannten zyklischen oder linearen Denkmodellen.

Wenn wir die biblische Offenbarung genauer anschauen, merken wir: Für sie ist nicht nur die Zeit insgesamt eine begrenzte Epoche, sondern die Zeit ist auch noch in sich in Abschnitte, sozusagen in „Unter-Epochen“ unterteilt. Die Bibel stellt uns den Ablauf der Geschichte dar, als einen Weg mit vielen Stationen, und dabei hat dann jede Station eine eigene Prägung und ihre besondere Bedeutung.

Entscheidend wichtig in der biblischen Offenbarung ist nun, dass die Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen nicht nur ein Ende hat (so dass man sagen könnte, „Na, dann ist eben alles aus“), sondern sie hat für den einzelnen Menschen wie für die ganze Menschheit und Schöpfung auch ein Ziel. Von diesem Ziel her handelt Gott auch in unserer Gegenwart. Alle Stationen unseres persönlichen Lebens und alle Stationen der Menschheits- und Heilsgeschichte sind auf dieses Ziel hin ausgerichtet und um dieses Zieles willen da.

Gott handelt in einer epochal gegliederten Heilsgeschichte, die insgesamt auf ein Ende der Zeit zuläuft, in welchem sie für den Einzelnen und für die Schöpfung als Ganzes das Ziel all dessen erreicht, was in der Zeit geschieht: Zeitlos bei Gott zu sein.

Im folgenden Beitrag „Bausteine der Ewigkeit“ werden wir nach Zeit-Bildern suchen, die uns helfen, das biblische Zeitverständnis angemessen zu erfassen.

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© 2012 Bodo Fiebig Zeit-Bilder (Version 2017-10)

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