Bereich: Grundfragen des Lebens

Thema: sein und sollen

Beitrag 2: Die zehn Weisungen (Bodo Fiebig27. September 2020)

1.1 Die zehn Weisungen

Das Bild von JHWH, der wie ein überdimensionaler „Chef” uns ständig vorschreiben will, was wir tun sollen bzw. was wir nicht tun dürfen (siehe Kapitel 1 „Menschsein – wozu?“), ist biblisch gesehen falsch. Es geht nämlich beim biblischen Glauben zunächst nicht um Vorschriften für unser Tun, sondern um den Rahmen für unser Sein. Und dieser Rahmen ist fast unbegrenzt weit (davon wird in den folgenden Kapiteln noch die Rede sein). Das, was wir nach den Willen JHWHes werden sollen, ist so umfassend und vielgestaltig und immer ganz besonders, dass es für unser Tun fast uneingeschränkte Möglichkeiten zur Verfügung stellt. JHWH zeigt uns die ungeheure Weite und Fülle dessen, was wir werden sollen und das hat (wenn wir es bejahen, JHWH zwingt uns ja nicht) selbstverständlich Konsequenzen dafür, wie wir jetzt leben und handeln können.

Angesichts der Realitäten unserer Welt und Zeit merken wir: Es ist wichtig zu unterscheiden zwischen einem von Menschen aufgezwungenem „Müssen” (bzw. einem durch moralischem Druck verstärktem „Sollen“) und einem von JHWH angebotenen „Sein“, durch das Menschen in freier Entscheidung auf die ihnen von JHWH angebotene Zukunft zugehen können (oder eben nicht). Diesen Unterschied will ich anhand eines der bekanntesten Texte der Bibel erkennbar machen: Viele Menschen (auch wenn sie nicht im biblischen Sinn „Gläubige“ sind) kennen einige der „Zehn Gebote“ der Bibel (hier etwas gekürzt wiedergegeben, im Wesentlichen nach der Luther-Übersetzung, 2. Mose 20, 1-17):

  1. (…) Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Du sollst dir keine Götzenbilder machen (…) bete sie nicht an und diene ihnen nicht.
  2. Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen (…)
  3. Gedenke des Sabbat-Tages, dass du ihn heiligst (…) da sollst du keine Arbeit tun (…). (Bekannter ist uns vielleicht die Formel „du sollst den Feiertag heiligen“).
  4. Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren (…)
  5. Du sollst nicht töten.
  6. Du sollst nicht ehebrechen.
  7. Du sollst nicht stehlen.
  8. Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.
  9. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus.
  10. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau, Knecht, Magd, Rind, Esel, noch alles, was dein Nächster hat.

Zehn mal „du sollst“ oder „du sollst nicht“. Zehn mal der moralische Zeigefinger! Ja, freilich: Manche der Gebote sind ja auch heute noch sinnvoll: Dass man z. B. seinen Nachrbarn, mit dem man im Streit ist, nicht einfach umbringt, oder dass man vor Gericht seinen Prozessgegner nicht mit erlogenen Anschuldigungen zu schaden versucht, oder dass man sich nicht einfach nimmt, was einem gefällt, auch wenn das einem anderen gehört, weil man eben der Stärkere ist … Das ist schon ok. Aber immer nur „du sollst“ und „du sollst nicht“, das ist vielen zu viel moralischer Druck und zu wenig Freiheit im Umgang mit den Mitmenschen. Mir selbst geht es da auch so.

Allerdings gibt es da ein kleines Problem: Kein einziges (nicht mal eines) dieses zehnfachen „du sollst“ oder „du sollst nicht“ steht im hebräischen Urtext der Bibel wirklich drin! Das steht nur in unseren Übersetzungen so drin; im hebräischen Urtext nicht. Sehen wir also nach, was in der Bibel an dieser Stelle (2. Mose 20, Verse 1-17) wirklich dasteht. Ich versuche eine möglichst wörtliche Wiedergabe (und die klingt freilich auf deutsch manchmal etwas schräg).

Wörtlich steht da (am Beispiel des 1. „Gebotes“): Nicht du hast andere Götter neben mir. Nicht du dir Götzen-Bilder machst(…), nicht du dich vor ihnen niederwirst, und nicht du ihnen dienst. Also statt des fordernden oder verbietenden „du sollst oder du sollst nicht“ steht da in Wirklichkeit eine Feststellung: Du tust das nicht. Angesprochen ist das Volk Israel. JHWH schaut auf dieses Volk, mit dem er eben einen Bund geschlossen hat, und er sieht: Ja, so handelt Israel recht: Nicht du hast andere Götter neben mir. Nicht du dir Götzen-Bilder machst(…), nicht du dich vor ihnen niederwirst, und nicht du ihnen dienst. So ist es gut.

Aber, nun bezieht sich ja dieser Satz (nicht hast du andere Götter …) nicht nur auf das, was Israel gerade jetzt, in diesem Augenblick tut, sondern auch und vor allem darauf, wie es in Zukunft (noch in Jahrzehnten und Jahrhunderten) leben und handeln wird, darauf kommt es an. Also ist es so gemeint:

Nicht wirst du haben (auch in Zukunft nicht) andere Götter neben mir. Nicht wirst du dir Götzen-Bilder machen (…) nicht wirst du dich vor ihnen niederwerfen und nicht wirst du ihnen dienen.

Durch dieses „du wirst …“ bekommt der Satz einen etwas anderen Akzent: „Du wirst doch das nicht tun!“. Da wird eine Erwartung ausgesprochen, kein Druck, wie bei „du sollst“ oder „du sollst nicht“, und kein Zwang, wie bei „du darsft nicht, sonst …“. JHWH drückt hier seine Erwartung aus und seine Hoffnung, dass Israel seinem Bund treu ist und treu bleibt.

Freilich: das Wort „wirst“ steht im Urtext auch nicht da, ebenso wenig wie das „sollst“. Aber es entspricht dem Sinn dessen, was in der Bibel steht. Gemeint ist: „Du wirst doch nicht so abgrundtief dumm sein und dir Götzenbilder machen aus Holz oder Silber oder Gold, obwohl du mit mir einen Bund geschlossen hast. Und du wirst dich doch nicht vor so einem geschnitzten oder gegossenen Götzenbild niederwerfen, als ob dieses dir in irgendeiner Not helfen könnte; und erst recht wirst du nicht versuchen, dem Willen eines solchen Götzen-Bildes zu dienen, als ob so ein Holzklotz oder so eine Gießfigur aus Metall einen eigenen Willen haben könnte, dem du dich unterordnen müssest!“

Das ist es, was da in der Bibel steht, ein bisschen frei formuliert, aber dem Sinn nach ist es so gemeint. (Entsprechend nun auch bei den folgenden „Geboten“)

2. Gebot:

Nicht wirst du den Namen JHWHes deines Gottes anrufen zum Missbrauch (…)

„Du hast doch erfahren, dass du meinen Namen (also mich, JHWH) jederzeit anrufen kannst, wenn du in einer Not oder Unsicherheit Rat und Hilfe brauchtst, und dass du dann auch wirklich Rat und Hilfe erfährst. Wie dumm wäre es dann, wenn du nun mit meinem Namen Schindluder treiben würdest, so dass du dann ohne Rat und Hilfe dastündest! Wie sollte ich dir denn ernsthaft beistehen können, wenn du selbst mich gar nicht ernst nimmst?“

Das heißt ja nicht, dass man den biblischen Gott nicht mit seinem Namen JHWH anrufen darf. Man darf nicht nur, man soll! Da steht (jetzt in der Luther-Fassung): „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes nicht missbrauchen“. Da steht nicht: „Du darfst den Namen des Herrn, deines Gottes nicht gebrauchen“ (also missbrauchen sollst du nicht, gebrauchen sollst du). Also, rufe Gott an mit seinem Namen, sooft du Rat und Hilfe brauchst, in großen und in kleinen Dingen; und wenn du nicht weißt, wie dieser Name richtig ausgesprochen wird (das wissen die Experten auch nicht), dann wähle die Form, die dir am geeigneten erscheint (Jahwe, Jehova, Jahawah …), darauf kommt es nicht an.

3. Gebot:

Gedenke des Sabbat-Tages, ihn zu heiligen. Sechs Tage dienst du und machst alle deine Arbeit, aber der siebte Tag ist der Schabbat JHWHes, deines Gottes, da wirst du keine Arbeit verrichten.

Wir wissen: Für Knechte und Mägde und erst recht für Sklaven und Sklavinnen gab es in der Antike keine freien Tage und keinen Urlaub, auch nicht in den großartigen Hochkulturen in Ägypten und Babylon. Für sie war immer Arbeitszeit, rund um die Uhr, jeden Tag, ohne Ausnahme. Nur in in diesem winzigen Ländchen Israel, da gab es dieses „Gebot“, dieses „Befreiungs-Gebot“: Sechs Tage Arbeit, ein Tag Ruhe … sechs Tage Arbeit, ein Tag Ruhe … für alle, auch für Knechte und Mägde, auch für Sklaven und Sklavinnen und sogar für das Vieh! (Ja, das steht wirklich da: Auch für das Vieh. Der Ochse muss keinen Karren ziehen am Ruhetag).

„Da wäre es doch wirklich bescheuert, wenn du an deinem freien Tag freiwillig weiterschuften würdest! Selbstverständlich darfst nach einer Woche, wo du von früh bis Abend im Büro irgendwelche Akten bearbeitet hast, am Sonntag eine Wanderung machen! So weit die Füße tragen! Aber so bescheuert wirst du doch nicht sein, dass du nun auch am Ruhetag dich freiwillig wieder irgendwelchen Zwängen unterordnen würdest!“ (Z. B.: Der Skipass für die Liftfahrten ist bezahlt; ich muss heute noch dreimal rauf auf den Berg und wieder runter, ob ich will oder nicht“. Oder: „Ich halte mich ganz genau an die Schabbat-Regeln und gehe da keinen Schritt zu viel, aber ich werde die Ruhe-Zeit nutzen und meine Geschäfte für die nächste Woche vorbereiten und alles genau durchrechnen und alles bis ins Deitail zu planen.“) „Nein, so dumm wirst du nicht sein und das Geschenk des Ruhetages für die Optimierung deiner Geschäfte opfern. Und ich, JHWH, ich will deine Geschäfte während der 6 Tage segnen, wenn du den 7. Tag davon freihältst.“

4. Gebot

Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit (die Reihe) deiner Tage verlängert werde, auf dem Acker-Land, welches JHWH, dein Gott, dir gibt.

„Das Ackerland ist dir von mir (JHWH) gegeben. Na ja, indirekt jedenfalls, direkt hast du es von deinen Eltern geerbt. Und nur weil deine Eltern sich ihr Leben lang um dieses Stück Land gemüht haben, es umgegraben, entsteint, von Unkraut befreit, gedüngt, bewässert, gesät und geerntet haben, nur deshalb ist es jetzt gutes, fruchtbares Land, von dem du mit deiner Familie leben kannst; sonst wäre es eine Dornen-Steppe.

Und so, wie sich deine Eltern um den Acker bemüht haben, haben sie sich ja auch um dich selbst bemüht: Sie haben dich versorgt mit allem, was du nötig hatttest. Du hast bei ihnen deine Sprache gelernt, hast gelernt, wie du die Dinge und Vorgänge in deiner Welt benennen und verstehen kannst. Sie haben dir gezeigt, wie man das macht, was gemacht werden muss und wie man „richtig“ und „falsch“, „gut“ und „böse“ unterscheiden kann. Denn das ist überlebens-wichtig! Und da solltest du ihnen nicht dankbar sein, bloß, weil sie auch „Fehler“ gemacht haben (wie alle Menschen Fehler machen und du selbst auch)? Es hat Zeiten gegeben, als du noch klein warst, da hättest du ohne deine Eltern keine drei Tage überleben können. Und jetzt, wo sie alt sind, jetzt brauchen sie dich, so wie du damals sie gebraucht hast. Also: Ehre deinen Vater und deine Mutter“. (Dass es auch Väter und Mütter gibt, die wirklich böse mit ihren Kindern umgehen, stellt das nicht grundsätzlich in Frage.),

5. Gebot

Nicht wirst du morden.

Wir sind den Satz gewöhnt „Du sollst nicht töten“. Aber das hebräische Wort im Urtext meint wirklich: „morden“, also jemanden absichtlich und gewaltsam umbringen.

„Nein, du wirst nicht morden, nicht nur, weil die Polizei vielleicht doch herausfinden würde, wer es war und du dann „lebenslänglich“ im Gefängnis landen würdest. Nein, nicht nur deshalb, sondern weil du ein kluger Mensch bist. Du weißt: Wenn du mordest, werden es andere auch tun. Und dann immer mehr. Dann wird sich das ausbreiten wie die Pest oder das Corona-Virus. Dann wird irgendwann eine „Mords-Gesinnung“ durchs Land fegen wie ein Sturm, vor dem niemand mehr sicher ist: Alte und Junge, Männer und Frauen, kleine Kinder und Baybies, und du selbst auch nicht.“

Es hat solche Mords-Tage und Mords-Nächte gegeben, zu bestimmten Zeiten in bestimmten Welt-Gegenden, wo Menschen, die noch vor kurzem friedlich zusammengelebt haben, in einer haltlosen Raserei über ihre Nachbarn hergefallen sind und sie niedergemetzelt haben, zu Tausenden, und ganze Städte in Blut getaucht haben. (In jedes Menschen Trieben und Antrieben steckt auch ein reißendes Raubtier, das groß und stark werden kann, wenn man es fortwährend mit egoistischen Appetit-Happen füttert … Und wenn dann die Gitter des Rechts für einen Moment offenstehen …)

„Nein, du wirst nicht morden. Du weißt, dass du selbst nur dann in Frieden leben kannst, wenn du das auch deinem Nachbarn, deiner Nachbarin gönnst und wenn das Leben deines Nachbarn dir etwas Wert ist, weil es von dem selben Geber kommt, wie deines.“

Du sollst nicht morden“. Also dafür sollte man eigentlich kein „Gebot“ brauchen. Das „gebietet“ schon ein ganz kleines bisschen Vernunft.

6. Gebot

Nicht wirst du ehebrechen.

„Doch, du wirst ehebrechen“, sagt (ja wer eigentlich, wer ist es, der so redet,  jeden Tag, in allen Medien?). „Wenn du es wirklich willst“ (sagt diese Stimme) „und wenn es sich gut anfühlt, dann musst du es tun. Du bist frei, du darfst dich doch nicht von Geboten und Verboten bestimmen lassen. Lebe dein Leben, folge deinem Herzen, sei authentisch, sei echt, tu jetzt, was deine Gefühle dir eingeben. Überwinde die alten Schranken, überschreite die engen Grenzen. Lass die Liebe (gemeint ist der Sex) dein Leben bestimmen! So wird dein Leben voll und groß und schön.“ (Wer sind die eigentlich, die so reden, Tag für Tag, auf allen Kanälen, und warum tun sie das? Sie wissen doch, dass das nicht stimmt.)

Nein, du wirst nicht ehebrechen. Nicht zufällig heißt der Beginn einer Ehe „Trauung“. Die Ehe ist eine gegenseitige „Anver-Trauung“. Zwei Menschen vertrauen sich einander an, ich mich dir, und du dich mir. Nein, solches Vertrauen ist nicht „blind“ (man redet dann von „blindem Vertrauen“), sondern hell und klar und freudestrahlend schön (selbst dann noch, wenn es einmal missbraucht würde). Aber solches Vertrauen wächst nur auf dem Nährboden einer Liebe, die immer zuerst auf den Anvertrauten/ die Anvertraute achtet und erst dann auf die eigenen Gefühle, die eigene Lust, das eigene Begehren. Und wenn beide sich gegenseitig so achten und beachten, sich aneinander freuen und miteinander leben und füreinander da sind, dann kann eine Liebe entstehen, die das ganze gemeinsame Leben erfüllt und wirklich voll und groß und schön macht, und nicht nur die lusterfüllten Stunden (die freilich besonders).

„Nein, du wirst nicht ehebrechen, denn du ahnst, was du verlieren würdest.“

7. Gebot

Nicht wirst du stehlen.

Ja, warum denn nicht, wenn es niemand merkt? „Niemand? Du selbst merkst es doch, wenn du klaust, oder etwa nicht? Bist du ein „Niemand“? Nein. Du selbst merkst es und du erlebst an dir selbst, wie ein Stück „Welt-Vertrauen“ in dir zerbröselt. Denn wenn du klaust, unbemerkt, dann werden das ja viele andere auch tun, unbemerkt. Dann ist irgendwann die ganze schöne Welt um dich her nur noch Fassade, in Wirklichkeit ist sie ein Wühl-Tisch der Begehrlichkeit, wo jeder (und jede) rafft, was er (oder sie) kriegen kann“. Du besitzt noch etwas, was dir wertvoll ist (nicht nur in Euro oder Dollar, sondern als „Herzens-Kostbarkeit“?). Vergiss es. Wirf es weg, denn spätestens morgen hätte es dir sowieso jemand geklaut.

„Nein, du wirst nicht stehlen. Du wirst den Kreislauf von stehlen und bestohlen werden nicht beginnen. Und wenn andere ihn schon begonnen haben, wird er durch dich an einer Stelle, vielleicht an einer winzig kleinen Stelle, aber doch zum Stillstand kommen. Und wenn es außer dir noch ein paar andere gäbe, die dem Sog des Haben-wollens widerstehen, dann könnte in deiner kleinen Welt vielleicht doch wieder ein großes Stück „Welt-Vertrauen“ wachsen.

Nein, du wirst nicht stehlen.“

8. Gebot

Nicht wirst du aussagen als falscher Zeuge gegen deinen Nächsten

Fake-News: Tagtäglich millionenfache, milliardenfache Falschaussagen vor dem Welt-Gericht der Wahrheit! Oder gibt es so etwas wie „Wahrheit“ gar nicht mehr? Ist die Alternative „wahr oder unwahr“ irrelevant geworden? „Es ist alles relativ“, sagen kluge Köpfe (bzw. „Köpfe“, die sich für klug halten). „Meine Wahrheit kann ganz anders aussehen als deine Wahrheit. Und meine Wahrheit, das ist eben diejenige, die mir Vorteile verschafft“ (siehe dazu das Thema „Wirklichkeit und Wahrheit“ im Bereich „Grundlagen der Gesellschaft“).

Aber: Wenn es keine Wahrheit gibt, kann es auch keine Gerechtigkeit geben, denn Gerechtigkeit muss immer auf Wahrheit aufbauen (wie könnte ein Richter Recht sprechen, wenn ihn die Frage, was ist wirklich passiert, damals, gar nicht interessiert?). Heute ist die Lüge zur Flut geworden, die alles wegzuschwemmen droht, was menschlichem Miteinander Halt und Stabilität geben könnte.

„Nein, du wirst nicht „aussagen als falscher Zeuge“, nicht vor Gericht und nicht in ganz normalen Alltagssituationen. Du wirst, zusammen mit einigen, die auch auf meine Weisungen achten, beginnen, Inseln der Wahrheit in der Flut der Lüge aufzuschütten, damit dort die Menschlichkeit (und die Mitmenschlichkeit) überleben kann.“

  

Das 9. und das 10. Gebot fasse ich hier zusammen (sie sind im Original auch zusammengefasst).

Nicht wirst du begehren das Haus deines Nächsten.

„Hier geht es um die „Immobilien“ deines Lebens, das, was ihm Stabilität und Sicherheit gibt: Das Haus, der Acker, das Erbe, deine Erfahrung, deine Bildung und berufliche Stellung, dein Selbst-Bewusstsein und deine Selbstwert-Gewissheit … Davon lebt ein Mensch, und du auch. Das wirst du niemandem neiden und niemandem nehmen.“

Nicht wirst du begehren deines Nächsten Frau, noch seinen Knecht, seine Magd, sein Rind, seinen Esel, noch alles, was deinem Nächsten gehört.

„Hier geht es um die „beweglichen“ Dinge, die dir gehören. Ja, du hast ja recht: Dieser Satz ist selbstverständlich falsch, wenn es dabei um Menschen geht, die sind ja keine „Dinge“ und kein „Eigentum“. Deine Frau (oder als Frau: Dein Mann) gehört dir ja nicht, sie ist ja nicht dein „Besitz“. Da geht es nicht ums „gehören“, sondern ums „zu-gehören“: („Ich gehöre dir nicht, nein, aber ich gehöre zu dir und du gehörst zu mir, das ist fest, eine „Immobilie“, aber wie sich das im Einzelnen verwirklicht, das können wir im Miteinander sehr beweglich, frei und und immer neu gestalten“). „Ebenso ist ja auch dein Angestellter nicht dein „Eigentum“, mit dem du machen kannst, was du willst (und das gilt sogar für deinen Hund oder deine Katze; Esel und Rind haben die meisten Menschen heutzutage nicht).

Trotzdem: Alles was deinem „Nächsten“ gehört oder zugehört, das wirst du nicht „begehren“. So wie du ja auch nicht willst, das jemand anderes etwas „begehrt“, was dir gehört oder dir zugehört.

So weit die „Zehn Gebote“ in einer Fassung, die dem im Urtext Gemeinten möglichst nahe zu kommen versucht. Und wir sehen: Es sind zehn „Gebote“, die nichts „gebieten“ und schon gar nichts „verbieten“.

Im Judentum (für das das biblische Hebräisch die Vater-Sprache ist und das moderne Ivrit die Mutter-Sprache), nennt man die Gebote „Weisungen“. Wir brauchen immer wieder solche Weisungen. Manchmal als allgemeine Richtungs-Weisung, manchmal als konkrete Weg-Weisung, manchmal als Platz-Anweisung, manchmal auch als Zurecht-Weisung, wenn wir uns verrannt haben, vor allem aber als Gebrauchs-An-Weisung für unser Leben und für unser Zusammenleben. Wir Menschen sind oft so ungeschickt für beides, aber wenn wir auf die „Weisungen“ Gottes achten, könnte doch manches besser und menschenfreundlicher werden; in unserem Leben und bei unserem Zusammenleben.

Wir merken: JHWH will uns immer wieder dazu anleiten, dass doch mitten in dieser Welt, jetzt, hier und heute, Ansätze einer Menschlichkeit zur Verwirklichung kommen, an denen schon (in aller Unvollkommenheit) Vorzeichen der von Ihm gewollten Mitmenschlichkeit aller Menschen aufleuchten.

Wie ist es also mit dem Sollen und dem Wollen; darf man den Begriffen trauen? Oder haben sich im Laufe der Zeit Fehldeutungen dieser Begriffe eingeschlichen, die die Verhältnisse auf den Kopf stellen?

Zunächst: Die Frage nach „sein und sollen“ ist eine typisch menschliche Fragestellung. (Die Frage nach „sein und sollen“ anderer Lebewesen müssen wir Menschen stellvertrtetend für sie beantworten und verantworten, jedenfalls, soweit wir ihnen, als „Haustiere“ und „Nutztiere“, unseren Willen aufzwingen.)

Beginnen wir also mit der Frage, was für ein seltsames Phänomen das eigentlich ist, das sehr spät in der Geschichte des Lebens auf diesem Globus auftaucht, das ihn aber dann in wenigen Jahrtausenden völlig verändert hat: Der Mensch?

Was ist der Mensch und wozu soll denn eigentlich das Menschsein mit all seinen Höhen und Abgründen da sein? Oder bilden sich das die Menschen nur ein, dass es in ihrer Existenz so etwas wie einen „Sinn“ gibt (und ein „Sollen“ auf diesen Sinn hin)? Siehe den folgenden Beitrag: Was ist der Mensch?

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