Bereich: Grundfragen des Lebens

Thema: gut und böse

Beitrag 9: Entscheidung und Entschiedenheit (Bodo Fiebig29. Oktober 2022)

Weil das Böse auch in unserer Zeit in vielen Bereichen und vielen Erscheinungsweisen zum „System” geworden ist und eine alles überwältigende Macht gewonnen hat, (siehe den Beitrag „Das böse System“), deshalb genügt nicht der Versuch, sich selbst herauszuhalten und sich persönlich nicht von Bösen überwältigen zu lassen, so wichtig das im Einzelnen ist. Aber es ist ebenso wichtig und notwendig, dass einzelne Christen und christliche Gemeinschaften selbst aktiv werden in den konkreten Vorgängen und Beziehungen unserer Zeit: für das Gute und gegen das Böse.

Sprüche 8, 13: Die Ehrfurcht vor Gott bedeutet, Böses zu hassen (Das Wort, dass hier mit „hassen” übersetzt wird, meint nicht Wut und Gewalttätigkeit, sondern entschiedene Ablehnung mit leidenschaftlichem Engagement). So macht es auch Gott und so sieht das Gottesbild aus, das uns die Bibel vor Augen malt: Ein Gott, der liebt und hasst. Na ja, sagen da manche, das steht ja auch im Alten Testament, da gibt es noch diesen Gott, der hasst und straft; im NT haben ist das ganz anders, wir haben einen Gott der Liebe.

Nein, das stimmt so, in dieser Gegenüberstellung nicht. Gott ist im Alten und im Neuen Testament immer der selbe! Im NT finden wir auch einen ganz ähnlichen Satz: Röm 12,9: Die Liebe sei ohne Falsch. Hasst das Böse, hängt dem Guten an. Wir sehen: Wir sollen wie Gott lieben und hassen.

Aber darf denn Gott hassen; ist er nicht der „Liebe Gott“? Nein, diesen „Lieben Gott“, den gibt es nicht, jedenfalls nicht in der Bibel. Das ist ein selbstgemachtes Zerrbild Gottes. Gott liebt und hasst; aber das Entscheidende ist: Was liebt er und was hasst er? Gott liebt die Menschen, alle Menschen, ausnahmslos, auch die, die Böses getan haben; er liebt sie mit der ganzen Kraft seines göttlichen Herzens und er hasst das Böse, alles Böse, das Menschen einander antun, mit aller Gewalt seines göttlichen Zorns.

Und das ist kein Widerspruch, denn es ist die Kraft seiner Liebe zu den Menschen, mit der Gott das Böse hasst, und zwar deshalb hasst, weil es die Menschen, die er selbst um der Liebe willen geschaffen hat, in ihrem eigentlichen Menschsein in Frage stellt, und weil es alle positive Beziehungen, alles Gute und Hilfreiche und Schöne zwischen den Menschen zerstört. Wie sollte Gott das Böse nicht hassen, angesichts einer Welt voll Ungerechtigkeit und Gemeinheit, Raub und Betrug, Unterdrückung und Ausbeutung, Gewalt und Krieg, Folter und Mord?

Sach 8, 16-17: Das ist’s aber, was ihr tun sollt: Rede einer mit dem andern Wahrheit und richtet recht, schafft Frieden in euren Toren, und keiner ersinne Arges in seinem Herzen gegen seinen Nächsten, und liebt nicht falsche Eide; denn das alles hasse ich, spricht der HERR.

Ja, Gott hasst das Böse, aber gerade deshalb will er die Menschen, die er liebt, immer von Neuem liebt, auch wenn sie Böses getan haben, nicht dem Bösen überlassen. Deshalb wirbt er mit der ganzen Kraft seiner göttlichen Liebe um die vom Bösen getriebenen Menschen: Kehrt um, wendet euch ab vom Bösen, ja hasst das Böse, damit ihr frei werdet zum Guten und zur Liebe. Dazu hat ja Gott seinen Sohn gesandt, dass er die Menschen frei macht aus der Verkettung an das Böse.

Gott liebt die Menschen, alle Menschen, und er liebt alles Gute und er hasst das Böse und er fordert uns auf, es auch so zu halten: Die Menschen und das Gute lieben und das Böse (auch das Böse in uns selbst) entschieden abzulehnen. Es geht um die aktuelle Entscheidung ebenso, wie um bleibende Entschiedenheit, es geht um die Entscheidung für das Gute und gegen das Böse in der Entschiedenheit, die aus der Liebe kommt.

Menschen können nicht im Frieden miteinander leben, wenn sie nicht zwischen gut und böse unterscheiden und wenn sie sich nicht (in der überwiegenden Mehrheit) für das Gute und gegen das Böse entscheiden. Eine der Tragödien unserer Zeit liegt darin, dass die christlichen Kirchen sich diese Wahrheit haben verschleiern lassen, dass sie sich das Erkennen und Benennen von Schuld und Sünde haben madigmachen lassen, dass sie sich die Unterscheidung zwischen Gut und Böse haben abschwatzen lassen vom psychologisierenden Zeitgeist, der uns einredet: „Man darf doch nicht mehr von Schuld sprechen oder gar von Sünde, wie unmodern das klingt! Nein, nein, wir müssen alles verstehen und alles gelten lassen, und wenn es gar nicht mehr geht, dann müssen wir eben darüber reden; und wenn wir nur genug darüber reden, dann löst sich alles irgendwie.”

Und man merkt oft erst nach langer Zeit: Es hat sich nichts gelöst, sondern das Fehlverhalten hat sich verfestigt, der Egoismus hat sich verhärtet, die lebensfeindlichen und Gemeinschafts-zerstörenden Verhaltensweisen haben sich ausgeweitet und das Böse ist unversehens zur Norm geworden. Und dann sagt man: „Was wollt ihr denn, das tun doch alle so, die Menschen sind halt so, da kann man nichts machen”. Nein, die Menschen sind nicht „halt” so, sondern es sind Menschen und Organisationen am Werk, deren Einstellungen, Absichten und Handlungsweisen sich bewusst und gesteuert so auswirken sollen, dass die Menschlichkeit unter den Menschen verkümmert, denn nur so können sie ihre Ziele erreichen.

Wir Christen in Europa haben uns ein sehr wohltemperiertes, auf Ausgleich und Gleichmaß bedachtes Christsein angewöhnt. Wir hassen nicht und wir lieben selten. Emotionen sind, wenn es um den Glauben geht, fast schon etwas Ungehöriges. Wir haben den Glauben zum intellektuellen Gedankenspiel oder zum besinnlichen Postkartenspruch degradiert. Gott aber hasst das Böse, leidenschaftlich, hasst es, weil er die Menschen leidenschaftlich liebt, besonders die, die in den Fesseln des Bösen gefangen sind.

Vielleicht hassen wir das Böse so wenig, weil wir die Menschen zu wenig lieben?

Paulus sagt (2.Tim 1,7): Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Eine merkwürdige Zusammenstellung: Kraft und Liebe – zwei physisch und psychisch bewegende Elemente, und dann kommt die Besonnenheit und bügelt alles wieder glatt und bremst alles wieder aus? Nein, eben nicht. Es geht hier um Kraft und Liebe in leidenschaftlicher Besonnenheit, es geht um physische und psychische Bewegung in leidenschaftlicher Vernunft.

Das Extreme, das oft auch schon das Böse in sich trägt, wird vertreten und erkämpft mit hohem Einsatz, ja mit Fanatismus, mit Waffen und rücksichtsloser Gewalt. Werden wir dagegen den Frieden und das Gute, mit abwartender Beschaulichkeit gewinnen? Wohl kaum; der Frieden wird nur da erhalten bleiben, wo die Christen die göttliche Mitte leidenschaftlicher vertreten, als die Kämpfenden ihre gegensätzlichen Extreme. Nicht mit Waffen, sondern mit dem Einsatz des Glaubens und der Liebe.

Allerdings dürfen wir dabei nie aus den Augen verlieren: Wer die Ablehnung des Bösen auf Menschen überträgt (z. B. auf Menschen einer bestimmten Rasse, Kultur, Religion, sozialen „Klasse” usw. und sagt „die sind böse”) und anfängt, Menschen zu hassen, der wird selbst zum Vertreter und Vollstrecker des Bösen. Wir aber sollen Botschafter und Handlungsbevollmächtigte des Guten sein. (Siehe den folgenden Beitrag „Die Erneuerung des Menschseins“.)

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