Bereich: Grundfragen des Lebens

Thema: sein und sollen

Beitrag 4: Mitten in dieser Welt (Bodo Fiebig4. Dezember 2017)

„Das also ist der Mensch oder das soll er sein und werden: Göttliches Leben in toter Materie, Keim der Liebe im Nährboden des Lebens, wo sonst der Kampf ums Dasein tobt, sichtbare und erlebbare Vergegenwärtigung JHWHes inmitten eines sonst scheinbar Gott-leeren Universums. Ebenbild des Schöpfers mitten in dieser geschaffenen Welt.“ so endet der vorausgehende Beitgrag „Was ist der Mensch?“

Aber ist denn das wirklich wahr, ist das nicht nur Wunschbild und Phantasie? Ist nicht die Menschheitsgeschichte erfüllt von Raub und Betrug, Unrecht und Unterdrückung, Feindschaft und Hass, Kampf und Krieg? Wie sollte da das Menschsein zum Bild der Liebe JHWHes werden?

„Unmöglich! Völlig unmöglich! Seht euch doch die Menschen an! Seht euch doch an, wie sie miteinander umgehen und was sie einander antun! Das Menschsein als „Eben-Bild“ JHWHes? Da müsste ja JHWH ein schrecklicher Dämon sein, voller Hass und Niedertracht und Gewalt und Mord!“

Das ist ja eine der Kernfragen biblischen Glaubens (die wir nur deshalb so selten stellen, weil wir die Antwort fürchten): Warum hat JHWH nicht gleich eine vollkommene Welt geschaffen, eine Welt ohne Mangel und Not, ohne Behinderung und Demenz, ohne Leid und Schmerz (siehe das Thema „Die Frage nach dem Leid”.), ohne Krankheit und Tod? Er hätte das doch tun können, oder nicht? Hätte er nicht eine Natur schaffen können, wo jedes Geschöpf ungefährdet leben kann und nicht eingespannt ist in einen unerbittlichen Kampf ums Dasein, wo jedes Lebewesen nur leben kann, wenn es anderes Leben tötet und frisst? Heißt es nicht in der Bibel: Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut (1. Mose 1, 31)?

Ist sie wirklich „sehr gut”, diese Welt, in der wir leben? Hätte JHWH die Menschen nicht so schaffen können, dass sie das Böse nicht kennen und nicht wollen und nicht tun, dass es Bosheit und Betrug, Feindschaft und Hass, Gewalt und Krieg zwischen ihnen nicht gibt? (Siehe den Themenbeitrag „gut und böse”) Warum macht das JHWH so, dass er uns und unsere ganze Existenz ungefragt in diese harte, gewalttätige, mitleidlose Welt wirft: Friss, Vogel, oder stirb?

Trotz der belastenden Schwere dieser Fragen ist die Antwort doch überraschend leicht: Die Schöpfung, wie wir sie um uns her wahrnehmen, ist nicht sehr gut, nein, wirklich nicht, und zwar deshalb, weil sie noch nicht fertig ist (fertig im Sinne von vollendet). Nein, JHWH hat keine unvollkommene Schöpfung gemacht, in denen Leid und Tod regieren (wie ihm manche vorwerfen), sondern er ist (auch heute noch) mitten in einem Schöpfungsprozess, an dessen Ende und Ziel seine Schöpfung vollendet sein wird, so dass es in ihr nichts Böses und kein Leid mehr gibt. Nur, warum das nun schon so lange dauert, Jahrtausende, bis heute, warum die Schöpfung nicht schon längst vollendet ist, also ohne Leid und Schmerz und Not und Tod, und damit wirklich „sehr gut“, das ist die Frage. Und davon werden wir noch hören.

Der Text 1. Mose 1,1 bis 2,4, den wir normalerweise als „Schöpfungsbericht“ der Bibel bezeichnen, mit den sechs Schöpfungs – „Tagen“, durch die das Weltall und die Erde und die Pflanzen und die Tiere und zuletzt auch der Mensch geschaffen werden, der beschreibt nur den ersten Teil der Schöpfung. Dieser erste Teil der Schöpfung mit der Erschaffung des Universums, des Lebens und des Menschseins, wäre aber völlig sinnlos, wenn er nicht eine Fortsetzung hätte, durch die die ganze Schöpfung doch noch „sehr gut“ werden könnte. Diese Fortsetzung (also der zweite Teil der Schöpfung) liegt nicht in einer fernen Vergangenheit oder Zukunft, sondern der findet jetzt statt, jetzt in unserer Gegenwart (so wie er auch in jeder Gegenwart unserer Vorfahren stattfand) und er ist noch nicht abgeschlossen.

Es ist jener Teil, in dem das Unglaubliche, das äußerst Unwahrscheinliche, ja das scheinbar völlig Unmögliche dennoch(!) geschehen soll: Dass Menschen zu ihrer Berufung finden und dass dann dort (bei aller menschlichen Begrenztheit, Unvollkommenheit und Schuld) das Menschsein zum „Bild“ JHWHes wird, zur anschaubaren Vergegenwärtigung des Schöpfers mitten in dieser geschaffenen Welt, durch die Verwirklichung von Liebe unter den Menschen. Dann erst ist die Schöpfung wirklich fertig und wirklich „sehr gut“.

Der zweite Teil der Schöpfung (siehe den folgenden Beitrag), durch den das Geschaffene zur Vollendung kommt, existiert in dieser gegenwärtigen Zeitepoche nicht als fertige Gegebenheit, sondern als Herausforderung: Du wirst JHWH lieben (und dich von ihm lieben lassen) und du wirst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Wenn diese beiden „Gebote“ erfüllt sind, dann ist die Schöpfung vollendet und sehr gut (siehe den Themenbeitrag „Friede auf Erden?”).

Und diese Vollendung hätte schon vor Jahrtausenden geschehen sollen (und können!), damals im Garten Eden. Es hätte nicht so sein müssen und hätte nicht so sein sollen, dass zwischen der (materiellen und biologischen) Fertigstellung der Schöpfung und ihrer Vollendung (durch die Liebe im Menschsein) eine so lange Zeit, Jahrhunderte und Jahrtausende, vergehen. Das war so nicht vorgesehen. Und auch als dieser Anfang gescheitert war, hat JHWH in all den Jahrtausenden seitdem mit unendlicher Geduld immer wieder die Bedingungen zubereitet, dass diese Vollendung (wenigstens im Ansatz) doch noch geschehen könnte.

Nein, nicht JHWH ist schuld, dass die Schöpfung immer noch nicht vollendet ist und immer noch nicht „sehr gut”, immer noch so voller Leid und Not, Gewalt und Tod, und dass das nun schon so viele Jahrtausende so andauert, nicht JHWH ist schuld, sondern wir Menschen, weil wir uns immer noch und immer wieder unserer eigentlichen und innersten Berufung verweigern!

Schon das erste von JHWH berufene Menschenpaar hätte, als Bild JHWHes im Menschsein, in Liebe und Vertrauen einen entscheidenden Schritt hin zur Vollendung der Schöpfung gehen sollen – und ist daran gescheitert. Und nach ihnen so viele Generationen von Menschen, in so vielen Völkern und Kulturen, so viele Male. Und wir – heute? Ist die heutige Menschenheit (in aller menschlichen Unvollkommenheit, aber doch) ein „Ebenbild“ der Liebe Gottes? Wenn sie es wäre, dann wäre die Schöpfung heute schon vollendet.

Die Schöpfungsgeschichte der Bibel reicht von ihrer ersten bis zur letzten Seite, von 1. Mose 1,1 bis Offenbarung 22,21. Und die Geschichte der Schöpfung JHWHes reicht darüber hinaus von der nachbiblischen Zeit bis in unsere Gegenwart und noch darüber hinaus bis zum Wiederkommen Jesu als Messias und Friedefürst, durch den dann wirklich die ganze Erde „Reich JHWHes“ wird (siehe den Themenbeitrag „Zeit und Ewigkeit”).

Aber was hat das für unser normales und alltägliches Leben hier und jetzt zu bedeuten? Wie berührt das unser Christsein, jetzt in unserer Gegenwart und mitten in dieser Welt? Davon soll in den folgenden Beiträgen „Der zweite Teil der Schöpfung“ und „Die Herausforderung des Menschseins“ die Rede sein.

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