Wenn es um die biblisch verheißene Vollendung der Schöpfung geht, haben Christen meistens zwei konkurrierende Vorstellungen:
Erstens die Vorstellung von einer allmählichen Verbesserung der Verhältnisse, eine Verbesserung, die von biblisch gläubigen Menschen nach den Vorgaben Jesu (z. B. im Gleichnis vom barmherzigen Samariter) vorangebracht wird, bis sie schließlich in die vollkommene Friedensordnung im „Reich Gottes“ mit Jesus als „Friedefürsten“ mündet.
Oder zweitens die Vorstellung von einer fortschreitenden Verschlechterung der Verhältnisse, bis sie schließlich beim Wiederkommen Jesu als „Friedefürsten“ in einem totalen Umbruch (und nach furchtbaren Welt-Katastrophen) durch eine vollkommene Friedensordnung abgelöst werden.
1. Allmähliche Verbesserung oder fortschreitende Verschlechterung?
Beide Vorstellungen machen uns intellektuelle und spirituelle Schwierigkeiten:
Zur ersten These: Ja, wir stellen fest, wenn wir auf die gegenwärtigen Verhältnisse auf der Erde schauen und sie mit früheren vergleichen: In manchen Bereichen gibt es tatsächlich Fortschritte: Z. B. ist die Kindersterblichkeit weltweit in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen, oder die Sklaverei ist (jedenfalls als offiziell akzeptiertes „Beschäftigungs-Verhältnis“) abgeschafft und verboten (auch wenn sie in manchen Weltgegenden als „Sklaverei-ähnliche Beschäftigung“ weiterlebt). Oder: Die Hilfen der modernen Medizin haben weltweit zu einer höheren Lebenserwartung geführt usw.
Gleichzeitig sehen wir aber auch Entwicklungen, die völlig neue Bedrohungen hervorbringen: Noch nie in den vergangenen Jahrtausenden mussten Menschen mit der allgegenwärtigen Gefahr existieren, dass ihr eigenes Leben und alles Leben auf dieser Erde von einem Tag auf den anderen durch den Einsatz der angehäuften „Massenvernichtungsmittel“ (Atombomben, biologische und chemische „Kampfstoffe“) ausgelöscht wird. Oder: Die fortschreitende Globalisierung macht es zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte möglich, das ein einziges totalitäres Machtsystem die ganze Erde mit allen Kontinenten beherrschen könnte, so dass ein Verfolgter nirgendwohin fliehen könnte, um seinem Zugriff zu entkommen. Oder: Die Entwicklung der digitalen Datenverarbeitung und der „künstlichen Intelligenz“ könnten Systeme von Überwachung und Versklavung von Menschen hervorbringen, die wir uns jetzt noch kaum vorstellen können.
So verlockend die Vorstellung von einem immer fortschreitenden (wissenschaftlich-technischen) „Fortschritt“ auch sein mag (der dann auch die gesellschaftlichen Verhältnisse fortschreitend verbessert), realistisch ist sie nicht.
Zur zweiten These: Die Sehnsuchts-Idee von eine Art „zweiten Urknall“ nach der Verwüstung der bewohnbaren Erde, durch den, wie durch einen Zaubertrick, alles Zerstörte wieder geheilt und alles Böse wieder gut wird, verlangt nüchtern denkenden Menschen schon sehr viel „gut-gläubige Gedanken-Akrobatik“ ab. Und manchmal sehen und hören sie auch sehr „fromme“ Christen, die geradezu in Zerstörungs- und Tötungs-Phantasien schwelgen, die angeblich noch kommen müssen, bis der große Frieden hereinbricht. (Ach ja, den Teil biblischer Voraussagen, wo es um Kämpfe und Kriege, um Zerstörung, Leid und Tod geht, den haben die Menschen in den seitdem vergangenen 20 Jahrhunderten mehr als übererfüllt!)
Nein, weder die Vorstellung der allmählichen Verbesserung, noch die der angeblich notwendigen „Endzeit-Schlachten“ und „Weltkatastrophen“ vor dem endgültigen Frieden erscheinen aus heutiger Perspektive realistisch (bzw. was die Vorstellungen der zweiten These angeht, wünschenswert). Aber beide werden ja biblisch begründet. Und die biblische Verheißung vom „Frieden auf Erden“ im Zusammenhang mit der Geburt Jesu (Lk 2,14) gibt es ja wirklich. Aber vielleicht sind unsere Interpretationen der biblischen Texte allzu sehr von unseren menschlichen, oft allzu menschlichen Erfahrungen, Phantasien und Begierden getrieben. Vielleicht können wir die biblischen Verheißungen ja auch mit einer ganz anderen (und auch biblisch begründeten) „Perspektive der Vollendung“ verbinden.
2. Das Gericht „nach den Werken“
Dazu möchte ich zunächst einmal auf einige Szenen und Aussagen im Neuen Testament hinweisen, die sich nicht auf das Welt-Ende beziehen (darauf werden wir später kommen), sondern auf das persönliche Lebens-Ende von Menschen. Denn die können uns Hinweise geben, wie das bei bei JHWH gemeint ist, wenn es um „Vollendung“ geht.
- B. hatte Jesus seine Jünger je zu zweit ausgesandt, um in den Orten der Umgebung des „Reich Gottes“ zu verkündigen. Als sie zurückkehrten berichteten sie begeistert von ihren Erfahrungen. Aber Jesus geht darauf nicht weiter ein, sondern sagt (Lk 10, 20): Doch darüber freut euch nicht, dass euch die Geister untertan sind. Freut euch aber, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.
Wir sehen: Schon jetzt, während wir noch auf der Erde leben, sind unsere „Namen“ im Himmel „aufgeschrieben“. Wobei der biblische Begriff „Name“ nicht nur die sichtbaren Buchstaben (oder den hörbaren Klang) eines Namens meint, sondern die ganze Person der Benannten und deren ganzes Leben. Die ganze Person und das ganze Leben jedes Menschen ist „im Himmel“, das heißt bei JHWH „aufgeschrieben“. Und dieses Aufgeschriebene ist dort nicht nur aufbewahrt wie in einem Archiv, sondern es ist Grundlage für ein Gerichtsverfahren. Und eben dieses soll (so sagt es Jesus) für die Jünger ein Grund zur Freude werden.
In Offb 20, 12 wird diese Vorstellung vom Gericht noch weiter entfaltet: Und ich sah die Toten, Groß und Klein, stehen vor dem Thron, und Bücher wurden aufgetan. Und ein anderes Buch wurde aufgetan, welches ist das Buch des Lebens. Und die Toten wurden gerichtet nach dem, was in den Büchern geschrieben steht, nach ihren Werken.
Wir sehen: Gesichtet und gerichtet werden in diesem Gerichtsverfahren nicht Menschen, sondern ihre „Werke“ (und diese können „gut“ oder „böse“ sein). Und Jesus selbst bestätigt dieses Verständnis vom Gericht „nach den Werken“ ausdrücklich:
Jo 5, 29: Und es werden hervorgehen, die Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichts. Wir könnten an dieser Stelle auch das ausführliche Gleichnis Jesu „vom Weltgericht“ bzw. „vom Scheiden der Schafe von den Böcken“ (Mt 25, 31-46) hinzuziehen.
Paulus nimmt dieses Verständnis Jesu vom „Gericht nach den Werken“ auf (2. Kor 5, 10): Denn wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, auf dass ein jeder empfange nach dem, was er getan hat im Leib, es sei gut oder böse.
Und er fügt ihm noch einen weiteren Aspekt hinzu, der für unsere Verstehen wichtig ist:
1, Kor 3, 11-15: Einen andern Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus. Wenn aber jemand auf den Grund baut Gold, Silber, Edelsteine, Holz, Heu, Stroh, so wird das Werk eines jeden offenbar werden. Der Tag des Gerichts wird es ans Licht bringen; denn mit Feuer wird er sich offenbaren. Und von welcher Art eines jeden Werk ist, wird das Feuer erweisen.
Wird jemandes Werk bleiben, das er darauf gebaut hat, so wird er Lohn empfangen. Wird aber jemandes Werk verbrennen, so wird er Schaden leiden; er selbst aber wird gerettet werden, doch so wie durchs Feuer hindurch.
Hier ist von einem Gerichtsverfahren die Rede, bei dem es nicht um Strafe geht, sondern um Lohn. Die neutestamentliche Vorstellung von diesem „Gericht“ ist erkennbar: Menschen erscheinen vor dem Gericht und dort werden „Bücher“ aufgeschlagen. Im „Buch des Lebens“ ist alles verzeichnet, was die Person und das Leben eines Menschen ausmacht. Und das wird erkennbar an seinen „Werken“ (an seinem Leben, Reden und Handeln).
Allerdings: Was an diesen „Werken“ Holz, Heu oder Stroh ist (also leicht brennbare Materialien), das wird verbrennen. Merken wir: Hier geht es nicht um ein Gericht, wo Menschen bestraft werden (durch Verbrennen!) oder wo Menschen in einem „Fegefeuer“ geläutert werden, sondern wo die „Werke“ von Menschen „gerichtet“ werden: Diejenigen Werke, die „gut“ waren, die sind wertvoll wie Gold, Silber und Edelsteine und unzerstörbar (unbrennbar). Alle „Werke“ aber, die „böse“ waren, die erweisen sich in diesem Gericht als wertloser Plunder, brennbar wie Zunder.
Das ist auch völlig „logisch“ und folgerichtig: „Im Himmel“, also im Nahbereich der Liebe JHWHes, kann ja nichts existieren und erhalten bleiben, was aus Bosheit, Egoismus und Feindschaft entstanden ist. Das können ja Menschen nach ihrem Sterben nicht einfach in den Himmel mitbringen. Das muss verbrennen, sonst entstünden ja auch im Himmel (so wie es auf der Erde ist) „dunkle Ecken“ wo die Bosheit regiert!
Jeder Mensch wird vor dem „Richterstuhl Christi“ erscheinen müssen und da werden seine Werke gesichtet und gerichtet. Alles, was im Leben eines Menschen „gut“ war (d.h. durch die Liebe „aufgewertet“), das ist in den Augen des Richters wertvoll wie Gold und Edelsteine, und alles, was in seinen Augen „böse“ war (z. B. durch Unrecht, Gewalt und Machtmissbrauch „entwertet“), das wird zunichte gemacht (und kann so keinen Schaden mehr anrichten). Siehe dazu auch das Thema „Schuld und Vergebung“ im Bereich „Grundfragen des Glaubens“.
Das wird für manche Menschen sehr schmerzhaft sein, wenn sie ihren „Lebensinhalt“, auf den sie so stolz waren (Macht, Besitz, Ruhm …, die sie durch „böse Werke“ errungen hatten), wenn sie all das nun brennen sehen. Sie werden großen Schaden leiden (sagt Paulus); sie selbst aber werden gerettet werden, doch so wie durchs Feuer hindurch. Aber wie ärmlich, kümmerlich und entblößt wird da mancher dastehen, der in seinem irdischen Leben so mächtig, reich und berühmt war. Was wird denn übrig bleiben in diesem Gericht vom „Lebenswerk“ eines Menschen, der sich rücksichtslos und brutal nach „ganz oben“ gekämpft hat?
Merken wir: Das Gericht JHWHes durch seinen Messias ist nicht besonders interessiert an unseren „Sünden“ (dem „Bösen“ in unserem Tun und Leben; das wird verbrennen und „zu nichts“ gemacht), sondern an dem Gold, dem Silber und den Edelsteinen der Liebe (also dem „Guten“ in unserem Leben).
- Kor 4,5: Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist, und das Trachten der Herzen offenbar machen wird. Dann wird auch einem jeden von Gott Lob zuteilwerden.
Im Gericht JHWHes durch Jesus Christus kann nichts überstehen, was aus „bösen“ Abtrieben und Handlungsweisen entstanden war. (Gott sei Dank! Weil sonst das Böse immer wieder neu Böses hervorbringen und verstärken könnte). Aber alles, was aus „guten“ Antrieben und Handlungsweisen entstanden war, das wird JHWH „aufwerten“, das wird er reinigen von allem „zwielichtigen“ Anhaftungen, die (immer!) alles menschliche Wollen und Tun verunreinigen. Und das dann schön und rein strahlende „Gute“ wird als „Lohn“ und „Lob“ denen zugeschrieben, die „wie im Himmel so auf Erden“ JHWH geliebt haben und ihre Nächsten wie sich selbst“. Und dieser „Lohn“ und dieses „Lob“ wird jene Menschen bei JHWH im „Himmel“ sehr „reich“ und froh machen. Deshalb heißt es hier: „Richtet nicht vor der Zeit“. Im Gericht JHWHes durch Jesus wird manches ganz anders aussehen, als wir es jetzt erkennen können.
3. Das Gold der Menschlichkeit
Wir müssen also, wenn es um unser „sein und sollen“ und um die Vollendung der Schöpfung geht, eine veränderte Perspektive wahrnehmen: Auch im „Welt-Gericht“ JHWHes durch Jesus werden „Werke“ gerichtet, nicht Menschen. Und so wird es zur Durchgangs-Station zur Vollendung der Schöpfung. Ich will das anhand einer erfundenen „Gleichniss-Geschichte“ veranschaulichen:
Nehmen wir an: Ein Künstler möchte ein wertvolles Kunstwerk machen, eine Figur, ein Bildnis aus reinem Gold. Und dazu muss er erst einmal Gold suchen und er geht weit weg und er findet eine einzige Stelle, wo es an einem Bach Gold gibt. Winzige Körnchen nur, aber echtes, reines Gold. Und er fängt nun an, geduldig und sorgsam Körnchen um Körnchen das Gold aus dem tauben Gestein, aus dem Sand und dem Schmutz herauszuwaschen. Das ist eine sehr harte und sehr mühsame und sehr schmutzige Arbeit. Und das dauert sehr, sehr lange.
Aber endlich, nach langer, langer Zeit, hat er genug Gold zusammen und er richtet nun eine Werkstatt ein, wo er das Gold bearbeiten kann. Dort, in dieser Werkstatt, gibt es nun kein taubes Gestein mehr, keinen Sand und keinen Schmutz. Alles muss hier ganz rein sein und alles, mit dem er jetzt umgeht, ist echtes, reines Gold. Trotzdem bleibt noch viel zu tun. Das Gold wird geschmolzen und in Formen gegossen, es wird geglättet und poliert und mit großer Kunstfertigkeit fein bearbeitet, bis das Bildnis fertig ist (diese „Werkstatt-Zeit“ könnte man vielleicht mit der Vision vom „Tausendjährigen Reich“ in Verbindung bringen).
Genau das ist es, was Gott mit dieser Welt vorhat. Er will aus ihr, aus dieser ganzen Schöpfung, ein einmaliges, großartiges, unvorstellbar schönes Kunstwerk machen. Die Bibel hat für dieses „Kunstwerk“ verschiedene Namen, sie nennt es das „Paradies“ oder das „Reich Gottes“. Davon redet Jesus vor allem in seinen Geschichten und Gleichnissen. Das hat Gott von Anfang an so gewollt, dazu hat er das ganze Universum gemacht. Und in diesem Kunstwerk (dem Reich Gottes, in dem die Liebe Gottes unter den Menschen als sein „Ebenbild“ zur Vollendung kommt) soll sich das Wesen seines Schöpfers widerspiegeln; wenn man es anschaut, soll man erkennen, wie sein Schöpfer ist.
Dafür ist nur ein einziges Material geeignet. Das Material für dieses Kunstwerk, in das Gott diese ganze Schöpfung verwandeln will, ist das Gold reiner uneigennütziger Liebe. Denn das Reich Gottes soll ein Reich der Liebe und des Friedens sein. Und die Liebe wiederum ist Ausdruck vom innersten Wesen des Schöpfers, sein Ebenbild.
Aber – – sie ist auch etwas, was es in dieser Welt eigentlich gar nicht geben kann. Das ganze großartige Universum mit seinen schier unendlichen Weiten, seinen Milliarden von Galaxien und Sternensystemen, enthält von sich aus nicht das geringste Körnchen, nicht das kleinste Fünkchen von dem Gold, das Gott für sein Kunstwerk braucht. Von der Liebe, die JHWH meint, ist im ganzen Universum nicht eine Spur vorhanden. Die Arbeit, die ihm nun bevorsteht, ist noch viel, viel größer und unendlich mühsamer als die des Goldwäschers an seinem Bach (oder, auf JHWH bezogen, viel größer und viel schwieriger als die Erschaffung aller Materien und Energien des Universums).
Drei große Arbeitsschritte sind nötig; und die materielle Schöpfung des Kosmos ist selbst schon der erste Schritt auf die Verwirklichung seines Vorhabens hin. Gott schafft das Universum als materielle Voraussetzung für die Gestaltung seines Kunstwerkes. Aber die Steine der Planeten und die glühenden Gaswolken der Sonnen, die so genannten „roten Riesen“, „weißen Zwerge“ und „schwarzen Löcher“ in den unendlichen Weiten des Alls, die können ja nicht lieben! Die sind nicht geeignet als Rohstoff für das große Werk, das Gott vorhat.
Und deshalb geht die Schöpfermacht JHWHes nun einen nächsten, zweiten Schritt: Auf einem der winzigsten und unbedeutendsten Materieklumpen des Alls, einem Planeten, der um eine der Milliarden Sonnen am Rande einer der Milliarden Galaxien kreist, da beginnt er den zweiten Schritt seines Vorhabens: Er lässt das Leben entstehen und sich ausbreiten und sich in aller Vielgestaltigkeit ausdifferenzieren: Einzeller und hoch entwickelte Lebewesen, Pflanzen und Tiere, Millionen verschiedene Arten und Formen.
Aber auch das Leben enthält von sich aus nicht den kleinsten Funken von dem Gold, das Gott meint und sucht. Das Leben – – will leben! Und das geht nur, wenn dafür anderes Leben stirbt. Kampf ums Dasein, Fressen und Gefressen-Werden, jeder gegen jeden; freilich auch Lebensgemeinschaft und Symbiose, aber trotzdem: Da ist nirgendwo in der belebten Natur auch nur das winzigste Körnchen von der Liebe, die sich in freier Entscheidung und bewusster, uneigennütziger Hingabe einem anderen zuwendet. Auch die Vogelmutter, die bis zur eigenen Erschöpfung Nahrung für ihre Jungen herbeischafft und die trotz der Gefahr für das eigene Leben ihre Brut warnt und zu schützen versucht, wenn die Katze sich nähert, handelt nur aus instinkthaftem Zwang und nicht aus freier Liebe, die auch die Freiheit hätte, sich anders zu entscheiden. Auch das Leben ist nicht geeignet als Rohstoff für das Vorhaben Gottes.
Und deshalb geht der Schöpfer nun den dritten alles entscheidenden Schöpfungsschritt: Er bereitet sich in der millionenfachen Vielzahl des Lebens ein einziges Lebewesen zu, ausgestattet mit Lernfähigkeit und Erkenntnissen, mit Emotionen und Motivationen, mit Willenskraft und Entscheidungsfähigkeit, damit es Träger dessen sein kann, was er für sein Kunstwerk braucht: Das Gold freier, ungezwungener, selbstloser Liebe. Und die ist gleichzeitig Ab-Bild und Eben-Bild seiner Liebe, ist Ausdruck seines innersten Wesens, ist seine „Substanz“, seine „Identität“, seine „Person“, sein „Geist“. Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn (1.Mose 1, 27).
Der Mensch ist in den ganzen Weiten des Universums, in der milliardenfachen Vielzahl der Galaxien und in der millionenfachen Vielzahl der Lebensformen auf der Erde die einzige Existenz, das einzige Wesen, das lieben kann – und soll! Und JHWH wird ganz gewiss nicht das kleinste Goldkörnchen der Liebe übersehen und liegenlassen, das im Miteinander und Füreinander menschlicher Gemeinschaft in Laufe von Jahrtausenden entstanden ist (und das meint alle Menschen in allen Ländern und Kulturen mit allen Religionen und Weltanschauungen: Meinen wir denn, JHWH würde ein Geringstes, das von einem Impuls der Liebe angestoßen wurde, liegenlassen und verwerfen, weil es im Lebens- und Handlungsrahmen eines anderen Glaubenshintergrunds entstanden ist? Es ist ja etwas von seinem eigenen Innersten!).
Jesus wird einmal gefragt, was das Höchste sei im Leben eines Menschen, das was bleibt und nicht einmal im Tode verloren geht (und das ist gleichzeitig das Zentrum der biblischen Offenbarung Alten und Neuen Testaments). Und er antwortet: Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt … und deinen Nächsten wie dich selbst (Mt 22, 37-40). Dazu sind wir da, dazu ist das Menschsein und das Leben und die ganze Schöpfung gemacht.
4. Die Zeit der Unvollkommenheit
Eine Frage bleibt uns aber noch: Muss das „Gold der Liebe“, das Rohmaterial für die Gestaltung des „Himmelreichs“, wirklich auf so mühsame und belastende Weise gewonnen werden? Hätte Gott die Liebe nicht, wie alles andere, durch sein Schöpfungswort aus dem Nichts erschaffen können? So sehr uns das entgegenkommen würde; die Antwort ist: Nein. Die Liebe kann nicht Teil des Geschaffenen sein, denn sie ist Teil des Schöpfers, ja Wesenskern des Göttlichen, ja Gott selbst. Und so, wie Gott (JHWH) nicht erschaffen werden kann, so kann es auch die Liebe nicht. Das merken wir ja schon im zwischenmenschlichen Bereich: Liebe kann nicht geschaffen, nicht „produziert”, nicht gekauft und nicht verkauft werden (Sex kann gekauft werden, Liebe nicht), für kein Geld und Gold der Welt! Sie kann sich nur im Miteinander vollziehen, und wo das geschieht, da ist Göttliches im Geschaffenen gegenwärtig. Wenn in dieser Schöpfung die Liebe (also das Wesen Gottes) gegenwärtig und wirksam sein soll, dann geht das nur (ausschließlich nur), indem die Geschöpfe sie in freier Zuwendung in ihrem Miteinander verwirklichen und so ein erkennbares „Bild” des Schöpfers in der Schöpfung entsteht. Dazu ist der Mensch geschaffen (1.Mose 1,27: Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde …).
Vielleicht müssen wir in unserer „Perspektive der Vollendung der Schöpfung“ manches ganz anders sehen als wir es gewohnt sind:
Weil es in der Realität dieser Welt und Welt-Geschichte so ist, dass die Menschheit nicht zu irgendeinem geschichtlich fassbaren Zeitpunkt als Ganzes, gleichzeitig und in Einheit zum „Ebenbild“ der Liebe JHWHes werden kann (wie es eigentlich sein sollte), deshalb ist JHWH seit Jahrtausenden dabei, bei Menschen aus allen Völkern und Kulturen, in allen Generationen aller Zeit-Epochen die goldenen Schätze des Miteinander und Füreinander im Leben und Zusammenleben der Menschen zu sammeln; sie herauszusammeln aus den Nichtigkeiten des Egoismus, aus der großen Gleichgültigkeit gegenüber der Bedürftigkeit und dem Leiden der „Nächsten“ und aus den Finsternissen der Bosheit und der Feindschaft.
Denn aus diesen „Schätzen“ will er (wenn die notwendige Fülle und Dichte der Liebe im Menschsein erreicht ist) die Vollkommenheit des „Himmelreichs“ bauen und gestalten. So kann es geschehen, dass das, was in keinen Augenblick der Menschheits-Geschichte möglich ist (und auch in Zukunft nicht möglich sein wird), dass das in der Zusammenschau auf die Länge der Zeit, die JHWH vor Augen hat doch reale Wirklichkeit wird: Das Menschsein als „Ebenbild“ der Liebe JHWHes. (Siehe dazu die später folgenden Beiträge „Das Licht der Menschlichkeit“ und „Das Leuchtbild der Gemeinschaft“.)
Wir wissen nicht, wie weit dieses „Bild“ in den Augen seines Schöpfers schon vorangekommen ist und wie viel dazu noch fehlt. Aber wäre der Gedanke nicht faszinierend, dass vielleicht nur noch ein Geringes fehlt, dass die Schöpfung vollendet und „sehr gut“ werden kann und dass jede aktuelle liebevolle Zuwendung zum Nächsten schon ein wichtiger, ja entscheidender Schritt sein könnte hin auf das schon „nahe herbeigekommene Himmelreich“?
So bekommt auch die belastende Dauer (die Jahrhunderte und Jahrtausende der Menschheitsgeschichte), die belastende Dauer unseres Lebens im Zustand der „Noch-nicht-Vollkommenheit“ trotz allem gegenwärtigen Bösen und allem Un-Heil doch noch eine Hoffnungs-Perspektive. Denn genau da, in den Zeiten der Unvollkommenheit menschlichen Daseins, geschehen die Vor-Arbeiten zur Vollendung der Schöpfung. Und die Zeitdauer dafür ist nicht vorgegeben, denn sie hängt davon ab, wie viel von dem „Gold der Liebe“ in jedem Menschenleben und in jedem Zeit-Abschnitt der Menschheitsgeschichte verwirklicht wird. Dann soll die Ernte eingebracht werden, die Ernte der Liebesfähigkeit des Menschseins durch die Jahrtausende, trotz aller menschlichen Unvollkommenheit, trotz allen menschlichen Unwillens, und trotz aller Un-Menschlichkeit, die das Miteinander mit Betrug, Gewalt und Mord belasten.
5. Taten oder Täter?
Jesus weist immer wieder auf die Gleichzeitigkeit von gut und böse, Menschlichkeit und Unmenschlichkeit im Zusammenleben der Menschen hin:
Mt 13, 24-30: Er legte ihnen ein anderes Gleichnis vor und sprach: Das Himmelreich gleicht einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte. Als aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen und ging davon. Als nun die Halme wuchsen und Frucht brachten, da fand sich auch das Unkraut. Da traten die Knechte des Hausherrn hinzu und sprachen zu ihm: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher hat er denn das Unkraut? Er sprach zu ihnen: Das hat ein Feind getan. Da sprachen die Knechte: Willst du also, dass wir hingehen und es ausjäten? Er sprach: Nein, auf dass ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft, wenn ihr das Unkraut ausjätet. Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte; und um die Erntezeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, damit man es verbrenne; aber den Weizen sammelt in meine Scheune.
Das ist ein Gleichnis dafür, was oben die „Zeit der Unvollkommenheit“ genannt wurde: Gutes und Böses wächst immer gleichzeitig auf dem „Nährboden“ des Menschseins. Übrigens (was Christen in der Geschichte der Christenheit oft einfach „überlesen“ haben): In seiner Erklärung zu diesem Gleichnis (siehe unten) betont Jesus ausdrücklich, dass es nicht die Aufgabe der Menschen ist, das „Unkraut“ (hier missverstanden als „die bösen Menschen“) auszujäten und zu verbrennen, sondern die Aufgabe der „Engel“, die er dazu senden wird. Jede Art von menschlicher „Inquisition“ widerspricht den ausdrücklichen „Weisungen“ Jesu in diesem Gleichnis (das widerspricht nicht einer „weltlichen“ Gerichtsbarkeit, die sich darum bemüht, das Verbrechen innerhalb einer Gesellschaft einzudämmen).
Allerdings haben wir jetzt ein echtes Problem mit einem harten Widerspruch: In den weiter oben genannten Texten war immer wieder vom „Gericht nach den Werken“ die Rede, jetzt aber werden offensichtlich Menschen verurteilt und verbrannt (Mt 13, 26-43 Lutherübersetzung, Ausgabe 2017):
Da ließ Jesus das Volk gehen und kam heim. Und seine Jünger traten zu ihm und sprachen: Deute uns das Gleichnis vom Unkraut auf dem Acker. Er antwortete und sprach zu ihnen: Der Menschensohn ist’s, der den guten Samen sät. Der Acker ist die Welt. Der gute Same, das sind die Kinder des Reichs. Das Unkraut sind die Kinder des Bösen. Der Feind, der es sät, ist der Teufel. Die Ernte ist das Ende der Welt. Die Schnitter sind die Engel. Wie man nun das Unkraut ausjätet und mit Feuer verbrennt, so wird’s auch am Ende der Welt gehen. Der Menschensohn wird seine Engel senden, und sie werden sammeln aus seinem Reich alle Ärgernisse und die, die da Unrecht tun (wörtlich: … alle „Fallstricke“, also alles was Menschen zu Fall bringen kann, und alle Taten der Gesetzlosigkeit, so würde es den oben zitierten Bibel-Texten entsprechen. Aber: In allen mir bekannten Übersetzungen wird – sinngemäß – übersetzt: „alle Täter der Gesetzlosigkeit“), und werden sie in den Feuerofen werfen; da wird sein Heulen und Zähneklappern. Dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonne in ihres Vaters Reich. Wer Ohren hat, der höre!
Hier klingt das so, als würden nicht die Taten (Werke) der Menschen, gerichtet und verbrannt, sondern die Täter (also Menschen). Genau so klingt es auch im Gleichnis vom Fischernetz (Mt: 13, 47-50 – Luther 2017): Wiederum gleicht das Himmelreich einem Netz, das ins Meer geworfen wurde und Fische aller Art fing. Als es voll war, zogen sie es heraus an das Ufer, setzten sich und lasen die guten in Gefäße zusammen, aber die schlechten warfen sie weg. So wird es auch am Ende der Welt gehen: Die Engel werden ausgehen und die Bösen von den Gerechten scheiden und werden sie in den Feuerofen werfen; da wird sein Heulen und Zähneklappern.
Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob im Gericht JHWHes Taten oder Täter, Werke oder Menschen verbrannt werden. Da geht es um unsere tiefsten Glaubensgrundlagen, um die entscheidenden Konturen unseres Gottes-Bildes. Im ersten Fall haben wir einen Gott vor Augen, der das Gute will und fördert und der das Böse nicht will und ihm ein Ende setzt. Im zweiten Fall haben wir einen Gott vor Augen, der die Menschen einteilt in „Gute“ und „Böse“ (als gäbe es Menschen, die man so eindeutig der einen oder anderen Kategorie zuordnen könnte). Und die „Bösen“ würde er unumkehrbar vernichten (ein „verbranntes“ Leben kann man nicht wieder herstellen).
Sind es wirklich allein sprachliche (linguistische) Gründe, die Generationen von Theologen veranlasst haben, die zweite Variante zu wählen? (Vielleicht schon jene, welche die ursprünglich hebräisch/aramäische Rede Jesu ins Griechisch des Neuen Testaments übersetzt haben?)
Ich meine: In der Zusammenschau der neutestamentlichen Aussagen zur „Vollendung des Menschseins und der Schöpfung“, geht es nicht um die Bestrafung von „Übeltätern“ durch Verbrennen, sondern um die „Vernichtung“ all dessen, was Menschen übles getan haben. Und es geht um das Sammeln zum Miteinander und Füreinander des Lebens und Zusammenlebens in den „Scheunen“ JHWHes, also in den Gemeinschaften der Liebe über alle Grenzen von Völkern, Kulturen und Weltanschauungen hinweg (und das wäre schon ein Vor-Leuchten der Ewigkeit mitten in der Vorläufigkeit unserer Zeit).
6. Weltuntergang oder Welterlösung?
Versuchen wir uns doch einmal vorzustellen (nur so, als Gedankenspiel), wie das wäre, wenn „alles, was Menschen in ihrem Gott-gewollten Menschsein zu Fall brachte und alles Tun der Gesetzlosigkeit“ aus der Menschheits-Geschichte der vergangenen Jahrtausende „heraus-gebrannt“ wäre. Wie hätte diese Menschheits-Geschichte dann ausgesehen?
Nun, das geht über unsere Vorstellungskraft weit hinaus, und die Geschichte, so wie sie eben war, ist ja nachträglich nicht mehr veränderbar. Aber das Entscheidende ist: Auch die Vollendung der Schöpfung wird dadurch in Gang kommen, dass genau das geschieht: Da wird „alles, was Menschen in ihrem Gott-gewollten Menschsein zu Fall bringen kann und alles Tun der Gesetzlosigkeit“ herausgenommen aus dem aktuellen Miteinander des Menschseins aller Völker und Kulturen. Und das wird dann keine „Weltuntergangs-Katastrophe“ sein, sondern „Welterlösung“. Und die soll schon jetzt, in jeder Christus-Gemeinschaft (und im Verhältnis all dieser Gemeinschaften untereinander und auch im Verhältnis zu JHWHes ersterwählten Volk Israel) beginnen, „wie im Himmel, so auf Erden“.
Wie die „Vollendung der Schöpfung“ konkret geschehen wird, das können (und sollen) wir Menschen uns nicht ausdenken, und die Bibel gibt uns da auch keine konkreten „Vorstellungs-Hilfen“. Unsre Aufgabe ist also nicht, ein großes Gemälde von der „Weltvollendung“ zu entwerfen, sondern in vielen kleinen Situationen des alltäglichen Lebens jeweils ein winziges „Etwas“ beizutragen, dass das Leben und Zusammenleben von Menschen zum „Ebenbild“ der Liebe JHWHes wird.
Aber was hat das für unser alltägliches Leben hier und jetzt zu bedeuten? Wie berührt das ganz konkret unser Christsein, jetzt in unserer Gegenwart und mitten in dieser Welt? Davon soll in den folgenden Beiträgen „Der zweite Teil der Schöpfung“ und „Die Herausforderung des Menschseins“ die Rede sein.
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