Bereich: Grundfragen des Lebens

Thema: sein und sollen

Beitrag 10: Das Licht der Menschlichkeit (Bodo Fiebig6. Januar 2023)

Vielleicht ist es gut, diesen Abschnitt mit einer Art „Gleichnis“ beginnen, mit einer bildhaften Vorstellung, in der etwas sichtbar werden soll von der Realität der „Gottesebenbildlichkeit“ des Menschseins in unserer Welt und Zeit.

Stelle dir vor, du hättest eine Art „Lampe“ in deiner Hand, eine Lampe mit einer besonderen Eigenschaft: Sie könnte nämlich eine ganz spezielle Art Energie, die in dir wirksam ist, erkennen, aufnehmen und in Leuchtkraft umwandeln. Und je stärker diese Energie in dir wäre, desto heller und strahlender würde diese deine Lampe zum Leuchten kommen.

Wann würde diese Lampe in deiner Hand mit einem ersten zaghaften Glimmen anzeigen, dass da etwas in dir ist, eine Energie, eine Lebenskraft, die hinausgeht über den bloßen Selbsterhaltungstrieb des Lebens, hinausgeht über die Jagd nach Anerkennung, über den Willen zur Macht und über das Streben nach mehr und immer mehr Besitz? Vielleicht schon, wenn du für einen Augenblick deine Aufmerksamkeit von dir selbst wegwenden und einen Menschen wahrnehmen würdest, der zufällig an dir vorübergeht, und du dabei dem ersten, unwillkürlichen Impuls widerstehen würdest, ihn als fremd und störend zu empfinden.

Heller und wärmer würde dieses erste Glimmen dann, wenn du einem Menschen – bekannt oder unbekannt – ein Lächeln schenkst, ein freundliches Wort, eine bejahende Geste; einfach so, ohne Absicht und Hintergedanken; wenn du einem, der sich angestrengt hat, einen stummen Dank zunickst; wenn du einer, die sich gemüht hat, ein anerkennendes Wort sagst; wenn du jemandem, der sich unsicher fühlt, mit einem Blick zeigst, dass es dich freut, ihn oder sie zu sehen.

Wirklich hell und strahlend würde diese Lampe dann, wenn du bereit wärst, auf einen eigenen Vorteil zu verzichten, um jemandem, der im Nachteil ist, zu helfen; wenn du es fertig brächtest, eine gehobene Position aufs Spiel zu setzen, um dich für jemanden einzusetzen, der den untersten Platz einnimmt; wenn du dich dazu durchringen könntest, ein eigenes Vorhaben hintanzustellen, um die Pläne eines anderen voranzubringen; wenn du Macht, Reichtum und Ruhm aufgeben könntest, um einem Machtlosen, Armen und Unbedeutenden nahe zu sein.

Noch heller, noch schöner und lebendiger wäre dieses Strahlen dann, wenn du dich für das Leben in der Gemeinschaft einsetzen würdest, sei es in deiner Familie, in der Nachbarschaft, in einer Arbeitsgruppe, einer Schulklasse, sei es in einer christlichen Gemeinde, sei es in einer Vereinigung, die dem Wohl der Menschen dienen will (sei es das Rote Kreuz, die Feuerwehr oder sonst eine helfende Einrichtung), sei es in deinem Volk oder in einer völkerübergreifenden, Grenzen überwindenden und Frieden stiftenden Gemeinschaft.

Ihre höchste Leuchtkraft und strahlendste Schönheit würde diese Lampe dann erreichen, wenn Du jemandem (sei es ein Einzelner oder eine Gruppe), der dir selbst weh getan hat, vergibst und diese Vergebung bestätigst, indem du etwas für ihn tust, das ihn erfreuen kann; wenn du jemandem, der dir mit Ablehnung und Hass begegnet, mit Offenheit und Verständigungsbereitschaft entgegengehst; wenn du einem, der dir feindlich gegenübersteht, der dir schaden, vielleicht sogar dich töten will, die Hand zur Versöhnung reichst.

Du hast schon gemerkt, dass die Art von Energie, die in deiner gedachten „Lampe“ zum Leuchten kommt, diejenige ist, die in der Bibel „Liebe“ genannt wird. 1.Kor 13, 1-7 (Lutherübersetzung): Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so dass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe, und ließe meinen Leib verbrennen, und hätte die Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze.

Merken wir das Leuchten, das in diesen Worten liegt, ein Leuchten, das schon seit 2000 Jahren inmitten der Finsternis dieser Welt einen hellen Glanz verbreitet?

Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.

So beschreibt der Apostel Paulus diese Energie der Liebe, die im Miteinander der Menschen zum Leuchten kommen soll.

Wie oft hätte diese deine Lampe in deiner Hand heute ein blasses Glimmen gezeigt, wie oft hätte sie hell geleuchtet, … und wie lange, wie viele Stunden dieses Tages, wäre sie ganz und gar dunkel geblieben?

Nun stelle dir vor, nicht nur du, sondern viele, ja alle Menschen, alle Menschen auf dieser Erde (jetzt schon acht Milliarden!) hätten so eine Lampe in der Hand. Wie würde das aussehen, aus der Ferne, vom „Himmel“ her betrachtet? Wie ein strahlendes, glitzerndes Lichtermeer oder wie tiefe, schwere Dunkelheit, vielleicht mit ein paar wenigen Lichtpünktchen darin?

Was sieht JHWH, wenn er auf diese Erde schaut, die er selbst geschaffen hat? Die Bibel verschweigt es nicht: Jes 60,2: Siehe, Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völker.

Das ist unser Zustand und der Zustand dieser Welt, von JHWH her gesehen. Und wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben: Ja, es stimmt. Diese Erde ist tatsächlich von Finsternis bedeckt, ein verdunkelter Globus, wo einige Wenige sagenhafte Reichtümer anhäufen und wo als Folge davon Millionen Andere in bitterster Armut leben, wo Korruption und Verbrechen, Ausbeutung und Sklaverei, Kriege und Bürgerkriege ganze Länder und Kontinente verwüsten, wo eine ganze Medien-Industrie davon lebt, immer grausamere Verbrechen, Mord und Gewalt Abend für Abend in unsere Wohnzimmer zu liefern (als Unterhaltung!), während gleich nebenan das echte Verbrechen zuschlägt: Raub und Betrug, Gewalt und Mord, Rauschgift-, Waffen- und Menschenhandel und Zwangsprostitution, und wo das organisierte Verbrechen sich immer unlösbarer mit den Mächten der Wirtschaft und der Politik verbündet.

Dies ist wahrhaftig eine erkaltete Erde, wo im Zeichen der „Globalisierung“ soziale Sicherheiten abgebaut und die Menschen schutzlos einem Raubtierkapitalismus ausgeliefert werden, ausgebeutet und in die Verelendung getrieben (was wir hier zur Zeit in den sogenannten „Industrie­ländern des Westens“ erleben, ist ja nur der vorsichtige Anfang einer Entwicklung, die woanders schon viel weiter fortgeschritten ist).

Dies ist wahrhaftig eine verfinsterte Welt, wo Habgier und Egoismus, Ungerechtigkeit und Parteilichkeit, Hass und Gewalt die Beziehungen zwischen Menschen und Völkern zerstören, wo die Liebe sogar in der innersten Keimzelle des gemeinsamen Lebens, in der Familie, erkaltet, wo die Ehen massenweise kaputt gehen, und Beziehungen zwischen Menschen reduziert werden auf die Frage, „… na, und was bringt mir das?“

Diese Erde ist in Dunkel gehüllt, und sie war doch dazu bestimmt, zum leuchtenden Mittelpunkt der Schöpfung zu werden durch das Licht der Liebe im Miteinander des Menschseins. Das ist unser Sündenfall, dass wir von dieser Menschheitsberufung so weit entfernt sind und heute weiter denn je. JHWH aber gibt seine Schöpfung nicht auf, heute so wenig wie damals. Der Satz aus Jes 60, 1-3, den wir oben gehört haben, heißt als Ganzes gelesen so: Mache dich auf (ja du), werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit JHWHes geht auf über dir! Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir geht auf JHWH, und seine Herrlichkeit erscheint über dir.

Im Neuen Testament lesen wir es so: So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben (Joh 3,16).

Ja, die Liebe JHWHes gilt der „Welt“, also der ganzen Menschheit und Schöpfung. Die Unversöhntheit der Menschen mit ihrem Schöpfer, und (als Folge davon) ihre Friedlosigkeit und Zerrissenheit untereinander, sollen geheilt werden. Alle sollen aus der Gewalt des Egoismus und der Feindschaft befreit werden, sollen zum Frieden kommen mit JHWH und miteinander.

Der Mensch soll nicht mehr des Menschen „Wolf” sein. Das Gesetz des Lebens auf dieser Erde soll nicht mehr heißen: „fressen und gefressen-werden“. Der Starke soll dem Schwachen nicht mehr Gewalttäter sein, sondern Schutz und Hilfe. Der Nächste soll dem Menschen nicht mehr Konkurrent, Gegner und Feind sein, sondern Geliebter. Die ganze Menschheit auf diesem ganzen Globus soll zu der einen, alle und alles umfassenden Liebes- und Lebensgemeinschaft werden (als Eben-Bild des Wesens JHWHes), zu der sie ursprünglich geschaffen war. Das ist die Art von Globalisierung, die JHWH auf diesem Globus verwirklichen will.

Dazu hat sich JHWH Israel als Erstlingsvolk erwählt, dass es als königliche Priesterschaft (2. Mose 19,6) an der Heiligung und Versöhnung der Menschheit mitwirken soll.

Dazu hat JHWH seine Weisung (Thora) ins Menschsein gegeben, dass sie Orientierung und Hilfe sei auf dem Weg zur Einheit in versöhnter Vielfalt und zur Gemeinschaft in liebender Zuordnung. Auch wenn Israel diesem Auftrag nicht immer gerecht wurde: Es ist trotzdem zugleich Botschafter und Botschaft JHWHes an die Welt „Ich bin der Herr dein Gott, der dich aus der Knechtschaft führt“. Nicht nur Israel aus der Knechtschaft in Ägypten (das war nur der Modellfall), sondern alle Menschen aus aller Knechtschaft des Egoismus und der Schuld, der Feindschaft und der Unterdrückung, der Armut und der Krankheit, des Leidens und des Todes.

Dazu hat JHWH seine Liebe (also sich selbst) in Jesus ins Menschsein gegeben, dass er die wahre Bestimmung des Menschen als Bild JHWHes in der Schöpfung endlich verwirklicht. Johannes 14,9 sagt Jesus: Wer mich sieht, der sieht den Vater! Genauer kann man die Berufung des Menschseins (jedes Menschenseins!) nicht ausdrücken. Wenn man Menschen in menschlicher Gemeinschaft anschaut, wie sie leben, wie sie miteinander umgehen und wie sie einander lieben, dann soll man ein Bild davon vor Augen haben, wie JHWH ist.

Wir wissen, wie weit wir davon entfernt sind. In der Person Jesu aber ist das Urbild des Menschseins als Abbild der Liebe JHWHes wieder hergestellt. Wer Jesus sieht, erkennt, wie JHWH ist. An seinem Vor-Bild sollen Juden und Heiden das Menschsein lernen, wie es von JHWH ursprünglich gemeint und gewollt war. Durch seine Hingabe am Kreuz soll der tiefe Menschheitsschaden des Egoismus geheilt und alle daraus entstandene Schuld getilgt werden. Durch seine Auferstehung soll die Überwindung jeden Todes ihren Anfang nehmen. Durch sein Wiederkommen in Herrlichkeit soll die Erlösung der Welt vollendet werden.

Dazu hat JHWH schließlich zu Pfingsten durch den Heiligen Geist die eine Jesusjüngerschaft ins Leben gerufen, die „Gemeinschaft der Heiligen“, damit in ihrer Liebesgemeinschaft aus messiasgläubigen Juden und christusgläubigen Heiden die ganze Menschheit (die ja auch aus Juden und Heiden besteht) das Modell ihrer zukünftigen umfassenden Versöhnung vorgelebt bekommt. Joh 13, 34-35: Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander liebhabt. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.

Dazu hat JHWH zweitausend Jahre schuldbeladener Kirchengeschichte getragen und ertragen, trotz aller Zerrissenheit und allen Abfalls, dazu, dass diese Versöhnung zu ihrer Zeit dennoch Wirklichkeit werden kann. Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens, so sangen die Engel bei der Geburt Jesu (Lk 2,14).

Diesen Heilsplan JHWHes für die Welt zu erkennen und den Glauben an die Liebe JHWHes durchzuhalten in einer Welt, die zur einen Hälfte als egozentrische, rücksichtslose Konsum- und Spaßgesellschaft existiert und zur anderen Hälfte als permanente Kriegs- und Hungerkatastrophe, das ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Für jeden Einzelnen und für jede biblisch gläubige Gemeinschaft. Siehe den folgenden Beitrag: „Das Leuchtbild der Gemeinschaft“

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