Zunächst geht es um die Vergegenwärtigung von etwas Jenseitigen, Göttlichen im Diesseits unseres alltäglichen menschlichen Lebens. Wie das Göttliche (also die Liebe) und die materiellen Schöpfung (das Universum und die Erde, auf der wir leben), wie die zusammengehören, das können wir uns an einem einfachen Vergleich verdeutlichen: Stellen wir uns vor: Jemand hat eine wunderschöne Melodie im Sinn, aber er kann sie niemandem mitteilen, denn er hat kein geeignetes Instrument, auf dem er diese Melodie spielen könnte. Da macht er sich eine Flöte, und auf ihr kann er nun seine Melodie zum Klingen bringen.
So ähnlich macht es JHWH: Die Weite des Universums und in ihm die Erde, die Vielfalt des Lebens und in ihm das Menschsein, das alles zusammen ist die „Flöte“, auf der JHWH sein Innerstes, die Melodie seiner Liebe, zum Klingen bringen will. Dazu ist alles, die ganze Schöpfung, gemacht. Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau. (1.Mose 1, 27) D. h. JHWH schuf das Menschsein bewusst als Liebesgemeinschaft, damit in ihm die Melodie seiner Liebe zum Klingen kommen kann. Wir sehen: Nicht ein einzelner Mensch soll „Bild JHWHes“ sein. JHWH ist Liebe, und das Bild JHWHes im Menschsein soll die Liebe JHWHes anschaubar machen. Ein einzelner Mensch aber kann für sich nicht „Liebe“ darstellen. Das geht gar nicht. Das geht nur in der Beziehung zum Du.
Aber nicht nur die Beziehung zwischen Mann und Frau, und erst recht nicht nur die sexuelle Beziehung, sondern jede Beziehung zwischen Menschen soll nach dem Willen JHWHes eine Liebesbeziehung sein und jede menschliche Gemeinschaft, ja die Menschheit als Ganzes, soll – wenigstens in der Zielperspektive der Vollendung – ein Bild, ein Anschauungsobjekt werden für das Wesen JHWHes.
So wie das Materielle der Flöte und der Schallwellen nötig ist, um eine Melodie zum Klingen zu bringen, so ist die materielle Schöpfung, das ganze Universum mit all seinen Sternen und Galaxien und in ihm die Erde und das Leben und alles Menschsein dazu da, den „Klangkörper“ zu bilden, in dem durch das Tun der Liebe in der Gemeinschaft des Menschseins, das Wesen JHWHes zum „Klingen“ kommen soll.
Von JHWH her gesehen ist eigentliches Sein nicht Materie und Biologie, sondern Beziehung, und ihr Wertvollstes nicht Gold und auch nicht das Leben, sondern die Liebe. Sie zu vergegenwärtigen als Ebenbild der Liebe JHWHes in der geschaffenen Welt, das ist die Berufung jeder menschlichen Gemeinschaft, ja der Menschheit als Ganzes.
Wir können nun anhand der Bibel verfolgen, wie die Menschheit (repräsentiert erst durch Adam und seine Frau, dann durch Noah, dann durch Abraham, Mose und das Volk Israel, durch David und das Königtum Israels, schließlich auch durch die neutestamentliche Gemeinde und die weltweite Kirche) immer wieder an dieser Berufung scheitert. Wenn aber in der Schöpfung das Bild JHWHes nicht zur Darstellung und die Liebe nicht zum Vollzug kommt, dann ist diese ganze Schöpfung gescheitert, dann hat sie ihren eigentlichen Sinn verloren und ihren Schöpfungsgrund verfehlt.
JHWH aber ist nicht nur der Liebende, sondern auch der Allmächtige und seine Liebe und seine Macht sind groß genug, auch jetzt noch die entscheidende Wende zu vollbringen. Dazu war aber ein Schritt letzter Hingabe nötig (auf Seiten JHWHes!). JHWH selbst musste sich ins Menschsein hineingeben, in die Nichtigkeit des Materiellen und in die Sterblichkeit des Lebens, damit im Menschsein die Liebe JHWHes gegenwärtig sei und so die Menschheitsberufung erfüllt würde: Vergegenwärtigung JHWHes in Materie und Biologie.
Der Mensch Jesus von Nazareth war die Selbstvergegenwärtigung JHWHes in der Schöpfung und im Menschsein, als anschaubares Bild und erfahrbare Wirklichkeit seiner Liebe in der geschaffenen Welt. Nur so war der Sieg der Liebe über alle Macht menschlicher Verirrung, Gewalt und Bosheit, über alle Not menschlichen Leidens und Sterbens zu erringen, dass die Liebe JHWHes selbst Leiden und Sterben des Menschseins auf sich nahm.
So ließ sich die Liebe JHWHes als Mensch „zur Welt bringen“ von einem armen Mädchen aus dem Volk der Verheißung. Und es zeigte sich, dass doch hier und da noch ein Funke von Liebe und Hingabe glomm: „Mir geschehe, wie du gesagt hast“. So wurde Maria zum Vorbild des Menschseins, dadurch dass sie ja sagte zur Urberufung des Menschen, und die heißt: Zur-Welt-Bringung JHWHes durch die Liebe der Menschen, die zum Ebenbild seines Wesens werden soll.
Und so kam die Liebe JHWHes „zur Welt“ in einem Stall. Kein verkleideter Gott, sondern ganz Mensch, geboren in Bethlehem, nach Flucht und Rückkehr aus Ägypten aufgewachsen in Nazareth, Zimmermann von Beruf, ganz und vorbehaltlos Mensch, ohne Rückendeckung und Ausflucht, wenn es schwierig werden sollte. Aber in seinem Leben, Reden und Tun war Jesus ganz Verkörperung JHWHes in dieser Welt: Helfend, heilend, segnend aus reiner Liebe. Wahres Bild JHWHes im Menschsein.
Durch ihn war die Menschheitsberufung doch noch zur Erfüllung gekommen, wenn auch jetzt nur in einem Einzigen: Darstellung, Anschauungsmodell und Vergegenwärtigung des innersten Wesens des Schöpfers in der geschaffenen Welt als sein „Ebenbild“. Jo 14,9: Wer mich sieht, der sieht den Vater. (Nicht optisch, sondern durch die Verwirklichung von Mit-Menschlichkeit als Nachahmung der Menschenliebe JHWHes). Durch ihn sollen und können alle Menschen, ja die ganze Schöpfung der Vergänglichkeit des Materiellen und der Sterblichkeit des Lebens entrissen werden und „Ewigkeitsstatus“ bekommen, denn die Liebe, jede Liebe, die sich einem anderen uneigennützig zuwendet, ist ewig, ewig, wie JHWH selbst.
Es sollte aber nicht bei diesem Einen bleiben. In der Jüngerschaft Jesu sollte sich dieses Leben Jesu fortsetzen. Sie ist ja „sein Leib“ (Eph 1,23). Nach der Auferstehung und Himmelfahrt Jesu ist die Gemeinde sichtbare und wesenhafte Verkörperung Jesu. Jesus aber ist das vollkommene Bild JHWHes. Durch die christliche Gemeinde (und ihr Leben in Einheit und Liebe als „Leib Christi“ in der gegenwärtigen Welt), soll die Berufung des Menschseins als Bild JHWHes neu „verkörpert“ werden. Davon redet Jesus in seinem letzten Beisammensein mit den Jüngern am Vorabend seines Leidens und Sterbens: Joh 13,34-35: Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.
So soll der „neue Adam“, der „neue Bund“, die „Gemeinschaft der Heiligen“ im „Reich JHWHes” aussehen: Eins-Sein durch die Liebe. Und damit dies trotz aller menschlichen Schwachheit und Schuldhaftigkeit gelingen kann, geht JHWH den Weg der Selbsthingabe bis zum Äußersten, bis in die Vernichtung: Jesus, die vollgültige Vergegenwärtigung der Liebe JHWHes im Menschsein, gibt sein Leben ans Kreuz, stirbt den menschlichen Tod, damit göttliches Leben im Menschsein gegenwärtig sei.
So ist in Jesus alle schuldhafte Abirrung des Menschen von seiner Berufung überwunden: Die Liebe JHWHes, hat ihr vollkommenes Ebenbild gefunden. So sind alle Voraussetzungen gegeben, dass die Berufung des Menschseins doch zur Erfüllung kommen kann, in aller Vorläufigkeit und Gebrochenheit, (das sehen wir ja an uns selbst) aber doch echt und gültig: Die Gemeinde, die Gemeinschaft der Heiligen, ist „Leib Christi”, ist Verkörperung Jesu als Bild JHWHes im Menschsein. Von dort aus sollte sie dann in „alle Welt“ gehen (Mk 16,159) und „alle Völker“ erfassen (Mt 28, 19), sodass schließlich die ganze Erde „Reich JHWHes” wird und die ganze Schöpfung zur Vollendung kommt.
Im Reich JHWHes, wo der Name JHWHes geheiligt wird und wo sein Wille geschieht, wie im Himmel, so auf Erden, da wird die Lebensgemeinschaft des Gottesvolkes zur Widerspiegelung der Liebesgemeinschaft des Himmels hier auf der Erde und wird die Gemeinschaft des Menschseins zur anschaubaren und erfahrbaren Vergegenwärtigung des Schöpfers inmitten der geschaffenen Welt.
Und so wie diese „Vergegenwärtigung des Himmlischen auf der Erde“ geschieht, so soll auch eine “Vor-Verwirklichung des Zukünftigen in der Gegenwart“ geschehen (siehe den folgenden Beitrag).
Alle Beiträge zum Thema "sein und sollen"
- wollen oder sollen?
- Die zehn Weisungen
- Was ist der Mensch?
- Mitten in dieser Welt
- Die Perspektive der Vollendung
- Der zweite Teil der Schöpfung
- Vergegenwärtigung des Himmlischen auf der Erde
- Vorverwirklichung des Zukünftigen in der Gegenwart
- Die Herausforderung des Menschseins
- Das Licht der Menschlichkeit
- Das Leuchtbild der Gemeinschaft
- Allgemeine und persönliche Berufung