HERR, du erforschest mich und kennest mich. Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne. Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege. Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, HERR, nicht schon wüsstest. Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir. (…) Denn du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe. Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele. (…) Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner da war. (Psalm 139, 1-16)
So redet die Bibel vom Werden menschlichen Lebens. Aber können wir solche Aussagen heute noch als gültig und „wahr“ akzeptieren, angesichts von Überzeugungen der modernen Wissenschaft, die davon ausgehen, dass das Leben aus den natürlichen Ressourcen der Erde in Jahrmillionen dauernden Entwicklungen „von selbst“ (also ohne Eingriff einer schöpferischen Intelligenz) entstanden sei und sich aus einfachsten Anfängen „von selbst“ bis zum heutigen Variantenreichtum der Lebensformen (einschließlich des Menschen) weiterentwickelt habe? (Freilich gibt es auch ernst zu nehmende Wissenschaftler, die das nicht so sehen.)
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1 Entstehung des Lebens
Was ist das: „Leben“? Was unterscheidet den Inhalt der Fleisch-Theke beim Metzger von einem lebenden Organismus? Beides besteht aus den gleichen Materialien. Warum lebt das eine und das andere ist tot? Noch drängender wird die Frage nach den Grundlagen des Lebens, wenn sie einen Menschen betrifft, der uns nahestand. Da war ein Mensch, den wir gekannt, vielleicht sogar geliebt haben, und jetzt ist er gestorben. Was ist geschehen, was unterscheidet den toten Körper im Sarg von dem lebenden Menschen, der uns nahe war? Und wie soll man sich das vorstellen, dass irgendwann, vor vielen Millionen Jahren, aus toten Materialien, Erde, Wasser und Luft, etwas Lebendes entstand?
Fragen über Fragen! Beginnen wir beim Anfang: Dass etwas Lebendes stirbt, das begegnet uns immer wieder, dass aus Totem Lebendiges wird, nie. Immer war schon ein Keim des Lebens da, wenn neues Leben entstand. Kein Lebewesen (ob Pflanze oder Tier oder Einzeller …) ohne Elterngeneration und Großeltern und die vielen Generationen davor und immer weiter …, eine ununterbrochene Weitergabe des Lebenskeims von einem Uranfang allen Lebens an bis heute.
Aber wie soll man sich diesen Uranfang vorstellen? Es genügt ja nicht, wenn einige Bausteine des Lebens zufällig zusammenkommen. Das ist ja oft die Vorstellung: Irgendwie sind, wahrscheinlich in den Tiefen der Meere, zufällig einfachste Bausteine des Lebens entstanden. Und die haben sich dann zufällig irgendwie zusammengefunden und so sind die Grundbausteines des Lebens, erste einfache Zellen entstanden und haben sich vermehrt…
Aber so einfach ist das nicht. Damit Leben entstehen kann, müssen verschiedene (zum Teil sehr komplexe) Moleküle entstehen. Und diese müssen dann so zueinander in Beziehung treten, dass sie einen über die Grenze des einzelnen Moleküls hinausreichenden Zusammenhang bilden. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Aneinanderreihung (viele H2O-Moleküle ergeben einen Tropfen Wasser), sondern um Beziehungen mit Wechselwirkung zwischen verschiedenartigen Molekülen durch gegenseitige Beeinflussung (was ein bestimmtes Molekül betrifft, hat auch Auswirkungen auf ein ganz anderes Molekül in seiner Nähe und umgekehrt).
Solche intermolekularen Wechselwirkungen mit entsprechenden Rückkopplungen müssen noch nichts mit „Leben“ zu tun haben. Ein Quarzmolekül in einem Bergkristall bildet noch lange kein Lebewesen, auch wenn es in geordneter Beziehung mit vielen anderen Quarzmolekülen einen Kristall formt, in welchem die Quarzmoleküle nach einem „Muster“ angeordnet sind, das weit über das einzelne Molekül hinausreicht. Was noch zum Leben fehlt, ist etwas Unerwartetes, ja eigentlich Unmögliches: Wirkliches Leben kann erst dann entstehen, wenn das wechselweise Zusammenwirken komplexer Molekularstrukturen einen gemeinsamen, übergeordneten und über eine gewisse Zeit stabilen Funktions-Zusammenhang realisiert, der dynamische Stoffwechselvorgänge ermöglicht, die in den Strukturen der einzelnen beteiligten Moleküle nicht schon vorgezeichnet sind: Also nicht nur Zusammenordnung von gleichen Elementen in vorgegebenen Strukturen, sondern Zusammenwirken und Austausch zwischen ganz verschiedenen Teilbereichen in einem arbeitsteilig organisierten Ganzen. Und dieser Funktions-Zusammenhang muss sich dann auch noch selbst vervielfältigen können, so dass er an eine Folge-Generation weitergegeben werden kann. Wir können eine lebende Zelle vergleichen etwa mit einem Auto, das (wie eine lebende Zelle) aus vielen Teilen besteht (Motor, Räder, Lenkung, Bremsen …), die sinnvoll und exact geplant so zusammenwirken, dass der Zweck des Autos (nämlich „fahren“) erreicht wird. Nun müsste sich aber dieses Auto selbst, also ohne eine Autofabik und ohne die dort arbeiteneden Menschen, vervielfältigen können, indem das Auto selbständig Rohstoffe aus seiner Umgebung aufnimmt, sie so umformt, dass daraus passende Auto-Teile werden und sie dann so zusammenbaut, dass wirklich ein fahrtüchtiges Auto entsteht (und das ohne einen intelligenten Plan, sondern aus reinem Zufall).
So etwas geschieht in jeder lebenden Zelle. Sie muss, um zu leben, einen Gesamtorganismus bilden, in welchem die einzelnen Teilbereiche so zusammenwirken, dass das Ganze lebt, obwohl keines seiner Einzelteile aus sich allein lebensfähig wäre. Und sie muss diese Organisationszusammenhänge selbständig kopieren und anwenden, um aus den Stoffwechselprodukten von „fremden“ Materialien (die sie durch Nahrungsaufnahme gewinnt), körpereigene Zellstrukturen herzustellen und aus denen (durch Zellteilung) neue Zellen zu „produzieren“. Erst der Wirkungszusammenhang im geschlossenen, aber trotzdem im Innern und nach außen vielfältig verknüpften System des Zellganzen öffnet die Möglichkeit des Lebens. Außerdem: Eine lebende Zelle existiert nie als fertiges „Ding“, das (wie ein Auto) eben „da“ ist, sondern immer nur als Materie in prozesshafter Veränderung, die einen ständigen materiellen und energetischen Austausch mit der Umwelt vollzieht. Sobald dieser Austausch auch nur kurze Zeit zum Stillstand kommt, ist die Zelle tot, ein Haufen toter Materie.
Die Zelle (als Grundmodell allen Lebens) hat zwei unbedingt notwendige Lebensgrundlagen: Eine materiell-energetische (es müssen die notwendigen Materialien, Energien, Umweltbedingungen usw. vorhanden sein) und eine prozesshaft-funktionale. Nur wenn die für die Zelle notwendigen Energien und Materialien als sich gegenseitig ergänzende Teile eines Funktionszusammenhangs zusammenwirken und so an einem molekülübergreifenden und arbeitsteiligen Prozess teilnehmen, können sie einen lebenden Organismus bilden. Woher aber soll dann die dazu notwendige „Prozessordnung“ kommen, durch die diese Vorgänge gesteuert und koordiniert werden? Können sinnlose Zufälle einen sinnvollen Gesamtzusammenhang kreieren, indem sie zufällig entstandene Teile zufälllig so miteinander in Beziehung setzen, dass sie als arbeitsteiliges System funktionieren und daraus ein organisches Ganzes entsteht, das für die Einzelteile erst dann vorteilhaft (weil lebensfähig) ist, wenn das Gesamtsystem schon funktioniert?
Wir sehen: Die materiellen Grundlagen des Lebens bauen sich genau so auf wie alle Materie, auch wenn sie sich in sehr vielfältigen und komplexen Strukturen konkretisieren; Leben kann aber erst dann entstehen, wenn diese Materialien ein wechselseitiges, vielfältig verknüpftes Beziehungsgeschehen in Gang halten, durch das ein komplexes und sinnvoll geordnetes Beziehungssystem (eine Zelle als Grundeinheit des Lebens) verwirklicht wird. Die verschiedenen Funktionen im Funktionszusammenhang einer Zelle sind nur dann geeignet, die Zelle am Leben zu erhalten, wenn sie im Gesamtorganismus der Zelle eine sinnvolle „Arbeitsteilung“ und „Zusammenarbeit“ verwirklichen, durch die sie sich wechselseitig sinnvoll ergänzen. Können solche zweckmäßig abgestimmten komplexen Zusammenhänge wirklich durch zufällige und sinnlose Ereignisse (Mutationen) entstehen? Können sich zufällige Ansammlungen von sinnlosen Einzelentwicklungen zufällig zu einem höchst komplexen Sinnganzen verbinden, das dann auch noch die Fähigkeit hat, sich selbst zu reproduzieren? Ist die These „viele sinnlose Zufälle in großen Zeiträumen ergeben sinnvolle Entwicklungen“ wirklich überzeugend ? Viren z. B. können in relativ kurzer Zeit durch zufällige Mutationen eine große Zahl von Varianten entwickeln, wobei dann jene Variaten, deren Eingeschaften eine bessere Verbreitung durch Ansteckung ermöglichen, sich am effektivsten vermehren und durchsetzen. Aber immer war die grundlegende Erbinformation des Virus schon da. Die Bandbreite der Mutationen kann diese Erbinformantion zwar variieren, sie kann sie aber nicht neu erfinden. Eine spezifische DNA mit der Fähigkeit, sich selbst zu vervielfältigen ist Voraussetzung für Mutationen, nicht Ergebnis von Mutationen.
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2 Leben – eine Ausnahmeerscheinung der Materie
Leben ist nicht mehr als Materie (und es gibt auch keine spezielle „Lebens-Materie“, die mit den toten Materialien wie Stein, Wasser und Luft nichts zu tun hätten), aber es ist Materie in einem übergeordneten Funktionszusammenhang. In einer lebenden Zelle müssen Gruppen von Molekülen als verschiedene Teile dieser Zelle verschiedene Funktionen wahrnehmen, z. B. (in einer Pflanzenzelle) die Zellflüssigkeit (Zytoplasma) als internes Transport- und Kommunikationsmedium, die Zellhaut (Membran) als Zellgrenze und gleichzeitig Übergabestation für Stoffwechsel von außen nach innen (Nahrung) und von innen nach außen (Abfälle), als „Solarstation“ (Chloroplast) für die Fotosynthese usw. Es ist wie in der Werkstatt eines Handwerksbetriebes: Mehrere Bereiche sind scheinbar unabhängig voneinander damit beschäftigt, ganz verschiedene Arbeiten auszuführen, die aber dann doch alle so planvoll ineinandergreifen, dass am Ende ein gemeinsames „Werkstück“ (in diesem Fall die Lebensfähigkeit der Zelle) entsteht.
Eine Zelle als System von verschiedenen Molekülgruppen ist ja nur dann lebensfähig, wenn sich ihre einzelnen Bereiche im Zusammenwirken als übergeordnete Einheit verhalten, wenn also ihre Funktionszusammenhänge ein sinnvolles Ganzes ergeben (und sei es nur mit dem „Sinn“, sich selbst am Leben zu erhalten; später werden wir noch sehen, dass schon die Entstehung der ersten lebenden Zelle einen viel umfassenderen Sinn verwirklicht). Ob man nun die Entstehung des Lebens als sinnvoll ansehen will oder nicht: Sie hat stattgefunden und ihr Ergebnis hat sich (zumindest da, wo man das Leben bei sich selbst als lebenswert und bei anderen als liebenswert empfindet) subjektiv als sehr sinnvoll erwiesen.
Jedes Zusammenwirken von Einzelteilen, das einen Zweck erfüllt, ist sinnvoll („sinnvoll“ hier nicht als moralische Kategorie gemeint, also wünschenswert und gut oder gar ethisch hochstehend, sondern nur als funktionale Kategorie, also „einen übergeordneten Organisations-zusammenhang erfolgreich verwirklichend“). Aber wer (oder was) gibt den einzelnen Funktionselementen einer Zelle vor, was jeweils der „Zweck“ ihres Daseins in der Zelle ist, welche jeweils besondere Aufgabe sie wahrnehmen sollen und wie sie im Molekularverband zusammenarbeiten müssen? Woher „weiß“ ein Eiweißmolekül, das z. B. einen winzigen Teil einer Zellhülle bildet, oder ein Nukleinsäurebaustein als Teil der DNA im Zellkern, welche Funktion sie im Ganzen der Zelle wahrnehmen müssen, damit diese als Gesamtorganismus leben kann? Was steuert die Funktions- und Kommunikationsvorgänge im Innern der Zelle so, dass sie als ein gemeinsamer Organismus funktioniert? Erst der übergeordnete, sinnvoll sich ergänzende und zusammenwirkende Funktionszusammenhang zwischen allen Teilbereichen einer Zelle, macht es ja möglich, dass die Zelle lebt. Aber wer (oder was) hat die einzelnen Elemente des Lebens (die ja alle aus toter Materie bestehen), so sinnvoll zusammengeordnet, dass sie nun im Zusammenwirken einem übergeordneten Interesse dienen, nämlich dem Leben der Zelle als Ganzes? Bei einem höher organisierten Lebewesen aus mehreren Zellen muss der intermolekulare Funktionszusammenhang des Lebens sogar noch verschiedene in sich abgeschlossene und aus verschiedenen Zelltypen zusammengesetzte Funktionseinheiten (Organe) umfassen und deren verschiedene Funktionen im Ganzen des Organismus koordinieren. Wer (oder was) hat diese Funktionszusammenhänge geplant und alle Funktionen so sinnvoll und zielgerichtet gesteuert und aufeinander abgestimmt, dass dadurch ein lebender Gesamt-Organismus entstehen konnte? Der sinnlose Zufall??
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3 Die doppelte Grundlage des Lebens
Träger des Lebens sind Materie und Energie, ohne sie ist Leben nicht möglich. Aber Leben ist Materie und Energie in einer ganz besonderen Erscheinungsweise. Es ist nicht eine in beidem schon enthaltene Option, die sich bei entsprechend günstigen Bedingungen von selbst entwickeln könnte, sondern eine völlig neue Daseinsform. Damit Leben entstehen und erhalten bleiben kann, muss zur chemisch-physikalischen Grundlage des Lebens (Materie und Energie) noch etwas Zweites hinzukommen, das weder in der Materie noch in der Energie schon enthalten ist: eine Information, eine Art „Organisationsplan“ über die Struktur und Funktionsweise im Zusammenwirken mehrerer verschiedener Elemente. Und diese Information muss sich vervielfältigen können und vererbbar sein. Das Leben hat also nichts, das quantitativ „mehr” wäre als bloße Materie; aber es ist Materie, die anhand einer schon vorhandenen Information so strukturiert und organisiert ist, dass ihre Einzelelemente sich zu einem komplexen und dynamischen Ganzen verbinden.
Den Unterschied zwischen einer „Trägermaterie“ und einer von ihr getragenen Information können wir uns am Beispiel einer Seite aus einem Buch vorstellen: Sie besteht materiell gesehen aus Papier und Druckfarbe. Aber: Weder die chemische Analyse des Papiers noch die der Druckfarbe würde uns irgendwelche Erkenntnisse über den geistigen Inhalt des Textes erbringen. Nur wer den Text-code „entschlüsseln“, also lesen kann, ist in der Lage, den geistigen Inhalt dieser Textseite zu entnehmen. Die eigentliche Information ist nicht materiell. Sie ist eine völlig neue und andere Wirklichkeit, die in der materiellen Zusammensetzung des Papiers und der Druckfarbe selbst noch nicht enthalten war und die die Materialien „Papier“ und „Druckfarbe“ niemals aus sich selbst heraus hervorbringen könnten. Die Information wird (in diesem Beispiel) abgebildet und dargestellt durch eine sinntragende Anordnung der Druckfarbe auf dem Papier. Aber das Papier und die Druckfarbe selbst enthalten in sich noch keine Information, die über die Beschreibung der eigenen Materie hinausginge! Gleichwohl sind Farbe und Papier (oder auch Stimmbänder und Luftschwingung, Papier und Tinte oder die Speicherelemente eines USB-Sticks usw.), als „Trägermaterie“ für die Weitergabe des geistigen Inhalts unentbehrlich.
Auf vergleichbare Weise sind Materie und Energie die alleinigen „Träger“ des Lebens. Leben ist eine komplexe Organisationsform von Materie. Im Gegensatz zur Organisation der Druckfarbe auf der Textseite (in Buchstaben, Wörtern, Sätzen) ist die Organisation des Lebens allerdings keine statische, deren Anordnung unveränderlich bliebe, sondern eine prozesshaft sich ständig verändernde und erneuernde Organisation, die sich in einem ständigen Austausch mit der Umwelt vollzieht. Diese ständige Veränderung und Erneuerung der Organisation von Materie in einem lebenden Organismus geschieht nicht zufällig, sondern vollzieht sich gemäß der genetischen Informationen dieses Organismus und bedarf einer ständigen Zufuhr und eines ständigen Umsatzes von Materie und Energie.
Am Beispiel unserer bedruckten Buchseite können wir zwei verschiedene Arten von Information unterscheiden: einmal unmittelbare Informationen, wie solche über die Farbe des Papiers, die Form der Buchstaben, die chemische Zusammensetzung der Druckfarbe usw., zum Zweiten vermittelte Informationen (gemeint ist der Bedeutungsgehalt der Wörter und Sätze), für die das Papier und die Druckfarbe nur Vermittler sind. Einem Archäologen z. B., der ein Dokument in einer ihm unbekannten Sprache findet, wären zunächst nur die „unmittelbaren Informationen“ zugänglich. Er könnte Aussagen machen über das Alter des Pergaments, die verwendete Tinte, die Form der Zeichen und Verzierungen usw., bis es ihm gelingt, die Sprache zu entziffern und den Bedeutungsinhalt der Schriftzeichen zu „lesen“.
Die „unmittelbaren Informationen“ liegen in der materiellen Beschaffenheit der Dinge selbst. Die „vermittelten Informationen“ dagegen benutzen die Dinge nur als Träger-Material für Inhalte, die gar nichts mit ihm zu tun zu haben brauchen. Eine Buchseite kann über ganz andere Inhalte informieren als über Papier und Druckfarbe. Nehmen wir z. B. eine gedruckte Gebrauchsanweisung für ein elektrisches Gerät. Die Information, wie dieses Gerät zu bedienen sei, werden wir auch bei genauester Analyse weder in der materiellen Zusammensetzung des Papiers noch der Druckfarbe finden. Eine „vermittelte Information“ liegt nicht in der Beschaffenheit ihres Trägermaterials begründet, deshalb kann auch sie niemals „von selbst“ aus den Elementen dieses Materials entstehen, sie muss von „von außen“ codiert und der Träger-Materie „aufgetragen“ werden.
Die Information des Lebens in den Genen eines Lebewesens enthält „unmittelbare“ und „vermittelte“ Information. Die Nukleinsäurebausteine der DNA-Stränge enthalten selbstverständlich auch Informationen über die materielle Zusammensetzung der Bausteine des Lebens. Sie beschreiben aber darüber hinaus auch die Funktionszusammenhänge dieser Bausteine in den einzelnen Zellen, sowie den Bau einzelner Bestandteile (Organe) des Lebewesens, und sie enthalten auch Informationen über die Gestalt und Funktionsweise des Gesamtorganismus und über das Zusammenwirken der verschiedenen Bestandteile der einzelnen Zelle ebenso wie aller Organe im Organismus. Die Information der „Schrift“, die die Erbanlagen eines Lebewesens beschreibt, ist also viel umfangreicher als die Beschreibung ihrer eigenen Struktur. Der „Bedeutungsgehalt“ der einzelnen Elemente der DNA und die Bedeutung ihres Zusammenspiels für den Bau und die Funktionsweise des Gesamtorganismus ist eine Information, die nicht nur die „Bausteine des Lebens“ selbst beschreibt, sondern auch einen übergeordneten „Sinn“ für das Zusammenwirken der Einzelteile im Ganzen des Organismus enthält. Sie ist (nach der oben genannten Definition) eine „vermittelte Information“ und die kann nicht „von selbst“ entstehen, auch sie braucht einen „Schreiber“, der nicht mit dem „Schreibmaterial“ identisch sein kann.
Stellen wir uns doch einmal vor, die einzelnen Buchstaben, Wörter und Sätze eines Buches würden beginnen, selbstständig so miteinander in Kontakt zu treten, dass sie im gegenseitigen Austausch und Abgleich sich intern nach ihrem Inhalt und nach ihrer Bedeutung im Ganzen des Textes abstimmen, korrigieren und ergänzen würden, sodass sie innere Unstimmigkeiten im Inhalt und Aufbau der einzelnen Sätze und des Gesamttextes selbst harmonisieren und ausgleichen könnten. Würden wir dann zustimmen, wenn uns jemand einreden wollte, das alles hätte die Materie dieses Buches, hätten seine chemischen Bestandteile in Papier und Druckfarbe aus sich selbst hervorgebracht? Und stellen wir uns, noch einen Schritt weitergehend, vor, dieser Text, den Sie gerade lesen, wäre im Internet gespeichert und so vernetzt, dass seine Buchstaben, Wörter und Sätze nicht nur selbstständig intern kommunizieren könnten (siehe oben), sondern auch noch selbstständig Inhalte von außen aus dem Internet aufnehmen, sie auf ihre Brauchbarkeit und inhaltliche Stimmigkeit überprüfen und Teile von ihnen sinnvoll in den vorhandenen Textbestand aufnehmen könnten, wobei dann nicht mehr passende Textteile herausgenommen und gelöscht würden. Eine solche Textgestalt, wenn es sie jemals gäbe, käme dann der Funktionsweise eines lebenden Organismus schon sehr nahe. Würden wir dann die Vorstellung akzeptieren, diese inhaltlichen Veränderungen, die immer wieder, in jeder Phase der Entwicklung, ein sinnvolles (d. h. lebensfähiges) Ganzes ergeben müssen, könnten zufällig geschehen? Hier wird deutlich: Solch ein geistig-inhaltlicher „Stoffwechsel“, der nicht nur die materiellen Bestandteile betrifft, sondern auch den Bedeutungsgehalt der Informationen über die Organisationsform der Materie im Zusammenspiel des Gesamtorganismus, der einen übergeordneten und sinnvollen Organisations- und Funktionszusammenhang beschreiben muss, könnte niemals durch sinnlose Zufälle geschehen (Die Selektion als zweites Grundprinzip der Evolution könnte ja immer nur zwischen lebensfähigen, also schon gelungenen Entwicklungen auswählen.).
Leben ist zwar nicht mehr als Materie, aber es besteht auch nicht nur aus Materie, die sich zufällig in bestimmten Strukturen angeordnet hat. Leben ist Materie in einer völlig neuen Daseinsform:
Leben ist eine komplexe, sich prozesshaft ständig verändernde und erneuernde Organisationsform materieller Substanz, strukturiert und organisiert anhand einer sich selbst reproduzierenden Information, die für den lebenden Gesamtorganismus (sei es eine einzelne Zelle oder ein höher organisiertes Lebewesen) und alle seine Bestandteile einen sinnvoll arbeitsteiligen Funktionszusammenhang beschreibt und alle entsprechenden Prozesse steuert, wobei die inneren Lebensvorgänge im Organismus sich in einem ständigen (materiellen, energetischen und informativen) Austausch mit der Umwelt vollziehen.
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Bodo Fiebig „Leben und Tod“, Version 2017-11
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