Im Beitrag „Identität“ haben wir immer wieder gesehen, dass in allen Teilbereichen der Person sowohl materielle als auch nicht-materielle Aspekte enthalten sind: Sogar die geistige Identität eines Menschen hat und braucht auch materielle Grundlagen (z. B. in den Zellen des Gehirns). Und sogar die leibliche Identität eines Menschen kann nur existieren, wenn bestimmte nicht-materielle Voraussetzungen gegeben sind (siehe den Abschnitt „die körperliche Identität“ im Beitrag „Identität“). Wir können zusammenfassend sagen: Alle Teilaspekte der Identität eines Menschen (körperliche, geistige, psychische, soziale, kulturelle und religiös-weltanschauliche) brauchen für ihre Existenz und Funktion materielle und nicht-materielle Voraussetzungen. Wie aber ist es mit der „Seele“? Der Zusammenhang zwischen der Identität des Menschen und dem was mit dem Begriff „Seele“ gemeint sein könnte, blieb bisher noch offen. Dieser Zusammenhang soll nun hergestellt und betrachtet werden.
Wir haben gesehen, dass die Identität eines Menschen mit allen ihren Aspekten ein integriertes Ganzes bildet, in dem alle Teilbereiche sich gegenseitig bedingen, beeinflussen und ergänzen. Der Begriff „Seele“ allerdings scheint in dieses System überhaupt nicht hineinzupassen, obwohl ja auch die Bibel davon redet. Das könnte allerdings daran liegen, dass der deutsche Begriff „Seele“ im allgemeinen Sprachgebrauch mit Inhalten gefüllt ist, die der Bibel fremd sind. Versuchen wir also erst einmal, genauer hinzusehen, was die Bibel meint, wenn sie von „Seele“ redet..
1 Nefesch und Psyche
Zunächst müssen wir wahrnehmen, dass das deutsche Wort „Seele“ in der Bibel eine Übersetzung fremdsprachiger Wörter ist (hebräisch „nefesch“ im AT und griechisch „psyche“ im NT), Wörter, die in ihrer Sprache andere Bedeutungsinhalte haben, als diejenigen, die wir mit dem deutschen Wort „Seele“ verbinden. Das gilt besonders für das hebräische „nefesch“. Wenn wir das Wort „Seele“ hören, dann führt uns dieser deutschsprachige Begriff zu anderen Denkweisen und zu anderen Inhalten und Assoziationen, als das Wort „nefesch“ einen hebräisch sprechenden und hebräisch denkenden Menschen. Das ist grundsätzlich bei jeder Übersetzung ein Problem. In diesem Falle aber ist das Problem unendlich viel größer, weil da nicht nur verschiedene Wortbedeutungen dahinter stehen, sondern auch zwanzig Jahrhunderte christlicher Theologiegeschichte, in der die Bedeutung des Wortes „Seele“ viele Wandlungen durchgemacht und neue Bedeutungsschwerpunkte dazubekommen hat. Sehen wir also erst einmal nach, welchen Bedeutungsgehalt das biblische „nefesch“ ursprünglich mitbringt. Dabei müssen wir auch das biblische Umfeld betrachten, in dem dieser Begriff verwendet wird.
In den ersten Kapiteln der Bibel gibt es zwei Grundaussagen über das „Wesen“ des Menschen, also zu der Frage: „Was ist der Mensch?“. Die erste Grundaussage zum Menschsein ist überraschenderweise keine Feststellung, sondern eine Aufforderung und Verheißung, eine Aussage darüber, was der Mensch sein und werden soll, nicht darüber, was er „von Natur aus“ ist (1. Mose 1, 26-27): Und es sprach Gott: Machen wollen wir den Menschen in unserem Bild, gemäß unserer Gleichheit (gemeint ist: Ein Bild, das unserem Vor-Bild entspricht) (…) Und Gott schuf den Menschen in seinem Bild, im Bilde Gottes schuf er ihn, männlich und weiblich erschuf er sie (eigene, urtextnahe Übersetzung). Hier heißt es zum ersten Mal in der „Schöpfungsgeschichte“, dass Gott etwas machen „will“. Bis dahin hieß es immer: Gott sprach und es wurde so. Mit der Erschaffung des Menschen war das Schöpfungshandeln Gottes bei dem Ziel angekommen, das er erreichen wollte. Als „ein Bild, das dem Vor-Bild Gottes entspricht“, so will Gott den Menschen, das heißt als ein Wesen, das so sein, bzw. so werden soll, dass man an ihm etwas (wenigstens etwas, und sei es noch so gering, bruchstückhaft und fragwürdig) etwas von Wesen Gottes erkennen kann (siehe das Thema „sein und sollen“) Auf diese erste Grundaussage über das Menschsein werden wir später noch zurückkommen.
Erst die zweite Grundaussage der Bibel zum Menschsein redet davon, was der Mensch ist (1. Mose 2,7): Da machte Gott der HERR den Menschen aus Staub von der Erde und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen (Lutherübersetzung 2017).
Der erste Teil dieser Aussage klingt, (wenn man bedenkt, dass dieser Text mindestens zweieinhalb Tausend Jahre alt ist) geradezu umwerfend modern: Da machte Gott der HERR den Menschen aus Staub von der Erde. Der Verfasser dieses Textes stellt fest: Der Mensch ist von Gott gemacht, und zwar aus der gleichen Materie wie der „Staub von der Erde“ (dass Gott den ersten Menschen aus einem Lehmkloß formte, den er dann durch Anhauchen zum Leben erweckte, steht nicht in der Bibel, siehe das Thema „Adam – wer bist du?“ Beitrag 1: „Adam, der erste Mensch?“). Hier wird nur betont: Die Bausteine des Lebens sind nicht aus einem besonderen „Lebens-Stoff“ gebildet und der Mensch nicht aus einer besonderen „Supermaterie“, sondern aus den gleichen Materialien (wir Heutigen nennen sie Atome und Moleküle), wie die ganze belebte und unbelebte Schöpfung. Das kann Menschen, die das ernst nehmen, vor jeder Selbstüberhöhung bewahren: „Was willst du denn, Mensch, was baust du dich so groß auf? Staub von Erdboden bist du, sonst nichts“ (zumindest materiell gesehen)!
Freilich besteht diese erste „Ist-Aussage“ über das Menschsein noch aus einem zweiten und dritten Teil. Zunächst der Zweite: „Da machte Gott der HERR den Menschen aus Staub von der Erde und blies ihm den Odem des Lebens (hebr.: „neschamah chajim“) in seine Nase“. Der Mensch ist eben nicht nur „Staub von der Erde“, sondern „Staub von der Erde + Odem des Lebens“, und erst durch diesen Lebens-Odem, den Gott ihm persönlich und direkt einhaucht, wird der Mensch ein „lebendiges Wesen“ (hebr.: „nefesch chajjah“). Im unrevidierten Luthertext hieß es: „ … Und also ward der Mensch eine lebendige Seele“.
Man könnte „nefesch chajjah“ auch übersetzen mit „beseeltes Leben“ oder „atmendes Leben“ oder ganz allgemein: „Lebewesen“. Gemeint ist immer der Mensch als Ganzes, nicht ein Teil im Menschen (den man dann „Seele“ nennen könnte). Das Wort „nefesch“ bedeutet ursprünglich Kehle und Atem, in manchen Zusammenhängen auch Verlangen und Wille, Hunger und Gier, oder allgemein das Lebendig-sein. „Chajjah“ bedeutet ebenfalls „lebendig“, (von „chajim“ Leben). Also könnte man „nefesch chajjah“ auch übersetzen „lebendiges Leben“. Das klingt im Deutschen seltsam, im biblischen Hebräisch aber ist es ganz normal und üblich, eine Aussage zu betonen, indem man sie doppelt, aber mit verschiedenen Wörtern ausdrückt. „Nefesch chajjah“ meint den ganzen Menschen als atmendes, beseeltes Leben, voller Lebendigkeit, Lebenswillen und Lebenskraft.
Das Wort „nefesch“ allein meint in der Bibel oft den Menschen als Person, spricht von „meiner Seele“ im Sinne von „ich selbst“: … meine Seele ist fröhlich (Psalm 16,9) im Sinne von „Ich bin fröhlich“, oder: Was betrübst du dich, meine Seele und bist so unruhig? (Psalm 42,6) im Sinne von „Warum bin ich so betrübt und unruhig“, oder: Lobe den Herrn, meine Seele (Psalm 103,1) im Sinne von „Ich will (oder ich sollte) den Herren loben“.
Die Bibel nennt auch Tiere „nefesch chajjah“ (z. B. 1. Mose 1, 20 ): Und es sprach Gott: Es sollen wimmeln die Wasser vom Gewimmel atmendem Lebens (ich wähle hier diese Variante der im habräischen Wort „nefesch“ enthaltenen Übersetzungsmöglichkeiten, weil sie hier das Gemeinte am besten wiedergibt). Oder 1. Mose 1, 24: Und es sprach Gott: Es bringe hervor die Erde atmendes Leben, je nach seiner Art, Vieh und Kriechendes und Wildtiere, je nach ihrer Art (die fett gedruckten Textteile bieten hier eine urtextnahe Übersetzung). Nur Tiere werden „nefesch chajjah“ genannte, nicht Pflanzen, obwohl die ja auch Leben sind.
Wenn es um das „biologische Leben“ geht, muss der Mensch mit zu den Tieren (genauer: zu den Säugetieren) gezählt werden. Trotzdem nimmt der Mensch in der Schöpfung eine Sonderstellung ein: Nur ihm, keinem anderen Lebewesen wird der „Odem des Lebens“ (neschamah chajim) direkt und persönlich von Gott eingehaucht. Das heißt: Der Mensch ist nicht nur „atmendes Leben“, sondern auch, und noch dazu „beseeltes Leben“. Leben, das er, anders als bei den Tieren, durch eine persönliche Zuwendung und „Hingebung“ Gottes empfängt. Was das bedeutet, werden wir später bei der genaueren Betrachtung der ersten Grundaussage über den Menschen (siehe oben, 1. Mose 1, 26-27) erkennen.
Das griechische Wort „psyche“ im Neuen Testament, das im Deutschen oft mit „Seele“ übersetzt wird, hat einen anderen Bedeutungshintergrund als das hebräische „nefesch“. In dem griechischen Wort klingt die Gedankenwelt der griechischen Philosophie mit, wo mit „psyche“ der „reine Wesenskern“ des Menschen bezeichnet wird als etwas Unstoffliches, Ungreifbares, Unsichtbares, Unsterbliches, das sich von dem grobstofflichen Körper trennen muss, um mit den Göttern vereint und von allem Übeln, aller Unwissenheit und allem Irrtum befreit zu werden. Und wir merken, dass unsere europäisch-christlichen Vorstellungen von dem, was wir unter „Seele“ verstehen, manchmal stärker von der griechischen Philosophie beeinflusst sind als von der biblischen Botschaft.
Dabei muss uns bewusst sein, dass die griechischsprachigen Texte des Neuen Testaments auch schon Übersetzungen sind in eine fremde Sprache mit anderen Denkweisen. Jesus und die Apostel haben ja nicht griechisch gesprochen, als sie durch die Dörfer am See Genezareth zogen und lehrten, sondern hebräisch und aramäisch. Erst Jahrzehnte nach Tod, Auferstehung und Himmelfahrt Jesu wurden die Erinnerungen und schriftlichen Aufzeichnungen von seinen Worten und Taten ins Griechische übersetzt. Wir müssen uns also, wenn wir den Sinn der neutestamentlichen Aussagen erfassen wollen, von den „Nebenbedeutungen“ der griechischen Begriffe im Neuen Testament (soweit sie aus der griechischen Philosophie stammen) lösen. Und wir müssen die griechischen Texte in Gesamtzusammenhängen der ganzen Bibel lesen, die von hebräischem Reden und Denken bestimmt ist, denn nur so kommen wir dem hebräischen Denken und Reden Jesu und der Apostel (und damit dem ursprünglichen Sinn ihrer Aussagen) näher.
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2 Berufung und Beziehung
Kehren wir noch einmal zur ersten Aussage der Bibel über das Menschsein zurück (vgl. Anfang des Abschnitts „Nefesch und Psyche“, 1. Mose 1, 26-27): Und es sprach Gott: Machen wollen wir Menschen in unserem Bild, gemäß unserer Gleichheit (…) Und Gott schuf den Menschen in seinem Bild, im Bilde Gottes schuf er ihn, männlich und weiblich erschuf er sie (eigene, urtextnahe Übersetzung).
Biblisch gesehen ist dieses auf zwei Beinen aufrecht gehende Lebewesen „Mensch” nicht definiert durch das, was es ist (ein relativ intelligentes Säugetier) sondern durch das, was es sein soll: „Bild” Gottes, Abbild und Darstellung des innersten Wesens dessen, der das Universum geschaffen hat (siehe dazu das Thema „sein und sollen“). Der Mensch ist im Vergleich zu allem Vorangegangenen eine wirkliche Neuschöpfung Gottes, trotz seiner biologischen Nähe zu den Säugetieren. Und dieses „ganz Neue“ ist nicht materieller und nicht biologischer Art, besteht auch nicht in seinen geistigen Fähigkeiten, sondern in einer besonderen, nur die Menschen betreffenden Berufung: Die Schöpfung „Mensch“ soll „Bild“ sein, Ikone – Ikone Gottes, das heißt: sichtbare Darstellung des Schöpfers in der Schöpfung, anschaubare Vergegenwärtigung Gottes mitten in einer scheinbar gottlosen Welt. Dabei ist aber der Mensch keine optische Abbildung Gottes, als wäre Gott ein Wesen mit menschenähnlicher Gestalt, mit Armen und Beinen, mit Augen, Mund und Nase… (dann wäre ja Gott ein Abbild des Menschen, und so haben sich Menschen zu allen Zeiten ihre Götter vorzustellen versucht, schauen wir uns doch die Götterbilder der Religionen an).
Nein, der Mensch ist keine optische Abbildung Gottes sondern eine wesentliche. Durch das Menschsein soll das Wesen Gottes in der Schöpfung anwesend sein. Aber, wer ist Gott, was ist denn sein eigentliches Wesen? Und wozu hat er uns geschaffen und was erwartet er von uns? Die Antworten auf solche Fragen sind von uns aus nicht zugänglich. Wir können mit den Mitteln menschlicher Erkenntnisfähigkeit nur so viel von Gott erfassen und mit den Mitteln menschlichen Sprache nur so viel von Gott aussagen, als er selbst sich uns offenbart.
Und Gott hat sich offenbart: In der Schöpfung, in der Geschichte Israels, im Leben, Reden und Handeln Jesu, auch in der Geschichte des Judentums und der Christenheit der vergangenen 2000 Jahre und in der Weltgeschichte und Heilsgeschichte bis heute. Und in dieser Selbstoffenbarung Gottes über Jahrtausende hinweg können wir wahrnehmen, dass die Existenz Gottes wesentlich in einem „In-Beziehung-Sein“ besteht, einem „In-Beziehung-Sein“, das wir mit den Mitteln der menschlichen Sprache (freilich völlig unzureichend, aber wir haben keine Alternative) mit dem Begriff „Liebe“ umschreiben (siehe das Thema „AHaBaH – das Höchste ist Lieben).
In der Bibel klingt das so (1. Joh 4, 7-8): Ihr Lieben, lasst uns einander liebhaben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe. Das also (das, was hier mit dem Begriff „Liebe” umschrieben wird), das ist es, was das Gott-Sein Gottes ausmacht, sie ist sein eigentliches „Wesen”, seine „Substanz”, seine „Identität”.
Die Bibel beschreibt (in deutscher Übersetzung) das Wesen Gottes in drei Worten: Gott – ist – Liebe. Damit ist alles Wesentliche über den Gott der Bibel ausgesagt: Sein Wesen ist ein „Für-den-andern-da-sein“ in voraussetzungsloser Annahme und uneingeschränkter Zuwendung, in unerschütterlicher Treue und opferbereiter Hingabe. Und diese Liebe, die das Gott-Sein Gottes ausmacht, die soll nun als sein „Ebenbild” auch das Mensch-Sein des Menschen bestimmen. Das, was das Menschsein des Menschen ausmacht, ist die Fähigkeit zu lieben. Zu lieben aus bewusster Hingabe an ein Du, zu lieben, auch wenn es für das eigene Ich Nachteile einbringt, zu lieben, und koste es das eigene Leben. Diese Liebesfähigkeit (als menschlich anschaubares „Bild“ Gottes) ist es, die Gott dem Menschen besonders einhauchen musste, da sie seinem Status als Lebewesen mitten im „Kampf ums Dasein“ total widerspricht (1. Mose 2,7): Da machte Gott der HERR den Menschen aus Staub von der Erde und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase.
Solche Liebe, die sich bewusst an ein Gegenüber hingibt, die nicht sich selbst erhöhen, sondern dem andern zur Erfüllung seines Menschseins und zur Freude am Dasein helfen will, die sich aus freiem Willen für eine Gemeinschaft engagiert und die sich sogar selbst unter Zurückstellung des eigenen kreatürlichen Lebenswillens für das Gefährdete und Verlorene einsetzen kann, um es zu retten, das ist das Göttliche, das sich im Menschsein widerspiegeln soll als sein Ebenbild und das durch den Menschen in der Schöpfung gegenwärtig und wirksam sein soll.
Diese Liebe soll zur Überwindung des universalen Ego–Prinzips der Evolution werden im Miteinander der Menschen. Sie ist das Gegenmodell zum „Kampf ums Dasein”, und zum Prinzip vom „Fressen und Gefressen-werden”, die sonst alles Leben beherrschen, auch das Gegenmodell zum Egoisten und modernen Selbst-Verwirklicher, der sich auf Kosten anderer Ansehen, Geld und Macht verschafft, auch das Gegenmodell zum religiös-fanatischen „Märtyrer“, zum „Gotteskrieger“, der sein Leben opfert, um möglichst viele „Ungläubige“ mit in den Tod zu reißen und so für sich selbst einen Platz im Paradies zu erringen.
Mitten in einer Natur, in der jedes Lebewesen um seinen Lebensraum und seine Lebensmittel ringen muss und mitten in den Kulturen, wo sich jeder einen „Platz an der Sonne“ erkämpfen muss, schafft Gott mit dem Menschen ein Geschöpf, das die Möglichkeit hat, seinen Lebensraum bewusst als Raum der Gemeinschaft zu gestalten und seine Lebens-Mittel im bewussten Miteinander und Füreinander zu erwerben. Gott will sich in seiner Schöpfung ein Gegenüber erwecken, das sein Ebenbild ist, erkennbare und erfahrbare Vergegenwärtigung seiner Liebe mitten in dieser Welt und mit dem er eine Liebesbeziehung beginnen kann.
Wir können nun unser Thema „Körper, Geist und Seele“ etwas genauer bestimmen:
Jedes Menschsein besteht
als Individuum
a) aus einer körperlichen Aspekt
b) aus einem geistigen Aspekt
c) aus einem psychischen Aspekt
als Gemeinschaftswesen
d) aus einem sozialen Aspekt
e) aus einem kulturellen Aspekt
f) aus einem religiös-weltanschaulichen Aspekt
und als „Bild Gottes“
g) aus einem Berufungs- und Beziehungs-Aspekt, der für jeden Menschen und für das Menschsein als Ganzes ein Sollen und ein Werden, eine Berufung und eine Verheißung bereit hat mit dem Ziel einer Gott-Mensch-Liebes–Beziehung.
Wir können also die „seelische“ Existenz des Menschen nicht als ein Sein beschreiben als irgendein „Ding“, das irgendwo im menschlichen Körper zu finden wäre, sondern als ein Sollen und Werden entlang einer Berufung zur Gott-Ebenbildlichkeit, hin zu einer Liebes–Beziehung zu Gott und den Mitmenschen. Und dieses Sollen und Werden umfasst selbstverständlich unser ganzes Menschsein, unsere ganze körperliche, geistige, psychische, soziale, kulturelle und religiös-weltanschauliche Identität.
Wir können das mit „Seele“ Gemeinte verstehen als Integration aller Teilbereiche des Menschseins zur Einheit der Person durch die integrierende Kraft einer allem Menschsein grundsätzlich zugeeigneten Gottesbeziehung (wieviel der Einzelne davon verwirklichen mag, ist eine andere Frage). Die seelische Existenz des Menschen besteht durch das Angesehen-werden von dem, der alle Teilbereiche unseres Seins kennt und zusammenschaut. Meine „Seele“, das ist die mir von Gott eingehauchte „Gottähnlichkeit“, ist das Bild, das Gott vor Augen hat, wenn er mich anschaut mit der geistigen Klarheit und der emotionalen Intensität seiner Liebe. Der Gotteshauch (neschamah), der aus dem intelligenten Säugetier „Homo Sapiens“ einen „Menschen“ macht, ist der „Geist“ der Liebe, jener Liebe, die zugleich auch das Gott-Sein Gottes ausmacht, und die das Menschsein (soweit es in seinem Miteinander und Füreinander etwas von diesen Geist der Liebe widerspiegelt) zum „Ebenbild Gottes“ macht (siehe das Thema „AHaBaH – das Höchste ist lieben“.
Vielleicht können wir uns diesen Sachverhalt noch einmal an unserem ersten Beispiel aus dem Beitrag „Das Märchen von der Seele“ bildhaft und deutlicher vor Augen führen: Im Vergleich des Menschen mit einem Buch. Da war es einfach, das Körperliche des Menschen mit den Materialien Papier und Druckfarbe beim Buch zu vergleichen, und das Geistige mit dem gedruckten Inhalt des Buches. Beim Seelischen war das schwieriger und blieb bei einer vagen Analogie. Jetzt haben wir die Möglichkeit, auch diesen Aspekt konkreter zu fassen: Die „Seele“ eines Buches ist der Wunsch des Autors, beim Leser durch seinen Text etwas anzurühren und zu erwecken, das seinen eigenen Einstellungen und Überzeugungen, seinen eigenen Absichten und Erwartungen, seiner eigenen Betroffenheit und Sehnsucht … entspricht. Der Schöpfer des Buches will (vielleicht verdeckt, aber doch wirksam) sein Buch so schreiben, dass es für Menschen, die ihn nicht persönlich kennen, zum Zeugen und Botschafter seiner eigenen Botschaft wird. Diese Selbst-Botschaft hinter der erzählten Geschichte, das ist die „Seele“ eines Buches.
Genau so ist es beim Menschen. Sein Schöpfer hat ihn so geschaffen, dass er zum Zeugen und Botschafter seiner (Gottes) eigenen „Seele“ wird, zum „Ebenbild“ und „Äußerung“ seines innersten Wesens, zum Träger und Vermittler seiner eigenen Identität, die in der Liebe besteht (2. Kor 3, 2-3): Ihr seid unser Brief, in unser Herz geschrieben, erkannt und gelesen von allen Menschen! Ist doch offenbar geworden, dass ihr ein Brief Christi seid durch unsern Dienst, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf fleischerne Tafeln der Herzen.
Die „Seele“ des Menschen ist die Widerspiegelung Gottes im Menschsein (1. Mose 1, 27: Und Gott schuf den Menschen in seinem Bild) unzerstörbar, unverlierbar, von keiner widergöttlichen Macht erreichbar. Das, was im Leben eines Menschen und im Miteinander menschlicher Gemeinschaft so gestaltet ist (im Sein, im Reden und im Tun), dass es zum anschaubaren Ebenbild der Liebe Gottes wird, dass ist es, was die Bibel die „Seele“ des Menschen nennt: Mt 22, 37-39: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Dies ist das höchste und erste Gebot. Das andere aber ist dem gleich: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. Deshalb und nur deshalb ist die „Seele“ eines Menschen unvergänglich, weil das Bild, das Gott von uns hat, wenn er uns mit dem Blick seiner Liebe anschaut, nicht vergänglich ist (Ps 16,10): Denn du wirst meine Seele nicht dem Tode lassen …
Die seelische Existenz des Menschen kommt dann in seinem irdischen Leben zu seiner Knospe, Blüte und Frucht, wenn das Leben eines Menschen (in der Beziehung zu Gott und seinen Mitgeschöpfen) in aller Schwäche und Unvollkommenheit immer ähnlichere Umrisse und Farben annimmt, wie das Bild, das Gott schon von Anfang an von ihm hat: Ebenbild seines eigenen Wesens. Und dieses ganze „Wesen Mensch“ soll, nach seinem Sterben zu Gott kommen, nicht nur ein nebulöser „Wesens-Kern“, den wir dann „Seele“ nennen könnten.
Die „Seele“ des Menschen ist kein dünnes Seelenlüftchen, das den grobstofflichen Körper des Menschen verlässt, wenn der Tod über ihn kommt, sondern sie wird real, handfest und lebendig in der Liebesbeziehung zu seinen Mitgeschöpfen im Miteinander und Füreinander des alltäglichen Lebens und in der Liebesbeziehung zu seinem Schöpfer, die sich in Dank und Bitte verwirklicht, in Zuwendung und Vertrauen, Hingabe und Lobgesang: „Lobe den Herrn, meine Seele“.
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Bodo Fiebig „Lobe den Herrn“ Version 2018 – 6
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